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Beiträge 2017


7.3.2017: BGH: Adoption des Kindes des Lebensgefährten führt zum Erlöschen von dessen Verwandtschaftsverhältnis zum Kind


BGH, Beschl. v. 8.2.2017 - XII ZB 586/15

Mit Beschluss vom 8.2.2017 hat der BGH entschieden, dass die Adoption des Kindes des Lebensgefährten nicht möglich sei, ohne dass dies zum Erlöschen von dessen Verwandtschaftsverhältnis zum Kind führe. Der BGH begründet seine Rechtsprechung mit der eindeutigen Formulierung in §§ 1741 II S. 1, 1755 I S. 1 BGB. Ob dem gefolgt werden kann oder ob dem BGH auch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, soll im Folgenden untersucht werden.

Ausgangslage: Nach der Grundsatznorm des § 1741 I S. 1 BGB ist die Annahme als Kind unter zwei Voraussetzungen zulässig: Sie muss dem Wohl des Kindes dienen und es muss zu erwarten sein, dass zwischen dem Anneh­menden und dem Kind ein Eltern-Kind-Ver­hältnis entsteht. Der Kreis der Annahmeberechtigten ist in §§ 1741 ff. BGB festgelegt, die an das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer Ehe anknüpfen (vgl. zum Folgenden R. Schmidt, Familienrecht, 7. Aufl. 2017, Rn. 597).

 Wer nicht verheiratet ist, kann ein Kind nur allein annehmen (§ 1741 II S. 1 BGB). Eine gemein­schaft­liche Adoption durch ein unver­heiratetes Paar ist also nicht möglich. Der Annehmende muss das 25. Lebensjahr vollendet haben (§ 1743 S. 1 BGB).

 Möchte ein Ehepaar ein Kind annehmen, kann es dies grds. nur gemein­schaftlich (§§ 1741 II S. 2, 1754 I BGB – „Normalfall“ einer Adoption). Dabei muss ein Ehegatte das 25. Lebensjahr, der andere das 21. Lebensjahr vollendet ha­ben (§ 1743 S. 2 BGB). Die Annahme eines Kindes durch einen Ehegatten allein ist also grds. nicht möglich. Ein Ehegatte kann ein Kind aber dann allein annehmen, wenn der andere Ehegatte das Kind nicht annehmen kann, weil er geschäftsunfähig ist oder das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 1741 II S. 4 BGB). Möglich ist auch eine sog. Stiefkindadoption: Für den Fall, dass ein Ehegatte bereits zum Zeitpunkt der Eheschlie­ßung leiblicher Vater/leibliche Mutter eines Kindes war, kann der andere Ehegatte das Kind seines Ehegatten allein annehmen (§ 1741 II S. 3 BGB). Dies setzt grds. die Einwilligung des anderen Ehegatten (§ 1749 I S. 1 BGB) und des anderen Elternteils (§ 1747 BGB) voraus, unter den Voraussetzungen des § 1746 BGB auch die des Kindes. Mit der Stiefkindadoption erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines gemeinsamen Kindes der Eheleute (§ 1754 I BGB – dazu R. Schmidt, Familienrecht, 7. Aufl. 2017, Rn. 598).

 Auch kann ein Ehegatte das von dem anderen Ehegatten vor der Eheschließung angenommene Kind adoptieren, sog. Sukzessivadoption (§ 1742 BGB). Zwar entspricht eine „Weiterreichung“ eines adoptierten Kindes nicht unbedingt dessen Wohl, aber da­durch, dass gem. § 1742 BGB das Kind das gemeinsame Kind der Ehegatten wird, ist eine Gefährdung des Kindeswohls grundsätzlich nicht zu befürchten. Denn das adoptierte Kind wird ja nicht „weitergereicht“, sondern erhält einen zusätzlichen Adoptivelternteil.

Nimmt ein Ehepaar ein Kind an oder nimmt ein Ehegatte ein (leibliches oder adoptiertes) Kind des anderen Ehegatten an, erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten (§ 1754 I BGB). In den anderen Fällen erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden (§ 1754 II BGB).

Nach diesen eindeutigen gesetzlichen Regelungen ist eine gemein­schaftliche Adoption durch ein unver­heiratetes Paar also ebenso wenig möglich wie die gemeinschaft­liche Adoption durch Partner einer eingetragenen Lebens­partnerschaft nach dem LPartG. Für eingetragene Lebenspartnerschaften hat der Gesetzgeber (nicht zuletzt aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung) aber (andere) Adoptionsmöglichkeiten geschaffen.

