Aktuelles 2019 Zur Anerkennung von Mehrehen

Beiträge 2019


27.10.2019: Zur Frage, ob eine Pflicht des Staates besteht, Mehrehen in Deutschland anzuerkennen bzw. zuzulassen

Die Zuwanderung von Menschen aus Staaten, in denen die Mehrehe möglich ist, gibt Anlass, der Frage nachzugehen, ob eine Pflicht des Staates besteht, Mehrehen in Deutschland anzuerkennen bzw. zuzulassen. Das betrifft zum einen die Frage, ob im Ausland nach dortigem Recht rechtswirksam geschlossene Mehrehen innerstaatlich anzuerkennen sind, und zum anderen die Frage, ob der deutsche Staat Personen, die in Deutschland die Mehrehe schließen wollen, dies ermöglichen muss.

Begriff der Mehrehe: Zunächst gilt es, den Begriff der Mehrehe zu definieren. Unter den Begriff der Mehrehe (Polygamie; der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und setzt sich zusammen aus „polys“ (viel) und „gamos“ (Ehe)) fallen Lebensmodelle, bei denen die Ehe aus mehr als zwei Personen besteht. Dabei werden zwei Grundmodelle unterschieden: Während eine Polygynie (gyno: die Frau betreffend) vorliegt, wenn ein Mann mit mehreren Frauen verheiratet ist, spricht man umgekehrt von Polyandrie (andro: der Mann) bei einer Ehe zwischen einer Frau und mehreren Männern. Freilich ist die Polygynie die verbreitetere Form; sie kommt hauptsächlich in afrikanischen und asiatischen Kulturkreisen vor und dürfte vornehmlich patriarchisch motiviert sein.
Neben patriarchischen Aspekten spielen aber auch religiöse Aspekte eine Rolle. Nach islamischem Recht darf ein Mann (unter der Voraussetzung der Leistungsfähigkeit) bis zu vier Frauen heiraten, wobei die Polygynie traditionell begründet ist und darauf basiert, dass unverheiratete Frauen einen niedrigeren sozialen (und rechtlichen) Status hatten. Im Judentum ist Polygamie formal verboten, was vereinzelt eine tatsächlich gelebte Polygamie aber nicht verhindert. Der Buddhismus toleriert Polygamie. Im Christentum ist Polygamie nicht vorgesehen.
Insgesamt dürften soziale Sicherung des Familienverbunds, Ertragssteigerung des Familienverbunds, Versorgung von Frauen (die alleinstehend, d.h. ohne die Mehrehe, kein angemessenes Leben führen können) und das Ansehen des Mannes in der (männlich dominierten) Gesellschaft die Hauptgründe einer Polygynie sein.

Anerkennung einer bereits im Ausland nach dortigem Recht wirksam begründeten Mehrehe?: Wurde von in einer Mehrehe lebenden Zuwanderern die Mehrehe rechtswirksam nach dem Recht des Herkunftsstaates geschlossen, stellt sich die Frage, ob eine Pflicht des Staates besteht, diese Mehrehe innerstaatlich anzuerkennen. Folge einer Anerkennung wäre - von einer erleichterten Einbürgerung abgesehen-, dass sämtlichen Ehefrauen die einem Ehegatten zustehenden Rechte zu gewähren wären. Man denke insoweit an familienrechtliche Unterhaltsansprüche gegen den Ehemann, Versorgungsansprüche, Hinterbliebenenversorgung etc. Das BVerwG hat mit Urteil v. 29.5.2018 (Az. 1 C 15.17 – BVerwGE 162, 153 ff.) entschieden, dass eine rechtswirksam im Ausland eingegangene weitere Ehe zwar eine privilegierte Einbürgerung von Ehegatten Deutscher nach § 9 StAG (in der seinerzeit geltenden Fassung) mangels Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse ausschließe. Sie stehe aber einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und damit einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG (a.F.) nicht entgegen.

Einfachgesetzliche Ausgangslage: Gemäß § 1353 I S. 1 BGB kann eine Ehe nur von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts geschlossen werden. Und nach § 1306 BGB darf eine Ehe nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht. Die Schließung einer Mehrehe wäre (sofern eine Ehe bereits besteht) für den/die bereits verheirateten Ehepartner sogar gem. § 172 StGB strafbar.

