Aktuelles 2020 Gutglaeubiger Erwerb einer unterschlagenen Sache vom Nichtberechtigten

Beiträge 2020


21.10.2020: Gutgläubiger Erwerb einer unterschlagenen Sache vom Nichtberechtigten


BGH, Urt. v. 18.09.2020 – V ZR 8/19
 

Mit Urteil v. 18.09.2020 (V ZR 8/19) hat der BGH entschieden, dass die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine gewisse Dauer (hier eine Stunde) keine Besitzlockerung sei, sondern zu einem freiwilligen Besitzverlust führe, der gem. § 932 I BGB einen gutgläubigen Erwerb durch einen Dritten ermögliche und kein Abhandenkommen i.S.d. § 935 I BGB begründe, das einen gutgläubigen Erwerb ausschließe. Ob die Entscheidung überzeugt, soll im Folgenden – anhand einer systematischen und methodisch geordneten Aufbereitung – untersucht werden
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I. Sachverhalt (leicht verändert)

Unter Vorlage eines gefälschten Personalausweises und eines gefälschten Führerscheins bekundete T im Autohaus des A Kaufinteresse an einem bisher als Vorführwagen genutzten Pkw der Oberklasse. Auf diese Weise erschlich er sich eine Probefahrt, von der er aber nicht zu A zurückkehrte.

Ein paar Wochen später inserierte T den Wagen in einem Internet-Verkaufsportal. O, einem Interessenten, mit dem sich T in der Innenstadt am Bahnhof traf, legte T gefälschte (auf seinen Namen ausgestellte) Fahrzeugpapiere, den seinerzeit von A erhaltenen Originalschlüssel sowie einen als Zweitschlüssel ausgegebenen anderen (jedoch nicht funktionierenden) Schlüssel vor. Die gefälschten Fahrzeugpapiere waren für O als solche nicht erkennbar, da die Blanko-Dokumente aus einem Einbruchdiebstahl bei einer Kfz-Zulassungs­stelle stammten. O, der keinerlei Anlass sah, an der Eigentümerstellung des T und der Echtheit der Papiere zu zweifeln, kaufte daraufhin das Fahrzeug zu einem Preis von rund 44.000 €. Als O den Wagen am nächsten Tag bei der Zulassungsstelle auf seinen Namen umschreiben lassen wollte, verweigerte diese dies, da der Wagen von A als gestohlen gemeldet worden war. Der Geschäftsführer von A verlangt daraufhin von O die Herausgabe des Fahrzeugs.


II. Rechtliche Ausgangslage

Das Eigentum an Sachen kann einerseits durch Rechtsgeschäft und andererseits durch Gesetz erworben werden. Der rechtsgeschäftliche Erwerb ist für Immobilien in §§ 873, 925 BGB und für bewegliche Sachen in §§ 929 ff. BGB geregelt. Ein gesetzlicher Eigentumserwerb findet sich für Immobilien bspw. in § 900 BGB (Buchersitzung) und für Mobilien bspw. in § 937 BGB (Ersitzung) oder § 946 BGB (Verbindung). Der gesetzliche Eigentumserwerb wegen eines Erbfalls richtet sich nach § 1922 BGB. Im vorliegenden Zusammenhang ist allein der rechtsgeschäftliche Eigentumserwerb bzgl. beweglicher Sachen von Relevanz.


