Aktuelles 2020 Geschäftsmäßige Förderung der Selbststötung

Beiträge 2020


27.02.2020: Verfassungswidrigkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung


BVerfG, Urteil v. 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16

Mit Urteil v. 26.02.2020 hat der 2. Senat des BVerfG entschieden, dass das in § 217 I StGB normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gegen das Grundgesetz (d.h. gegen die Grundrechte der jeweiligen Beschwerdeführer) verstößt und nichtig ist, weil es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert. Ob das Urteil überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.

Sachverhalt: Nach § 217 I StGB macht sich strafbar, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Gegen diese Strafnorm wandten sich u.a. Vereine mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz, die Suizidhilfe anbieten, schwer erkrankte Personen, die ihr Leben mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten, in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung tätige Ärzte sowie im Bereich suizidbezogener Beratung tätige Rechtsanwälte. Sie machten eine Verletzung der ihnen jeweils zustehenden Grundrechte geltend. Hinsichtlich der Prüfung ist daher entsprechend dem Kreis der Beschwerdeführer zu differenzieren:

A. Vereinbarkeit des § 217 I StGB mit Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG auf Seiten der Sterbewilligen
Zunächst könnte die Strafnorm des § 217 I StGB mit Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG der Sterbewilligen unvereinbar sein. Dazu müsste zunächst der Schutzbereich dieses Grundrechts eröffnet sein.

I. Eröffnung des Schutzbereichs
Da das reine Abwehrrecht aus Art. 2 I GG den Anforderungen eines umfassenden Schutzes der Persönlichkeit nicht gerecht wird, haben der BGH und das BVerfG schon frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, das Schutzniveau des Art. 2 I GG zu verstärken und durch Elemente der Menschenwürde zu durchsetzen. So entstand aus einer Zusammenschau von Art. 2 I GG und Art. 1 I GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. BGHZ 13, 334, 337 ff.; 30, 7, 12 ff.; BVerfGE 35, 202, 220 ff.; aus jüngerer Zeit vgl. etwa BVerfG NVwZ 2018, 877, 878 – geschlechtliche Identität; BVerfG 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 Rn. 80 – „Recht auf Vergessenwerden I“ – insoweit nicht abgedruckt in NVwZ 2020, 53 ff.). Wenn auch durch Elemente der Menschenwürde verstärkt, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) dogmatisch dennoch in Art. 2 I GG verortet, um es im Grundansatz einer Abwägung mit widerstreitenden Verfassungsgütern (insbesondere Grundrechte Anderer) zugängig machen zu können.

Unter Heranziehung der ständigen Rechtsprechung (des BVerfG) lassen sich verschiedene Aspekte des Schutzbereichs ausmachen (Übersicht nach R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 267 ff.):
  • Die Intimsphäre, insbesondere das Schamgefühl (vgl. BVerfG NJW 2015, 3158, 3159 – Körperliche Durchsuchung bei nacktem Körper) und das Sexualleben (BVerfG NJW 2015, 1506 ff. – kein Auskunftsanspruch Scheinvater gegen Mutter aus § 242 BGB auf Nennung des Namens des biologischen Vaters; BGH NJW 2016, 1094, 1095 f. – Löschungsanspruch in Bezug auf Intimfotos).
  • Die enge persönliche Lebenssphäre; das APR verleiht dem Einzelnen die Befugnis, sich (räumlich) zurückzuziehen, abzuschirmen, für sich und allein zu bleiben (vgl. nur BVerfGE 120, 180, 199; 101, 361, 382 ff. – jeweils Caroline von Hannover; BGH MDR 2017, 879 f).
  • Das Recht auf Selbstbestimmung. Damit ist zunächst das Recht gemeint, die eigene Abstammung zu kennen, die dem Betroffenen grds. nicht vorenthalten werden darf, da anderenfalls das Persönlichkeitsrecht verletzt sein kann (BVerfGE 90, 263, 270 f. – Anfechtung der Ehelichkeit; 96, 56, 63 – Recht auf Kenntnis des Vaters; BVerfG NJW 2016, 1939, 1940 – isolierte Klärung der Abstammung). Geschützt ist v.a. die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere in Bezug auf das Sexualleben, die Wahl der geschlechtlichen Identität, d.h. das Recht, einem bestimmten Geschlecht anzugehören, die Intersexualität und das Recht, weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht anzugehören (siehe dazu BVerfGE 47, 46, 73 – Sexualkundeunterricht; 49, 286, 287 ff. – Transsexueller; BVerfG NJW 2011, 909 – Transsexueller; NVwZ 2018, 877, 878 – geschlechtliche Identität; BVerwG NJW 2016, 2761 f. – Störung der Geschlechtsidentität; BGH NJW 2016, 1094, 1095 – geschlechtliche Intimität; siehe auch EuGH NVwZ 2018, 643 ff. – Homosexualitätstests für Asylbewerber mit Art. 7 GRC unvereinbar).
  • Das Recht auf Selbstbestimmung schließt das Recht ein, auf therapeutische Maßnahmen zu verzichten sowie lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen (BVerfG NJW 2017, 53, 55 ff.; BVerwG NJW 2017, 2215, 2217). Nach der vom Verfasser bereits in der 21. Auflage (März 2017) seines Grundrechtsbuchs vertretenen Auffassung ist durch Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG generell die Entscheidung über den selbstbestimmten Tod und damit auch über den Suizid  geschützt, jedenfalls sofern die freie Willensbestimmung nicht ausgeschlossen ist (so die 21. Aufl. Rn. 290; später auch BVerwG NJW 2017, 2215, 2217 sowie BGH NJW-RR 2017, 964, 965). Die staatliche Schutzpflicht muss hinter das Recht des Einzelnen auf einen frei verantworteten Suizid zurücktreten (21. Aufl. a.a.O.).
Das BVerfG hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Es hat entschieden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse. Das beinhalte das Recht des zur freien Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Menschen, sich das Leben zu nehmen (Rn. 204 ff. der Entscheidung). Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, sei von existentieller Bedeutung für die Persönlichkeit eines Menschen. Welchen Sinn der Einzelne in seinem Leben sehe und ob und aus welchen Gründen er sich vorstellen könne, sein Leben selbst zu beenden, unterliege höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen. Der Entschluss zur Selbsttötung betreffe Grundfragen menschlichen Daseins und berühre wie keine andere Entscheidung Identität und Individualität des Menschen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen. Es erstrecke sich auch auf die Entscheidung des Einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden (Rn. 209 der Entscheidung). Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, entziehe sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Sie bedürfe keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern sei im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren (Rn. 210 der Entscheidung).