Beispiel (fiktiv): Der in Deutschland lebende und als Arzt arbeitende Syrer S verschweigt bei der Eheschließung mit einer Deutschen eine zuvor in Damaskus geschlossene Ehe. Da die Standesbehörde (auch aufgrund fehlender Unterlagen) vom Fehlen eines Ehehindernisses ausgeht, wirkt sie bei der Eheschließung mit. – Hier ist S gem. § 172 StGB strafbar.

§ 172 StGB greift freilich nicht, wenn durch einen Eheschließungsakt die Mehrehe erst begründet werden soll. Die bei der Eheschließung mitwirkenden Standesämter (siehe § 1 II und §§ 11 ff. PStG) werden aber in jedem Fall ihre Mitwirkung verweigern, wenn – wie bei einer Mehrehe – ein Ehehindernis besteht (§ 13 PStG i.V.m. §§ 1353 I S. 1, 1306 BGB) und ihnen dieses bekannt ist.

Beispiel (fiktiv): A, B und C (allesamt bisher unverheiratet) wollen die Mehrehe schließen bzw. schließen sie. – Dieses Verhalten ist nicht von § 172 StGB erfasst (mangels Strafandrohung ist auch der Versuch nicht strafbar).

Von einer möglichen Strafbarkeit nach § 172 StGB abgesehen, steht v.a. die Frage nach einer Einbürgerung bzw. die Versagung eines Antrags auf Einbürgerung im Raum. Auf einfachgesetzlicher Ebene maßgeblich sind im vorliegenden Zusammenhang §§ 8-10 StAG. Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag unter den Voraussetzungen des § 8 StAG eingebürgert werden. Eine privilegierte Einbürgerung besteht gem. § 9 StAG für Ehegatten oder Lebenspartner Deutscher (diese „sollen“  unter den dort genannten Voraussetzungen auf Antrag eingebürgert werden). Für langjährig in Deutschland aufhältige Ausländer enthält § 10 StAG Sonderregelungen. Weitere einschränkende, aber auch privilegierende Vorschriften enthalten §§ 11 ff. StAG.

Dem liegt der Fall BVerwG NVwZ 2018, 1874 zugrunde: Ein in Deutschland lebender, mit einer Deutschen verheirateter und als Bauingenieur arbeitender Syrer (im Folgenden: S) verschwieg bei der Beantragung der Einbürgerung eine in Damaskus geschlossene Zweitehe. Später widerrief die Behörde ihre Einbürgerungsentscheidung, weil S es unterlassen habe, die Behörde von seiner Zweitehe in Kenntnis zu setzen, und diese daher arglistig getäuscht habe.

Die Rücknahmeentscheidung könnte sich auf § 35 StAG stützen (die allgemeine Vorschrift des § 48 VwVfG über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte ist insoweit subsidiär). Die Rücknahmeentscheidung steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, bei dessen Anwendung sämtliche Aspekte, die für und gegen die Rücknahme sprechen, gegen- und untereinander abzuwägen sind. Jedoch schränkt § 35 I StAG das Ermessen ein, weil danach eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden kann, wenn der Verwaltungsakt (d.h. der Einbürgerungsbescheid) durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Da S die Zweitehe bei der Beantragung der Einbürgerung nicht angegeben hatte, könnte dies in der Tat eine arglistige Täuschung darstellen. Jedoch wäre diese Täuschung nicht beachtlich, wenn die Einbürgerung auch trotz Zweitehe hätte erfolgen müssen. Einfachgesetzlicher Prüfungsmaßstab sind insofern §§ 9, 10 StAG.

