Aktuelles 2020 Fernabsatzvertrag

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01.01.2020: Vorliegen eines Fernabsatzvertrags mit verbraucherschützendem Widerrufsrecht auch im Kfz-Handel?

LG Osnabrück, Urteil v. 16.09.2019 – 2 O 683/19

Mit Urteil v. 16.09.2019 hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück (2 O 683/19) entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags habe. Der von der Klägerin am 15.11.2018 erklärte Widerruf sei wirkungslos, da der Klägerin kein Widerrufsrecht gemäß § 355 i.V.m. §§ 312c, 312g I BGB zustehe. Ob das Urteil überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.

Sachverhalt: U betreibt in Norddeutschland ein Autohaus. Regelmäßig präsentiert er die zum Verkauf stehenden Autos auch auf einschlägigen Verkaufsplattformen im Internet. Die in München wohnende K meldete sich telefonisch bei U wegen eines BMW 320d GT, den dieser auf der Internetplattform P präsentierte. Schnell einigte man sich am Telefon auf einen Kaufpreis und die weitere Abwicklung, nämlich, dass K den Kaufpreis überweisen solle und U nach Geldeingang die Fahrzeugpapiere zusende, damit K den Wagen in München zulassen und danach bei U abholen könne, um mit dem zugelassenen Wagen nach Hause zu fahren. Weiterhin verabredete man, dass U das Bestellformular per E-Mail zusende. Daraufhin übersandte U per E-Mail ein Bestellformular mit der Bitte, dieses Formular zu unterschreiben und per E-Mail bzw. Fax an ihn zurückzusenden. In dem Formular hieß es:

„Der Kaufvertrag ist abgeschlossen, wenn der Verkäufer die Annahme der Bestellung innerhalb der in den Gebrauchtfahrzeugverkaufsbedingungen geregelten Fristen schriftlich bestätigt oder die Lieferung ausführt.“

Unter „Zahlungsweise und sonstige Vereinbarungen“ hieß es:

„Bezahlung vorab per Überweisung. Auslieferung nach Geldeingang …“

Eine Widerrufsbelehrung wurde K nicht übersandt.

K unterschrieb das Formular und sandte es per E-Mail an U zurück. Dieser übersandte K am nächsten Tag eine Rechnung über den Kaufpreis für das Fahrzeug i.H.v. 25.000,- €. Nachdem K diesen Betrag auf ein Konto des U überwiesen hatte, erhielt sie per Post die Fahrzeugpapiere, um den Pkw in München zulassen zu können. Nach erfolgter Zulassung holte sie den Wagen bei U ab und bescheinigte diesem die ordnungsgemäße Übergabe des Fahrzeugs.

Eine Woche später erklärte K den Widerruf ihrer auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Kfz. U wendete ein, der Kaufvertrag sei erst mit der Lieferung des Fahrzeuges zustande gekommen. Zudem sei das Autohaus nicht organisatorisch auf einen Fernabsatz ausgerichtet. Zwar bewerbe er Fahrzeuge auf der eigenen Internetseite und auf Internet-Verkaufsplattformen, es gebe jedoch keine Möglichkeit, Verträge online abzuschließen. Es liege keine organisierte Struktur für ein Fernabsatzgeschäft vor.

I. Problemaufriss und Definitionen: Die Zivilrechtsordnung geht im Grundsatz davon aus, dass Verträge einzuhalten sind und eine Lösung vom Vertrag nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Eine Art der Lösung vom Vertrag besteht in der Ausübung eines verbraucherschützenden Widerrufsrechts. Verbraucherschützende Widerrufsrechte hat der Gesetzgeber insbesondere aufgrund europarechtlicher Vorgaben in die nationale Rechtsordnung aufgenommen. Sie verhindern zwar nicht das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts, räumen aber im Rahmen eines Verbrauchervertrags dem Verbraucher die Möglichkeit ein, sich durch Widerruf von einem bereits geschlossenen Vertrag einseitig zu lösen. Man kann in diesem Zusammenhang daher von schwebender Wirksamkeit des Vertrags und einem einseitigen Auflösungsrecht des Verbrauchers sprechen (R. Schmidt, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2019, Rn. 968 mit Verweis auf BT-Drs. 14/2658, S. 47, 60; Grüneberg, in: Palandt, § 355 Rn. 3; Hager, JA 2011, 721, 722; abl. Kaiser, in: Staudinger, § 355 Rn. 18).

