Aktuelles 2020 Schadensersatz im Diesel-Abgasskandal

Beiträge 2020


01.08.2020: Zur Frage nach Schadensersatzansprüchen im Diesel-Abgasskandal



BGH, Urteile v. 30.07.2020 – VI ZR 354/19, VI ZR 367/19, VI ZR 397/19 und VI ZR 5/20

Nachdem der u.a. für unerlaubte Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des BGH bereits am 25.5.2020 in einem Grundsatzurteil zum VW-Diesel-Abgasskandal die Haftung des Konzerns aus § 826 BGB dem Grunde nach bejaht hatte (BGH 25.05.2020 – VI ZR 252/19; NJW 2020, 1962), ging es mit den vier Urteilen v. 30.07.2020 (VI ZR 354/19, VI ZR 367/19, VI 397/19 und VI ZR 5/20) um einzelne Schadensersatzpositionen. Es ging um folgende Sachverhalte und Fragestellungen:



I. Sachverhalte und Fragestellungen

Den vier Urteilen lagen folgende Sachverhalte und Fragestellungen zugrunde (siehe Pressemitteilungen v. 30.07.2020):



  • Verfahren VI ZR 367/19: „Der Kläger erwarb am 4. April 2013 von einem Autohaus einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten PKW VW Tiguan 2.0 TDI zu einem Preis von 21.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5, ausgestattet. Die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und schaltete in diesem Falle in einen Stickoxid-optimierten Modus. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro-5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete Mitte Oktober 2015 einen Rückruf an, der auch das Fahrzeug des Klägers betraf. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger ließ das Software-Update im Februar 2017 durchführen. Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs.“ Der BGH hatte damit folgende Frage zu klären: Stehen geschädigten Käufern von vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) Ansprüche auf Schadensersatz zu?



  • Verfahren VI ZR 354/19: „Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs.“ Die vom BGH zu klärende Frage lautete: Können Nutzungsvorteile einen Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren?



  • Verfahren VI ZR 397/19: „Die Klägerin erwarb im August 2014 von einem Autohändler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw Golf VI 1,6 TDI mit einer Laufleistung von rund 23.000 km zu einem Preis von 15.888 €. Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der mit einer Steuerungssoftware versehen war, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid (NOx) optimierten Modus schaltet. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet und die Beklagte verpflichtet hatte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, ließ die Klägerin das von der Beklagten entwickelte Software-Update im Jahr 2017 aufspielen. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen ab Kaufpreiszahlung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.“ Hier hatte der BGH zu klären: Stehen geschädigten Käufern von vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen unter dem Gesichtspunkt sog. Deliktszinsen (§ 849 BGB) Ansprüche auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises (bereits ab Kaufpreiszahlung) zu?



  • Verfahren VI ZR 5/20: „Der Kläger erwarb im August 2016 von einem Autohändler einen gebrauchten VW Touran Match zu einem Kaufpreis von 13.600 €, der mit einem 2,0-Liter-Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5, ausgestattet ist. Die Beklagte ist Herstellerin des Wagens. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro-5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Vor dem Erwerb des Fahrzeugs, am 22. September 2015, hatte die Beklagte in einer Pressemitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt in Kontakt stehe. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte im Oktober 2015 nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erlassen und der Beklagten aufgegeben, die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. In der Folge hat die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereitgestellt, das nach August 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde. Das Thema war Gegenstand einer umfangreichen und wiederholten Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen. Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.“ Hierbei ging es also um die Frage: Stehen Käufern von mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen auch dann Schadensersatzansprüche zu, wenn der Kauf erst nach Bekanntwerden des sog. Dieselskandals getätigt wurde?

 

II. Rechtliche Ausgangslage

Ansprüche auf Schadensersatz können sich auf vertraglicher oder deliktischer Basis ergeben. Stehen Schädiger und Geschädigter in einer vertraglichen (oder quasivertraglichen bzw. vorvertraglichen) Beziehung, greifen als Anspruchsgrundlagen die §§ 280 ff. BGB (die ggf. über verschiedene Normen des Vertragsrechts zur Anwendung gelangen, wie das z.B. für das Kaufvertragsrecht bei § 437 Nr. 3 Var. 1 BGB der Fall ist). Daneben kommen auch deliktische Schadensersatzansprüche (Ansprüche aus unerlaubter Handlung) in Betracht, wenn der Schädiger einen der Tatbestände der §§ 823 ff. BGB (oder einen der zahlreichen spezialgesetzlichen Tatbestände) verwirklicht. Deliktische Schadensersatzansprüche sind aber alleinige Grundlage, wenn es an einer vertraglichen oder quasivertraglichen (insb. vorvertraglichen) Rechtsbeziehung fehlt. Was heißt dies nun für die vorliegend zu besprechenden Fälle? 

 

  • Ist ein Fahrzeug mangelhaft i.S.d. § 434 BGB, stehen dem Käufer die in § 437 BGB genannten Rechte (und damit auch ein Schadensersatzanspruch gem. § 437 Nr. 3 Var. 1 BGB) zu – allerdings nur gegenüber dem Verkäufer und unter ganz bestimmten Voraussetzungen wie insb. dem Vertretenmüssen (siehe § 280 I S. 2 BGB), woran es im Dieselabgasskandal regelmäßig fehlte, da die Händler – jedenfalls vor Bekanntwerden des Skandals – weder Kenntnis von den Manipulationen hatten noch Kenntnis hätten haben können (siehe § 276 BGB). Auch die kurzen Verjährungsfristen (siehe § 438 I Nr. 3 BGB: zwei Jahre ab Ablieferung der Sache, § 438 II Halbs. 2 BGB; bei Gebrauchtwagen – von der möglichen Unionsrechtswidrigkeit des § 476 II BGB einmal abgesehen – regelmäßig auf ein Jahr verkürzt, § 476 II BGB) können mitunter einem vertraglichen Schadensersatzanspruch entgegenstehen (außer natürlich, es kommt zu einer freiwilligen Verlängerung der Verjährungsfristen). Schließlich ist die Gefahr einer Insolvenz des Verkäufers gegeben, wenn allzu viele geschädigte Kunden ihre Schadensersatzansprüche (bzw. Rücktrittsrechte) geltend machen. 