So hat das BVerwG entschieden: Selbst, wenn davon ausgegangen werde, im Zeitpunkt der Einbürgerung sei eine Einbürgerung nach § 9 StAG mangels Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse rechtswidrig gewesen und im Zeitpunkt der Einbürgerung habe auch ein Einbürgerungsanspruch nach den §§ 8, 10 StAG nicht bestanden, so sei jedenfalls die Betätigung des Rücknahmeermessens fehlerhaft gewesen. Dem im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung bestehenden Einbürgerungsanspruch aus § 10 StAG habe nicht die Erwägung entgegengehalten werden können, S könne angesichts der tatsächlichen Situation kein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes (§ 10 I S. 1 Nr. 1 StAG) abgeben. Nach § 9 I StAG sollen Ehegatten oder Lebenspartner Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG u.a. dann eingebürgert werden, wenn gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen. Das aber erscheint vorliegend fraglich, weil eine Mehrehe nicht den deutschen Lebensverhältnissen entsprechen könnte. Ausführlich rekurriert das BVerwG diesen unbestimmten Rechtsbegriff (Rn. 18 ff. der Entscheidung). Der Begriff „Einordnung“ lasse Raum für eine Auslegung, die auch jenseits der stets vorauszusetzenden Bereitschaft zur Beachtung von Gesetz und Recht auch eine tätige Einordnung in die elementaren Grundsätze des gesellschaftlich-kulturellen Gemeinschaftslebens, die als unverzichtbare außerrechtliche Voraussetzungen eines gedeihlichen Zusammenlebens zu werten sind, verlange (Rn. 20 der Entscheidung). Die von S geschlossene Doppelehe schließe jedenfalls i.S.d. § 9 I StAG eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse aus. In der bundesrepublikanischen Gesellschaft werde die Ehe weiterhin prägend als Einehe verstanden. Ungeachtet aller Wandlungen, die der Ehebegriff in den letzten Jahrzehnten genommen habe, und der verschiedenen Formen des Zusammenlebens von Partnern mit Kindern oder ohne Kinder sei der Grundsatz unangefochten, dass eine Ehe – so sie denn geschlossen werden soll – jeweils nur mit einer Person geschlossen werden kann und soll. § 172 StGB sichere diesen Grundsatz strafrechtlich ab.


Zwischenbewertung: Dass der Grundsatz der Einehe herrschend ist und auch von der einfachgesetzlichen Rechtsordnung (siehe insb. § 1353 BGB; § 172 StGB) getragen wird, ist richtig. Nicht zu folgen ist aber der Behauptung, dieser Grundsatz sei unangefochten. Eine Heranziehung rechtswissenschaftlicher Fachliteratur hätte belegt, dass es durchaus Minderheitsauffassungen zu diesem Thema gibt. Auch, wenn man ihnen nicht zu folgen vermag, so ist die Einehe dennoch nicht „unangefochten“. Wenn das BVerwG zudem bei Rn. 62 ff. der Entscheidung dennoch ausführlich das Verbot der Mehrehe rechtfertigt, erscheint diese Prüfung überflüssig und methodisch falsch, soll der Grundsatz der Einehe laut BVerwG doch angeblich „unangefochten“ sein.
 
Von dieser nicht ganz kohärenten Vorgehensweise abgesehen, stellt das BVerwG aber zutreffend fest, dass sich gem. § 10 I S. 1 Nr. 1 StAG ein Einbürgerungsbewerber zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen hat. Sollte dies der Fall sein und kein anderer Ablehnungsgrund (i.S.d. §§ 8 ff. StAG) bestehen, wäre die Rücknahmeentscheidung somit ermessensfehlerhaft. Ausführlich prüft das BVerwG daher den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Rn. 51 ff. der Entscheidung). Dieser sei ein unbestimmter Rechtsbegriff. Die Rechtsordnung verwende diesen Begriff in unterschiedlichen Zusammenhängen und Regelungskontexten. Nach Art. 21 II GG seien Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Der Missbrauch bestimmter Grundrechte zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung führe zu deren Verwirkung (Art. 18 S. 1 GG). § 3 I Nr. 1 BVerfSchG mache u.a. die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zur Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Die Zulassung zur Anwaltschaft sei u.a. zu versagen, wenn die antragstellende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft (§ 7 Nr. 6 BRAO). Im öffentlichen Dienstrecht müssten Ernennungsbewerber und Beamte/Soldaten Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten (hier erfolgt der Verweis auf § 7 I Nr. 2, § 60 I S. 3 BBG, § 33 I S. 3 BeamtStG, §§ 8, 37 I Nr. 2 SG, § 9 Nr. 2 DRiG). Das Aufenthaltsrecht sehe die Ausweisung eines Ausländers nach Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen u.a. vor, wenn dessen Aufenthalt die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet (§ 53 I AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration setze regelmäßig voraus, dass der Ausländer sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (§ 25b I S. 2 Nr. 2 AufenthG). Die politische Betätigung eines Ausländers sei zu untersagen, soweit sie die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (§ 47 II Nr. 1 AufenthG). Zutreffend führt das BVerwG weiter aus, dass in allen der genannten Vorschriften der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung lediglich genannt, jedoch nicht weiter definiert werde, weshalb eine Begriffsbestimmung durch Auslegung vorzunehmen sei. Die Legaldefinition in § 4 II BVerfSchG, die ihrerseits an die Rechtsprechung des BVerfG insb. zum Parteiverbotsrecht anknüpft (seit BVerfGE 2, 1, 12 ff.  und BVerfGE 5, 85, 199 ff.; modifizierend BVerfGE 144, 20 Rn. 535 ff.), zähle auf, was zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung i.S. dieses Gesetzes zählt, und nenne neben ausschließlich auf die Staatsorganisation bezogenen Grundsätzen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Sie gelte indes nicht in anderen Rechtsgebieten. Jedoch schütze die freiheitliche demokratische Grundordnung in jedem Fall die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt, also die Summe formell und materiell verfassungsmäßiger Rechtssätze, oder das Sittengesetz, verstanden als ethische Normen von solcher Fundamentalität, dass sie dem staatlichen Recht als unverfügbare überpositive Normen vorgegeben sind (hier erfolgt ein Verweis auf Sachs, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 96). Eine Mehrehe (hier: die von S in Syrien geschlossene Zweitehe) stehe einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entgegen (Rn. 60 ff. der Entscheidung). Zwar widerspreche die Mehrehe den Strukturprinzipien des Art. 6 I GG und S habe das Strukturprinzip der Einehe nicht beachtet. Jedoch sei die Zweitehe in Syrien nach dortigem Recht wirksam geschlossen. S habe nicht gegen die zum Schutz der Einehe geschaffene Strafnorm des § 172 StGB verstoßen. Diese Zweitehe bedeutete selbst bei einem auf Freiwilligkeit gründenden polygamen Zusammenleben im Bundesgebiet keinen Sittenverstoß (BVerwGE 71, 228, 230 f.). Die Ehe werde im Rahmen des ordre public als im Bundesgebiet wirksam anerkannt (hier erfolgt der Verweis auf Coster/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618, 1624 f.). Kinder aus einer solchen Ehe würden als eheliche Kinder betrachtet (BVerwGE 71, 228, 231 f.) und genössen jedenfalls den Familienschutz aus Art. 6 I GG (hier erfolgt der Verweis auf von Coelln, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 7). Insoweit habe S das in Deutschland geltende Recht beachtet. Die Ausnutzung etwaiger Lücken im rechtlichen Schutz des Prinzips der Einehe als solche sei kein Handeln, das auf eine Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im vorbezeichneten Sinne schließen lasse. Die Rücknahme der Einbürgerungsentscheidung sei daher fehlerhaft.