In §§ 929-931 BGB ist zunächst der Erwerb vom Berechtigten normiert. Dabei erfolgt die Prüfung nach folgendem Grundschema: Erforderlich sind eine dingliche Einigung, jedenfalls grundsätzlich ein Publizitätsakt und schließlich die Berechtigung und die Verfügungsbefugnis des Veräußerers. Der Publizitätsakt besteht nach der Grundnorm des § 929 S. 1 BGB in der Übergabe der Sache. Die Übergabe kann aber u.U. entbehrlich sein (§ 929 S. 2 BGB) oder durch ein Übergabesurrogat ersetzt werden (§§ 930, 931 BGB). Das in § 929 S. 1 BGB genannte Erfordernis der Einigung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus, die auf die Eigentumsübertragung gerichtet sind. Die Einigung ist damit als dinglicher Vertrag anzusehen. Der für eine Verfügung grundsätzlich erforderliche Publizitätsakt wird von § 929 S. 1 BGB durch die Notwendigkeit einer Übergabe angeordnet. Mit „Übergabe“ ist der Besitzübergang vom Veräußerer auf den Erwerber gemeint; der Veräußerer muss dazu jeglichen Besitz auf­geben (klarstellend BGH NJW 2013, 3525, 3526). Eine Regelung über die Berechtigung und die Verfügungsbefugnis des Veräußerers wird dagegen in § 929 S. 1 BGB nicht ausdrücklich getroffen. Dieses Erfordernis folgt vielmehr aus der Natur der Sache, namentlich daraus, dass niemand über mehr Rechtsmacht verfügen kann, als ihm zusteht (Ausnahmen: Einwilligung/Ermächtigung bzw. Genehmigung des Berechtigten oder Gutglaubenserwerb). Zudem wird in tatbestandlicher Abgrenzung zu § 932 BGB deutlich, dass § 929 S. 1 BGB von einer Berechtigung (bzw. Eigentümerstellung) des Veräußerers ausgeht.


Verfügt jemand über ein dingliches Recht, ohne dessen Inhaber zu sein, besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, dass die Verfügung dennoch wirksam ist. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn er kraft Gesetzes (vgl. z.B. §§ 2205 BGB, 80 I InsO) oder kraft eines Rechtsgeschäfts mit dem Rechtsinhaber (§ 185 BGB) zur Veräußerung ermächtigt ist. Liegt keiner dieser Fälle vor, kann eine wirksame Verfügung darüber hinaus in Gestalt eines Gutglaubenserwerbs vorliegen. Die Tatbestände für einen gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten sind in §§ 932 ff. BGB kodifiziert. Diese Vorschriften ermöglichen einen Rechtserwerb vom Nicht­eigentümer/Nichtberechtigten und zielen darauf ab, den Rechtsverkehr mit beweglichen Sachen zu erleichtern und rechtssicher zu gestalten (BGHZ 122, 180, 197), mithin einen Verkehrsschutz zu gewährleisten. Es mag zwar dem (Alt-)Eigentümer unbillig erscheinen, dass er aufgrund der Verfügung eines anderen sein Eigentum verliert. Jedoch darf man auch nicht die Interessen des gutgläubigen Er­werbers unberücksichtigt lassen. Man möge sich in die Situation versetzen, dass man im guten Glauben eine Sache von einem unbekannten Händler im Internet kauft und be­zahlt und anschließend vom (Alt-)Eigentümer auf Herausgabe in Anspruch genommen wird. Müsste hier der Erwerber die Sache herausgeben, wäre dies aus seiner Sicht ebenso un­billig, auch wenn er ggf. Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche gegen den Veräußerer hätte. Daher musste der Gesetzgeber eine Entscheidung treffen, wen er letztlich in Bezug auf die Eigentümerstellung als schutzwürdiger ansieht. Dabei hat er wie folgt differenziert: Hat der (bis­herige) Eigentümer den Besitz an der Sache zuvor freiwillig aufgegeben, ist er weniger schutzwürdig, als wenn ihm die Sache unfreiwillig abhandengekommen wäre.