 

  • Daher erschien bzw. erscheint es sinnvoller, mitunter auch allein gangbar, im Hinblick auf Schadensersatzansprüche (auch) gegen den Hersteller, die Volkswagen AG, vorzugehen. In Ermangelung eines Vertragsverhältnisses bzw. einer vertragsähnlichen Beziehung greifen dann lediglich (aber immerhin) deliktische Ansprüche. Aber auch dieser Weg erweist sich mitunter als schwierig, wie die vielen (teilweise widersprüchlichen) Entscheidungen der Instanzgerichte zeigen. Systematisch aufgearbeitet, ergibt sich Folgendes:

 

  • Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB scheidet von vornherein aus, da es an einer Rechtsgutverletzung fehlt: Die geschädigten Käufer erwarben bereits mangelhaftes Eigentum; reine Vermögensschäden sind zudem nicht von § 823 I BGB erfasst.



  • Der denkbare Schadensersatzanspruch aus § 823 II BGB hat seine Ursache darin, dass Mitarbeiter des Herstellers eine illegale Abschaltvorrichtung installiert bzw. programmiert haben, die zur Erlöschung der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs führen kann. Es darf unterstellt werden, dass die Käufer bei Kenntnis dieses Umstands den Wagen nicht oder nicht zu dem Preis gekauft hätten (Kausalität). Auch ein von § 823 II BGB erfasster Vermögensschaden ist gegeben: Dadurch, dass die Käufer einen Vertrag über ein mangelfreies Fahrzeug abgeschlossen hatten, jedoch mangelhafte Fahrzeuge erhielten, die sowohl einen technischen (höherer Verbrauch, geringere Leistung, ggf. geringere Lebenserwartung) als auch wirtschaftlichen (Anhaftung des Makels des „Dieselskandals“) Minderwert haben, liegt ein Schaden vor. Es müsste aber auch ein Schutzgesetz verletzt worden sein (siehe Wortlaut des § 823 II BGB: „gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt“). Das Schutzgesetz kann in § 263 StGB (Betrug) gesehen werden. Jedoch ist zu beachten, dass juristische Personen zwar rechtsfähig, nicht aber handlungsfähig (und nicht schuldfähig) sind. Ginge es um eine zivilrechtliche Haftung, würde die Haftungspflicht der juristischen Person über § 31 BGB begründet. Denn dadurch, dass juristische Personen (siehe § 1 I S. 1 AktG für die AG und § 13 I GmbHG für die GmbH) zwar rechtsfähig sind, nicht aber handlungsfähig, bedarf es einer Zurechnung bzw. Zuweisung des Verhaltens natürlicher Personen. Bei juristischen Personen nimmt dies bei der Frage nach einer zivilrechtlichen Haftung § 31 BGB vor. Jedoch ist es trotz der Zuweisungsnorm des § 31 BGB nicht möglich, die strafrechtliche Betrugshandlung der X-AG zuzuweisen. Denn nach der geltenden Strafrechtsdogmatik können nur natürliche Personen Straftatbestände erfüllen, nicht auch juristische Personen; ein Unternehmensstrafrecht ist (noch) nicht Gesetz. Daher kann man auch nicht sagen, die X-AG habe § 263 StGB verwirklicht. Insbesondere aus diesem Grund ist daher eine Haftung aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB wohl nicht möglich. § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB wurde von den Zivilgerichten auch nicht angewendet, weil sich – soweit ersichtlich – die Klageschriften auch nicht darauf stützten. Nach § 308 I S. 1 ZPO wären die Gerichte ohnehin nicht befugt gewesen, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist (Bindung des Gerichts an Sachanträge). Dass die Kläger ihre Klagen nicht auf § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB gestützt haben, mag an dem fehlenden Unternehmensstrafrecht gelegen haben oder auch daran, dass sie wohl erst den Ausgang der strafrechtlichen Verfahren abwarten wollten, gerade auch mit Blick auf die dann vorliegenden staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnisse zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 263 StGB.



  • § 831 I S. 1 BGB (der eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellt) ist ebenfalls nicht zielführend. Denn danach müsste es sich bei den die unerlaubte Handlung vornehmenden Personen um sog. Verrichtungsgehilfen gehandelt haben. Nach allgemeiner Auffassung ist Verrichtungsgehilfe, wer vom Geschäftsherrn in dessen Interesse eine Tätigkeit übertragen bekommen hat und von Weisungen des Geschäftsherrn abhängig ist (BGHZ 45, 311, 313; 103, 298, 303; BGH NJW 2013, 1002, 1003; Sprau, in: Palandt, § 831 Rn 6). Die in der Entwicklungsabteilung tätigen Mitarbeiter, die die Programmierung vorgenommen haben, kann man danach sicherlich als Verrichtungsgehilfen ansehen, da sie die Softwareprogrammierung auf Anweisung hin vorgenommen haben dürften. Ob aber die Volkswagen AG dieses Verhalten über § 831 I S. 1 BGB wie eigenes Verschulden zu verantworten hat, ist angesichts der Exkulpationsmöglichkeit nach § 831 I S. 2 BGB zweifelhaft; zwar erscheint es unangemessen, sich auf eine Exkulpationsregel zu stützen, wenn man gerade die Anweisung zur unerlaubten Handlung gegeben hat. Streng genommen aber liegt der Entlastungsbeweis vor: Dadurch, dass die Programmierer genau das taten, wozu sie angewiesen worden waren, liegt eine Pflichtverletzung des Vorstands oder der Abteilungsleitung bei der Aufsicht nicht vor. Hingegen sind Vorstände als Organe der juristischen Person schon keine Verrichtungsgehilfen, sodass eine Haftung der Volkswagen AG aus § 831 I S. 1 BGB insoweit ausscheidet. Es bliebe aber ein Abstellen auf die Zuweisungsnorm des § 31 BGB, da man davon ausgehen muss, dass ein Fehlverhalten dieses Ausmaßes sich nicht ohne Kenntnis und Billigung von Vorstandsmitgliedern zutragen konnte. Die Zuweisung des Fehlverhaltens des Vorstands über § 31 BGB betrifft aber nicht die Haftung aus § 831 I S. 1 BGB (da, wie gesagt, Vorstände keine Verrichtungsgehilfen sind), sondern diejenige aus §§ 823 I, 823 II und 826 BGB.



