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Beiträge 2017


17.1.2017:  NPD-Verbotsverfahren erfolglos


BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13


Mit Urteil vom 17.1.2017 (2 BvB 1/13) hat das BVerfG Anträge des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung einstimmig abgewiesen. Zwar verfolge die NDP verfassungsfeindliche Ziele, indem sie die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen wolle. Auch missachte ihr politisches Konzept die Menschenwürde und sei mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeite auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Allerdings fehle es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten, die es möglich erscheinen ließen, dass dieses Handeln zum Erfolg führe. Daher sei der Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen (Art. 21 II GG) als unbegründet zurückzuweisen.

Ausgangslage: Über die Frage nach der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet gem. Art. 21 II S. 2 GG das BVerfG. Der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit ist begründet, wenn die Voraussetzungen des Art. 21 II S. 1 GG vorliegen, d.h., wenn die Partei nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.

Die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) ist die Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschafts­ordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind nach dem BVerfG mindestens zu rechnen (die folgende Auflistung basiert auf der grundlegenden Aufzählung in BVerfGE 2, 1, 12 f. (SRP-Urteil); aufgegriffen in BVerfGE 44, 125, 145; 107, 339, 356 ff.; BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn 531 ff.; BVerwG NJW 2000, 824. Vgl. auch die einfachgesetzlichen Konkretisierungen in § 4 II BVerfSchG und § 92 II StGB; vgl. auch R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, 17. Aufl. 2016, Rn. 421):

  • Ausschluss jeder Willkür- und Gewaltherrschaft unter Achtung der Menschenwürde und der (anderen) im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem des Rechts auf Leben und der freien Entfaltung der Persönlichkeit,
  • das Demokratieprinzip, insbesondere das Recht, die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und ge­heimer Wahl zu wählen,
  • die Volkssouveränität,
  • die Gewaltenteilung,
  • die Verantwortlichkeit und Ablösbarkeit der Regierung,die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
  • die Unabhängigkeit der Gerichte,
  • das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition.
  • Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist die Abschaffung mindestens eines der o.g. Strukturprinzipien des Grundgesetzes (BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 550).


Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt (BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 556).

Um das Merkmal darauf ausgehen zu bejahen, genügt es nicht, wenn die betreffende Partei die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung ledig­lich nicht anerkennt. Es gibt kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot (BVerfGE 5, 85, 141; BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 570/573). Viel­mehr muss die Partei gegenüber der bestehenden Ordnung eine aktiv-kämpferische, aggressive Hal­tung zum Ausdruck bringen (BVerfGE 5, 85, 141; vgl. auch BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn 570). Sie muss sich durch aktives und planvolles Handeln für ihre Ziele einsetzen und auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinwirken (BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 574 ff.).

Die Entscheidung des BVerfG: Um das Merkmal "darauf ausgehen" feststellen zu können, müssen nach Auffassung des BVerfG, wie es in seinem Urteil v. 17.1.2017 zum NPD-Verbotsverfahren formuliert hat, konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vor­liegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei er­folgreich sein kann (Potentialität). Lasse das Handeln einer Partei noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, be­dürfe es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot nicht (BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 586). Hiermit weicht das BVerfG von seiner Rechtsprechung im KPD-Urteil v. 17.8.1956 (BVerfGE 5, 85 ff.) ab. Damals hatte das BVerfG geurteilt, dass es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf bestehe, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können (BVerfGE 5, 85, 143). Das Gericht steht mit der jetzigen Entscheidung auf dem Standpunkt, dass ein Erreichen der verfassungswidrigen Ziele der NPD mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln (derzeit) ausgeschlossen erscheine und es daher keines Verbots bedürfe. Im parlamentarischen Bereich verfüge die NPD weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen. Auch außerhalb des parlamentarischen Handelns habe die NPD in absehbarer Zeit keine Möglichkeit, ihre verfassungsfeindlichen Ziele erfolgreich zu verfolgen. Einer nachhaltigen Beeinflussung der außerparlamentarischen politischen Willensbildung durch die NPD stünden deren niedriger und tendenziell rückläufiger Organisationsgrad sowie ihre eingeschränkte Kampagnenfähigkeit und geringe Wirkkraft in die Gesellschaft entgegen. Eine generelle Grundtendenz der NPD zur Durchsetzung ihrer ver­fassungsfeindlichen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten könne (gegenwärtig) nicht entnommen werden. Schließlich fehlten hinreichende An­haltspunkte für die Schaffung einer Atmosphäre der Angst, die zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Freiheit des Prozesses der politischen Willensbildung führt oder führen könnte. Der Umstand, dass die NPD durch einschüchterndes oder kriminelles Verhalten von Mitgliedern und Anhängern punktuell eine nachvollziehbare Besorgnis um die Freiheit des politischen Prozesses oder gar Angst vor gewalttätigen Übergriffen auszulösen vermag, sei nicht zu verkennen, erreiche aber die durch Art. 21 II GG markierte Schwelle nicht. Auf Einschüchterung und Be­drohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen müsse mit den Mitteln des Polizeirechts und des Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der NPD Betroffene wirkungsvoll zu schützen.