So ist gem. § 932 I BGB ein gutgläubiger Erwerb die Regel, wenn der Eigentümer den Besitz freiwillig aufgibt (etwa im Zuge eines Miet- oder Leihvertrags) und der Besitzer dann unberechtigt die Sache an einen Dritten veräußert, der gutgläubig davon ausging, der Veräußerer sei Eigentümer. Unter welchen Voraussetzungen die Gutgläubigkeit angekommen werden kann, regelt § 932 II BGB: „Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.“ Diese Negativformulierung trifft eine Beweislastzuordnung: Wer sich auf einen gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Voraussetzungen des Erwerbstatbestands (wie die des § 929 BGB) beweisen. Bestreitet dann der (Alt-)Eigentümer den Eigentumserwerb, muss dieser beweisen, dass der Erwerber nicht in gutem Glauben war. 

 

Beispiel: Adelheid (A) leiht sich von ihrer Freundin Brunhilde (B) deren Mountainbike, um ins Kino zu fahren. Auf dem Nachhauseweg begegnet sie der redlichen Neele (N), der sie unter Vorspiegelung, Eigentümerin des Fahrrads zu sein, das Fahrrad für (angemessene) 100,- € verkauft und übergibt. B verlangt von N die Herausgabe des Fahrrades.

 

Herausgabeanspruch gem. § 985 BGB?

Der geltend gemachte Herausgabeanspruch könnte sich aus § 985 BGB ergeben. Danach kann der Eigentümer vom Besitzer die Herausgabe verlangen (wobei gem. § 986 BGB der Besitzer die Herausgabe verweigern kann, wenn er – etwa aus einem Miet- oder Leihvertrag – ein Recht zum Besitz hat).

 

Ursprünglich war B Eigentümerin des Fahrrades. Zu prüfen ist aber, ob sie zwischenzeitlich das Eigentum verloren hat.

 

Jedenfalls hat B nicht  in Folge des Leihvertrags  (§ 598 BGB) Eigentum (zunächst an A) verloren. Zum einen ist ein Leihvertrag nur auf Besitzübertragung (und nicht auch auf Eigentumsübertragung) gerichtet und zum anderen fand in diesem Zusammenhang auch keine Übereignung (an A) statt. 

 

Möglicherweise hat B aber Eigentum aufgrund des Verhaltens A ggü N verloren:

- Eigentumsverlust gem. § 929 S. 1 BGB? (-), da A weder Eigentümerin noch sonst berechtigt; sie hatte das Fahrrad lediglich geliehen (§ 598 BGB) und war von B auch nicht zur Veräußerung ermächtigt worden (§ 185 I BGB).

- Eigentumsverlust gem. § 932 I BGB? (+), da N gutgläubig (siehe § 1006 I S. 1 BGB; ein krasses Missverhältnis zwischen Wert und Preis, das gem. § 932 II BGB den guten Glauben hätte erschüttern können, ist nicht erkennbar).

- Auch kein Abhandenkommen i.S.d. § 935 I BGB.

 

B ist also nicht mehr Eigentümerin; sie hat keinen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB.

 

Herausgabeanspruch gem. § 812 I S. 1 Var. 1 BGB bzw. § 812 I S. 2 Var. 1 BGB?

(-), da B nicht an N geleistet hat. Ein grds. denkbarer Herausgabeanspruch aus § 812 I S. 1 Var. 2 BGB  (allg. Nichtleistungskondiktion: Bereicherung „auf sonstige Weise“) scheidet wegen Subsidiarität aus. Denn ließe man § 812 I S. 1 Var. 2 BGB zu, nivellierte man den gutgläubigen Erwerbstatbestand bei N.  

 

Herausgabeanspruch gem. § 822 BGB?

(-), da A der N das Fahrrad nicht unentgeltlich zugewendet hat.

 

Herausgabeanspruch gem. § 604 IV BGB?

Vordergründig denkbar, da es auf die Berechtigung zur Überlassung nicht ankommt und A zudem das Mountainbike weitergegeben hat. Allerdings spricht § 604 IV BGB von „Gebrauchsüberlassung“ und meint damit nur eine Besitzüberlassung. Wie geprüft, ist N aber Eigentümerin geworden gem. §§ 929 S. 1, 932 I BGB.