  • Wohl aus den genannten Gründen sowie wegen der weiter reichenden und flexibleren Rechtsfolgen (dazu sogleich sowie Punkt IV.) leiten die Instanzgerichte (siehe etwa OLG Düsseldorf 30.1.2020 – I-13 U 81/19; OLG Karlsruhe 6.11.2019 – 13 U 37/19, 13 U 12/19; OLG Stuttgart 26.11.2019 – 10 U 154/19; OLG Celle 20.11.2019 – 7 U 244/18; OLG Koblenz 16.9.2019 – 12 U 61/19; OLG Oldenburg 21.10.2019 – 13 U 73/19; OLG Oldenburg 2.10.2019 – 5 U 47/19; LG Kiel 18.5.2018 – 12 O 371/17; OLG Köln MDR 2019, 222 f.; LG Erfurt 18.1.2019 – 9 O 490/18) – und nunmehr auch der BGH (BGH NJW 2020, 1962, 1966) – Schadensersatzansprüche über § 826 BGB her und stellen dabei auf das schädigende Verhalten des Vorstands ab (§ 31 BGB). Denn dadurch, dass juristische Personen (siehe § 1 I S. 1 AktG für die AG und § 13 I GmbHG für die GmbH) zwar rechtsfähig sind, nicht aber handlungsfähig, bedarf es einer Zurechnung bzw. Zuweisung des Verhaltens natürlicher Personen. Bei juristischen Personen nimmt dies § 31 BGB vor. Zwar ist danach lediglich der Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausübung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. § 31 BGB gilt aber für alle juristischen Personen (allg. Auffassung), und damit (unmittelbar) auch für die Volkswagen AG. Abzustellen ist also zunächst auf den Vorstand oder ein Vorstandsmitglied. Sofern dies nicht möglich ist (etwa, weil der Beweis einer entsprechenden Handlung nicht erbracht werden kann), ist zu prüfen, ob das Verhalten eines anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreters zugewiesen werden kann. Die Mitarbeiter, die die Programmierung vorgenommen haben, kann man wohl nicht als „verfassungsmäßige Vertreter“ ansehen, möglicherweise aber die Leitung der Entwicklungsabteilung, in der die Softwaremanipulation vorgenommen wurde. Der BGH beanstandete es in seinem Urteil v. 25.5.2020 nicht, dass das Berufungsgericht es als erwiesen angesehen hatte, der Leiter der Entwicklungsabteilung habe Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung gehabt und diese gebilligt (BGH NJW 2020, 1962, 1966). Der Leiter der Entwicklungsabteilung eines großen, weltweit tätigen Automobilherstellers wie der Volkswagen AG habe eine für dessen Kerngeschäft verantwortliche, in besonderer Weise herausgehobene Position als Führungskraft inne. Daraus folge unmittelbar, dass ihm bedeutsame, wesensmäßige Funktionen des Unternehmens zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen seien, er also das Unternehmen auf diese Weise repräsentiere (BGH NJW 2020, 1962, 1966).



  • Der Vorteil, den Schadensersatzanspruch über § 826 BGB geltend zu machen, besteht darin, dass die Norm weder eine Rechtsgutverletzung noch den Verstoß gegen ein Schutzgesetz verlangt, sondern schlicht das Vermögen schützt (siehe BGHZ 160, 149, 153). Dabei beschränkt sich der Schutz nicht auf nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage, sondern erstreckt sich auf „jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung“ (BGHZ 160, 149, 153 mit Verweis auf Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage, § 826 Rn. 6 m.w.N.). Auch der BGH hat im Urteil zum Dieselabgasskandal entschieden: „... muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gem. § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar“ (BGH NJW 2020, 1962, 1968). Diese Erkenntnis ist sehr bedeutsam, denn schützt § 826 BGB auch vor einer „ungewollten Verpflichtung“, kann das im Rahmen der nach § 249 I BGB vom Schädiger vorzunehmenden Naturalrestitution zu einer (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises (Zug um Zug gegen dessen Rückgabe) führen (BGH NJW 2020, 1962, 1969).



III. Problem der Verjährung

Aber auch die Ansprüche aus unerlaubter Handlung könnten mitunter verjährt sein. Denn Ansprüche aus unerlaubter Handlung verjähren – von Sonderfällen (wie z.B. § 199 II BGB) abgesehen – gem. § 195 BGB nach 3 Jahren; Fristbeginn war bzw. ist gem. § 199 I BGB der Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.



  • Stellt man also darauf ab, dass die geschädigten Kunden bereits durch die Veröffentlichung des Dieselskandals 2015 informiert waren oder sich hätten informieren können, trat Verjährung zum 31.12.2018 ein. Später geltend gemachte Ansprüche sind nicht mehr durchsetzbar (das nahm z.B. das OLG München in seinem Hinweisbeschl. v. 03.12.2019 – 20 U 5741/19 an).



  • Es ist aber auch denkbar, auf den Erhalt der VW-Betroffenheitsmitteilung bzw. des KBA-Rückrufschreibens abzustellen. Da diese in Bezug auf die EA189-Motoren im Jahre 2016 zugestellt wurden, hätte diese Auffassung eine Verjährung zum 31.12.2019 zur Folge (so z.B. vertreten von OLG Oldenburg 30.01.2020 – 1 U 131/19; MDR 2020, 671). Das gilt nach OLG Frankfurt 25.07.2019 – 1 U 169/18 (NJW-RR 2019, 1451-1453) auch dann, wenn die Rechtslage (noch) unklar ist, wenn also im VW-Abgasskandal noch keine gefestigte Rechtsprechung vorliegt, d.h. die OLG-Urteile differieren. Allerdings hatte der BGH bereits im Jahr 2008 entschieden, dass der Beginn der Verjährungsfrist gem. § 199 I BGB in Fällen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage ausnahmsweise wegen der Rechtsunkenntnis des Gläubigers hinausgeschoben sei. Danach beginne die Verjährung erst mit der objektiven Klärung der Rechtslage (BGH 23.09.2008 – XI ZR 262/07; NJW-RR 2009, 547). Da sich erst im Jahre 2017 hinsichtlich des EA189-Motors eine OLG-Linie durchsetzte, würde hiernach die Verjährungsfrist bis zum 31.12.2020 laufen. Geht man sogar davon aus, dass eine „gefestigte Rechtsprechung“ erst nach Klärung der Rechtslage durch eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt und eine solche mit BGH-Urteil v. 25.05.2020 (NJW 2020, 1962) getroffen wurde, hätte die Verjährungsfrist noch nicht einmal zu laufen begonnen (davon ging LG Trier mit Urteil vom 19.09.2019 – 5 O 417/18 aus). Die Verjährungsfrist begänne danach also erst am 01.01.2021 und endete am 31.12.2023.