Zur Ausübung eines verbraucherschützenden Widerrufsrechts bedarf es also des Vorliegens eines Verbrauchervertrags und der gesetzlichen Einräumung eines Widerrufsrechts. Der Verbrauchervertrag wird gem. § 310 III BGB als ein Vertrag definiert, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen wurde. Verbraucher ist gem. § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft überwiegend zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Und Unternehmer ist gemäß der Legaldefinition in § 14 I BGB eine natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Vertragsschluss in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit Leistungen gegen ein Entgelt anbietet. Bei einem Verbrauchervertrag gelten kraft Verweisung in § 312 I BGB auch die Schutzvorschriften der §§ 312b ff. BGB und damit auch die Vorschrift des § 312c BGB hinsichtlich des Fernabsatzvertrags. Nach der Legaldefinition in § 312c I BGB sind Fernabsatzverträge Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Hinsichtlich des 1. Halbsatzes präziser ist Art. 2 Nr. 7 der insbesondere im Fernabsatzrecht vollharmonisierend wirkenden Verbraucherrechterichtlinie 2011/ 83/EU (siehe Erwägungsgründe 2, 4, 5, 7 und 9 sowie Art. 4 der Richtlinie) formuliert, wo es heißt: „wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/ werden.“ Die Richtlinie stellt also darauf ab, dass in der Zeit bis einschließlich des Vertragsschlusses ausschließlich Fernkommunikationsmittel eingesetzt worden sind (siehe R. Schmidt, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2019, Rn. 1026 a.E.). Bei Unklarheiten ist § 312c I BGB also richtlinienkonform auszulegen. Danach müssen, neben der Voraussetzung, dass auf Verkäuferseite ein Unternehmer und auf Käuferseite ein Verbraucher stehen, folgende Voraussetzungen für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrags gegeben sein (R. Schmidt, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2019, Rn. 999):
  • Vorliegen eines Fernkommunikationsmittels
  • Im Zeitraum von der Aufnahme von Vertragsverhandlungen bis einschließlich des Vertragsschlusses müssen ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet worden sein
  • Der Vertrag muss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden sein
Fernkommunikationsmittel i.S.d. Fernabsatzvertrags sind gem. § 312c II BGB alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Prospekte mit Bestellpostkarte, Telefonanrufe, Telekopien (Faxe), E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und Telemedien. Typischer Fall eines Fernabsatzvertrags, der zugleich einen Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr darstellt, ist der Kauf von Waren in einem Online-Shop bzw. über eine Online-Verkaufsbörse. Der Versandhandel fällt a priori unter den Begriff des Fernabsatzgeschäfts.

Es müssen gem. § 312c I BGB in richtlinienkonformer Auslegung im Zeitraum von der Aufnahme von Vertragsverhandlungen bis einschließlich des Vertragsschlusses ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden. Nicht erforderlich ist, dass die Parteien dasselbe Fernkommunikationsmittel benutzen. So genügt es, wenn bspw. Verbraucher und Unternehmer telefonisch verhandeln, der Verbraucher dann per E-Mail das Vertragsangebot unterbreitet und der Unternehmer das Angebot durch Versenden der Ware konkludent annimmt (Grüneberg, in: Palandt, § 312c Rn 4; OLG Schleswig NJW 2004, 231). Verhandeln Verbraucher und Unternehmer aber zunächst im Ladengeschäft des Unternehmers und erfolgt lediglich der Vertragsschluss im Rahmen eines Fernkommunikationsmittels, liegt kein Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c I BGB vor. An dem Kriterium „ausschließlich“ fehlt es auch, wenn der Verbraucher die Sache, die er via Fernkommunikationsmittel gekauft hat, im Ladengeschäft des Unternehmers abholt. Das heißt, es schadet dem Widerrufsrecht nicht, wenn der Verbraucher nach Vertragsschluss die Ware beim Unternehmer abholt.