 

Ergebnis

B kann das Fahrrad von N weder vindizieren noch kondizieren.


Demgegenüber scheidet gem. § 935 I BGB ein gutgläubiger Erwerb aus, wenn die Sache abhandengekommen ist. Das ist der Fall, wenn der Eigentümer (oder – wie sich aus § 935 I S. 2 BGB ergibt – sein Besitzmittler) den unmittelbaren Besitz ohne – nicht notwendig gegen – seinen Willen verloren hat.


Beispiel: Adelheid hat sich von ihrer Freundin Brunhilde das Mountainbike nicht geliehen, sondern von ihr gestohlen, bevor sie es der redlichen Neele unter Vorspiegelung, Eigentümerin des Fahrrads zu sein, für 100,- € verkauft und übergibt. 

 

Hier konnte N trotz ihrer Gutgläubigkeit kein Eigentum am Fahrrad erwerben (§§ 929 S. 1, 932 I, 935 I BGB). B kann das Fahrrad also bei N vindizieren (§ 985 BGB).


Weiterführender Hinweis: Sollte das Fahrrad inzwischen aber beschädigt oder nicht mehr auffindbar sein, macht der Vindikationsanspruch regelmäßig keinen Sinn. Das Gleiche gilt, wenn B eher Interesse an den 100,- € hat (etwa, weil das Fahrrad einen geringeren Wert hat). In Fällen dieser Art ist ihr zu empfehlen, das Geschäft zwischen A und N zu genehmigen (§ 185 II S. 1 BGB). Die Genehmigung hat zur Folge, dass die Verfügung der A wirksam wird und diese den Verkaufserlös gem. § 816 I S. 1 BGB an B herausgeben muss. Da eine Genehmigung auch konkludent erfolgen kann, genügt die schlichte Aufforderung gegenüber A, das Geld herauszugeben. Selbstverständlich ist A der B auch in diesem Fall zum Schadensersatz (deliktisch aus § 823 I BGB, aus § 823 II BGB i.V.m. § 242 StGB und aus § 826 BGB; sachenrechtlich aus §§ 989, 990 BGB) und nach § 687 II BGB (Geschäftsanmaßung) verpflichtet.

Im Verhältnis zu N ist jedoch zu beachten, dass B durch die Genehmigung selbstverständlich den Vindikationsanspruch aus § 985 BGB verliert.


Wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, ist trotz des Glaubens, der Veräußerer sei Eigentümer (bzw. zur Veräußerung berechtigt), gem. § 935 I BGB ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen, wenn die Sache „abhandengekommen" war. Im Sinne des § 935 I BGB ist eine Sache abhandengekommen, wenn der Eigentümer (oder – wie sich aus § 935 I S. 2 BGB ergibt – sein Besitzmittler) den unmittelbaren Besitz ohne – nicht notwendig gegen – seinen Willen verloren hat. Wer Besitzmittler ist, ist in § 868 BGB geregelt: „Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnis, vermöge dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist, so ist auch der andere Besitzer“. Nach dieser Legaldefinition zum mittelbaren Besitz ist der mittelbare Besitzer also derjenige, der die tatsächliche Gewalt durch einen unmittelbaren Besitzer – den Besitzmittler – für sich ausüben lässt. Dabei handelt es sich wie beim unmittelbaren Besitz ebenfalls um eine tatsächliche Herrschaftsbeziehung einer Person zu einer Sache, die allerdings nicht direkt, sondern durch einen Dritten vermittelt wird.

 

Beispiel: Vermietet V eine Wohnung an M, ist M der unmittelbare Fremdbesitzer und mittelt V den Besitz, der dadurch zum mittelbaren Eigenbesitzer wird. M ist also Besitzmittler; er vermittelt V den Besitz (Wellenhofer, SachenR, § 4 Rn. 20).


