Aktuelles 2024 Finanzierungsausschluss NPD/Die Heimat

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11.2.2024: Finanzierungsausschluss NPD/Die Heimat


BVerfG, Urt. v. 23.1.2024 – 2 BvB 1/19


Mit Urteil vom 23.1.2024 hat der 2. Senat des BVerfG entschieden, dass die Partei „Die Heimat“ (vormals Nationaldemokratische Partei Deutschlands NPD) auf der Grundlage des Art. 21 III GG für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Finanzierung nach § 18 Parteiengesetz (PartG) ausgeschlossen sei. In diesem Zusammenhang hat das Gericht auch entschieden, dass Art. 21 III GG nicht gegen die durch Art. 79 III GG besonders geschützten Verfassungsprinzipien aus Art. 20 I, II GG verstoße, also kein „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ darstelle. Damit ist denn auch die Frage beantwortet, ob es die Figur des „verfassungswidrigen Verfassungsrechts“ überhaupt geben kann. Ob die Entscheidung insgesamt überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.



A. Die staatliche Parteienfinanzierung


Art. 21 I S. 1 GG statuiert die Pflicht der politischen Parteien, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken (so ausdrücklich auch BVerfGE 61, 1, 11 f.; BVerfG NVwZ 2023, 407, 409 – dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 378). Es könnte daher angenommen werden, dass der Staat auch von Verfassungs wegen dafür Sorge tragen muss, dass die Parteien zu­mindest mit einem Grundbestand an Mitteln versorgt werden, damit diese ihre Aufgabe überhaupt im Ansatz erfüllen können (ebenso Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 21 Rn. 92, nach dessen Auffassung die Frage aber letztlich dahinstehen kann, weil eine tatsächliche Unterstützung seitens des Staats besteht; a.A. BVerfGE 73, 40, 85 f.). Das geltende Verfassungsrecht geht je­doch nicht so weit und gewährt keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Parteien auf Parteienfinanzierung. Gewährt der Staat aber finanziellen Hilfen, ist er wegen des aus Art. 21 I GG ab­geleiteten und damit verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes der Chancengleich­heit der politischen Parteien sowie des aus Art. 21 IV GG folgenden Parteienprivilegs Wegen des aus Art. 21 I GG ab­geleiteten und damit verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes der Chancengleich­heit der politischen Parteien sowie des aus Art. 21 IV GG folgenden Parteienprivilegs (R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 408) aber daran gehindert, eine (lediglich) politisch unerwünschte Partei von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen (siehe R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 424 a.E.). Ein Ausschluss ist lediglich unter den Voraussetzungen des Art. 21 III, IV Var. 2, V GG i.V.m. §§ 13 Nr. 2a, 43 ff., 46a BVerfGG zulässig (dazu sogleich unter B.).

 

Die Unterstützung der Parteien durch den Staat darf aber nicht dazu führen, dass die Parteien in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Staat geraten, denn anderenfalls wäre die Mit­wirkung an der politischen Willensbildung des Volkes nicht gewährleistet. Es gilt der ver­fassungsrechtliche Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien. So führt das BVerfG aus, dass die Parteien nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und organisatorisch auf die Zustimmung und Unterstützung der Bürger angewiesen bleiben müssten. Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien dürfe nicht durch die Gewährung finanzieller Zuwendungen verletzt werden. Parteien dürften nicht Gefahr laufen, ihre gesellschaftliche Verwurzelung zu verlieren (BVerfG NVwZ 2023, 407, 410; siehe auch BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 160). Die Grenze der staatlichen Parteienfinanzierung liegt demgemäß dort, wo die Parteien der Not­wendigkeit enthoben werden, sich um die finanzielle Unterstützung durch ihre Mitglieder und ihnen nahestehender Bürger zu bemühen (vgl. BVerfGE 8, 51, 63; 85, 264, 285 sowie Bäcker, NVwZ 2000, 284; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 21 Rn. 92).