Schließlich muss der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden sein (§ 312c I Hs. 2 BGB). Jedoch handelt es sich bei dieser Voraussetzung – wie sich aus der gesetzlichen Formulierung „es sei denn“ ergibt – um einen (eng auszulegenden) Ausnahmetatbestand, für dessen Vorliegen zudem der Unternehmer die Beweislast trägt. Folge ist zunächst, dass an die Annahme eines solchen Vertriebs- oder Dienstleistungssystems insgesamt keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BT-Drs. 17/12637, S. 50; BGH NJW-RR 2017, 368, 372; BGH NJW 2019, 303, 304). Voraussetzung für die Existenz eines organisierten Vertriebssystems ist (lediglich), dass der Unternehmer mit personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebs die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen (BT-Drs. 14/2658, S. 30; BGH NJW-RR 2017, 368, 372). Bei Betreiben einer „Bestellhotline“ oder eines Onlineshops mit Warenversand wird daher ohne weiteres ein Fernabsatzsystem vorliegen, jedenfalls, wenn sich der Unternehmer systematisch die Technik der Fernkommunikation zunutze macht und sich für den Betriebsablauf in personeller und sächlicher Hinsicht ein eingespieltes Verfahren entwickelt hat (BGH NJW 2004, 3699, 3701). Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem ist nach dem BGH auch dann nicht schon zu verneinen, wenn der Unternehmer über kein automatisiertes Verfahren verfügt, sondern den Ablauf manuell steuern muss (BGH NJW 2019, 303, 304), etwa dergestalt, dass er zum Abschluss des Vertrags keinen vorgefertigten Standard- oder Serienbrief verwendet, sondern ein individuelles Anschreiben (BGH NJW 2019, 303, 304). Daher ist von einem hinreichend organisierten Vertriebssystem stets dann auszugehen, wenn der Unternehmer in gewisser Regelmäßigkeit seine Waren im Internet (auch auf einer externen Verkaufsplattform – BT-Drs. 17/12637, S. 50) präsentiert und dem Verbraucher unmittelbar nach der Bestellung die nötigen (individuellen) Unterlagen zusendet. So führt der BGH bspw. aus: „Ein Immobilienmakler nutzt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem, wenn er auf einem Onlinemarktplatz (hier: „ImmobilienScout24“) von ihm vertriebene Immobilien bewirbt, den Kontakt zu seinen Kunden auf elektronischem oder telefonischem Weg herstellt und der Vertrag in dieser Weise zustande kommt. Es kommt nicht darauf an, dass die Durchführung eines solchen Maklervertrags nicht auf elektronischem Wege erfolgt“ (BGH NJW 2017, 1024 LS 3). An einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem fehlt es aber, wenn der Unternehmer ein stationäres Ladengeschäft betreibt, das auch nur für den Verkauf vor Ort organisiert ist, und dabei nur gelegentlich und zufällig zu Vertragsschlüssen Fernkommunikationsmittel verwendet (BGH NJW-RR 2017, 368, 372) bzw. nach telefonischer Bestellung ausnahmsweise auf den Wunsch des Kunden die Ware per Post versendet (BGH NJW-RR 2017, 368, 372). Bestellt in einem solchem Fall ein Kunde telefonisch (oder via E-Mail) eine Ware und erfolgt der Vertragsschluss noch am Telefon oder anschließend etwa via E-Mail oder Fax, liegt kein Fernabsatzgeschäft i.S.d. § 312c I BGB (mit einem Widerrufsrecht gem. §§ 312g I, 355 BGB) vor, wobei wegen der gesetzlichen Formulierung „es sei denn“ weiterhin folgt, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands der Unternehmer die Beweislast trägt (BT-Drs. 17/12637, S. 50; BGH MDR 2016, 817 f.; MüKo-Wendehorst, § 312c Rn 27). Der Unternehmer muss also die gesetzliche Vermutungsregel widerlegen und den Beweis erbringen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist. Hintergrund ist, dass der Verbraucher die interne Vertriebsorganisation des Unternehmers regelmäßig nicht erkennen kann, er bei Fernabsatzgeschäften also vom Vorliegen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems ausgehen darf. Dieser in Auslegung des § 312c I Hs. 2 BGB vorgenommenen Beweislastumkehr kann der Unternehmer auch nicht dadurch begegnen, dass er es unterlässt, die verbraucherschützenden Belehrungen, insbesondere die Widerrufsbelehrung, zu übermitteln. Denn die Widerrufsbelehrung ist nicht konstitutiv für die Annahme eines Fernabsatzvertrags; ihr Fehlen führt lediglich zur Verlängerung der Widerrufsfrist (hier: insgesamt 12 Monate und 14 Tage, § 356 III S. 2 BGB) und ggf. zu wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen.