Ist also ein Besitzmittler „dazwischengeschaltet“, kommt es bei der Frage nach dem Abhandenkommen i.S.d. § 935 I BGB auf dessen Willen an. Handelt es sich bei der „dazwischengeschalteten“ Person lediglich um einen Besitzdiener, ist hingegen auf den Willen des „Besitzherrn“ abzustellen. Denn nach § 855 BGB ist im Fall, dass jemand die tatsächliche Gewalt als Besitzdiener i.S.d. § 855 BGB für einen anderen ausübt, nur der andere (d.h. der „Besitzherr“) Besitzer. Bei der Frage nach dem „Abhandenkommen“ ist bei Besitzdienerschaft also auf den Willen des „Besitzherrn“ abzustellen. Bei der Frage nach dem gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten kann es also entscheidend sein, ob es sich bei der „dazwischengeschalteten“ Person um einen Besitzmittler oder um einen Besitzdiener handelt. Um ebendiese Frage geht es im vorliegend zu besprechenden (und zu prüfenden) Fall   



III. Prüfung des Falls/Entscheidung des BGH
Der vom Geschäftsführer von A (im Folgenden: A) geltend gemachte Herausgabeanspruch könnte sich zunächst auf § 985 BGB stützen. Dazu müsste A zunächst (noch) Eigentümer des Fahrzeugs sein.

 

Ursprünglich war A Eigentümer. Er könnte das Eigentum aber verloren haben. Keinesfalls hat A das Eigentum durch die Aushändigung des Wagens an T verloren, weil hierin keine Übereignung i.S.d. § 929 S. 1 BGB lag, sondern allenfalls eine Besitzübertragung. A könnte aber das Eigentum durch das Verhalten des T gegenüber O verloren haben. T war weder Eigentümer noch sonst berechtigt, über das Fahrzeug zu verfügen. Mithin war er Nichtberechtigter und daher nicht befugt, Eigentum auf O zu übertragen. § 929 S. 1 BGB geht aber von der Eigentümerstellung oder Berechtigung des Veräußerers aus. Möglicher­weise konnte O aber gem. § 932 BGB (dazu Hütte/Hütte, Sachenrecht I, 8. Aufl. 2019, Rn. 468 ff.) gutgläubig Eigentum erwerben, da er davon ausging, T sei Eigentümer des Wagens.

 

Beim Gebrauchtwagenkauf gehört regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für den gutgläubigen Erwerb eines Gebrauchtwagens, dass sich der Er­werber die Zulassungsbescheinigung II (früher: Kfz-Brief) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (st. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2013, 1946, 1947; BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 35). Zwar verbrieft die Zulassungsbescheinigung II nicht das Eigentum am Kfz, sondern ist eine öffentliche Urkunde über die Einzelbetriebserlaubnis des Fahrzeugs, gleichwohl ist aber anhand der Eintragungen die Möglichkeit gegeben, bei dem eingetragenen Berechtigten die Übereignungsbefugnis des Veräußerers nachzuprüfen (BGH NJW 2013, 1946, 1947; siehe auch BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 35).

 

Anm.: Die Zulassungsbescheinigung II bescheinigt ausschließlich, dass das Fahrzeug, auf das sie ausgestellt ist, nach seiner Bauart für den Straßenverkehr zugelassen ist. Daher müssen auch bestimmte Veränderungen am Fahrzeug (z.B. Leistungssteigerung, Änderung des Abgasverhaltens, Einbau einer Autogasanlage etc.) in diese Urkunde eingetragen werden, damit die Betriebserlaubnis für das Fahrzeug erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird. Des Weiteren bescheinigt die Zulassungsbescheinigung II, wer über das Fahrzeug öffentlich-rechtlich verfügungsberechtigt ist, d.h., wer die Berechtigung zur Fahrzeuganmeldung, -ummeldung und -abmeldung hat. Aus diesem Grund geht die Zulassungsbescheinigung II analog § 952 II BGB bei einer Veräußerung des Fahrzeugs automatisch auf das Eigentum des Erwerbers mit über. Sie ist daher dem Erwerber des Kfz mit auszuhändigen.

