Aktuelles 2019 Konkurrenzen beim Wohnungseinbruchdiebstahl

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22.08.2019: Konkurrenzen beim Wohnungseinbruchdiebstahl

BGH, Beschluss v. 27.11.2018 – 2 StR 481/17 (NJW 2019, 1086)

Mit Beschluss v. 27.11.2018 hat der BGH (2 StR 481/17) u.a. über das Konkurrenzverhältnis zwischen vollendetem Wohnungseinbruchdiebstahl und einer zugleich begangenen Sachbeschädigung entschieden. Er hat entschieden, dass bei (vollendetem) Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 I Nr.  3 Var. 1 StGB) eine zugleich begangene Sachbeschädigung (§ 303 I StGB) stets im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 I StGB) stehe mit der Folge, dass sie nicht im Wege der Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion hinter den Wohnungseinbruchdiebstahl zurücktrete. Ob der Beschluss überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.


Ausgangslage: Wie bei R. Schmidt, StrafR AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1157 dargestellt, verletzt die strafrechtlich zu würdigende Person im Regelfall mehrere Tatbestände oder denselben Tatbestand mehrmals. Dass eine Addition der jeweiligen Strafen nicht in Betracht kommen kann, versteht sich von selbst. Anderenfalls wäre der Täter, der bspw. nachts in eine Lagerhalle einbricht und dort stiehlt, mitunter schwerer zu bestrafen als derjenige, der einen Totschlag begeht, wenn man die jeweiligen angedrohten Freiheitsstrafen für die Verwirklichung der §§ 242 i.V.m. 243, §§ 303 I, 123 I addiert und mit der angedrohten Freiheitsstrafe des § 212 I vergleicht. Daher ist die Frage nach dem Verhältnis der jeweils begangenen Straftaten zueinander zu klären. Mit Hilfe der Lehre von den Konkurrenzen, der eine Bereinigungs- und Klarstellungsfunktion für den Urteilstenor zukommt, wird versucht, herauszuarbeiten, aus welchen Delikten die fragliche Person und mit welchem Strafmaß sie letztlich schuldig zu sprechen ist.