Bewertung: Im Ergebnis ist der Entscheidung des BVerwG hinsichtlich der Aufhebung des Rücknahmebescheids beizupflichten. Rechtsmethodisch wäre Ausgangspunkt die Vorschrift des Art. 13 EGBGB. Nach Art. 13 I EGBGB unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Einschränkungen bei fehlender Ehemündigkeit finden sich in Art. 13 III EGBGB. Ist also die Ehemündigkeit gegeben und wurde die Ehe im Ausland rechtswirksam geschlossen, bedeutet dies, dass die Ehe, und damit auch die im Ausland nach dortigem Recht wirksam geschlossene Mehrehe, in Deutschland anzuerkennen ist. Das gilt jedoch gem. Art. 6 EGBGB nur unter dem sog. Ordre-public-Vorbehalt (das BVerwG nennt zwar an zwei Stellen seiner Entscheidung den ordre public, macht diesen aber nicht an Art. 6 EGBGB fest). Danach ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Daher kommt es also entscheidend darauf an, ob eine Mehrehe mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts vereinbar ist, insbesondere mit Art. 6 I GG. Mit der am 9.8.2019 in Kraft getretenen Änderung des StAG hat der Gesetzgeber bestimmt, dass eine Anspruchseinbürgerung an die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse geknüpft ist und der Antragsteller insbesondere nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet sein darf (§ 10 I S. 1 a.E. StAG n.F.). Freilich kann sich diese einfachgesetzliche Regelung nicht über eine anderslautende Verfassungsinterpretation hinwegsetzen, sodass der Blick auf Art. 6 I GG in den Vordergrund rückt. Das heißt: Wäre die Mehrehe mit Art. 6 I GG vereinbar oder verstieße die Verweigerung der Anerkennung der Mehrehe sogar gegen Art. 6 I GG, führte dies zur Pflicht des Staates, eine Mehrehe anzuerkennen und sogar an der Schließung der Mehrehe mitzuwirken. Diese Frage soll Gegenstand der nachfolgenden Bearbeitung sein.