 

Vor diesem Hintergrund wird eine grobe Fahrlässigkeit (i.S.d. § 932 II BGB) z.B. angenommen, wenn jemand (von privat) einen Gebrauchtwagen kauft und vom Veräußerer keine – oder eine auf einen fremden Namen lautende – Kfz-Zulassungsbescheinigung II ausgehändigt bekommt und keine weiteren Nachforschungen anstellt (BGH NJW 1975, 735, 736; NJW 2006, 2226, 2227; NJW 2006, 3488; NJW 2013, 1946, 1947; Gursky, JZ 2005, 285, 289; vgl. aber den Fall BGH NJW 2014, 1524, wo sich der BGH an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden sieht und eine Gutgläubigkeit jedenfalls dann nicht in Frage stellt, wenn das Fahrzeug in einem (seriösen) Autohaus gekauft wird). Auch macht es für die Frage nach der Gutgläubigkeit einen Unterschied, ob Vertragsunterzeichnung und Fahrzeugübergabe in bzw. bei der Wohnung des Veräußerers oder bspw. auf einem öffentlichen Parkplatz (sog. Straßenverkauf, vgl. dazu den Fall BGH NJW 2014, 1946, 1947) stattfinden, ob sämtliche Fahrzeugschlüssel, Servicenachweise (Werkstattrechnungen) etc. vorhanden sind (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 2011, 555) oder ob die dem Erwerber gegenüberstehende Person ihre Identität preisgibt (vgl. dazu ebenfalls den Fall BGH NJW 2014, 1946, 1947).

 

Danach erscheint der gute Glaube bei O nicht zweifelsfrei, da er den Wagen am Bahnhof übernahm (und nicht in der Privatwohnung des T), was insbesondere bei hochpreisigen Gütern den Käufer dazu veranlassen sollte, Argwohn zu hegen. Auch stellt sich die Frage, ob er den zweiten Schlüssel auf seine Funktionalität hätte prüfen sollen.

 

Möglicherweise kommt es aber darauf nicht an, wenn bei T die Besitzereigenschaft fehlte. Denn nicht nur bei § 929 S. 1 BGB, sondern auch bei § 932 BGB muss der unmittelbare Besitz auf den Erwerber übergehen. Jedoch kann der Erwerber auch dann unmittelbaren Besitz erwerben, wenn der „Veräußerer“ keinen Besitz im Rechtssinne hatte, was z.B. beim Geheißerwerb (dazu Hütte/Hütte, Sachenrecht I, 8. Aufl. 2019, Rn. 392 ff.) bzw. für den Fall anzunehmen ist, in dem der „Veräußerer“ lediglich Besitzdiener (dazu Hütte/Hütte, Sachenrecht I, 8. Aufl. 2019, Rn. 192 ff.) ist. Bei einer Besitzdienerschaft ist gem. § 855 BGB allein derjenige, für den der Besitzdiener die tatsächliche Gewalt ausübt, Besitzer. Daher kann auch nicht der Besitzdiener über die Weggabe entscheiden. Gibt also der Besitzdiener die Sache freiwillig, aber ohne oder gegen den Willen des Besitzherrn weg, gilt der Gegenstand auch dann als abhandengekommen i.S.d. § 935 I BGB, wenn der Besitzdiener „freiwillig“ durch sein eigenmächtiges Handeln die Sache aus den Händen gibt (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 22). Ein gutgläubiger Erwerb i.S.d. § 932 BGB scheidet aus (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 15 ff.).  