  • Auch wird die Ansicht vertreten, bei verjährtem Anspruch aufgrund § 199 BGB bestehe ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB (Augenhofer, VuR 2019, 83, 86), was jedoch mit Blick auf den Wortlaut der Norm nicht gerade naheliegt. Denn bei dieser Vorschrift geht es nicht um Schadensersatz, sondern um die bereicherungsrechtliche Herausgabe eines vermögensrechtlich Erlangten. Zweck der Vorschrift ist der Ausgleich einer durch unerlaubte Handlung erzielten Vermögensmehrung, und zwar auch dann, wenn ein Schadensersatzanspruch verjährt ist; ungerechtfertigte Vermögenszuwächse sollen nicht beim Schädiger verbleiben dürfen. Da die h.M. den Anwendungsbereich des § 852 BGB jedoch sehr weit versteht, sind auch Fälle erfasst, bei denen es an sich um Schadensersatzansprüche geht, die als solche verjährt sind. Die Verjährung von Ansprüchen aus § 852 S. 1 BGB tritt gem. § 852 S. 2 BGB (ähnlich § 199 III S. 1 Nr. 1 und 2 BGB) demgegenüber erst in zehn Jahren von ihrer Entstehung an ein, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an. In der Folge besteht danach also ein Schadensersatzanspruch, der in seinem Umfang lediglich auf die ungerechtfertigte Bereicherung begrenzt ist, die der Schädiger durch seine unerlaubte Handlung erlangt hat (siehe Sprau, in: Palandt, § 852 BGB Rn. 2). Daraus wird klar, warum der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB als „Restschadensersatzanspruch“ bezeichnet wird. Da die ansonsten geltende Begrenzung des Herausgabeanspruchs auf das noch im Vermögen des Bereicherungsschuldners Befindliche (§ 818 III BGB) wegen §§ 818 IV, 819 I BGB jedoch bei einer unerlaubten Handlung nicht gilt, bedeutet die Anwendung des § 852 S. 1 BGB in den Dieselabgas-Fällen letztlich nichts anderes als ein voller Schadensersatzanspruch mit den großzügigen Verjährungsfristen des § 852 S. 2 BGB. Freilich ist damit in gewisser Weise eine Umgehung der Verjährungsfristen der unerlaubten Handlung verbunden. 



  • Auf all dies kommt es im Fall der möglicherweise noch offenen Verjährungsfrist jedoch nicht an, da der BGH in seinem Urteil VI ZR 5/20 v. 30.07.2020 bereits den Tatbestand des § 826 BGB verneint hat. Er hat entschieden, dass ein Käufer, der einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen erst nach Bekanntwerden des sog. Dieselskandals gekauft hat, sich nicht auf ein sittenwidriges Verhalten des Herstellers berufen kann (dazu später). Das heißt also: Liegt bereits der haftungsbegründende Tatbestand des § 826 BGB nicht vor, kommt es auf eine etwaige Verjährung des Anspruchs aus unerlaubter Handlung (und der möglicherweise zu weit ausgelegten Haftung nach § 852 S. 1 BGB) nicht an. Im Einzelnen gilt: 



IV. Der Tatbestand des § 826 BGB

Nach § 826 BGB macht sich schadensersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen einen Schaden zufügt. Bei einer juristischen Person ist (wegen fehlender Handlungsfähigkeit) erforderlich, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i.S.d. § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH NJW 2017, 250, 251 m.w.N.). Damit ist das Prüfprogramm vorgegeben:



  • Sittenwidrigkeit (objektiv und subjektiv); bei juristischen Personen abzustellen auf das Verhalten des verfassungsmäßig berufenen Vertreters i.S.d. § 31 BGB
  • Schadenszufügung (objektiv)
  • Vorsatz in Bezug auf die Schadenszufügung (subjektiv); bei juristischen Personen abzustellen auf das Verhalten des verfassungsmäßig berufenen Vertreters i.S.d. § 31 BGB
  • Rechtsfolge: Schadensersatz



1. Sittenwidrigkeit

Nach allgemeiner Auffassung, die auch der BGH in seinem Grundsatzurteil zum sog. Dieselabgasskandal v. 25.5.2020 (VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1963) noch einmal bestätigt hat, ist ein Verhalten objektiv sittenwidrig, „das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt“. Ausschlaggebend sei eine besondere Verwerflichkeit, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben könne (BGH NJW 2020, 1962, 1963 mit Verweis auf die st. Rspr.).



Wie der BGH in seinem Urteil v. 25.5.2020 entschieden hat, hat die Volkswagen AG auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH NJW 2020, 1962, 1963). Damit sei einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einhergegangen, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung (siehe § 5 FZV) hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten sei im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwerbe, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gelte auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handele. Die Sittenwidrigkeit ergebe sich aus einer Gesamtschau des festgestellten Verhaltens unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen (BGH NJW 2020, 1962, 1963).



Subjektive Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn der Handelnde die Umstände kennt, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (Sprau, in: Palandt, § 826 BGB, Rn. 8). Wie ausgeführt, ist bei juristischen Personen hinsichtlich der Sittenwidrigkeit auf das Verhalten des handelnden verfassungsmäßig berufenen Vertreters i.S.d. § 31 BGB abzustellen, wobei es sich – anders als der BGH meint (BGH NJW 2017, 250, 251) – bei § 31 BGB nicht um eine Zurechnungsnorm, sondern um eine Zuweisungsnorm handelt (siehe dazu die Instanzgerichte zum Dieselabgasskandal, etwa OLG Düsseldorf 30.1.2020 – I-13 U 81/19; OLG Karlsruhe 6.11.2019 – 13 U 37/19, 13 U 12/19; OLG Stuttgart 26.11.2019 – 10 U 154/19; OLG Celle 20.11.2019 – 7 U 244/18; OLG Koblenz 16.9.2019 – 12 U 61/19; OLG Oldenburg 21.10.2019 – 13 U 73/19; OLG Oldenburg 2.10.2019 – 5 U 47/19; LG Kiel 18.5.2018 – 12 O 371/17; OLG Köln MDR 2019, 222 f.; LG Erfurt 18.1.2019 – 9 O 490/18; siehe auch Heese, NJW 2019, 257 ff.). 