B. Ausschluss von der staatlichen Finanzierung


Aus dem Status der politischen Parteien als verfassungsrechtliche Institution sowie aus deren verfassungsrechtlich verbürgtem Recht, an der politischen Willensbildung des Volkes als konstitutives Merkmal einer parlamentarischen Demokratie mitzuwirken (Art. 21 I S. 1 GG – R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 370), folgt, dass auch für verfassungsfeindlich oder gar verfassungswidrig i.S.d. Art. 21 II GG gehaltene Parteien bis zu einer konstitutiv wir­kenden Entscheidung des BVerfG über ein Verbot (siehe Art. 21 IV GG) administrativ nicht bekämpft werden dürfen (vgl. BVerfGE 12, 296, 304; 40, 287, 291; 47, 198, 228; 107, 339, 362; 144, 20, 194 ff.; BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 222). Jedoch hat das BVerfG im NPD-Parteiverbots­ver­fahren (BVerfGE 144, 20 ff.) entschieden, dass eine Modifizierung dieses in Art. 21 GG festgeschriebenen Regelungskonzepts, etwa hinsichtlich der Schaffung von Möglichkeiten gesonderter Sanktionierung im Falle der Erfüllung einzelner Tatbestandsmerkmale des Art. 21 II GG, unterhalb der Schwelle des Parteiverbots möglich sei, sofern dies vom ver­fassungsändernden Gesetzgeber ausgehe (BVerfGE 144, 20, 242). Mit diesen verfassungsrechtlichen Mög­lichkeiten der Bekämpfung unterhalb der Schwelle des Verbots ist der Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung gemeint (BVerfG a.a.O.). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und Art. 21 III GG eingefügt (siehe das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 13.7.2017 – BGBl I 2017, S. 2346). Nach S. 1 dieser Bestimmung sind Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung (dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 421 f.) zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Be­stand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Da damit ein erheblicher Eingriff in die Handlungsfähigkeit der betreffenden Partei verbunden ist und die betreffende Partei nicht mehr im gleichen Maße – wie das ohne Mittelstreichung der Fall wäre – an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken kann, stellt sich die Frage nach der Verfassungskonformität. Denn sind Parteienfreiheit und Parteiengleichheit von Art. 21 I S. 1 GG geschützt (siehe R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 370 ff.) und zugleich in Art. 20 GG (hier: Demokratieprinzip) niedergelegte und der Ewigkeitsklausel (Art. 79 III GG) unterfallende Grundsätze, besteht die Möglichkeit, dass Art. 79 III GG i.V.m. Art. 20 I GG einer Beschränkung der staatlichen Parteienfinanzierung ent­gegensteht. Das wiederum eröffnet die Frage, ob es überhaupt „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ geben kann. Hinsichtlich der grundgesetzlich verankerten Quorenregelungen (Art. 39 III S. 3, Art. 23 Ia S. 2, Art. 44 I S. 1, Art. 45a II S. 2, Art. 93 I Nr. 2 GG – dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 78) hat das BVerfG ent­schieden, diese hätten ebenso Verfassungsrang wie der Grundsatz effektiver Opposition. Beide Prinzipien stünden auf der­selben hierarchischen Normebene, die kein Kri­terium dafür liefern könne, welchem Prinzip Vorrang zukomme. Das Grundgesetz könne nur als Einheit begriffen werden (BVerfG NVwZ 2016, 922, 927 mit Verweis auf BVerfGE 1, 14, 32 und Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 20). Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergäben sich verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundentscheidungen, denen die einzelnen Verfassungsbestimmungen untergeordnet seien. Daraus ergebe sich, dass jede Verfassungsbe­stimmung so ausgelegt werden müsse, dass sie mit jenen elementaren Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen des Verfassungsgesetzgebers ver­einbar sei (BVerfG NVwZ 2016, 922, 927 mit Verweis auf BVerfGE 1, 14, 32 f.). Daraus folge, dass auf der Ebene der Verfassung ranghöhere und rang­niedere Normen in dem Sinne, dass sie aneinander gemessen werden könnten, grundsätzlich nicht denk­bar seien (BVerfG NVwZ 2016, 922, 927 mit Verweis auf BVerfGE 3, 225, 232). Damit erteilte das BVerfG der Existenz der Figur vom verfassungswidrigen Ver­fassungsrecht wohl eine Absage. Immerhin räumte das BVerfG ein, dass die Rechtsfigur umstritten sei und dass Verfassungsbestimmungen (lediglich) grundsätzlich nicht aneinander gemessen werden könnten (BVerfG NVwZ 2016, 922, 927). Die Aufnahme von „grundsätzlich“ in die Formulierung deutet also darauf hin, dass sich das BVerfG wohl eine „Hintertür“ offenhielt, etwa für den Fall, dass eine mit einer anderen Norm kollidierende Vorschrift nicht am Maßstab dieser anderen Verfassungsnorm ausgelegt werden kann. In einem Beschluss zur Frage nach der Ver­fassungsmäßigkeit des Wahl­verfahrens für Richter des BVerfG (siehe dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 616) erkannte das BVerfG die Figur des „verfassungswidrigen Verfassungsrechts“ eindeutig an, indem es ausführt, dass es sich bei der Regelung des Art. 94 I S. 2 GG, wonach die Mitglieder des BVerfG je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt werden, nicht um ver­fassungs­widriges Verfassungsrecht handele (siehe BVerfG NVwZ-RR 2022, 81). Noch deutlicher wird das BVerfG jüngst im Urteil über den Ausschluss der Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) von der staatlichen Parteienfinanzierung, indem es formuliert, dass Ver­fassungsänderungen, welche die durch Art. 79 III GG gezogenen Grenzen nicht beachteten, sich als „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ darstellten und nichtig seien (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 204). Damit wird endgültig klar, dass das BVerfG die Figur des „verfassungswidrigen Verfassungsrechts“ anerkennt. Die Verfassungsnormen stehen also nicht allesamt auf derselben Stufe, sondern müssen sich am Maßstab des Art. 79 III GG mit den dort genannten Grundsätzen aus Art. 1 und 20 GG messen lassen, was insbesondere auf nachträglich ins Grundgesetz aufgenommene Bestimmungen zutrifft. Bei Art. 21 III GG ist das der Fall. Würde die Vor­schrift, die im Übrigen angesichts der Formulierung „sind ... ausgeschlossen“ auch kein Er­messen zulässt, die durch Art. 79 III GG garantierte Substanz des Demokratieprinzips beeinträchtigen, das mittelbar auch das Recht und die Pflicht der Parteien auf bzw. zur Mit­wirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes umfasst, wäre sie verfassungswidrig. Das BVerfG verneint einen Verstoß gegen das durch Art. 79 III GG besonders geschützte Demokratieprinzip aus Art. 20 GG eindeutig. Die Regelung des Art. 21 III S. 1 GG knüpfe den Ausschluss von der staatlichen Finanzierung gerade daran, dass die betroffene Partei selbst die Beseitigung der für den demokratischen Wettbewerb konstitutiven freiheitlichen Grundordnung anstrebt oder den Bestand des Staates gefährdet. Damit betreffe der Ausschluss nur solche Parteien, deren chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung nicht Teil des grundgesetzlichen Demokratiekonzepts sei. Der Verzicht auf deren staatliche Unterstützung berühre daher nicht die Substanz des Grundsatzes der Demokratie i.S.d. Art. 79 III GG (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 218/226).