Auch erteilt das BVerfG dem von der bisher h.M. geltend gemachten Einwand, mit der Entscheidung über den Freitod seien Fragen der nicht disponiblen Menschenwürde betroffen, weshalb über den Freitod nicht entschieden werden könne, eine überaus deutliche Absage: Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben sei unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie sei, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde (Rn. 211 der Entscheidung).

Damit steht also fest: Die Menschenwürde verhindert nicht die Entscheidung über den Freitod; sie schützt sie.

Schließlich spannt das BVerfG den Bogen zur assistierten Sterbehilfe, indem es das Recht, sich selbst zu töten, auf die Freiheit erstreckt, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das Grundgesetz gewährleiste die Entfaltung der Persönlichkeit im Austausch mit Dritten, die ihrerseits in Freiheit handeln. Sei die Wahrnehmung eines Grundrechts von der Einbeziehung Dritter abhängig und hänge die freie Persönlichkeitsentfaltung an der Mitwirkung eines anderen, schütze das Grundrecht auch davor, durch ein Verbot gegenüber Dritten, im Rahmen ihrer Freiheit Unterstützung anzubieten, beschränkt zu werden (Rn. 213 der Entscheidung).

Fazit zum Schutzbereich: In deutlicher Klarheit erstreckt das BVerfG den sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergebenden Schutz auf die eigenverantwortliche Entscheidung über den Freitod. Das schließt das Recht der Hinzuziehung von assistierenden Dritten ein. Die (indisponible) Menschenwürde steht dem nicht entgegen, weil sie gerade auch die Entscheidungumfasst,in Würde zu sterben. 

II. Eingriff in den Schutzbereich
Ein Eingriff in den Schutzbereich liegt immer vor, wenn die Ausübung des Freiheitsrechts in beliebiger Weise beeinträchtigt oder unmöglich gemacht wird. Das kann durch rechtsförmliches oder (bei Intensitätsäquivalenz) durch faktisches bzw. faktisch-mittelbares staatliches Verhalten geschehen. Indem § 217 I StGB die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt, greift der Staat in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger ein. Daran ändert nach zutreffender Auffassung des BVerfG auch der Umstand nichts, dass diese nicht unmittelbare Adressaten der Norm sind. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, könnten Grundrechte beeinträchtigen, wenn sie in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff gleichkämen, und müssten dann von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 I StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung entfalte eine objektiv die Freiheit zum Suizid einschränkende Wirkung. Es mache es dem Einzelnen faktisch weitgehend unmöglich, Suizidhilfe zu erhalten. Diese Einschränkung individueller Freiheit sei von der Zweckrichtung des Verbots bewusst umfasst und begründe einen Eingriff auch gegenüber suizidwilligen Personen. Angesichts der existentiellen Bedeutung, die der Selbstbestimmung über das eigene Leben für die personale Identität, Individualität und Integrität zukomme, wiege der Eingriff besonders schwer (Rn. 218 der Entscheidung).

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
Fraglich ist, ob der durch § 217 I StGB vorgenommene Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Das wäre der Fall, wenn Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG einschränkbar und die Strafnorm des § 217 I StGB formell und materiell mit den Bestimmungen und Grundsätzen des Verfassungsrechts vereinbar wäre.

1. Einschränkbarkeit des Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG
Trotz der Bezugnahme auf den nicht einschränkbaren Art. 1 I GGsind (staatliche) Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht grds. rechtfertigungsfähig. Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dogmatisch dem Art. 2 I GG zugeordnet, dessen Schutzniveau (lediglich) durch Art. 1 I GG verstärkt wird (siehe R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 266). Insoweit zieht die Rspr. auch die Schrankentrias des Art. 2 I GG heran (vgl. nur BVerfG NJW 2001, 594, 595 – Willy Brandt; BVerfGE 120, 180, 201; 101, 361, 387 – jeweils Caroline von Hannover; 97, 391, 401; BVerfG NJW 2001, 2320, 2321 – DNA-Identitätsfeststellungsgesetz – allesamt zurückgehend auf BVerfGE 65, 1, 43 – Volkszählung).