Prüfungsmaßstab Art. 6 I GG: Ausgangspunkt ist der Wortlaut des Art. 6 I GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Eine Definition des Begriffs der Ehe enthält die Norm aber nicht, womit aus rechtsmethodischer Sicht die systematische, v.a. aber die teleologische Auslegung in den Mittelpunkt rücken. Da nach der Rechtsprechung des BVerfG das Institut der Ehe einer Gestaltung (und damit Definition) durch den Gesetzgeber offensteht (für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ausgestaltung ausdrücklich BVerfGE 81, 1, 6 f.: „Jedoch hat der Gesetzgeber das Rechtsinstitut der Ehe in einer seiner Natur und Funktion entsprechenden Weise auszugestalten.“), erscheint die Mehrehe als Form der Ehe i.S.d. Art. 6 I GG nicht von vornherein ausgeschlossen. Jedoch hat das BVerfG unter Verweis auf „unveränderbare Strukturprinzipien“ einer Ehe und in Anknüpfung an die christlich-abendländische Tradition entschieden, dass sowohl die Verschiedengeschlechtlichkeit als auch die Einehe zu ebenjenen unveränderbaren Strukturprinzipien der Ehe zählten (siehe etwa BVerfGE 31, 58, 82; 105, 313, 343).
Demnach ist das Institut der Ehe unter Zugrundelegung traditioneller bürgerlicher Lebensverhältnisse geprägt durch:
  • Verschiedengeschlechtlichkeit
  • Monogamie
  • auf Dauer angelegt mit dem Ziel der gemeinsamen Lebensgestaltung, der gegenseitigen Rücksichtnahme und Achtung sowie der Pflicht zur Beistandsleistung, Hilfe und Gefahrenabwehr
  • freiwilliger Entschluss beider Partner zur Eheschließung und zur Fortpflanzung bzw. zur Familiengründung
  • Gleichberechtigung der Ehepartner
  • staatlicher Mitwirkungsakt (feststellender Verwaltungsakt des Standesbeamten, dass die Ehe geschlossen wurde)
Ob die zunächst angesprochene Verschiedengeschlechtlichkeit zu den verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien einer Ehe gehört, ist unklar. Das BVerfG war bzw. ist bislang dieser Meinung. Es begründet das Erfordernis der Verschiedengeschlechtlichkeit mit der „idealtypischen Funktion der Ehe“, der Möglichkeit zur Gründung einer Familie, die auf natürliche Weise aus biologischen Gründen nur verschiedengeschlechtlichen Paaren gegeben sei. Die Ehe sei „von Natur aus“ auf die potentiell aus ihr hervorgehende Familie und die Fähigkeit, Nachkommen zu zeugen, ausgerichtet und gelte als „Keimzelle einer jeden menschlichen Gemeinschaft“ (BVerfGE 6, 55, 71; relativierend immerhin BVerfGE 133, 59, 83). Die Ehe als rechtliche Form einer umfassenden Bindung zwischen Mann und Frau sei alleinige Grundlage einer vollständigen Familiengemeinschaft und als solche Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung von Kindern (so ausdrücklich BVerfGE 76, 1, 51 - Familiennachzug). Die h.L. knüpft daran an und propagiert, dass die Erzeugung von Nachkommen und die Familiengründung geradezu der Zweck sowie die „natürliche Folge“ einer Ehe seien (Vgl. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 Rn. 4; Gade/Thiele, DÖV 2013, 142, 143 f.; Kreß, ZRP 2012, 234, 235). Das BVerfG betont schließlich, dass die Verschiedengeschlechtlichkeit daher zu den „unveränderlichen Strukturprinzipien“ einer Ehe gehöre und somit mit Blick auf die Institutsgarantie des Art. 6 I GG unantastbar sei (BVerfGE 105, 313, 345; vgl. auch BVerfG NJW 1993, 3058; BVerwG NVwZ 1997, 189, 190; BVerfGE 115, 1, 19; Pieroth/Kingreen, KritV 2002, 219, 239; Scholz/Uhle, NJW 2001, 393, 394).