Nach diesen Grundsätzen sind Fernabsatzgeschäfte auch in der Kfz-Branche denkbar, sofern nur der Unternehmer mit personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebs die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig oder zumindest über den Einzelfall hinaus im Fernabsatz zu tätigende (auch über Online-Verkaufsplattformen zustande kommende) Geschäfte zu bewältigen (s.o.). Insbesondere ist kein automatisiertes Vertriebssystem erforderlich. Bestellt in einem solchen Fall ein Kunde telefonisch (oder via E-Mail) eine Ware und erfolgt der Vertragsschluss noch am Telefon oder anschließend etwa via E-Mail oder Fax, liegt ein Fernabsatzgeschäft i.S.d. § 312c I BGB (mit einem Widerrufsrecht gem. §§ 312g I, 355 BGB) vor. Darum ging es im zu besprechenden Fall.

II. Zum Fall: Anspruchsgrundlage des Rückzahlungsbegehrens könnten §§ 355, 312g I, 312c I, 357 I BGB sein. Dass es sich bei K um eine Verbraucherin i.S.d. § 13 BGB und bei U um einen Unternehmer i.S.d. § 14 I BGB handelt, bedarf keiner Erörterung. Mithin liegt ein Verbrauchervertrag vor. Bei diesem müsste es sich aber um einen Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c I BGB handeln. Das ist (unter Beachtung der Vorgaben des Art. 2 Nr. 7 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU) neben der Voraussetzung, dass auf Verkäuferseite ein Unternehmer und auf Käuferseite ein Verbraucher stehen, der Fall, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
  • Vorliegen eines Fernkommunikationsmittels
  • Im Zeitraum von der Aufnahme von Vertragsverhandlungen bis einschließlich des Vertragsschlusses müssen ausschließlich  Fernkommunikationsmittel verwendet worden sein
  • Der Vertrag muss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden sein 
Fernkommunikationsmittel i.S.d. Fernabsatzvertrags sind gem. § 312c II BGB alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Prospekte mit Bestellpostkarte, Telefonanrufe, Telekopien (Faxe), E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und Telemedien. Vorliegend kommunizierten U und K via Telefon und E-Mail. Jedoch müsste gem. § 312c I BGB in richtlinienkonformer Auslegung sämtliche Korrespondenz im Zeitraum zwischen Vertragsanbahnung und Vertragsschluss ausschließlich darüber erfolgt sein. Das LG Osnabrück hat dies verneint. Zwar habe K bei der Abgabe ihres Vertragsangebots Fernkommunikationsmittel eingesetzt, da sie ihre Bestellung per E-Mail übermittelt habe, ohne dass zuvor ein persönlicher Kontakt zwischen den Parteien erfolgt wäre. Allerdings habe U bei der Annahmeerklärung keine Fernkommunikationsmittel eingesetzt. Ausweislich des Bestellformulars erfolge der Abschluss des Kaufvertrags entweder durch eine schriftliche Bestätigung der Annahme der Bestellung durch den Verkäufer oder durch Ausführung der Lieferung. Eine ausdrückliche schriftliche Bestätigung der Annahme der Bestellung habe U gegenüber K – unstreitig – nicht erklärt. Die Annahme des in der Bestellung zu sehenden Vertragsangebots der K sei auch nicht in der (elektronisch erfolgten) Übersendung der Rechnung zu sehen. Die bloße Übersendung der Rechnung sei – jedenfalls vorliegend – nicht gleichzusetzen mit einer schriftlichen Bestätigung der Annahme der Bestellung. Vielmehr sei im Zusammenspiel mit den beiden Formulierungen zu folgern, dass im konkreten Fall der Abschluss des Kaufvertrags entsprechend der Vereinbarung in der Bestellung erst mit der Auslieferung des Fahrzeugs nach Geldeingang in den Geschäftsräumen des U erfolgen sollte. Damit sei der Kaufvertrag zwischen den Parteien erst durch die Ausführung der Lieferung (d.h. Übergabe des Wagens in den Geschäftsräumen des U) geschlossen worden und daher nicht unter Zuhilfenahme von Fernkommunikationsmitteln.