2. Formelle und materielle Vereinbarkeit des § 217 I StGB mit Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG
a. Formelle Seite

In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken; der Bund war gem. Art. 72 I, 74 I Nr. 1 GG zuständig für den Erlass der Strafnorm. Auch bestehen keine Bedenken an der Erforderlichkeit der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet bzw. der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse (Art. 72 II GG).

b. Materielle Seite
Bedenken bestehen aber hinsichtlich der materiellen Seite, insbesondere an der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Eine grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahme ist nur dann verhältnismäßig, wenn
  •     der vom Staat verfolgte Zweck legitim ist, also als solcher verfolgt werden darf,
  •     der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Ziels geeignet,
  •     der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Ziels erforderlich
  •     und der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Ziels angemessen ist
(siehe nur BVerfG NJW 2019, 1432, 1433 – Parteienfinanzierung; BVerfG NJW 2019, 827, 833 – Automatisierte Kennzeichenerfassung – jeweils mit Verweis auf die st. Rspr. BVerfGE 67, 157, 173; 120, 378, 427; 141, 220, 265).

   aa.) Legitim ist der Zweck, wenn er auf das Wohl der Allgemeinheit gerichtet ist bzw. wenn ein öffentliches Interesse verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist (BVerfGE 124, 300, 331 – Rudolf-Heß-Gedenkfeier).

Der Zweck des § 217 I StGB besteht nach Auffassung des BVerfG darin, die Selbstbestimmung des Einzelnen über sein Leben und hierdurch das Leben als solches zu schützen (Rn. 227 der Entscheidung). Das ist abzulehnen. Vielmehr besteht der Zweck gerade nicht in dem Schutz der Selbstbestimmung, sondern die Strafnorm schränkt die Selbstbestimmung ein, indem sie die geschäftsmäßige Suizidhilfe unter Strafe stellt. Zweck der Vorschrift ist also vielmehr, das Leben zu schützen, was freilich nichts an der Legitimität der Regelung ändert.
Auch die folgenden Ausführungen des BVerfG sind nicht kohärent. Das BVerfG stellt zwar zutreffend auf die in der Verfassung begründete staatliche Schutzpflicht ab. Dann aber meint es, Art. 1 I S. 2 GG i.V.m. Art. 2 II S. 1 GG verpflichteten den Staat, die Autonomie des Einzelnen bei der Entscheidung über die Beendigung seines Lebens und hierdurch das Leben als solches zu schützen (Rn. 232 der Entscheidung). Das ist widersprüchlich. Entweder muss der Staat die Entscheidungsautonomie schützen (und damit die Entscheidung über den eigenen Tod) oder das Leben, was die Entscheidung über den Tod ausschließt.

Stellt man richtigerweise allein auf die Pflicht des Staates ab, sich schützend vor das Leben zu stellen, hat dieser mit § 217 I StGB einen legitimen Zweck verfolgt, nämlich den Einzelnen vor einer möglicherweise übereilten, unüberlegten, unbegründeten und ggf. im Erwartungsdruck von außen veranlassten Suizidentscheidung zu bewahren. Zutreffend formuliert das BVerfG denn auch, dass die Vorschrift auch insoweit ein legitimes Anliegen verfolge, als sie verhindern wolle, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetze (Rn. 233 der Entscheidung).

   bb.) § 217 I StGB müsste auch geeignet sein. Geeignet ist die gesetzliche Regelung, wenn mit ihrer Hilfe das angestrebte Ziel erreicht bzw. gefördert werden kann (vgl. nur BVerfGE 81, 156, 192 – Verunglimpfung der Nationalhymne; 96, 10, 21 – Räumliche Aufenthaltsbeschränkung); 115, 276, 308 – Sportwetten; 126, 112, 144 – Neuordnung des Rettungsdienstwesens; 134, 204, 226 – Werkverwertungsverträge; 141, 82, 100 – Partnerschaftsgesellschaft; BVerfG NVwZ 2017, 1111, 1123 – Spielhallen; BVerfG NJW 2018, 2109, 2111 – § 40 Ia LFGB; BVerfG NJW 2018, 2542, 2543 f. – Befristung von Arbeitsverträgen); BVerfG NJW 2019, 827, 830 – Automatisierte Kennzeichenerfassung).

Nach Auffassung des BVerfG stellt die Regelung des § 217 I StGB als Strafnorm grundsätzlich ein geeignetes Instrument des Rechtsgüterschutzes dar, weil das strafbewehrte Verbot gefahrträchtiger Handlungsweisen den erstrebten Rechtsgüterschutz zumindest fördern könne (Rn. 260 der Entscheidung). Das ist zutreffend, sofern man den „erstrebten Rechtsgüterschutz“ auf den Lebensschutz, nicht auf die Suizidentscheidung bezieht.

   cc.) Weiterhin müsste § 217 I StGB erforderlich sein. Das wäre der Fall, wenn keine gleich wirksame, aber für den Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastende Regelung zur Erreichung des Ziels zur Verfügung stünde (BVerfG NJW 2018, 2109, 2112 mit Verweis auf BVerfGE 113, 167, 259; 135, 90, 118; vgl. auch BVerfGE 30, 292, 316; 63, 88, 115; 77, 84, 109; 90, 145, 172; 100, 313, 375; 116, 202, 225; 145, 20, 80; BVerfG NJW 2019, 827, 830).