Der BGH sieht es als bewiesen an, dass die grundlegende strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software von den im Hause der Volkswagen AG für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen, namentlich dem vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten verantwortlichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden ist. Dieses Verhalten sei der Volkswagen AG gem. § 31 BGB zuzurechnen (BGH NJW 2020, 1962, 1963). Ob sich an dieser Beurteilung etwas ändert, wenn ein Käufer in Kenntnis (oder bei fahrlässiger Unkenntnis) der Manipulation einen betroffenen Wagen kauft, ist Gegenstand der Ausführungen bei Punkt V und VI. 



Anm.: Der Ein­bau eines „Thermofensters“ in ein Dieselfahrzeug, der dafür sorgt, dass die Abgasrückführung bei geringeren Außen-/Ladelufttempe­raturen zurückgefahren wird (um Schäden an der Abgasreinigungsanlage zu vermeiden), ist nach OLG Koblenz (21.10.2019 – 12 U 246/19) nicht per se als sittenwidrige Handlung einzustufen, da es sich anders als beim Einbau einer „Schummelsoftware“ nicht um eine eindeutig unzulässige Abschalteinrichtung handele. In diese Richtung geht auch OLG Brandenburg 19.12.2019 – 5 U 103/18, das festgestellt hat, die Abschalteinrichtung funktioniere im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand. Um bei dieser Konstellation und dem Einwand der Beklagten, dass die Einrichtung dem Schutz des Motors diene, davon ausgehen zu können, die Einrichtung sei in dem Bewusstsein ein­gebaut worden, dass sie unzulässig und nicht genehmigungsfähig sei, müssten konkrete Umstände vorliegen, die auf einen solchen Vorsatz des Herstellers hinwiesen. Anders als bei einer Umschaltlogik, die nur auf dem Prüf­stand aktiviert werde, lasse die Beschränkung der Funktion außerhalb eines Thermofensters nicht bereits den Schluss zu, dass der Hersteller Kunden bewusst geschädigt habe. Die Typengenehmigungsvorschriften ließen im Interesse des Motorschutzes Abschalteinrichtungen zu und seien nicht eindeutig. Dem Hersteller könne ein bewusster Ver­stoß gegen die Regelungen daher nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden.


2. Schadenszufügung

Unabhängig davon, ob die Fahrzeuge durch die verwendete Software einen Wertverlust erlitten haben oder nicht, begründet nach Auffassung des BGH allein die fehlende Konformität mit den gesetzlichen Abgasbestimmungen den Schaden (BGH NJW 2020, 1962, 1963). Das ist nicht ganz unproblematisch. Denn kann z.B. kein abgasmanipulationsbedingter Wertverlust angenommen werden, ist die Annahme eines Schadens schwierig so im Fall OLG Schleswig 22.11.2019 – 17 U 70/19, das einen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller verneinte, weil der Wagen ohne (abgasmanipulationsbedingten) Verlust weiterveräußert worden war. Dem ist zuzustimmen. Die Bejahung eines Schadensersatzanspruchs widerspräche dem Grundsatz des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots (Verbot einer Überkompensation). Daran ändert auch das sittenwidrige Verhalten des Herstellers nichts. Jedenfalls zeigt dies, dass eine pauschale Betrachtung nicht immer überzeugt.



3. Vorsatz in Bezug auf die Schädigung

Schließlich müsste Vorsatz in Bezug auf die Schädigung vorliegen. Nach ständiger Rechtsprechung ist kein direkter Vorsatz in Form eines Wollens erforderlich, sondern es genügt die billigende Inkaufnahme der Ziele (BGH NJW 2013, 250, 251; BGH NJW 2020, 1962, 1969). Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns könne sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden sei (BGH NJW 2020, 1962, 1969). Der BGH sieht es als bewiesen an, dass die damaligen Vorstände, deren Verhalten ja über § 31 BGB der Volkswagen AG zugewiesen wird, die grundlegende und mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software jedenfalls kannten und jahrelang umsetzten. Daher sei schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ihnen als für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigem Organ oder verfassungsmäßigem Vertreter (§ 31 BGB) bewusst gewesen sei, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben (BGH NJW 2020, 1962, 1970).



4. Pflicht zum Schadensersatz

Liegen die haftungsbegründenden Voraussetzungen vor, greift in der Folge die Schadensersatzpflicht, und zwar dem Grunde nach. Welche Art des Schadensersatzes die Folge ist bzw. welche konkreten Schadenspositionen zu ersetzen sind, regelt § 826 BGB nicht. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 249 ff. BGB („Art und Umfang des Schadensersatzes“), wobei der BGH den Schutzzweck des § 826 BGB aber weit auslegt und bei der Anwendung der §§ 249 ff. BGB berücksichtigt. 
Verlangt also § 826 BGB weder eine Rechtsgutverletzung noch die Verwirklichung eines Schutzgesetzes, sondern schützt schlicht das Vermögen (siehe BGHZ 160, 149, 153) und beschränkt sich dabei nicht auf nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage, sondern erstreckt sich auf „jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung“ (BGHZ 160, 149, 153 mit Verweis auf Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage, § 826 Rn. 6 m.w.N.; ausdrücklich auch BGH NJW 2020, 1962, 1968: „... muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gem. § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar“), kann das – wie aufgezeigt – im Rahmen der nach § 249 I BGB vom Schädiger vorzunehmenden Naturalrestitution zu einer (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises (Zug um Zug gegen dessen Rückgabe) führen (BGH NJW 2020, 1962, 1969).



Die (Wieder-)Herstellung des ursprünglichen Zustands knüpft an die Überlegung an, dass ohne Vorhandensein der Manipulationssoftware der Käufer den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Bestünde der (hypothetische) ursprüngliche Zustand also in einem Nichtvorhandensein des Kaufvertrags, bedeutete die (Wieder-)Herstellung des ursprünglichen Zustands die Rückgängigmachung der Vertragsfolgen, d.h. entweder die Rückabwicklung über den Vertragshändler oder die direkte (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises (Zug um Zug gegen dessen Rückgabe).