Bewertung: Letztlich verneint das BVerfG das Merkmal „darauf ausgehen“ mit dem Argument der (parlamentarischen und außerparlamentarischen) Bedeutungslosigkeit der NPD für Staat und Gesellschaft. Diese Rechtsprechung ist nicht unproblematisch. Denn ihr zu­folge kommt ein Verbot einer verfassungsfeindlichen Partei erst dann in Betracht, wenn sie über entsprechende Möglichkeiten verfügt, ihre verfassungsfeindlichen Ziele (parlamentarisch und außerparlamentarisch) wirksam umzusetzen. Dass eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft es sich leisten möchte bzw. gezwungen ist, abzuwarten, bis eine verfassungsfeindliche Partei eine solche Stärke erreicht hat, kann nicht ernsthaft im Interesse des BVerfG liegen. Der vom BVerfG eingenommene Standpunkt, die NPD erreiche nicht die durch Art. 21 II GG markierte Schwelle zum Verbot, mag zwar einer einschränkenden Auslegung des Art. 21 II GG und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geschuldet sein, dennoch ist Art. 21 II GG nicht zu ent­nehmen, dass eine gewisse „Schwelle“ überschritten sein muss. Dort heißt es in S. 1 (lediglich), dass die Partei nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen muss, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, um verfassungswidrig zu sein. Ziel der NPD selbst und das ihrer Anhänger ist ein­deutig, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu be­seitigen bzw. den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Das Bestehen einer „Schlagkraft“ für die Bejahung des Merkmals „darauf ausgehen“ ist weder dem Wortlaut noch dem Zweck der Vorschrift zu entnehmen. Den verfassungsfeindlichen Zielen (lediglich) mit Mitteln des Polizeirechts und des Strafrechts zu be­gegnen (so die Argumentation des BVerfG), kann nicht die Antwort einer wehrhaften Demokratie sein, auch nicht unter Berücksichtigung einer grundsätzlich richtigen Zurückhaltung bei der Annahme eines Parteiverbots.

Jedenfalls steht der Hinweis des BVerfG, es bestehe für den Gesetzgeber die Möglichkeit, verfassungsfeindliche Ziele verfolgende Parteien von staatlichen Mittelzuwendun­gen  (dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, 17. Aufl. 2016, Rn. 389) auszuschließen, in Kollision mit dem Parteienprivileg des Art. 21 II S. 2 GG (dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, 17. Aufl. 2016, Rn. 408). Dieses besagt, dass vor einer konstitutiven Entscheidung des BVerfG gem. Art. 21 II S. 2 GG ein administratives (und auch legislatives) Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin (von der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden einmal abgesehen) ausgeschlossen ist, mag sie sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung noch so feindlich verhalten. Ein Ausschluss der (gerade nicht verbotenen!) NPD von der staatlichen Mittelzuwendung wäre mit dem Parteienprivileg daher unvereinbar. Insofern ist die Entscheidung des BVerfG auch nicht kohärent: Auf der einen Seite steht das Gericht auf dem Standpunkt, die Schwelle zum Verbot sei nicht über­schritten (mit der Folge, dass das Parteienprivileg greift!), auf der anderen Seite soll die NPD (trotz Geltung des Parteienprivilegs) dann aber aus dem System staatlicher Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden können.

R. Schmidt (17.1.2017)


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