Mit der Annahme wird ein neues Verwandtschaftsverhältnis begründet. Der Angenommene erhält gem. § 1754 II BGB die rechtliche Stellung eines leiblichen Kindes mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten (gesetz­liches Erbrecht nach §§ 1922 ff. BGB, Sorgerecht gem. §§ 1626 ff. BGB, Unterhaltsansprüche nach §§ 1601 ff. BGB etc. - Wellenhofer, Familienrecht, § 36 Rn 15; Schwab, Familienrecht, § 70 Rn 848). Zu den bis­herigen Verwandten er­lischt das Verwandt­schafts­verhältnis des Kindes (§ 1755 I S. 1 BGB, freilich unter Beachtung des § 1756 BGB).

Bei nicht miteinander verheirateten oder verpartnerten Personen (also bei Personen, die nicht in ehelicher Lebensgemeinschaft bzw. nicht in eingetragener Lebenspartner­schaft miteinander leben) bedeuten diese Regelungen, dass ein Partner zwar das Kind des anderen adoptieren kann, jedoch nur mit der Folge, dass dadurch das Verwandt­schaftsverhältnis des anderen zu seinem Kind erlischt.

Die Entscheidung des BGH (aus didaktischen Gründen leicht abgewandelt und vereinfacht): M und F leben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. F ist Mutter zweier minderjähriger Kinder, die sie aus der damaligen Ehe mit dem bereits vor einigen Jahren verstorbenen D mit in die Beziehung gebracht hat. M möchte nunmehr die beiden Kinder adoptieren mit der Maßgabe, dass diese die rechtliche Stellung als gemeinschaftliche Kinder von M und F erlangen. Die zuständige Behörde weist M und F darauf hin, dass eine Adoption der beiden Kinder durch M zwar grundsätzlich möglich sei, dann aber F ihr Verwandtschafts­verhältnis zu ihren beiden Kindern verliere. M und F stellen daher einen entsprechenden Antrag vor dem Familiengericht, der jedoch erfolglos bleibt. Beschwerde vor dem OLG und Rechtsbeschwerde vor dem BGH bleiben ebenfalls erfolglos.

Auf der Basis des geschriebenen Rechts unter Zugrundelegung der wörtlichen Auslegung sind die Gerichtsentscheidungen nicht zu beanstanden. Wer nicht verheiratet ist, kann gemäß der Regelung des § 1741 II S. 1 BGB ein Kind nur allein annehmen. Mit der An­nahme erlischt gem. § 1755 I S. 1 BGB das Verwandtschaftsverhältnis des ange­nommenen Kindes zu seinen Eltern/seinem Elternteil. Im Fall der Adoption durch M ver­löre F also ihre rechtliche Stellung als Elternteil. Um diese Folge zu vermeiden, wären M und F mithin gezwungen, zunächst miteinander die Ehe einzugehen. Denn für den Fall, dass ein Ehegatte bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung leiblicher Vater/leibliche Mutter eines Kindes war, kann der andere Ehegatte das Kind seines Ehegatten allein annehmen (§ 1741 II S. 3 BGB). Mit dieser sog. Stiefkindadoption erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Eheleute (§ 1754 I BGB). (Anm.: Nach den Urteilsfeststellungen des Familiengerichts war M und F die Möglichkeit der Eheschließung mit anschließender Sukzessivadoption zwar bewusst, dies lehnten sie aber kategorisch ab, weil F damit ihren Anspruch auf Hinterbliebenenrente verloren hätte). 

Der BGH begründet seine Entscheidung mit dem Wortlaut der §§ 1741 II S. 1, 1755 I S. 1 BGB, deren Sinn und Zweck und systematischer Stellung sowie mit dem Willen des Gesetzgebers, der bewusst keine Sukzessivadoption bei nicht miteinander verheirateten bzw. verpartnerten Paaren geregelt habe, was insgesamt eine teleologische Reduktion der Vorschriften nicht zulasse. Auch verstießen die Regelungen und die sie anwendenden Gerichte nicht gegen Grundrechte. So seien Art. 6 I GG (Recht auf Familie), Art. 6 II S. 1 GG (Elternrecht), Art. 3 I GG (allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz; Diskriminierungsverbot) und Art. 2 I i.V.m. 6 II S. 1 GG (Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung) nicht verletzt.

Art. 6 I GG sei nicht verletzt, weil nach der Rspr. des BVerfG jedenfalls bei einer lediglich tatsächlichen (aber nicht rechtlichen) Lebens- und Erziehungsgemeinschaft eine Versagung einer Adoption nicht in Art. 6 I GG eingreife.

Art. 6 II S. 1 GG sei nicht verletzt, weil M aufgrund seiner lediglich sozialen Elternschaft nicht in den persönlichen Schutzbereich falle.

Art. 3 I GG sei nicht verletzt, weil die zwischen Ehe und eingetragener Lebenspart­nerschaft auf der einen Seite und nichtehelicher Lebensgemeinschaft auf der an­deren Seite differenzierende Adoptionsregelung weder willkürlich sei noch einen Sachgrund für die Unterscheidung vermissen ließe. Trotz sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandels, wonach immer mehr Kinder aus nichtehelichen Lebens­gemeinschaften hervorgingen, ändere sich nichts daran, dass sich eine Ehe von einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft deutlich abhebe.