Das ist zweifelhaft. Nach der hier vertretenen Auffassung kam der Kaufvertrag sehr wohl mittels Fernkommunikationsmittel, und nicht erst in den Geschäftsräumen des U, zustande. Zwar spricht das Bestellformular durchaus von „schriftlicher Bestätigung“, um den Vertragsschluss herbeizuführen. Jedoch kann – entgegen der Auffassung des LG – in der schriftlichen Rechnung sehr wohl – sogar erst recht – eine Annahmeerklärung gesehen werden. Es ist lebensfern, anzunehmen, ein Autohaus verschicke eine schriftliche Rechnung, wenn es nicht von einem bereits geschlossenen Vertrags ausgeht. Oder anders formuliert: Führt bereits eine Auftragsbestätigung den Vertragsschluss herbei, gilt das erst recht für eine schriftliche Rechnung (vorliegend sogar i.V.m. der Zusendung der Fahrzeugpapiere, d.h. der Zulassungsbescheinigungen I und II). Zugleich liegt – ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Klauseln im Bestellformular um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) handelte – damit eine vorrangige Individualvereinbarung i.S.d. § 305b BGB vor.

Wenn also ein Autohaus eine Rechnung zusendet, den Kaufpreis erhalten hat und auch die Fahrzeugpapiere (d.h. Zulassungsbescheinigungen I und II) an den Käufer verschickt, spricht nichts dafür, dass das Autohaus nicht von einem bereits geschlossenen Kaufvertrag ausgeht bzw. ausgehen darf. Hinzu kommt noch ein weiteres Argument: Geht schon der BGH, der übrigens auch vom LG Osnabrück in Bezug genommen wird, von einem konkludenten Vertragsschluss aus, wenn der Unternehmer (im Fall war es ein Grundstücksmakler) mit einer E-Mail die Vereinbarung eines Besichtigungstermins ankündigt und die vom Verbraucher übermittelte Information über die Lage des Objekts entgegennimmt (BGH NJW-RR 2017, 368, 370), muss man im vorliegenden Fall mit der Übermittlung der schriftlichen Rechnung und dem Zusenden der Zulassungsbescheinigungen erst recht von einem Vertragsschluss ausgehen.

Ist danach der Kaufvertrag mittels Fernkommunikationsmittel zustande gekommen, steht es der Einordnung als Fernabsatzvertrag nicht entgegen, dass K den Wagen persönlich im Geschäft des Unternehmers abgeholt hat. Denn dies erfolgte gerade nach Vertragsschluss.

Der Vertrag müsste letztlich aber auch – um einen Fernabsatzvertrag annehmen zu können – im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden sein. Wenn überhaupt, scheitert – obwohl an dieses Kriterium keine allzu großen Anforderungen zu stellen sind – im vorliegenden Fall die Annahme eines Fernabsatzvertrags daran.

Voraussetzung für die Annahme eines organisierten Vertriebssystems ist, dass der Unternehmer mit personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebs die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um in gewisser Regelmäßigkeit, jedenfalls über den Einzelfall hinaus, im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen (BGH NJW-RR 2017, 368, 372). Nach der Rechtsprechung des BGH fehlt es daran, wenn der Unternehmer ein stationäres Ladengeschäft betreibt, das auch nur für den Verkauf vor Ort organisiert ist, und dabei nur gelegentlich und zufällig zu Vertragsschlüssen Fernkommunikationsmittel verwendet (BGH NJW-RR 2017, 368, 372) bzw. nach telefonischer Bestellung ausnahmsweise auf den Wunsch des Kunden die Ware per Post versendet (BGH NJW-RR 2017, 368, 372). Das LG Osnabrück ist der Ansicht, daran habe es im vorliegenden Fall gefehlt, weil U einen stationären Autohandel betreibe, der auch nur für den Verkauf vor Ort organisiert sei, und U nur ausnahmsweise und zufällig zu Vertragsschlüssen Fernkommunikationsmittel verwende. Wer seine Leistungen ausschließlich vor Ort erbringe, solle durch das Fernabsatzrecht nicht davon abgehalten werden, ausnahmsweise auch eine telefonische Bestellung (ergänze: oder eine per E-Mail) entgegenzunehmen.