Das überzeugt nicht. Denn wie schon bei R. Schmidt, Grundrechte, 16. Auflage 2014 aufgezeigt, steht außer Zweifel, dass das Institut der Ehe auch zeugungsunfähigen Personen offensteht, solange sie nur verschiedengeschlechtlich sind, obwohl die „idealtypische Funktion der Ehe“ – die Möglichkeit, Nachkommen zu zeugen und eine Familie zu gründen – hier ganz offensichtlich ebenso wenig erreicht werden kann wie bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Es wäre aber absurd, zeugungsunfähigen Menschen das Institut der Ehe zu verschließen. Aus diesen Überlegungen heraus folgt, dass die Begründung des BVerfG auf einem anachronistischen Eheverständnis beruht, das sich modernen Familienstrukturen verschließt und daher keine Überzeugungskraft beanspruchen kann. Zudem ist die „Verschiedengeschlechtlichkeit“ verfassungstextlich nicht als „unveränderliches Strukturprinzip“ festgeschrieben, sondern lediglich der aufgezeigten, von einer bürgerlichen Tradition geleiteten Verfassungsinterpretation entsprungen, die jedoch (und das wird vom BVerfG insoweit unberücksichtigt gelassen) gerade aufgrund der auch sonst vom BVerfG betonten Gestaltungsoffenheit (siehe BVerfGE 81, 1, 6 f.) und der Normgeprägtheit des Art. 6 I GG einem Bedeutungswandel unterworfen ist. Gerade Gestaltungsoffenheit und Normgeprägtheit des Art. 6 I GG führen dazu, den Begriff der Ehe unter Berücksichtigung moderner gesellschaftlicher Anschauungen zu interpretieren, ohne gegen die „unveränderlichen Strukturprinzipien“ der Ehe zu verstoßen oder den Verfassungstext ändern zu müssen. Der Umstand, dass eine Ehe zwischen Menschen gleichen Geschlechts in vielen anderen (ebenfalls „christlich geprägten“) Staaten (vgl. etwa Island, Großbritannien, Norwegen, Schweden, Dänemark, Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal) zulässig ist, stellt einen starken Indikator für ein sich wandelndes gesellschaftliches Selbstverständnis dar, was die in Deutschland (bislang) vorhandenen (Verfassungs-)Vorbehalte als unbegründet erscheinen lässt. Schließlich greifen die teilweise angeführten Argumente, der historische Gesetzgeber sei ganz selbstverständlich von der Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehepartner ausgegangen und habe diese zur Grundlage seines Eheverständnisses gemacht (so Uhle, in: BeckOK, GG, Art. 6 Rn. 4), schon deshalb nicht, weil es in der Debatte im Parlamentarischen Rat primär um die Frage ging, generell den Schutz von Ehe und Familie in das Grundgesetz aufzunehmen (Leibholz/v. Mangoldt, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge Bd. 1, 1951, S. 93-99). Der zunächst vom Grundsatzausschuss gebilligte Wortlaut: „Die Ehe ist die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“ (Leibholz/v. Mangoldt, a.a.O., S. 98) wurde später vom Hauptausschuss ausdrücklich nicht angenommen. Dort verständigte man sich vielmehr auf die Fassung: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ (Leibholz/v. Mangoldt, a.a.O., S. 99). Einen Willen des historischen Gesetzgebers, eine Ehe könne nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden, hätte man daher nur dann annehmen können, wenn er den vom Grundsatzausschuss gebilligten Textentwurf übernommen hätte. Da er diesen aber gerade nicht übernommen, sondern sich für eine offene Formulierung in Art. 6 I GG entschieden hat, kann dem Willen des historischen Gesetzgebers also gerade nicht entnommen werden, dass er einen Verfassungs- bzw. Bedeutungswandel des Ehebegriffs für alle Zeiten ausschließen wollte (siehe R. Schmidt, Familienrecht, 10. Auflage 2018, Rn. 20c).

Dass auch das BVerfG die Möglichkeit eines Verfassungswandels im Sinne eines Interpretationswandels anerkennt, ist nicht zu bestreiten. Während es im Jahre 1957 noch entschied, dass die §§ 175, 176 StGB a.F., die die Homosexualität zwischen Männern unter Strafe stellten, verfassungsgemäß seien, weil homosexuelle Handlungen unter Männern gegen das Sittengesetz verstießen (BVerfGE 6, 389, 413 ff. – Homosexuelle), hat es im Jahre 2002 das LPartG, das die Einführung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare vorsah, (ebenfalls) für verfassungsgemäß erachtet. Insbesondere sei Art. 6 I GG nicht verletzt. Der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 I GG hindere den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleichkämen. Dem Institut der Ehe drohten keine Einbußen durch eine (gleichwertige) Lebenspartnerschaft (BVerfGE 105, 313, 331 ff. – Lebenspartnerschaftsgesetz). Daraus folgt: Würde das BVerfG nicht die Möglichkeit eines Verfassungswandels im Sinne eines Interpretationswandels (hier: das Sittengesetz als dynamischer Prozess) anerkennen, hätte es das LPartG „als Verstoß gegen das Sittengesetz“ ansehen müssen und hätte es nicht für verfassungsgemäß erachten dürfen (vgl. auch Kretschmann, Bundesrat, Stenographischer Bericht, 959. Sitzung, 7.7.2017, S. 330) – siehe R. Schmidt, Familienrecht, 10. Auflage 2018, Rn. 20d).