Das BVerfG hat die Frage, ob § 217 I StGB erforderlich ist, um die legitimen Schutzanliegen des Gesetzgebers zu erreichen, offengelassen, da die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben jedenfalls nicht angemessen sei (Rn. 263 der Entscheidung). In einer studentischen Falllösung würde eine solche Vorgehensweise regelmäßig zur Beanstandung führen, da sie nicht methodengerecht ist. Denn sind Regelungen anderen Inhalts denkbar, die weniger intensiv die Grundrechte des Beschwerdeführers beeinträchtigen, jedoch ebenso das Ziel erreichen, ist die angegriffene Regelung gerade nicht erforderlich. Oder anders formuliert: Zu einer Angemessenheitsprüfung der angegriffenen Regelung gelangt man erst, wenn diese zuvor als jedenfalls erforderlich eingestuft wurde. Dies hätte das BVerfG durchaus auch im Rahmen der Erforderlichkeit prüfen können, denn bei Rn. 281 ff. der Entscheidung zeigt es andere in Betracht kommende (freilich nicht durchdringende) Möglichkeiten eines assistierten Suizids auf.

   dd.) Davon unbeschadet müsste § 217 I StGB aber jedenfalls angemessen sein. Angemessen ist die gesetzliche Regelung, wenn der mit ihr verfolgte Zweck in seiner Wertigkeit nicht außer Verhältnis zur Intensität des Eingriffs steht (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) (vgl. nur BVerfG NJW 2019, 1432, 1433 – Parteienfinanzierung; BVerfG NJW 2019, 827, 830 – Automatisierte Kennzeichenerfassung; BVerfG NJW 2019, 584, 585 – E-Mail-Anbieter muss IP-Adressen temporär speichern und den Strafverfolgungsbehörden nennen; BVerfGE 117, 163, 182 f. – Erfolgshonorar; 133, 277, 322 – Antiterrordateigesetz; BVerwG NJW 2018, 2067, 2070 (Dieselfahrverbot). In der vorliegenden Entscheidung verwendet das BVerfG eine abweichende Formulierung, wonach eine Freiheitseinschränkung (nur) dann angemessen sei, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehe (Rn. 265 der Entscheidung). Ein Grund für diese Abweichung ist nicht ersichtlich und steht auch im Widerspruch zum zuvor selbst aufgestellten Prüfungsmaßstab, wonach das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen sei (Rn. 223 der Entscheidung). Ein „vernünftiges Verhältnis“ der widerstreitenden Rechtsgüter spiegelt sicherlich nicht das Erfordernis einer „strikten Verhältnismäßigkeit“ wider. Immerhin betont das BVerfG, dass die Entscheidung des Gesetzgebers einer hohen Kontrolldichte unterliege, wenn schwere Grundrechtseingriffe in Frage stehen. Die existentielle Bedeutung, die der Selbstbestimmung speziell für die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität im Umgang mit dem eigenen Leben zukomme, lege dem Gesetzgeber daher strenge Bindungen bei der normativen Ausgestaltung eines Schutzkonzepts im Zusammenhang mit der Suizidhilfe auf (Rn. 266 der Entscheidung). Das ist richtig, hat aber nichts mit einem „vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen“ zu tun. Ungeachtet dieser unüberlegt erscheinenden, sogar widersprüchlichen Eingangsformulierung ist die folgende Begründung aber sehr dezidiert und inhaltlich sehr überzeugend, wenn das BVerfG formuliert, dass die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Hilfe dazu als Ausdruck der verfassungsrechtlich gebotenen Anerkennung individueller Selbstbestimmung nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers stehe (Rn. 267 der Entscheidung) und der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ein Menschenbild zugrunde liege, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt sei und Ausgangspunkt jedes regulatorischen Ansatzes zu sein habe (Rn. 274 der Entscheidung). Folgerichtig formuliert das BVerfG, dass die staatliche Schutzpflicht zugunsten der Selbstbestimmung und des Lebens erst dort gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang erhalten könne, wo dieser Einflüssen ausgeliefert sei, die die Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährdeten (Rn. 275 der Entscheidung). Zwar dürfe der Gesetzgeber allgemeine Suizidprävention betreiben und insbesondere krankheitsbedingten Selbsttötungswünschen durch Ausbau und Stärkung palliativmedizinischer Behandlungsangebote entgegenwirken. Auch müsse er Faktoren entgegenwirken, die die freie Selbstbestimmung der Sterbewilligen beeinflussen können. Dieser sozialpolitischen Verpflichtung dürfe der Gesetzgeber sich aber nicht dadurch entziehen, dass er das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung außer Kraft setze. Dem Einzelnen müsse die Freiheit verbleiben, auf die Erhaltung des Lebens zielende Angebote auszuschlagen und eine seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz entspringende Entscheidung, das eigene Leben mit Hilfe Dritter zu beenden, umzusetzen. Ein gegen die Autonomie gerichteter Lebensschutz widerspreche dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt der Werteordnung stehe und die sich damit zur Achtung und zum Schutz der freien menschlichen Persönlichkeit als oberstem Wert ihrer Verfassung verpflichte (Rn. 277 der Entscheidung).

Sodann nimmt das BVerfG Bezug zur Strafnorm des § 217 I StGB und stellt fest, dassdas Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötungden genannten verfassungsrechtlich zwingend zu wahrenden Entfaltungsraum autonomer Selbstbestimmung verletze. Die Regelung des § 217 I StGB erkenne die verfassungsrechtlich geforderte Straflosigkeit der Selbsttötung und der Beihilfe hierzu zwar grundsätzlich an, indem sie ausschließlich die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung als vom Gesetzgeber besonders autonomiegefährdend eingestuftes Phänomen einer Strafandrohung unterstelle (hier folgt der Verweis auf BT-Drs. 18/5373, S. 2). Das Verbot führe aber dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert sei, weil die fortbestehende Straffreiheit nicht geschäftsmäßiger Suizidhilfe, der gesetzliche Ausbau von Angeboten der Palliativmedizin und des Hospizdienstes und die Verfügbarkeit von Suizidhilfeangeboten im Ausland nicht geeignet seien, die vom Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ausgehende Einschränkung grundrechtlicher Freiheit auszugleichen. Der Einzelne könne auf die Inanspruchnahme dieser Alternativen nicht ohne Verletzung seines Selbstbestimmungsrechts verwiesen werden (Rn. 278 der Entscheidung).

