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Beiträge 2017


20.8.2017: Nochmalige Ausweitung des "Rücktrittshorizonts"


BGH, Beschl. v. 7.3.2017 - 3 StR 501/16 (NStZ 2017, 459)


Mit Beschluss vom 7.3.2017 hat der 3. Strafsenat des BGH hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen eines beendeten oder unbeendeten Versuchs entschieden, dass diese bei versuchten Tötungsdelikten insbesondere dann eingehender Erörterung bedürfe, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch zu vom Täter wahrgenommenen körperlichen Reaktionen fähig sei, die geeignet seien, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. Ein solcher Umstand könne geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben. Damit weitet der 3. Senat die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des BGH nochmals aus. Ob die Auffassung des BGH überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.

Ausgangslage: Nach der gesetzlichen Formulierung in § 24 I S. 1 StGB wird nicht wegen Versuchs bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Ist der Versuch aber fehlgeschlagen, scheidet ein strafbefreiender Rücktritt stets aus. Fehlgeschlagen ist der Versuch, wenn der Täter (nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung) davon ausgeht, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den tatbestandlichen Erfolg nicht oder zumindest nicht ohne zeitlich relevante Zäsur oder nur mit einer grundlegenden Änderung des ursprünglichen Tatplans herbeiführen kann (st. Rspr. des BGH, vgl. nur BGH NStZ 2016, 720; NStZ 2016, 207, 208; NStZ 2015, 571; NStZ 2015, 331; NStZ 2015, 26; NStZ 2014, 634; NStZ-RR 2014, 9 f.; NStZ 2013, 705 f.; NStZ 2013, 156, 157; NStZ-RR 2012, 239, 240; NStZ 2011, 629). Das Abstellen auf die Tätersicht hat seinen Grund darin, dass der Rücktritt das Spiegelbild des un­mittelbaren Ansetzens zur Tatbestands­verwirklichung darstellt und dass es auch hier ent­scheidend auf die Lage­beurteilung aus Tätersicht ankommt (dazu R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 17. Auflage 2017, Rn. 706).

Besondere Schwierigkeiten bereitet bei der Frage nach dem fehlgeschlagenen Versuch die Konstellation, in der dem Täter nach einem erfolglosen (fehlgeschlagenen) ersten Versuch noch weitere Möglichkeiten der Tatbestandsverwirklichung zur Verfügung stehen, er von diesen jedoch absieht. Auch hier könnte man annehmen, der Versuch sei insgesamt noch nicht fehlgeschlagen und der Täter freiwillig (und damit strafbe­freiend) vom Versuch zurückgetreten. Stellt man allein auf den ersten erfolglosen Tötungsversuch ab (sog. Einzelaktlösung), ist das Geschehen damit wertungsmäßig zu Ende und der Versuch ist fehlgeschlagen. Ein strafbefreiender Rücktritt (etwa durch Absehen von weiteren Tathandlungen) ist ausgeschlossen. Die Einzelaktlösung wird überwiegend abgelehnt. Sie führe zu einer unangemessenen Rücktrittsbeschränkung. Denn könne der Täter nach dem ersten misslungenen Versuch ohnehin nicht mehr strafbefreiend zurücktreten, sei ihm kein Anreiz gegeben, von weiteren Tatausführungshandlungen abzusehen. Dann könne er die Tat auch zu Ende führen, etwa um das Opfer als späteren Tatzeugen zu beseitigen. Darüber hinaus reiße sie einen einheitlichen Lebensvorgang auseinander. Sie sei daher abzulehnen. Ganz herrschend (v.a. von der Rechtsprechung) wird daher auf die sog. Gesamtbetrachtung abgestellt ("Rücktrittshorizont" - dazu R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 17. Auflage 2017, Rn. 713): Danach ist der Versuch nicht fehlgeschlagen, wenn es dem Täter nach Abschluss der letzten tatbestandlichen Ausführungshandlung (BGH NStZ-RR 2014, 202) aus seiner Sicht möglich ist, die Tat auf eine andere Weise und ohne zeitlich relevante Unterbrechung (Zäsur) doch noch zu vollenden, er aber von weiteren Ausführungshandlungen ablässt und dadurch den Erfolgseintritt verhindert.

Mit den Worten des BGH ausgedrückt: Der Täter kann von der Tat insgesamt mit strafbefreiender Wirkung zurücktreten, wenn das Geschehen aus seiner Sicht nach Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, d.h. einen einheitlichen Lebensvorgang im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit darstellt (BGH NStZ 2016, 207, 208; BGH StraFo 2009, 78 f.; NStZ 2008, 393, 394 f.; NStZ 2007, 399; NStZ 2005, 263, 264 f.; BGHSt 41, 368; 43, 381, 387. Vgl. auch BGH 17.11.2016 – 3 StR 402/16 - dazu R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 17. Auflage 2017, Rn. 197a Bsp. 3; BGH 23.11.2016 – 4 StR 471/16).