Anknüpfend an den dynamischen Lebensprozess hat das BVerfG denn auch Verstöße gegen Art. 3 I, III S. 1 GG unter dem Aspekt der mittelbaren Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung festgestellt hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, hinsichtlich der Hinterbliebenenversorgung im Beamtenrecht, hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft bei der Gewährung von Familienzuschlag im Beamtenrecht und hinsichtlich der (ehemaligen) Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft im Grunderwerbsteuerrecht nach § 3 Nr. 4 GrEStG a.F. (jeweils eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG zu messende Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung). Schließlich hat das BVerfG die unterschiedliche Behandlung im Einkommensteuerrecht beanstandet, was zur Anwendung des sog. Ehesplittingtarifs auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft geführt hat. Mittlerweile hat der Gesetzgeber eine vollständige Gleichbehandlung in sämtlichen steuerlichen Belangen vorgenommen. Schließlich ist im Adoptionsrecht infolge eines Urteils des BVerfG die Möglichkeit der Sukzessivadoption durch Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gesetzlich eingeführt worden. Auch im Übrigen macht das BVerfG deutlich, dass es der biologischen Elternschaft gegenüber der sozial-familiären keinen generellen Vorrang einräumt. Und im Transsexuellenrecht ist aufgrund eines Urteils des BVerfG § 8 I Nr. 2 Transsexuellengesetz, der die Änderung des Personenstands bei einem verheirateten Transsexuellen nur zuließ, wenn dieser sich zuvor hatte scheiden lassen, aufgehoben worden (siehe zu den jeweiligen Nachweisen R. Schmidt, Familienrecht, 10. Auflage 2018, Rn. 20e).

Berücksichtigt man also die auch sonst vom BVerfG anerkannte „Normgeprägtheit“ und „Gestaltungsoffenheit“ des Art. 6 I GG und erinnert an die vom BVerfG ebenfalls zugelassene Möglichkeit, verfassungsrechtliche Begriffe unter Berücksichtigung wandelnder gesellschaftlicher Lebensformen neu zu definieren bzw. Definitionsmerkmale neu zu interpretieren, war der einfache Gesetzgeber daher frei, nicht mehr auf der bürgerlichen Zwängen und Traditionen unterworfenen Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehepartner zu beharren, sondern sich offen zu zeigen für moderne gesellschaftliche Strukturen unter Berücksichtigung der Gestaltungsoffenheit und der Normgeprägtheit des Art. 6 I GG und des dadurch ermöglichten aufgezeigten Verfassungswandels. Im Sinne der hier (vom Verfasser bereits in der 2. Auflage seines Buches zum Familienrecht) vertretenen Auffassung hat denn auch der Bundestag in Wahrnehmung der Normgeprägtheit und der Gestaltungsoffenheit des Art. 6 I GG am 20.7.2017 ein „Eheöffnungsgesetz“ erlassen und u.a. § 1353 I S. 1 BGB geändert, der nun nicht mehr an die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner anknüpft, sondern in offener Weise formuliert, dass die Ehe von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen wird.