In der Folge zeigt das BVerfG andere in Betracht kommende (freilich nicht durchdringende) Möglichkeiten eines assistierten Suizids auf (die bei schulmäßig angewendeter Rechtsmethodik und auch in Übereinstimmung mit den sonstigen Prüfungsgrundsätzen des BVerfG korrekterweise bei der Erforderlichkeit hätten geprüft werden sollen). Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe sei der Einzelne maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken. Von einer solchen individuellen ärztlichen Bereitschaft werde man bei realistischer Betrachtungsweise nur im Ausnahmefall ausgehen können. Ärzte zeigten bislang eine geringe Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, und könnten hierzu auch nicht verpflichtet werden; aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leite sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab. Zudem setze das ärztliche Berufsrecht der Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, weitere Grenzen. Die in den Berufsordnungen der meisten Landesärztekammern festgeschriebenen berufsrechtlichen Verbote ärztlicher Suizidhilfe unterstellten die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur geografischen Zufälligkeiten, sondern wirkten zumindest faktisch handlungsleitend. Der Zugang zu Möglichkeiten der assistierten Selbsttötung dürfe aber nicht davon abhängen, dass Ärzte sich bereit zeigten, ihr Handeln nicht am geschriebenen Recht auszurichten, sondern sich unter Berufung auf ihre eigene verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit eigenmächtig darüber hinwegzusetzen. Solange diese Situation fortbestehe, schaffe sie einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe. Auch Verbesserungen der palliativmedizinischen Patientenversorgung seien ebenso wenig geeignet, eine unverhältnismäßige Beschränkung der individuellen Selbstbestimmung auszugleichen. Sie mögen bestehende Defizite beseitigen und hierdurch geeignet sein, die Zahl darauf zurückzuführender Sterbewünsche todkranker Menschen zu reduzieren. Sie seien aber kein Korrektiv zur Beschränkung in freier Selbstbestimmung gefasster Selbsttötungsentschlüsse. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme palliativmedizinischer Behandlung bestehe nicht. Die Entscheidung für die Beendigung des eigenen Lebens umfasse zugleich die Entscheidung gegen bestehende Alternativen und sei auch insoweit als Akt autonomer Selbstbestimmung zu akzeptieren.

Schließlich weist das BVerfG darauf hin, dass die Möglichkeit, Sterbehilfe im Ausland zu suchen, kein Argument für die Verfassungskonformität sein kann. Die staatliche Gemeinschaft dürfe den Einzelnen nicht auf die Möglichkeit verweisen, im Ausland Angebote der Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Der Staat müsse den erforderlichen Grundrechtsschutz gem. Art. 1 III GG innerhalb der eigenen Rechtsordnung gewährleisten (Rn. 300 der Entscheidung).

3. Vereinbarkeit des § 217 I StGB und der bisherigen Ergebnisse mit Art. 8 I EMRK
Der als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehenden Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) formulierten grundlegenden konventionsrechtlichen Wertungen wird das BVerfG dadurch gerecht, dass es schließlich prüft, ob sein bislang erarbeitetes Ergebnis dem Maßstab des Art. 8 I EMRK, wonach jede Person das Recht u.a. auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens hat, standhält (Rn. 304 der Entscheidung). Nach der Rechtsprechung des EGMR folge aus Art. 8 I EMRK das Recht, sein Leben selbstbestimmt nach individuellen Vorstellungen zu führen (hier erfolgt der Verweis auf EGMR, Urt. v. 29.4.2002, Nr. 2346/02, § 61). Des Weiteren habe der EGMR entschieden,dass das Recht des Einzelnen, darüber zu entscheiden, wie und wann er sein Leben beenden möchte, einen Aspekt des Rechts auf Achtung seines Privatlebens nach Art. 8 EMRK darstelle, solange nur der Betroffene einen freien Willen bilden und danach handeln könne (hier erfolgt der Verweis auf  EGMR, Urt. v. 20.1.2011, Nr. 31322/07, § 51).

Ist danach der Schutzbereich des Art. 8 I EMRK eröffnet, prüft das BVerfG, ob die durch das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung des Suizids vorgenommene Beschränkung des Schutzbereichs vom Schrankenvorbehalt des Art. 8 II EMRK gedeckt ist. Denn danach „darf eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“. Das BVerfG verweist wiederum auf die Rechtsprechung des EGMR (Rn. 305 der Entscheidung). Dieser habe anerkannt, dass sich Einschränkungen nach Art. 8 II EMRK aus Gründen des Lebensschutzes Dritter ergeben können. Bei der Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen einerseits und der aus Art. 2 EMRK abgeleiteten Schutzpflicht des Staates für das Leben andererseits billige er den Vertragsstaaten in diesem sensiblen Bereich indes einen erheblichen Einschätzungs- und Ermessensspielraum zu (hier erfolgt der Verweis auf EGMR, Urt. v. 29.4.2002, Nr. 2346/02, §§ 70 f.; Urt. v. 20.1.2011, Nr. 31322/07, §§ 53, 55; Urt. v. 19.7.2012, Nr. 497/09, § 70). Danach sei es in erster Linie Aufgabe der Vertragsstaaten, die von einer Suizidhilfe ausgehenden Risiken und Missbrauchsgefahren zu bewerten (hier erfolgt wieder ein Verweis auf EGMR, Urt. v. 29.4.2002, Nr. 2346/02, § 74). Wähle ein Land eine liberale Regelung, seien geeignete Maßnahmen zur Umsetzung und zur Prävention erforderlich, die auch Missbrauch zu verhindern hätten (hier erfolgt ein Verweis auf EGMR, Urt. v. 20.1.2011, Nr. 31322/07, § 57). Werde die Entscheidung, sich selbst zu töten, nicht freien Willens und nicht bei vollem Verständnis der Umstände getroffen, verpflichte Art. 2 EMRK die staatlichen Behörden, die Selbsttötung zu verhindern. Das in Art. 2 EMRK garantierte Recht auf Leben verpflichte die Staaten, vulnerable Personen – auch gegen selbstgefährdende Handlungen – zu schützen und ein Verfahren zu etablieren, welches gewährleiste, dass die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, tatsächlich dem freien Willen des Betroffenen entspricht (hier erfolgt der Verweis auf EGMR, Urt. v. 20.1.2011, Nr. 31322/07, §§ 54, 58). Jedoch betone der EGMR aber auch, dass das Recht, selbst zu bestimmen, wann und auf welche Art das eigene Leben enden soll, nicht nur theoretisch oder scheinbar bestehen dürfe (hier erfolgt der Verweis auf EGMR, Urt. v. 20.1.2011, Nr. 31322/07, §§ 59 f.).