Insgesamt ist die Gesamtbetrachtung also (sehr) rücktrittsfreundlich. Ob zur Straffreiheit dann das freiwillige Aufgeben weiterer Tathandlungen genügt (vgl. § 24 I S. 1 Var. 1 StGB) oder aber der Täter dem Erfolgseintritt aktiv gegensteuern muss (vgl. § 24 I S. 1 Var. 2 StGB), hängt davon ab, ob der Versuch unbeendet oder beendet ist (dazu R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 17. Auflage 2017, Rn. 713).

  • Unbeendet i.S.d. § 24 I S. 1 Var. 1 StGB ist ein Versuch, wenn der Täter nach Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig oder zumindest ausreichend ist (vgl. nur BGH NStZ 2017, 459; BGH 23.11.2016 – 4 StR 471/16; BGH 23.2.2016 - 3 StR 5/16; BGH NStZ 2015, 509; BGHSt 36, 224, 225 f).
  • Beendet i.S.d. § 24 I S. 1 Var. 2 StGB ist der Versuch, wenn der Täter alles getan hat, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig oder zumindest ausreichend ist (BGH 23.11.2016 – 4 StR 471/16; BGH 23.2.2016 - 3 StR 5/16; BGH NStZ 2015, 331; NStZ 2014, 569 f.; NStZ 2013, 703, 704; NStZ 2013, 463; NStZ 2012, 688, 689; NStZ 2011, 400, 401; NStZ 2008, 508, 509; NStZ 2005, 263, 264. Vgl. auch BGH NStZ 2015, 509. Grundlegend BGHSt 39, 221, 227). Beendet ist nach Auffassung des BGH der Versuch auch dann, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht (BGH NStZ 2017, 459; NStZ 2015, 331; NStZ 2013, 703, 704; NStZ 2009, 264; NStZ 1999, 299).

Zwischenfazit und Bewertung: Stellt man (mit dem BGH) auf eine Gesamtbetrachtung (den Rücktrittshorizont) ab, ist der Ver­such nicht fehlgeschlagen, wenn es dem Täter nach Abschluss der letzten tatbestand­lichen Ausführungshandlung aus seiner Sicht möglich ist, die Tat auf eine andere Weise und ohne zeitlich relevante Unterbrechung (Zäsur) doch noch zu vollenden, er aber freiwillig von weiteren Ausführungshandlungen ablässt und dadurch den Erfolgseintritt ver­hindert. Dann tritt er strafbefreiend vom Versuch zurück.

Indem der BGH also auf eine Gesamtbetrachtung des Geschehensablaufs abstellt, entscheidet er sehr rücktrittsfreundlich, d.h. er nimmt einen straf­befreienden Versuch allein durch bloße Tataufgabe an.

Hier wird aber auch die Schwäche des Rücktrittshorizonts deutlich, da es oft vom Zufall abhängt, ob der erste Angriffsakt zum Erfolgseintritt führt oder nicht. Schlägt bspw. der Täter dem Opfer mit einer 1,6 kg schweren Sektflasche auf den Kopf (siehe den Fall BGH NJW 2016, 2129 - 1. Senat) und führt dieser Schlag den Tod herbei, wäre der Täter wegen eines vollendeten Tötungsdelikts strafbar. Überlebt das Opfer diesen Schlag aber und verzichtet der Täter auf weitere Ausführungshandlungen, soll er auf der Basis der Gesamtbetrachtung strafbefreiend vom Tötungsversuch zurückgetreten sein. Ob die vollendete gefährliche Körperverletzung (hier: §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Var. 2, Nr. 5 StGB) diese Folge kompensiert, darf bezweifelt werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Strafsenate des BGH bei der Frage, ob im konkreten Fall ein einheitliches Geschehen bzw. eine zeitliche Zäsur vorliegt, unterschiedlich und nicht immer überzeugend entscheiden. So entscheidet der 5. Senat sehr rücktrittsfreundlich, indem er konstatiert, dass ein straf­be­frei­ender Rücktritt selbst dann in Betracht komme, wenn bei einem versuchten Tötungs­delikt der Täter (hier: ein Messerstecher) zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, jedoch in engstem und räumlichem Zusammenhang nach Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt. Dann liege ein unbeen­deter Versuch vor, der zum strafbe­freienden Rücktritt führen könne (BGH NStZ 2012, 688, 689 – mit Verweis auf den 3. Senat BGH NStZ-RR 2012, 106). Und in seinem Urteil v. 22.10.2013 gelangt der 5. Senat, nachdem er einen Fehlschlag verneint hat und so zur Anwend­barkeit des § 24 gelangt ist, sogar zu einem unbeendeten Versuch, von dem der Täter freiwillig zurückgetreten sei (BGH NStZ-RR 2014, 9 f.). Und der 4. Senat nimmt sogar eine „Korrektur“ des Rücktrittshorizonts an, wenn auf dessen Grundlage ungerechte Ergebnisse erzielt würden. So sei der Versuch eines Tötungsdelikts auch dann nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH NStZ 2014, 569 f.). Gleiches gelte, wenn der Täter nach gescheiterten Angriffsakten die Ausführung der Tat – wenn auch mit anderen Mitteln – noch für möglich halte. Auch dann sei der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH NStZ 2015, 26, 27). Siehe dazu R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 17. Aufl. 2017, Rn. 714b/714c.