Die vier vorliegend zu besprechenden Urteile des BGH v. 30.07.2020 befassen sich insbesondere mit diesen Folgen.


V. Die Urteile des BGH v. 30.07.2020

Vor dem Hintergrund der soeben gemachten Ausführungen zur Haftungsbegründung sollte der Beurteilungsmaßstab des § 826 BGB als Anspruchsgrundlage und Grundlage der folgenden Ausführungen deutlich geworden sein. Der BGH hat die vier oben aufgeworfenen Fragen wie folgt entschieden:

 

  • Zur Frage, ob geschädigten Käufern von vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) Ansprüche auf Schadensersatz zustehen (VI ZR 367/19), hat der BGH unter Anwendung der Grundsätze seines Urteils v. 25.5.2020 (VI ZR 252/19; BGH NJW 2020, 1962) das streitgegenständliche Berufungsurteil (OLG Braunschweig, Urt. v. 13.8.2019 – 7 U 352/18) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft vom Kläger näheren Vortrag dazu verlangt, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person für den Einsatz der illegalen Abschalteinrichtung verantwortlich sei. Die Entscheidung über den Einsatz der Abschalteinrichtung betreffe die grundlegende strategische Frage, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Beklagte die Einhaltung der – im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren – Stickoxidgrenzwerte der Euro-5-Norm habe gewährleisten wollen. Vor diesem Hintergrund habe die Behauptung des Klägers genügt, die Entscheidung sei auf Vorstandsebene oder jedenfalls durch einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter getroffen oder zumindest gebilligt worden. Der für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden des Klägers sei auch nicht dadurch entfallen, dass dieser das von der Beklagten entwickelte Software-Update habe durchführen lassen. Liege der Schaden – wie das Berufungsgericht unterstellt habe – in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, so entfalle dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstands nachträglich veränderten. Ein solcher Schaden falle auch unter den Schutzzweck des § 826 BGB. 

 

  • Die Frage, ob Nutzungsvorteile einen Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren können (VI ZR 354/19), hat der BGH bejaht und damit das Berufungsurteil (OLG Braunschweig, Urt. v. 20.8.2019 – 7 U 5/18) bestätigt. Die zur Berechnung des Wertes der Nutzungsvorteile allgemein herangezogene Formel (Bruttokaufpreis mal gefahrene Strecke seit Erwerb geteilt durch erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt) könne dazu führen, dass die Nutzungsvorteile einen Schadensersatzanspruch vollständig aufzehrten. 

 

  • Hinsichtlich der Frage, ob geschädigten Käufern von vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen unter dem Gesichtspunkt sog. Deliktszinsen (§ 849 BGB) Ansprüche auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises (bereits ab Kaufpreiszahlung) zustehen (VI ZR 397/19), hat der BGH zunächst einen Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB auf Erstattung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises abzüglich der ihr durch den Gebrauch des Fahrzeugs zugeflossenen Nutzungsvorteile Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs für gegeben erachtet. Einen Anspruch der Klägerin auf sog. Deliktszinsen nach § 849 BGB hat der BGH hingegen – anders als das Berufungsgericht (OLG Oldenburg 2.10.2019 – 5 U 47/19) – verneint. Zwar erfasse diese Vorschrift grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, auch den Verlust von Geld in jeder Form, was auch dann gelte, wenn dieser Verlust – wie hier – mit Willen des Geschädigten durch Weggabe erfolge. Vorliegend habe einer Anwendung des § 849 BGB aber jedenfalls der Umstand entgegengestanden, dass die Klägerin als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten habe; die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, kompensiere den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes. Eine Verzinsung gemäß § 849 BGB entspreche in einem solchen Fall nicht dem Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen. 

 

  • Schließlich hat der BGH die Frage, ob Käufern von mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen auch dann Schadensersatzansprüche zustehen, wenn der Kauf erst nach Bekanntwerden des sog. Dieselskandals getätigt wurde (VI ZR 5/20), verneint. Der BGH begründet seine Entscheidung maßgeblich damit, dass in diesem Fall die von § 826 BGB geforderte Sittenwidrigkeit nicht vorliege. Sei das Verhalten der Volkswagen AG gegenüber Käufern, die ein mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug vor dem 22.9.2015 erwarben, sittenwidrig (hier erfolgt der Verweis auf das Senatsurteil v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.) gewesen, so sei durch die Verhaltensänderung der Volkswagen AG wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt sei. So sei bereits die Mitteilung der Volkswagen AG v. 22.9.2015 objektiv geeignet gewesen, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung sei typischerweise nicht mehr damit zu rechnen gewesen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit sei damit kein Raum mehr gewesen. Käufern, die sich, wie der Kläger, erst für einen Kauf entschieden hätten, nachdem die Volkswagen AG ihr Verhalten bereits geändert hatte, seien deshalb – unabhängig von ihren Kenntnissen vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen – nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt worden.  


VI. Ergebnis und Stellungnahme

Alle vier Urteile des BGH v. 30.07.2020 knüpfen an das Grundsatzurteil des BGH v. 25.05.2020 (VI ZR 252/19; BGH NJW 2020, 1962) zur Frage an, ob geschädigten Käufern von vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) gegen den Hersteller Ansprüche auf Schadensersatz zustehen. War danach die Haftung dem Grunde nach geklärt, ging es bei den vier Urteilen v. 30.07.2020 um Beweisfragen, konkrete Schadenspositionen und um die Frage nach einem Abzug wegen Nutzungsvorteilen. Es ist daher zu differenzieren: 

 