Eine Subsumtion seiner zu Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG erarbeiteten Ergebnisse unter diese vom EGMR aufgestellten Grundsätze nimmt das BVerfG nicht vor; allerdings dürfte klar geworden sein, dass die freiverantwortliche Entscheidung über den eigenen Tod vom Schutz des Art. 8 I EMRK umfasst ist und unter den Voraussetzungen des Art. 8 II EMRK (i.V.m. Art. 2 I EMRK) nur eingeschränkt werden kann, wenn die Entscheidung, sich selbst zu töten, nicht freien Willens und nicht bei vollem Verständnis der Umstände getroffen wird.

Aufbautechnisch sei angemerkt, dass das BVerfG die Vereinbarkeit des Verbots geschäftsmäßiger Sterbehilfe am Maßstab des Art. 8 I EMRK also nicht eigenständig prüft, sondern bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes die Wertungen der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe einfließen lässt, was rechtsmethodisch nicht zu beanstanden ist und vom Verfasser daher unter Punkt A. behandelt wurde.    

B. Vereinbarkeit mit Art. 12 I GG auf Seiten der assistierenden Ärzte und der beratenden Anwälte
Hinsichtlich der in Betracht kommenden Verletzung der Berufsfreiheit auf Seiten der assistierenden Ärzte und beratenden Anwälte deutscher Staatsangehörigkeit geht das BVerfG ohne Weiteres von der Eröffnung des Schutzbereichs aus, indem es in der geschäftsmäßig gewährten, verschafften oder vermittelten Gelegenheit zur Selbsttötung eine auf Dauer angelegte und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit sieht (Rn. 310 der Entscheidung mit Verweis auf BVerfGE 7, 377, 397; 54, 301, 313; 102, 197, 212; 110, 304, 321; 126, 112, 136). In begrüßenswerter Weise stellt das BVerfG nunmehr klar, dass ein einfachgesetzliches Verbot (wie § 217 I StGB) nicht in der Lage ist, den verfassungsrechtlichen Berufsbegriff zu definieren (Rn. 311 der Entscheidung). Denn in einigen Entscheidungen hatte das Gericht den Begriff des Berufs durch das einschränkende Merkmal der erlaubten Betätigung eingeengt (vgl. BVerfGE 7, 377, 397; 81, 70, 85; 102, 197, 213), was vom Verfasser schon immer kritisiert wurde mit dem Argument, dass es dadurch der einfache Gesetzgeber in der Hand habe, durch ein entsprechendes Verbotsgesetz den verfassungsrechtlichen Begriff des Berufs zu definieren und bestimmte Tätigkeiten einfach aus dem Schutzbereich von Art. 12 I GG auszuschließen. Denn Folge wäre, dass „einfachgesetzlich verbotene Tätigkeiten“ dem Maßstab von Art. 12 I GG entzogen würden, was methodisch – trotz des Umstands, dass Art. 12 I GG unter einem Regelungsvorbehalt (dazu R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 765) steht – nicht überzeugt, weil Beschränkungen eines grundrechtlichen Schutzbereichs nur durch Verfassungsinterpretation vorgenommen werden können (R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 771).

Auch greift laut BVerfG die Regelung des § 217 I StGB in die Berufsfreiheit von Ärzten und Rechtsanwälten mit deutscher Staatsangehörigkeit jedenfalls insoweit ein, als sie ihnen unter Strafandrohung untersagt, im Rahmen ihrer ärztlichen oder anwaltlichen Berufsausübung geschäftsmäßig Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln.

Eine Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung findet im BVerfG-Urteil praktisch nicht statt. Das BVerfG geht in Rn. 331 der Entscheidung vielmehr davon aus, dass die zu Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG erarbeiteten Ergebnisse übertragbar sind. So heißt es in Rn. 331 der Entscheidung, das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verstoße aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von selbstbestimmt zur Selbsttötung entschlossenen Personen gegen objektives Verfassungsrecht und sei infolgedessen auch gegenüber den unmittelbaren Normadressaten nichtig. Die als Ausprägung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben grundrechtlich geschützte Freiheit des Einzelnen, sich selbst mit Unterstützung und in Begleitung von zur Hilfe bereiten Dritten das Leben zu nehmen, stehe in inhaltlicher Abhängigkeit zu dem grundrechtlichen Schutz der Suizidhilfe. Die Entscheidung zur Selbsttötung sei in ihrer Umsetzung nicht nur in tatsächlicher Hinsicht davon abhängig, dass Dritte bereit sind, Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln. Die Dritten müssten ihre Bereitschaft zur Suizidhilfe auch rechtlich umsetzen dürfen. Anderenfalls liefe das Recht des Einzelnen auf Selbsttötung faktisch leer. In Fällen derartiger rechtlicher Abhängigkeit stünden die Handlungsweisen der Beteiligten in einem funktionalen Zusammenhang. Der grundrechtliche Schutz des Handelns des einen sei Voraussetzung für die Ausübung eines Grundrechts durch den anderen (hier erfolgt der Verweis auf Kloepfer, in: Festschrift für Klaus Stern, 2012, S. 405, 413 ff.). Erst dadurch, dass zwei Personen Grundrechte in einer auf ein gemeinsames Ziel gerichteten Weise ausüben könnten, hier die Umsetzung des Wunsches nach assistierter Selbsttötung, werde der verfassungsrechtliche Schutz auf selbstbestimmtes Sterben wirksam. Der Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung korrespondiere daher auch ein entsprechend weitreichender grundrechtlicher Schutz des Handelns des Suizidassistenten.