Insgesamt schafft sich damit der 4. Senat in zeitlicher und räumlicher Hinsicht (flexible) Beurteilungsspielräume, um selbst bei längerer Unterbrechung des Tatgeschehens (vgl. BGH NStZ 2010, 146) oder größerer Entfernung vom Tatort noch einen unbeendeten Versuch annehmen zu können. Auch der 2. Senat geht davon aus, dass der Rücktrittshorizont einer „ge­wissen Beweglichkeit“ zugänglich ist (BGH NStZ-RR 2015, 106). Opferschutz sowie Rechtssicherheit, die ebenfalls Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips sind, sind damit – wie ausgeführt – nicht gegeben.

Vermitteln die bisher erörterten, überaus rücktrittsfreundlichen Entscheidungen des BGH ein Unbehagen, dürfte ein solches erst recht durch die hier besprochene Entscheidung des 3. Senats (BGH NStZ 2017, 459) gegeben sein. Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Sachverhalt (leicht abgewandelt, um die Problematik zu fokussieren): Der alkoholabhängige T legte sich nach dem Genuss größerer Mengen Bier und der Einnahme von Medikamenten gegen 15.00 Uhr in der Wohnung des O schlafen. Gegen 0.20 Uhr wachte er von der Lautstärke des Fernsehers auf, den O in Betrieb hatte. Es kam zwischen T und O zu einem Streit wegen der Lautstärke, der eskalierte und in eine tätliche Auseinandersetzung mit Faustschlägen mündete. Nach einigen Faustschlägen gegen den Kopf des O ergriff T eine zwei bis drei Kilogramm schwere Personenwaage und schlug damit mehrfach mit großer Wucht auf den Kopf des O, wobei er dessen Tod für möglich hielt und billigte. Sodann ergriff er einen etwa 250 Gramm schweren Hammer, mit dem er kraft­voll auf den Kopf des O schlug. Nachdem sich bereits nach dem ersten Schlag der Hammerkopf vom Stiel gelöst hatte, nahm T ein Brotmesser mit einer Klingenlänge von 17,5 cm, mit dem er in der Absicht, O zu töten, diesem einen etwa 20 cm langen Schnitt am Hals vom rechten Ohr bis in die Mitte der linken Halsseite beibrachte. Obwohl er versuchte, den Schnitt tief in den Hals zu führen, drang die Messerklinge aufgrund der gebeugten Kopfhaltung des O nur schräg in die Haut ein, wo sie zwar eine stark blutende klaffende Wunde verursachte, aber keine größeren Gefäße verletzte. Trotz der Verletzungen bestand für O (zunächst) keine konkrete Lebensgefahr.

Obwohl T die Fortführung der Verletzungshandlungen weiterhin möglich war, ließ er von O ab. Zu diesem Zeitpunkt hielt er es für möglich, dass O an den beigebrachten Verletzungen sterben könne. Er begab sich in die Küche und rauchte eine Zigarette. O gab währenddessen röchelnde Geräusche von sich und rief um Hilfe. Daraufhin setzte sich T, der seinen Vorsatz, O zu töten, aufgegeben hatte, neben O und drückte ihm mindestens zwei Mal ein Kissen auf das Gesicht, um die störenden Laute zu unterbinden. Dabei achtete er darauf, dass er das Kissen jeweils zurückzog, wenn er merkte, dass sich O infolge der Atemnot versteifte, um ihn wieder frei atmen zu lassen.

Bis zum Erscheinen der von Nachbarn herbeigerufenen Polizei gegen 1.10 Uhr vernahmen die Nachbarn gelegentlich Hilferufe des O. Dieser überlebte das Geschehen letztlich.

T könnte sich durch das beschriebene Verhalten wegen versuchten Totschlags (§§ 212 I, 22, 23 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 I Nr. 2 Var. 2, Nr. 5, 22, 23 StGB) strafbar gemacht haben. Stellt man zunächst allein auf den Tötungsversuch ab, liegen die strafbarkeitsbegründenden Voraussetzungen vor (diese müssten in der Fallbearbeitung geprüft werden). Fraglich ist allein, ob T durch das Aufgeben weiterer Angriffe strafbefreiend vom Tötungsversuch zurückgetreten ist. Ob zur Straffreiheit das freiwillige Aufgeben weiterer Tathandlungen genügt (vgl. § 24 I S. 1 Var. 1 StGB) oder aber der Täter dem Erfolgseintritt aktiv gegensteuern muss (vgl. § 24 I S. 1 Var. 2 StGB), hängt davon ab, ob der Versuch unbeendet oder beendet ist.