  • Im Urteil VI ZR 367/19 hat der BGH völlig zu Recht unter Anwendung der Grundsätze seines Urteils v. 25.05.2020 das Berufungsurteil des OLG Braunschweig (Urt. v. 13.8.2019 – 7 U 352/18) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Indem das OLG Braunschweig einen näheren Vortrag des Klägers verlangte zur Feststellung der konkreten, bei VW tätigen Person, die für den Einsatz der illegalen Abschalteinrichtung verantwortlich sein soll, hat es die Grundsätze der primären und sekundären Beweislast verkannt. Zwar besteht im Zivilprozess der Beibringungsgrundsatz, der zur Folge hat, dass jede Partei die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Rechtsnorm, auf die sie sich stützt, beweisen muss und somit das Risiko der Nichterweislichkeit einer Beweisbehauptung trägt (Beweislast, die im Rahmen des § 286 ZPO zu berücksichtigen ist). Trifft danach den Anspruchsteller die volle Darlegungs- und Beweislast, hat er grundsätzlich auch keinen Auskunftsanspruch gegen den Anspruchsgegner in Bezug auf Nennung der ihn begünstigenden Umstände (vorliegend also die Nennung der Namen der verantwortlichen Person). Der Anspruchsteller muss sich die für den Prozesssieg erforderlichen Informationen grds. schon selbst beschaffen (R. Schmidt, BGB AT, 18. Aufl. 2019, Rn. 65). Freilich kann dies dazu führen, dass ein Kläger, der regelmäßig die internen Strukturen des Gegners nicht kennt, niemals den erforderlichen Beweis führen und daher niemals den Prozess gewinnen kann. Daher kennt die Zivilprozessordnung Beweiserleichterungen, also Beweisregelungen, bei denen es zwar bei der Grundregel, wonach der Anspruchsteller das Vorhandensein der ihn begünstigenden Umstände beweisen muss, bleibt, jedoch das Beweismaß herabgesetzt ist, etwa in § 287 I S. 1 ZPO. Ebenfalls eine Beweiserleichterung enthält § 294 ZPO (Glaubhaftmachung). Weiterhin ergeben sich Beweislasterleichterungen aus der prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 I ZPO) und der Erklärungslast (§ 138 II ZPO). Im Rahmen dieser Erklärungslast nach § 138 II ZPO kann der Beklagte sogar verpflichtet sein, dem beweisbelasteten Kläger Informationen zu geben. Das ist der Fall, wenn eine Nichtpreisgabe entscheidungserheblicher Umstände eine Vereitelung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen bedeutete („Beweisnotstand“). Allerdings muss der Beweispflichtige, den die primäre Darlegungslast trifft, zumindest greifbare Anhaltspunkte dafür liefern, dass allein die andere Partei über prozessentscheidende Informationen verfüge und die Nichtverpflichtung zur Offenlegung für ihn (den Beweispflichtigen) eine unzumutbare Beeinträchtigung darstellte (siehe BGH NJW 2012, 3774, 3775; BVerfG NJW 2000, 1483, 1484). Ist das der Fall, kann den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast treffen (vgl. auch BGH NJW 2018, 2412, 2413). Für den vorliegenden Fall hat der BGH entschieden, dass die Entscheidung über den Einsatz der Abschalteinrichtung die grundlegende strategische Frage betreffe, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Volkswagen AG die Einhaltung der – im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren – Stickoxidgrenzwerte der Euro-5-Norm habe gewährleisten wollen. Zu Recht hat daher der BGH entschieden, dass vor diesem Hintergrund die Behauptung des Klägers, die Entscheidung sei auf Vorstandsebene oder jedenfalls durch einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter getroffen oder zumindest gebilligt worden, genügt. Ist damit also der Darlegungs- und Beweislast Genüge getan, könnte der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gleichwohl in Frage gestellt werden, da die Volkswagen AG ein vom KBA genehmigtes Software-Update durchgeführt und damit den Mangel (d.h. Schaden) beseitigt hat. Der BGH hat gleichwohl entschieden, dass der für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden des Klägers dadurch nicht entfallen sei. Liege der Schaden in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, entfalle dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstands nachträglich veränderten. Ein solcher Schaden falle auch unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Diese Begründung überzeugt nicht. Zwar mag eine Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts vorgelegen haben, aber es geht nun einmal um einen wirtschaftlich messbaren Schaden. Richtigerweise hätte der BGH vielmehr darauf abstellen müssen, ob trotz Software-Updates ein Mangel bzw. Schaden am Fahrzeug verbleibt. Zu denken ist bspw. an einen Mehrverbrauch, an einen Leistungsverlust, an eine verkürzte Lebensdauer des Motors und nicht zuletzt an einen merkantilen Minderwert, der durch den Makel, das Fahrzeug sei vom Abgasskandal betroffen, begründet ist. Im Ergebnis gilt aber jedenfalls: Der Anspruch auf Schadensersatz in Bezug auf ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug gegen den Fahrzeughersteller entfällt nicht dadurch, dass das zur Behebung des Problems entwickelte Software-Update durchgeführt wurde. Freilich müssen für einen Schadensersatzanspruch alle sonstigen Anspruchsvoraussetzungen gegeben sein.