Bewertung: Das mag zwar vorliegend im Ergebnis stimmen, da aber Art. 12 I GG grundrechtsspezifische Anforderungen an die Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung stellt, würde man in einer studentischen Fallbearbeitung bzw. Themenarbeit eine separate Prüfung am Maßstab des Art. 12 I GG vornehmen müssen. V.a. aber würde es wohl zur Beanstandung führen, wenn man schlicht formulierte, dass § 217 I StGB aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von selbstbestimmt zur Selbsttötung entschlossenen Personen gegen objektives Verfassungsrecht verstoße und daher auch mit Art. 12 I GG unvereinbar wäre. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Verfassungsprinzip sich ergeben könnte, das Abwehrrecht des Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG sei „objektives Verfassungsrecht“. Denn als objektives Verfassungsrecht werden Staatsziele, Staatsorganisationsstrukturen (Kompetenzordnung; Verfahrensregelungen; Finanzverfassung, Wehrverfassung etc.) bezeichnet, nicht aber Grundrechte, auch nicht, wenn man ihnen eine objektive Wertordnung entnimmt. 

C. Vereinbarkeit mit Art. 9 I GG auf Seiten der Sterbehilfevereine
Hinsichtlich der in Betracht kommenden Verletzung der Vereinigungsfreiheit auf Seiten der ein öffentliches Suizidhilfeangebot bereitstellenden Sterbehilfevereine geht das BVerfG zunächst davon aus, dass Art. 9 I GG auch ein kollektives Freiheitsrecht enthält (Grundrechtsträger sind dann also nicht nur die Mitglieder, sondern auch die Vereinigung selbst – sog. Lehre vom „Doppelgrundrecht“). Inhaltlich garantiert es umfassend die Existenz und die Funktionsfähigkeit der Vereinigung, die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren der Willensbildung und die Führung der Geschäfte (BVerfG NVwZ 2003, 855 – Schießsportverein; BVerfGE 50, 290, 354 – Mitbestimmung).
Einschränkend ist jedoch zu beachten, dass sich die Vereinigung jedenfalls dann nicht auf Art. 9 I GG berufen kann, wenn sich die Tätigkeit außerhalb des vereinsspezifischen Bereichs bewegt. Das BVerfG geht sogar noch weiter. Entgegen dem sonst von ihm vertretenen Standpunkt, grundrechtliche Schutzbereiche grundsätzlich weit auszulegen („in dubio pro libertate“ – dazu R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 118), verneint es hinsichtlich der kollektiven Vereinigungsfreiheit eine allgemeine Handlungs- oder Zweckverfolgungsfreiheit (Rn. 326 der Entscheidung). Bei Verneinung des Art. 9 I GG ist die Vereinigung aber immerhin durch das betätigungsspezifische Grundrecht geschützt, allerdings nur, soweit es auf Personenmehrheiten anwendbar ist (Art. 19 III GG).

Ob aber das BVerfG bei Sterbehilfevereinen letztlich den Schutzbereich des Art. 9 I GG verneint mit dem Argument, Art. 9 I GG schütze hinsichtlich der kollektiven Vereinigungsfreiheit keine allgemeine Handlungs- oder Zweckverfolgungsfreiheit (Rn. 326 der Entscheidung), ist unklar, da eine Subsumtion ausbleibt. Jedenfalls aber setzt das BVerfG seine Prüfung am Maßstab des Art. 9 II GG fort, was auf eine Eröffnung des Schutzbereichs schließen lässt. Aber auch dies lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, da das BVerfG in Bezug auf Sterbehilfevereine, die von der Strafnorm des § 217 I StGB betroffen waren, meint, dass das materielle Unwerturteil über strafrechtswidrige Zwecke verfolgende Vereinigungen aus Art. 9 II GG selbst folge und verfassungsunmittelbar wirke (Rn. 328 der Entscheidung). Das wird man als Hinweis auf eine verfassungsunmittelbare bzw. grundrechtsimmanente Grundrechtsschranke verstehen müssen, zumal das BVerfG formuliert, die Umsetzung des materiellen Unwerturteils setze lediglich die Existenz von Strafgesetzen voraus und die Ausgestaltung eines Vereinsverbots sei dem Gesetzgeber überantwortet, der die Grenzen der Schranke des Art. 9 II GG nicht ausdehnen dürfe (Rn. 328 der Entscheidung mit Verweis auf BVerfGE 80, 244, 254). Ist Aufgabe des Gesetzgebers also lediglich die Ausgestaltung eines Vereinsverbots, heißt das letztlich, dass das Verbot bei Verwirklichung eines Strafgesetzes (dazu R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 691) ipso jure eintritt und lediglich festgestellt werden muss. Für die Annahme einer verfassungsunmittelbaren bzw. grundrechtsimmanenten Grundrechtsschranke spricht schließlich der Umstand, dass das BVerfG von „Vereinsverbot nach Art. 9 II GG i.V.m. § 3 VereinsG“ (Rn. 327 der Entscheidung) spricht. Damit qualifiziert es Art. 9 II GG wohl als Eingriffsgrundlage und sieht die Vorschrift nicht als (bloßen) Gesetzesvorbehalt. Das ergibt sich auch aus einem Vergleich mit Art. 8 GG, dessen Abs. 2 unstreitig einen Gesetzesvorbehalt darstellt und der daher auch nicht vom BVerfG „i.V.“ mit bspw. § 15 I VersG genannt wird. Gleichgültig, welchen Standpunkt man aber letztlich vertritt, bedarf es im Fall einer Freiheitsverkürzung einer das Verbot ausgestaltenden formell-gesetzlichen Grundlage. Gerade aber eine auf Art. 9 I GG bezogene Freiheitsverkürzung scheint das BVerfG dann doch abzulehnen, indem es schließlich meint, die beschwerdeführenden deutschen Vereine seien in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) betroffen (und verletzt), da sie gezwungen (gewesen) seien, ihre auf Erbringung oder Vermittlung von Suizidhilfe gerichteten Aktivitäten (vorläufig) einzustellen, um nicht mit den Maßgaben des § 217 I StGB in Konflikt zu treten.