Das StGB regelt die Konkurrenzen in den §§ 52-55. Kern dieser Regelung ist die Unterscheidung zwischen Handlungseinheit und Handlungsmehrheit:
  • Verletzt „dieselbe“ Handlung (Handlungseinheit) mehrere Straftatbestände oder denselben Straftatbestand mehrmals, liegt – sofern kein Fall der „unechten“ Konkurrenz (Gesetzeskonkurrenz) vorliegt – Idealkonkurrenz (= Tateinheit) vor, § 52 I StGB.
  • „Mehrere“ selbstständige Handlungen (Handlungsmehrheit) mit einer mehrfachen Gesetzesverletzung führen dagegen – sofern kein Fall der „unechten“ Konkurrenz (Gesetzeskonkurrenz) vorliegt – zu einer Realkonkurrenz (= Tatmehrheit), §§ 53-55 StGB.
Im vorliegenden Zusammenhang ist allein entscheidend, inwieweit Handlungseinheit zur Tateinheit führen kann. Wie gesagt, führt Handlungseinheit zur Tateinheit, sofern kein Fall der Gesetzeskonkurrenz vorliegt. Gesetzeskonkurrenz bedeutet, dass von mehreren dem Gesetzeswortlaut nach verwirklichten Straftatbeständen einige nicht anwendbar sind, weil der deliktische Gehalt einer Tat jeweils schon durch ein anderes Gesetz erschöpfend erfasst wird (R. Schmidt, StrafR AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1177). Gesetzeskonkurrenz ist in die Fallgruppen Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion zu unterteilen.
  • Spezialität liegt vor, wenn ein (spezieller) Straftatbestand nicht nur die begrifflich-tatbestandlichen Voraussetzungen eines anderen (allgemeinen) Straftatbestands enthält, sondern darüber hinaus noch wenigstens ein weiteres (zusätzliches) Merkmal, sodass der Täter, der den speziellen Straftatbestand verwirklicht, zwangsläufig auch den in Betracht kommenden allgemeinen Straftatbestand erfüllt (BGH NJW 1999, 1561; BGHSt 49, 34, 37; Lackner/Kühl, Vor § 52 Rn. 25; Fischer, Vor § 52 Rn. 40; Roxin, AT II, § 33 Rn. 177; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1097; Walter, JA 2005, 468).
Beispiele: Die gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) hat die (einfache) Körperverletzung (§ 223 StGB) zum Grundtatbestand. Gleiches gilt hinsichtlich des Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 I Nr. 3 StGB bzw. § 244 IV StGB) in Relation zum (einfachen) Diebstahl (§ 242 StGB)
  • Von Subsidiarität spricht man, wenn ein Gesetz nur für den Fall Geltung beansprucht, dass kein anderes eingreift (LK-Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 125 ff.; Fischer, Vor § 52 Rn. 41). Die Subsidiarität ist teilweise ausdrücklich (durch eine Subsidiaritätsklausel) geregelt („formelle Subsidiarität“), teilweise ergibt sie sich aber auch aus dem Sinnzusammenhang („materielle Subsidiarität“) (Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1101).
Beispiele: § 246 I StGB ordnet an, dass die Unterschlagung nur greift, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist (formelle Subsidiarität). Fahrlässigkeitsdelikte (etwa § 222 StGB) treten hinter Vorsatzdelikten (etwa § 212 StGB) zurück (materielle Subsidiarität).
  • Konsumtion liegt nach h.M. vor, wenn der Täter einen Straftatbestand verwirklicht, der weder im Wege der Spezialität noch im Wege der Subsidiarität verdrängt wird, der aber – trotz anderer Schutzrichtung – neben einem anderen Straftatbestand regelmäßig und typischerweise – nicht notwendigerweise – mit verwirklicht und mit der Bestrafung aus dem vorrangigen Tatbestand mit abgegolten wird (Vgl. BGH NJW 2002, 150, 151; BGHSt 46, 24, 25; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1103 ff.; Fischer, Vor § 52 Rn. 20; Lackner/Kühl, Vor § 52 Rn. 27; Walter, JA 2005, 468, 469).  Es handelt sich hierbei regelmäßig um die sog. mitbestrafte Begleittat (vgl. LK-Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 144 ff.; SK-Jäger, Vor § 25 Rn. 102 ff.; Fischer, Vor § 52 Rn. 41).
Bei der vorliegend zu besprechenden Entscheidung geht es genau um die Frage nach der Konsumtion bei Diebstahlsdelikten. Der Entscheidung lag folgender (sehr vereinfachter) Sachverhalt zugrunde: T bricht nachts in ein Einfamilienhaus ein, um zu stehlen. Zu diesem Zweck hebelt er ein Kellerfenster auf und beschädigt es hierdurch stark. Er entwendet Bargeld, Schmuck und andere Wertgegenstände.