 

Gegen die gesetzliche Regelung hatte die NPD zunächst ein Organstreitverfahren vor dem BVerfG eingeleitet. Sie beantragte die Feststellung, dass der Gesetzesbeschluss des Bun­destags zur Änderung des Grundgesetzes (s.o.) ihre Rechte aus Art. 21 I GG i.V.m. Art. 20 I, II GG und Art. 79 II GG verletzt habe. Das BVerfG hat den Antrag als un­zulässig abgewiesen (BVerfG 20.6.2023 – 2 BvE 1/17 Rn. 25 ff.). Es sei bereits zweifelhaft, ob der Beschluss des Bundestags zur Änderung des Grundgesetzes ein tauglicher Gegenstand des Organstreitverfahrens sei. Jedenfalls fehle der Antragstellerin die Antragsbefugnis. In dem hier besprochenen Urteil beantragten der Deutsche Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung gem. Art. 21 III S. 1 GG i.V.m. Art. 93 I Nr. 5 GG i.V.m. § 13 Nr. 2a, §§ 43 ff. BVerfGG die Feststellung, dass die Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) von der staatlichen (Teil-)Finanzierung nach § 18 PartG ausgeschlossen ist.

 

Tatbestandlich fordert Art. 21 III S. 1 GG, dass die Partei darauf aus­gerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Auf den ersten Blick scheinen die verfassungstextlichen Voraussetzungen mit denen eines Parteiverbots nach Art. 21 II GG (R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 414 ff.) identisch zu sein. Jedoch besteht ein Unterschied in dem Kriterium der Aus­richtung, wohingegen Art. 21 II GG ein Darauf-Aus­gehen verlangt. Schon allein sprachlich ist ein Darauf-Ausgerichtetsein weniger streng als ein Darauf-Ausgehen. Be­züglich des Darauf-Ausgehens als Erfordernis für ein Parteiverbot hat das BVerfG entschieden, dass ein Hinwirken (d.h. ein „Hinarbeiten“) in Form eines aggres­siv-kämpferischen und planvollen Vor­gehens, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu be­seitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefähr­den, erforderlich sei (BVerfGE 144, 20, 219 – dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 424). Dem­gegenüber wird man hinsichtlich der Ausrichtung – auch, um der sprachlichen Differenzierung Rechnung zu tragen – eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung ge­nügen lassen müssen. Ein Hinwirken in Form eines aggressiv-kämpferischen und planvollen Vorgehens ist demnach also nicht erforderlich. Anders sieht es das BVerfG. In seiner o.g. Entscheidung zum Aus­schluss der Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) von der staatlichen Parteienfinanzierung weist auch das BVerfG zunächst darauf hin, dass die Voraussetzungen des „Darauf-Ausgehens“ und des „Darauf-Ausgerichtetseins“ nicht identisch seien (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 156). Dann aber formuliert das Gericht, dass ein „Darauf-Ausgerichtetsein“ ein qualifiziertes und plan­volles Handeln zur Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraussetze, ohne dass es auf das Erfordernis der Potentialität ankomme (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 277). Damit greift nach dem BVerfG also allein die Potentialität als Unterscheidungskriterium, also der Umstand, dass konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann; eine semantische Unterscheidung zwischen „Darauf-Ausgehen“ und „Darauf-Ausgerichtetsein“ wird nicht vor­genommen. Da überzeugt es auch nicht, wenn das BVerfG einige Passagen später die sprachliche Unterscheidung dann doch noch erkennt und zu nivellieren versucht, in­dem es den Begriff des „Darauf-Ausge­richtetseins“ in Art. 21 III S. 1 GG entsprechend demjenigen des „Darauf-Ausgehens“ in Art. 21 II GG auslegt (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 290). Rechtsmethodisch überzeugt dies nicht, da der Wortsinn eines Begriffs die unmittelbare Willensäußerung des Gesetzgebers (hier sogar des verfassungsändernden Gesetzgebers) darstellt. Wenn aber schon der Gesetzgeber selbst den Begriff des „Darauf-Ausgerichtetseins“ wie denjenigen des „Darauf-Aus­gehens“ verstanden haben will und lediglich auf die Potentialität verzichtet (so heißt es in BT-Drs. 18/12357, S. 6: „Mit dem Tatbestandsmerkmal „darauf ausgerichtet sind“ wird ein Gleichlauf zu den Anforderungen an ein Parteiverbot nach Artikel 21 Absatz 2 GG hergestellt und bewusst (nur) auf das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit zusätzlich erforderliche Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen, verzichtet.“), steht die Rechtsprechung des BVerfG hiermit in Einklang. 