  • Auch die Entscheidung des BGH zu der Frage, ob Nutzungsvorteile einen Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren können (VI ZR 354/19 und VI ZR 397/19), überzeugt (diesmal auch in der Begründung). Wer ein Fahrzeug ohne jegliche Einbußen fährt, d.h. während der Haltedauer keine abgasmanipulationsbedingten Nachteile erfährt, muss sich Gebrauchsvorteile anrechnen lassen (d.h. eine Nutzungsentschädigung leisten). Das ist beim Rücktritt (§ 346 BGB) und beim sog. großen Schadensersatz (Schadensersatz statt der ganzen Leistung gem. § 281 I S. 3 BGB, wo es ebenfalls um die Rückgabe der Sache geht) allgemein anerkannt. Diese Grundsätze greifen auch bei § 826 BGB im Rahmen der nach § 249 I BGB vom Schädiger vorzunehmenden Naturalrestitution, die zu einer (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises (Zug um Zug gegen dessen Rückgabe) führt (BGH NJW 2020, 1962, 1969) (siehe oben IV. 4.). Daran ändert auch die Sittenwidrigkeit des Herstellerverhaltens nichts (wie hier OLG Düsseldorf 30.1.2020 – I-13 U 81/19; OLG Oldenburg 2.10.2019 – 5 U 47/19; OLG Oldenburg 21.10.2019 – 13 U 73/19; OLG Schleswig 22.11.2019 – 17 U 44/19; OLG Celle 20.11.2019 – 7 U 244/18; OLG Karlsruhe 6.11.2019 – 13 U 37/19, 13 U 12/19; a.A. LG Potsdam 12.04.2019 – 6 O 38/18 und die Nachfolgeinstanz OLG Brandenburg 28.01.2020 – 3 U 61/19). Denn trotz sittenwidriger Schädigung kam es während der Nutzung der Fahrzeuge zu keinen Beeinträchtigungen (vom Aufwand der Teilnahme an der Rückrufaktion einmal abgesehen), die einen Ausschluss der Nutzungsentschädigung rechtfertigen würden. Man muss sogar noch weiter gehen und konstatieren: Die Verneinung einer Nutzungsentschädigung führte zu einer Überkompensation und verstieße gegen das allgemein anerkannte schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot. Der Geschädigte darf keine Vorteile ziehen, sondern nur so gestellt werden, wie er ohne das schädigende Ereignis stehen würde bzw. gestanden hätte. Hätten die Käufer also keine abgasmanipulierten Autos gekauft, hätten sie ebenfalls für die Nutzung zahlen müssen (in Form eines Wertverlustes). Daran darf auch die Sittenwidrigkeit des Herstellerverhaltens nichts ändern. Im Ergebnis ist daher Schadensersatz in Form der Erstattung des Kaufpreises zu leisten und dabei sind die von den Käufern gefahrenen Kilometer in Abzug zu bringen (Nutzungsentschädigung), Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs. Daran wird deutlich, wie weit die Rechtsprechung jedenfalls bei § 826 BGB den Begriff des Schadens auslegt und welch flexible Rechtsfolgen sie anordnet (also Erstattung des Kaufpreises gegen Herausgabe des Wagens als Form des Schadensersatzes). Der Abzug für die Nutzungsvorteile wird dabei zu Recht vorgenommen. Denn das Auto wurde ja tatsächlich genutzt und der Käufer hat daher davon profitiert. Bei Kfz hängt die Nutzungsentschädigung nach der vom BGH (BGHZ 115, 47, 51 f.; bestätigt in NJW 2014, 2435, 2436; siehe auch LG Oldenburg 29.05.2018 – 1 O 427/17 und LG Erfurt 18.01.2019 – 9 O 490/18) zugrunde gelegten Methode der linearen Teilwertabschreibung (Wackerbarth, NJW 2018, 1713 mit Verweis auf Kaiser, in: Staudinger, BGB, § 346 Rn. 255) vom Bruttokaufpreis, der zu erwartenden Restlaufleistung (das ist die zu erwartende Gesamtlaufleistung abzgl. der bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebenen Laufleistung) und den seit Übernahme des Fahrzeugs gefahrenen Kilometern ab. Es ergibt sich die folgende Berechnungsformel, die auch der BGH in seinem Urteil VI ZR 354/19 anwendet: Bruttokaufpreis mal gefahrene Strecke seit Erwerb geteilt durch erwartete Restlaufleistung. Das kann im Extremfall (also bei sehr intensiver Nutzung) nach zutreffender Auffassung des BGH (VI ZR 354/19; VI ZR 397/19) sogar dazu führen, dass die Nutzungsvorteile einen Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren. Das ist richtig, da – wie ausgeführt – die Käufer trotz Dieselabgasmanipulation ohne Einbußen die Fahrzeuge genutzt haben und auch ohne Dieselabgasmanipulation für die Nutzungen hätten aufkommen müssen.



           Beispiel 1: Kaufpreis: 20.000,- €; zu erwartende Restlaufleistung zum Zeit­punkt des Vertragsschlusses: 110.000 km.

           Gefahrene km seit Übergabe: 3.000. Das ergibt eine Nutzungsentschädigung i.H.v. 545,45 €, die der Käufer erstatten

           muss. Sofern der Käufer einen Erstattungs­anspruch wegen des Kaufpreises hat, führt die Nutzungsentschädigung zum

           Abzugs­posten, d.h. im Ergebnis ist dem Käufer ein Betrag von 19.454,55 € zu erstatten, wenn dieser den Anspruch auf

           den großen Schadensersatz durchsetzt. Der Käufer hat also letztlich nur rund 0,18 € pro gefahrenen Kilometer

           an Wertverlust hinzunehmen, was überaus gering ist und daher als Schadenskompensation genügen sollte.  



           Beispiel 2: Wurden seit Übergabe des Fahrzeugs 110.000 km gefahren, ergibt sich nach der o.g. Formel eine

           Nutzungsentschädigung von 20.000,- €. Im Ergebnis wurde also der Schadensersatzanspruch vollständig von den

           Nutzungsvorteilen aufgezehrt. Aber auch dies ist angemessen. Es wäre nicht einzusehen, warum ein Käufer diese

           Laufleistung ohne Nutzungsvorteilsanrechnung beschreiten sollte.     



  • Die Frage, ob geschädigten Käufern von vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen unter dem Gesichtspunkt sog. Deliktszinsen (§ 849 BGB: Verzinsung der Ersatzsumme) Ansprüche auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises (bereits ab Kaufpreiszahlung) zustehen (VI ZR 397/19), hat der BGH – anders als das Berufungsgericht (OLG Oldenburg 2.10.2019 – 5 U 47/19) – mit Blick auf den Schutzzweck der Norm verneint. Der Schutzzweck besteht – zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten – darin, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen (allg. Auffassung und auch von BGH VI ZR 397/19 ausdrücklich bestätigt). Ist also die volle Nutzbarkeit gegeben, greift die Ratio des § 849 BGB nicht. 



  • Schließlich überzeugt (jedenfalls im Ergebnis) die Entscheidung des BGH, Käufern von mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen stünden keine Schadensersatzansprüche zu, wenn der Kauf erst nach Bekanntwerden des sog. Dieselskandals getätigt wurde (VI ZR 5/20). Allerdings sind die vom BGH vorgebrachten Argumente zur Verneinung der Sittenwidrigkeit in Frage zu stellen. Vorzugswürdig wäre der Weg über eine Rechtsschutzversagung gewesen, die ihre Grundlage in § 242 BGB findet: Wer ein Fahrzeug kauft, obwohl der Hersteller zuvor öffentlich die Nichteinhaltung der Dieselabgaswerte erklärt hat und das Thema im Anschluss daran über Monate hinweg Gegenstand umfangreicher Medienberichterstattung war, kann sich nicht auf sittenwidrige Schädigung berufen. Kein Käufer eines Volkswagens mit Dieselmotor der betroffenen Abgasnorm konnte sich daher darauf berufen, er habe vom Dieselabgasskandal nichts mitbekommen und sei daher arglos gewesen.





Rolf Schmidt (01.08.2020)

 



 



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