Lösung: Hier hat T neben dem Wohnungseinbruchdiebstahl (§§ 244 I Nr. 3 StGB bzw. § 244 IV StGB) auch eine Sachbeschädigung (§ 303 I StGB) und einen Hausfriedensbruch (§ 123 I StGB) begangen. 
  • Nach (bislang) h.L. stell(t)en diese Taten typische Begleittaten des Einbruchdiebstahls dar; sie werden bzw. wurden daher von §§ 244 I Nr. 3 StGB bzw. § 244 IV StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz (hier: Konsumtion) verdrängt. Denn typischerweise verwirklicht der Täter im Fall des Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 I Nr. 3 StGB bzw. § 244 IV StGB) auch die Tatbestände des Hausfriedensbruchs (§ 123 I StGB) und der Sachbeschädigung (§ 303 I StGB) (vgl. LK-Rissing-van Saan, Vor §§ 52 ff. Rn. 118; SK-Hoyer, § 243 Rn. 58; Sch/Sch-Bosch, § 243 Rn. 59; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1103 ff.; skeptisch BGH NJW 2002, 150, 151). Diese werden gemäß dem oben Gesagten im Wege der Gesetzeskonkurrenz (hier: Konsumtion) verdrängt; lediglich, wenn §§ 123 I, 303 I StGB im Einzelfall nicht typische Begleittaten des Wohnungseinbruchdiebstahls sind, besteht Tateinheit (s.o.). 
  • Jedoch steht der BGH (nunmehr) auf dem Standpunkt, dass eine im Rahmen eines Wohnungseinbruchdiebstahls zugleich begangene Sachbeschädigung stets im Verhältnis der Tateinheit stehe und nicht im Wege der Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion hinter den Wohnungseinbruchdiebstahl zurücktrete (BGH NJW 2019, 1086, 1087 ff.). Zur maßgeblichen Begründung führt der BGH aus, dass die Sachbeschädigung nur bei Annahme von Tateinheit strafschärfend berücksichtigt werden könne (BGH NJW 2019, 1086, 1090). 
Stellungnahme: Dem BGH ist zwar im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zu folgen. Denn beschädigt der Täter beim Wohnungseinbruchdiebstahl bspw. das Kellerfenster, kann dies bei der Strafzumessung auch ohne Annahme von Tateinheit berücksichtigt werden. § 244 I Nr. 3 StGB enthält einen Strafrahmen von 6 Monaten bis 10 Jahren; bei § 244 IV StGB sind es sogar 1 Jahr bis 10 Jahre. Diese großen Strafrahmen geben genügend Raum für die Berücksichtigung des mit der Sachbeschädigung zusätzlich verbundenen Unrechts (siehe § 46 StGB). So kann der Täter bspw. zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt werden, wenn er beim Einbruchdiebstahl das Kellerfenster aufhebelt und dadurch beschädigt, statt zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten, wenn er lediglich durch ein unverschlossenes Kellerfenster durchsteigen muss. Gleichwohl ist dem BGH aus einem anderen Grund zu folgen: Nur durch die Annahme von Tateinheit kann im Urteilstenor klargestellt werden, dass der Täter im Rahmen des Wohnungseinbruchdiebstahls auch eine Sachbeschädigung begangen und damit ein anderes Rechtsgut verletzt hat, das mit dem Zueignungsdelikt des Diebstahls nichts zu tun hat. Nähme man Konsumtion an, ginge dies aus dem Urteilstenor nicht hervor. Richtig ist es daher, dass der BGH der Annahme einer Konsumtion bereits seit einiger Zeit skeptisch gegenübersteht und Tateinheit favorisiert mit der Begründung, beim Einbruchdiebstahl werde keineswegs typischerweise auch eine Sache beschädigt. Beim Einsteige- und Nachschlüsseldiebstahl liege dies auf der Hand. Überdies habe die fortgeschrittene technische Entwicklung dazu geführt, dass zum Verschließen oder Sichern von Sachen zunehmend auch elektronische Sicherungssysteme verwendet würden, die sich mit Magnetstreifen und Codekarten – also intelligent und nicht mit Gewalt – bedienen ließen. Daher sei das Aufbrechen von Türen keineswegs mehr typischerweise Begleittat eines Einbruchdiebstahls, sondern stehe in Tateinheit (Idealkonkurrenz) mit diesem (BGH NJW 2002, 150, 151 f.).

Jedenfalls ist Tateinheit oder Tatmehrheit statt Konsumtion anzunehmen, wenn die Sachbeschädigung gerade nicht typische Begleittat zum Einbruchdiebstahl ist. In derartigen Fällen stehen – bei Befolgung der BGH-Rechtsprechung – die §§ 123 I, 303 I StGB in Tateinheit (Idealkonkurrenz) zu §§ 242, 243 (ergänze: auch zu § 244 I Nr. 3 bzw. § 244 IV StGB) (R. Schmidt, StrafR BT II, 20. Aufl. 2018, Rn. 181a).

Beispiel (vgl. BGH NJW 2002, 150): T bricht nachts in einen Laden für Mobiltelefone ein, um sich dort zu bedienen. Dabei verwüstet er noch nebenbei den Laden und führt einen Sachschaden herbei. Lösung: Hier ist die Sachbeschädigung gerade nicht typische Begleiterscheinung des Einbruchdiebstahls, sondern steht je nach innerer Tatseite in Tatmehrheit oder Tateinheit zu diesem.

Auch für den Fall, dass die während des Einbruchdiebstahls verursachten Sachschäden den Wert des Diebesguts erheblich übersteigen, steht die Sachbeschädigung in Tateinheit mit dem Einbruchdiebstahl, weil anderenfalls der Verschiedenheit der Rechtsgüter nicht genügend Rechnung getragen würde (R. Schmidt, StrafR BT II, 20. Aufl. 2018, Rn. 181b). 

Beispiel: T schlitzt mit einem Messer das Stoffdach eines Cabriolets auf, um das im Innenraum befindliche mobile Navigationsgerät (Wert: 50 €) zu stehlen.

Fazit: Nach der zutreffenden Auffassung des BGH stehen ein vollendeter Wohnungseinbruchdiebstahl und eine zugleich begangene Sachbeschädigung stets im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 I StGB) zueinander mit der Folge, dass die Sachbeschädigung nicht im Wege der Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion hinter den Wohnungseinbruchdiebstahl zurücktritt.

Rolf Schmidt (22.08.2019)






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