Steht Art. 6 I GG der Eheschließung zwischen Menschen desselben Geschlechts nicht entgegen, stellt sich die Frage, ob das auch für die Mehrehe gelten kann. Letztlich wird man an diese Frage ebenso methodisch geordnet, d.h. durch Verfassungsinterpretation unter Heranziehung der anerkannten Auslegungsmethoden, herangehen müssen. Sicherlich wäre die Vorstellung der Anerkennung von Mehrehen unter Zugrundelegung der christlich-abendländischen Tradition sowie der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse „befremdlich“. Aber galt dies vor einigen Jahrzehnten nicht auch für die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen? Anerkennt man mit der hier vertretenen Auffassung die Figur des Verfassungswandels und die Gestaltungsoffenheit des Art. 6 I GG, dürfte es unter Zugrundelegung der sozialen Funktion der ehelichen Gemeinschaft sogar schwerfallen, methodisch einwandfrei die Mehrehe vom Schutz des Art. 6 I GG auszunehmen, spielt sie dem vom BVerfG aufgestellten traditionellen Leitbild von der „idealtypischen Funktion der Ehe“ und der „Möglichkeit, Nachkommen zu zeugen und eine Familie zu gründen“, geradezu zu. Fürsorge, Beistandspflicht und Verantwortung sind in einer Mehrehebeziehung ebenso möglich wie in einer „traditionellen“ Ehe. Jedenfalls verstößt nach der oben aufgezeigten Auffassung des BVerwG das Bekenntnis zur Mehrehe nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes. Insoweit besteht zumindest deswegen kein Grund, ihre Anerkennung zu versagen. Freilich „relativiert“ das BVerwG den Eindruck, es „billige“ die Mehrehe, indem es am Ende der Entscheidung formuliert, dass es dem Gesetzgeber freistehe, die Anspruchseinbürgerung bei bestehender Mehrehe auszuschließen, etwa indem er nach dem Vorbild des (inzwischen aufgehobenen) § 9 I Nr. 2 StAG auch für die Anspruchseinbürgerung vom Ausländer eine „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ verlange (Rn. 67 der Entscheidung). Wie aufgezeigt, ist der Gesetzgeber durch Gesetz v. 4.8.2019 dieser „Aufforderung“ bzw. „Freigabe“ gefolgt und hat gem. § 10 I S. 1 a.E. StAG n.F. zur Einbürgerungsvoraussetzung gemacht, dass der Antragsteller die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass eine einfachgesetzliche Vorschrift nicht Prüfungsmaßstab sein kann; allein entscheidend ist, inwieweit der verfassungsrechtliche Ehebegriff die Mehrehe erfasst. Diese Frage muss anhand einer Verfassungsinterpretation unter Beachtung der Strukturprinzipien und des Zwecks einer Ehe beantwortet werden. Und hier wird nun die Schwäche der traditionellen Interpretation evident: Stellt man auf die „idealtypische Funktion“ der Ehe ab, d.h. die „Möglichkeit, Nachkommen zu zeugen und eine Familie zu gründen“, müsste man eine Mehrehe gerade anerkennen, ist bei ihr die Möglichkeit, Nachkommen zu zeugen und eine Familie zu gründen, sogar noch gesteigert. Auch der Versorgungsgedanke ist (im Vergleich zur Einehe) jedenfalls dann erhöht, wenn sämtliche Ehepartner berufstätig sind. Möchte man daher die Mehrehe ablehnen, muss man andere Argumente bemü-hen. Zu diesen zählt etwa die Frage nach der Elternschaft bei einer Mehrehe. Sol-len die Kinder neben den leiblichen Eltern auch die anderen Ehegatten als Elternteil haben? Was soll bei einer solchen juristischen Elternschaft nach einer etwaigen Scheidung gelten? Und bei welcher Ehegattenzahl will man die Grenze setzen? Verneint man danach das Ehegrundrecht, bleibt immerhin das Familiengrundrecht (BVerwG a.a.O. Rn. Rn 61).  Auch ist nach dem BVerwG die Mehrehe – soweit sie auf Freiwilligkeit beruht – nicht sittenwidrig, verstößt nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und wird im Rahmen des ordre public als im Bundesgebiet wirksam anerkannt (s.o.).

Abzulehnen ist jedenfalls der Gesetzesvorschlag Bayerns (BR-Dr. 249/18) „zur Bekämpfung der Mehrehe“. Zu begrüßen ist allein das Ziel, Rechtsklarheit und -sicherheit im Umgang mit Mehrehen zu schaffen. Nach der hier vertretenen Auffassung verfassungswidrig ist aber die vorgeschlagene Regelung (d.h. die Ergänzung des Art. 13 EGBGB um einen neuen Absatz 4), die Mehrehe aufzuheben, sofern die Ehepartner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Konkret heißt es im Gesetzesvorschlag: „Haben beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist eine nach ausländischem Recht geschlossene Ehe nach deutschem Recht aufzuheben, wenn bei der Eheschließung zwischen einem der Ehegatten und einer dritten Person bereits eine Ehe oder Lebenspartnerschaft bestand.“ Die Verfassungswidrigkeit knüpft an den Umstand, dass ein Familienverbund auseinandergerissen würde mit unverhältnismäßigen Folgen für vorhandene Kinder. Auch die von der Nichtigkeitserklärung betroffenen Ehepartner (insb. Frauen) würden in nicht zu rechtfertigender Weise um ihre Ehegattenrechte (und ihre Gleichheitsrechte) gebracht.

Rolf Schmidt (27.10.2019)



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