Schließlich sei Art. 2 I i.V.m. Art. 6 II S. 1 GG auf Seiten der Kinder nicht verletzt, weil der Gesetzgeber den ihm insoweit bei der Frage nach dem Maß der Schutzpflicht zustehenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum nicht verletzt habe. 

Da der BGH keine Verfassungswidrigkeit erblickte, sah er auch von einer Richtervorlage gem. Art. 100 I GG ab.

Wegen des Einflusses, den die EMRK auf die nationale Rechtsordnung ausübt, sah sich der BGH schließlich veranlasst, die Vereinbarkeit der Regelungen mit Art. 8 I EMRK (Recht auf Achtung des Familienlebens) zu prüfen. Denn jedenfalls schützt Art. 8 I EMRK auch tatsächliche Familienzusammenschlüsse (BGH a.a.O. unter Verweis auf EGMR FamRZ 2008, 377, 378). Unter Anwendung der Schrankenregelung in Art. 8 II EMRK erblickte der BGH aber keinen Verstoß der §§ 1741 II S. 1, 1755 I S. 1 BGB gegen Art. 8 I EMRK.

Bewertung: Gerade aufgrund der sich wandelnden gesellschaftlich-familiären Strukturen („Patchworkfamilien“, „Regenbogenfamilien“, Möglichkeiten der Ei- und Samenspende, Drei-Eltern-IVF, biologische und soziale Vaterschaft, Adoptionswunsch von gleichgeschlechtlichen Paaren und nichtehelichen Lebensgemeinschaften) hätte es sich aufge­drängt, (auch im Adoptionsrecht) den Schutz aus Art. 6 I GG auf moderne gesellschaftliche Strukturen zu er­strecken und fak­tische Familienstrukturen einzubeziehen. Da die fraglichen Regelungen der §§ 1741 II S. 1, 1755 I S. 1 BGB einer solchen Auslegung des Art. 6 I GG nicht ge­recht werden, hätte sich schon allein deswegen eine konkrete Normenkontrolle (Richtervorlage) gem. Art. 100 I GG entgegen der Auffassung des BGH angeboten. Hinzu kommt, dass entgegen der Auffassung des BGH Art. 2 I i.V.m. Art. 6 II S. 1 GG auf Seiten der Kinder sehr wohl verletzt ist. Zwar ist allgemein (und insbesondere auch vom BVerfG) anerkannt, dass der Gesetzgeber bei der Frage nach dem Maß von staatlichen Schutzpflichten einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum hat, dieser Spielraum ist aber überschritten, wenn eine Differenzierung von zwei vergleichbaren Sachverhalten ohne hinreichenden Sachgrund erfolgt. Vorliegend geht es um die unterschiedliche Behandlung von Kindern mit nur einem Elternteil, der in einer (neuen) Ehe (oder Lebenspartnerschaft nach dem LPartG) lebt, und Kindern, deren Elternteil mit seinem neuen Partner zusammenlebt, ohne mit diesem eine rechtliche Beziehung in Form einer Ehe oder Lebenspartnerschaft eingegangen zu sein. Abgesehen vom Verlust des Verwandtschaftsverhältnisses zu ihrem (bisherigen) Elternteil verlieren die betroffenen Kinder ihr gesetzliches Erbrecht nach §§ 1922 ff. BGB, ihre Sorgerechtsansprüche gem. §§ 1626 ff. BGB und ihre Unterhalts­ansprüche nach §§ 1601 ff. BGB, wenn der (bisherige) Elternteil der Adoption durch seinen nichtehelichen Lebenspartner zustimmt.

Warum in diesen Fällen für die betroffenen Kinder unterschiedliche Wirkungen einer Adoption hinzunehmen sind, ist nicht ersichtlich; mithin fehlt ein Sachgrund für die unterschiedliche Adoptionsregelung. §§ 1741 II S. 1, 1755 I S. 1 BGB verstoßen damit (auch) gegen Art. 2 I i.V.m. Art. 6 I, II S. 1 GG. Eine konkrete Normenkontrolle wäre damit (in zweifacher Hinsicht) angezeigt gewesen.

Freilich unberührt von diesen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen hätte man das Rechtsschutzbedürf­nis von M und F in Frage stellen können. Denn offensichtlich ging es ihnen nicht um die grundsätzliche Klärung der Möglichkeit der Stiefkindadoption im Rahmen eines familiären Leitbilds der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sondern wohl nur darum, auf die Ein­gehung der Ehe nur deshalb zu verzichten, um den Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht zu verlieren.

R. Schmidt (7.3.2017)
 


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