IV. Bewertung: Wie die Entscheidung verdeutlicht, ist es stets eine Tatfrage, ob das für die Annahme eines Fernabsatzgeschäfts erforderliche Mindestmaß an Organisation vorliegt. Auch wenn nach Auffassung des Gesetzgebers und des BGH die Anforderungen an eine Fernabsatzstruktur nicht sonderlich hoch sind und ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht schon dann zu verneinen ist, wenn der Unternehmer über kein automatisiertes Verfahren verfügt, sondern den Ablauf manuell steuern muss (BGH NJW 2019, 303, 304), so muss doch der Unternehmer in gewisser Regelmäßigkeit seine Waren im Internet (auch auf einer externen Verkaufsplattform – BT-Drs. 17/12637, S. 50) präsentieren und die Ware versenden. Freilich muss der Unternehmer, der sich auf die Ausschlussklausel beruft, die gesetzliche Vermutungsregel des § 312c I BGB („es sei denn...“) widerlegen. Das kann ein Autohändler etwa dadurch, dass er die einzelnen Verkaufsprozesse dokumentiert und so den Nachweis erbringt, dass er trotz Präsentation der Fahrzeuge in den Online-Fahrzeugverkaufsplattformen lediglich ausnahmsweise ein Auto versendet. Nach der hier vertretenen Auffassung sind die Hürden aber hoch, denn das verbraucherschützende Widerrufsrecht wird weit verstanden. Das hat seinen Grund darin, dass – anders als im stationären Handel – im Fernabsatz üblicherweise Vergleichs-, Vorführ- und Beratungsmöglichkeiten fehlen. Der Verbraucher kauft regelmäßig allein aufgrund einer Beschreibung, von Fotos und der Aussagen des Händlers. Er ist also darauf angewiesen, die gekaufte Ware nach Erhalt zu Hause zu prüfen und ggf. deren Funktionstüchtigkeit zu testen. Stellt er fest, dass die Sache nicht den Erwartungen entspricht, soll er sich durch einseitige Erklärung vom Vertrag lösen können. Hinzukommt, dass Autos, die in den Online-Fahrzeugverkaufsplattformen präsentiert werden, mittlerweile sehr häufig, und nicht nur ausnahmsweise, im Fernabsatz verkauft, was die Anforderungen an die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erhöht. Einem Kfz-Händler, der die mit einem Fernabsatzgeschäft verbundenen Folgen vermeiden möchte, ist es unbenommen, auf einen Vertragsschluss vor Ort zu bestehen. Jedenfalls führt das Fehlen einer Widerrufsbelehrung nicht dazu, einen Fernabsatzvertrag zu verneinen. Auch im Verwaltungsrecht führt das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung bei einem belastenden Verwaltungsakt nicht zur Unwirksamkeit des Verwaltungsakts, sondern lediglich zur Verlängerung der Anfechtungsfrist (siehe § 58 II VwGO). Das Gleiche gilt bei Fernabsatzverträgen. Die Frist beträgt hier insgesamt 12 Monate und 14 Tage (§ 356 III S. 2 BGB). Bei der Frage nach dem Vorliegen eines Fernabsatzvertrags sind allein die Kriterien des § 312c I BGB ausschlaggebend. Wenn ein Unternehmer, der via Fernkommunikationsmittel einen Vertrag mit einem Verbraucher schließt, auf die Zusendung einer Widerrufsbelehrung (auch rechtsirrtümlich) verzichtet, kann dies nicht zu Lasten des Verbrauchers gehen.


V. Ausblick: Da der Internethandel dem stationären Handel zunehmend den Rang abläuft, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch der Autokauf im Internet „zur Normalität“ wird. Zwar wird der Autokauf niemals ein „Geschäft des täglichen Lebens“ und damit kein (Internet-)Massengeschäft darstellen, aber im Sinne der Kundengewinnung und der Absatzförderung dürfte ein erweiterter Aktionsradius, der auch die Lieferung von im Fernabsatz gekauften Autos einschließt,  zu erwarten sein. Dann auch dürfte es den Autohäusern zunehmend schwerer fallen, die Vermutungsregel des § 312c I BGB („es sei denn...“) zu widerlegen. Liegt danach ein Fernabsatzgeschäft vor, sind von den „Online-Händlern“ auch die allgemeinen Verkäuferpflichten zu beachten. Dazu zählen insbesondere die umfangreichen Informations- und Belehrungspflichten (in Bezug auf die Bestätigung des Bestelleingangs, das Bestehen eines Widerrufsrechts etc.) vor Vertragsschluss. Folgen bei Verstößen gegen die Informations- und Belehrungspflichten sind nicht nur eine Verlängerung der Widerrufsfrist (siehe § 356 III S. 2 BGB: auf 1 Jahr und 10 Monate), sondern v.a. auch die Möglichkeit der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung. Keinesfalls führen unterlassene Belehrungspflichten zur Verneinung des für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems.   


Rolf Schmidt (01.01.2020)




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