  • Unbeendet i.S.d. § 24 I S. 1 Var. 1 StGB ist ein Versuch, wenn der Täter nach Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig oder zumindest ausreichend ist (s.o.). 
  • Beendet i.S.d. § 24 I S. 1 Var. 2 StGB ist der Versuch, wenn der Täter alles getan hat, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig oder zumindest ausreichend ist. Beendet ist der Versuch auch dann, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht (s.o.).

Geht man mit der Vorinstanz, dem LG Stade, davon aus, dass sich T im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens machte, war der Tötungsversuch des T beendet und er konnte nicht mehr strafbefreiend vom Tötungsversuch zurücktreten. Nach Auffassung des 3. Senats, der der Sachrüge des T stattgab, hat das LG jedoch die vom BGH „zur Korrektur des Rücktrittshorizonts“ entwickelten Rechtsgrundsätze nicht beachtet. Nach diesen Rechtsgrundsätzen bedürfe es bei der Frage, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, bei versuchten Tötungsdelikten insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch zu vom Täter wahr­ge­nommenen körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt (BGH NStZ 2017, 459).

Ausgehend von dieser Prämisse liegt im vorliegenden Fall nach Auffassung des 3. Senats die Annahme eines unbeendeten Versuchs nahe, da – anders als zunächst von T angenommen – O nicht alsbald an den mit Tötungsvorsatz beigebrachten Verletzungen verstarb, sondern noch zu Hilferufen in der Lage war, und sich sein – tatsächlich nicht konkret lebensbedrohlicher – Zustand eine geraume Zeitspanne, in der T die Lebenszeichen vernehmen konnte, nicht wesentlich verschlechterte. Daher erscheine es jedenfalls als möglich, dass T im Zeitraum nach der letzten Ausführungshandlung bis zum Eintreffen der Polizei nicht mehr davon ausging, O tödlich verletzt zu haben (BGH NStZ 2017, 459, 460).

Der BGH stellt also offenbar darauf ab, dass sich der Zustand des (im Übrigen wehrlosen) O (aus Sicht des T) nicht verschlechterte und T daher davon ausgehen durfte, noch nicht alles zur Verwirklichung des Tötungstatbestands Erforderliche getan zu haben.

Bewertung: Der Standpunkt des 3. Senats ist wertungsmäßig sehr befremdlich, aber Resultat der „Korrektur des Rücktrittshorizonts“. Freilich ist diese Annahme nur möglich, wenn man von einer natürlichen Handlungseinheit des Geschehensablaufs ausgeht. Anderenfalls wäre auch vom Standpunkt des 3. Senats aus der Versuch zum Zeitpunkt der Beendigung der Messerattacke beendet gewesen. Nach der hier vertretenen Auffassung war der Tötungsversuch zum Zeitpunkt der Messerattacke durchaus beendet. Denn als T versuchte, den Schnitt tief in den Hals zu führen, musste er davon ausgehen, alles Erforderliche getan zu haben, um den Tod des O herbeizuführen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass das Eindringen eines Brotmessers mit einer Klingenlänge von 17,5 cm in den Hals eine akute Lebensgefahr mit sich bringt. Es war reiner Zufall, dass der Stich in den Hals nicht zum Erfolg führte, was bei der Frage nach dem beendeten Versuch nicht unberücksichtigt bleiben darf. Dass O den Messerstich in den Hals zufällig überlebte, kann T nicht derart entlasten, ihn vom Tötungsversuch freizusprechen.

Auch bei einer Gesamtbetrachtung (Rücktrittshorizont) befand sich T somit im Stadium des beendeten Versuchs. Auf das Nachtatgeschehen kann es daher nicht mehr ankommen. Für den strafbefreienden Rücktritt genügte also – entgegen der Ansicht des 3. Senats – nicht das bloße Absehen von weiteren Angriffshandlungen. T hätte freiwillig die Vollendung der Tat verhindern (§ 24 I S. 1 Var. 2 StGB) oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft um die Verhinderung der Vollendung (§ 24 I S. 2 StGB) bemühen müssen.

Ergebnis: Entgegen der Auffassung des 3. Senats hat sich T durch das beschriebene Verhalten wegen versuchten Totschlags (§§ 212 I, 22, 23 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 I Nr. 2 Var. 2, Nr. 5, 22, 23 StGB) strafbar gemacht.

R. Schmidt
(20.8.2017)



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