 

Ob vorliegend T unmittelbarer Besitzer war oder lediglich Besitzdiener (zur Abgrenzung siehe oben, II.), kann dahinstehen, wenn O gleichwohl unmittelbarer Besitzer geworden ist. Denn durch die Übernahme des Wagens übte dieser die von einem Sachherrschaftswillen getragene tatsächliche Herrschaft über eine Sache aus. Das aber bestimmt sich letztlich nach der Verkehrsauffassung (siehe nur BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 11 f.), weshalb angesichts des Vorverhaltens des T Zweifel angebracht sind. Aber auch diese Frage kann insoweit dahinstehen, wenn der gutgläubige Erwerb wegen § 935 I BGB ausgeschlossen war. Nach § 935 I BGB ist auch ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen, wenn die Sache dem Eigentümer (oder dessen Besitzmittler) gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen war.

 

Da T den Wagen von A nicht gestohlen hat, kommt lediglich ein „,sonstiges" Abhandenkommen in Betracht. Ein Abhandenkommen setzt einen unfreiwilligen Besitzverlust voraus. Daran könnte es fehlen, da A Wagen und Wagenschlüssel T ja freiwillig überlassen hat. Daran ändert auch die Täuschungshandlung des T nichts (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 9). Wie der BGH richtig formuliert, bewirkt die Übergabe eines Schlüssels allerdings nur dann einen Besitzübergang am Wagen, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 12 – mit Verweis auf BGH NJW-RR 2017, 818; BGHZ 199, 227). Hieran fehle es etwa, wenn der Schlüssel zwecks bloßer Besichtigung des Fahrzeugs übergeben wird (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 12 – mit Verweis auf BGH NJW-RR 2017, 818; BGHZ 199, 227). In einem solchen Fall liegt lediglich eine Besitzlockerung vor bzw. der Kaufinteressent wird lediglich Besitzdiener i.S.d. § 855 BGB, nicht aber Besitzer. A hat den Schlüssel (und den Wagen) jedoch nicht lediglich zwecks Besichtigung übergeben, sondern er gestattete T eine unbegleitete Probefahrt. Die Überlassung eines Kfz durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten für eine gewisse Dauer führt nach dem BGH weder zu einer bloßen Besitzlockerung noch zur Annahme einer Besitzdienerschaft, sondern zu einem Besitzübergang auf den Kaufinteressenten (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 10). Mit der (freiwilligen) Überlassung des Fahrzeugs zur Probefahrt gehe der Besitz auf den vermeintlichen Kaufinteressenten über und der Wagen sei nicht abhandengekommen (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 10).

 

Ergebnis: Findet also mit der Überlassung des Fahrzeugs zur unbegleiteten Probefahrt und der Aushändigung des Fahrzeugschlüssels eine echte Besitzübertragung statt, handelt es sich bei dem vermeintlichen Kaufinteressenten (hier: T) nicht um einen Besitzdiener i.S.d. § 855 BGB, sondern um einen Besitzmittler i.S.d. § 868 BGB mit der Folge, dass bei der Frage nach dem (un-)freiwilligen Besitzverlust auf dessen Willen abzustellen ist. Überträgt dieser also freiwillig den Besitz auf einen Dritten (hier: O), ist damit der Wagen nicht abhandengekommen i.S.d. § 935 I S. 1 BGB. Verneint man (mit dem BGH) also die Bösgläubigkeit i.S.d. § 932 II BGB bei O, konnte dieser somit gutgläubig Eigentum vom Nichtberechtigten erwerben (nach der hier vertretenen Auffassung sind Zweifel an der Verneinung der grob fahrlässigen Unkenntnis i.S.d. § 932 II BGB angebracht; der BGH hat die Feststellungen der Vorinstanz aber nicht beanstandet (BGH 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn. 28 ff.). Der von A geltend gemachte Herausgabeanspruch aus § 985 BGB besteht dann nicht. Um dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen, darf A auch nicht gem. § 812 I S. 1 Var. 2 BGB den Wagen kondizieren.



Rolf Schmidt (21.10.2020)

 


 



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