Bewertung: Das hätte man auch einfacher haben können, indem man schlicht den Schutzbereich des Art. 9 I GG verneint hätte mit dem Argument, dieses Grundrecht garantiere zwar umfassend die Existenz und die Funktionsfähigkeit der Vereinigung, die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren der Willensbildung und die Führung der Geschäfte, nicht aber eine allgemeine Handlungs- oder Zweckverfolgungsfreiheit (Rn. 326 der Entscheidung), um die es vorliegend lediglich gehe.

D. Schlussbetrachtung
Das Urteil weist einige rechtsmethodische Schwächen auf: So stellt das BVerfG bei der Prüfung am Maßstab des Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG zunächst einen strengen Prüfungsmaßstab auf, indem es formuliert: „Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen“, lässt es dann aber genügen, wenn das grundrechtseinschränkende Gesetz „geeignet und erforderlich ist, um die von ihm verfolgten legitimen Zwecke zu erreichen, und die Einschränkungen des jeweiligen grundrechtlichen Freiheitsraums hierzu in angemessenem Verhältnis stehen“ (Rn. 223 der Entscheidung). Wenn es zudem sodann dem Gesetzgeber einen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsraum zuspricht (Rn. 224 der Entscheidung), stellt sich die Frage, worin dann der „Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit“ bestehen soll. „Strikte Verhältnismäßigkeit“ auf der einen Seite und „angemessenes Verhältnis“ sowie „Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsraum“ auf der anderen Seite passen nicht zueinander. Auf diese Weise wird der Prüfungsmaßstab verwässert. Auch überzeugt die Formulierung, dass § 217 I StGB aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von selbstbestimmt zur Selbsttötung entschlossenen Personen gegen objektives Verfassungsrecht verstoße, nicht, wenn das „objektive Verfassungsrecht“, gegen das verstoßen worden sein soll, nicht benannt wird. Schließlich ist die Prüfung am Maßstab des Art. 9 I GG verworren und unklar, weil sie grundrechtsdogmatische Fragen bzgl. des Art. 9 II GG aufwirft, jedoch nicht beantwortet, keine Subsumtionen durchführt, dann aber im Ergebnis schlicht auf Art. 2 I GG abstellt.

Die Entscheidung bedeutet zudem nicht, dass der assistierte Suizid nunmehr schrankenlos möglich wäre. Sie bedeutet zunächst (nur), dass § 217 I StGB (in der gegenwärtigen Fassung) verfassungswidrig und nichtig ist. Der assistierte Suizid ist rechtlich also jenseits des (für nichtig erklärten) § 217 I StGB zu behandeln. Gleichwohl dürfte das vom BVerfG stark betonte Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG eine andere rechtliche Betrachtung erforderlich machen, als dies vor Inkrafttreten des § 217 StGB der Fall war. Auch wird der paternalistische Staat bei einer zu erwartenden Neuregelung des § 217 I StGB dem Selbstbestimmungsrecht eine stärkere Bedeutung beimessen müssen.

Freilich nützen die gesetzgeberischen Erleichterungen den Sterbewilligen in der Praxis nichts, wenn ihnen aus berufsrechtlichen Gründen keine ärztliche Suizidhilfe angeboten wird. Sollten die Landesärztekammern an ihrer restriktiven Haltung festhalten und den kammerangehörigen Ärzten bei Zuwiderhandlungen/Verstößen gegen die standesrechtlichen Regeln und Grundsätze mit berufsrechtlichen Sanktionen bis hin zur Entziehung der Approbation drohen, dürfte Sterbewilligen auch künftig ärztlich assistierte Sterbehilfe regelmäßig nicht zur Verfügung stehen, zumal auch die Entscheidung des BVerfG ja kein Recht auf assistierten Suizid gewährt, sondern lediglich das Verbot aufgehoben hat. Lediglich Sterbehilfevereine dürften durch die BVerfG-Entscheidung „Aufwind“ erhalten haben und dürfen ihre Tätigkeit nunmehr (freilich lediglich im Rahmen strafloser Beihilfe zu einem eigenverantwortlichen Suizid) fortsetzen.       

Rolf Schmidt (27.02.2020)



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