 

Ist demnach also das Merkmal des „Darauf-Ausgerichtetseins“ so zu verstehen, dass die be­treffende Partei über das bloße Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreitet, ohne, dass es auf die Potentialität ankommt (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 278), sind die Bezugspunkte des „Darauf-Ausgerichtetseins“ zu erörtern. In seiner Ent­scheidung über den Ausschluss der Partei „Die Heimat“ von der staatlichen Parteienfinanzierung stand für das BVerfG hinsichtlich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zunächst im Fokus, ob die Partei ein auf eine Missachtung der Menschenwürde zielendes politisches Konzept vertritt. Es hat entschieden, dass die Partei am ethnischen Volksbegriff und der Vorstellung von der deutschen „Volksgemeinschaft“ als Abstammungsgemeinschaft festhalte. Auf dieser Grundlage negiere die Partei das Gebot elementarer Rechtsgleichheit und fordere die Trennung von Kulturen und Ethnien. Sie diffamiere einzelne gesellschaftliche Gruppierungen und Minderheiten. Zugleich räume sie dem Kollektiv der „Volksgemeinschaft“ Vorrang gegenüber dem einzelnen Menschen ein. Konsequenz des exkludierenden Charakters der „deutschen Volksgemeinschaft“ sei die Forderung der Partei nach um­fassender rechtlicher Besserstellung aller Angehörigen dieser Gemeinschaft und die Abwertung des rechtlichen Status derjenigen, die dieser Gemeinschaft nicht angehören (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 339). Die Vorstellung der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ führe zu einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Missachtung von Ausländern, Migranten und Minderheiten. Die nunmehr vorgelegten Belege ließen erkennen, dass die rassistische, insbe­sondere antimuslimische, antisemitische und antiziganistische Grundhaltung der Partei sowie ihre ablehnende Haltung gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten wie transsexuellen Personen fortbestünden (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 350).

Neben dem Vorliegen eines auf eine Missachtung der Menschenwürde zielenden politischen Konzepts ist für das BVerfG auch ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip Thema der Entscheidung (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 379 ff.). Die Partei „Die Heimat“ fordere in ihrem Parteiprogramm die „Einheit von Volk und Staat“. Das Postulat „Volksherrschaft setzt Volksgemeinschaft voraus“ zeige, dass die Partei den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung als Kernelement des grundgesetzlichen Demokratieprinzips nicht anerkenne. Das habe denknotwendig den Ausschluss derjenigen aus dem demokratischen Prozess zur Folge, die der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ nicht angehörten. Entsprechend sei in einem durch die „Einheit von Volk und Staat“ geprägten Nationalstaat i.S.d. Partei „Die Heimat“ für die freie und gleiche Beteiligung „ethnisch Nichtdeutscher“ an der politischen Willensbildung – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – kein Raum (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 380). Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip ist damit evident. Schließlich konstatiert das BVerfG, die Partei ziele nach wie vor unter Miss­achtung der Menschenwürde und des grundgesetzlichen Demokratieprinzips auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“. Damit strebe sie nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger eine Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung an (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 420). Die Entscheidung des BVerfG überzeugt. Im Ergebnis hat das BVerfG (gem. § 46a I S. 1 BVerfGG i.V.m. § 18 PartG) die Partei für die Dauer von sechs Jahren von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 507).

 

Als Fazit kann somit festgehalten werden: Art. 21 III GG ist mit dem durch Art. 79 III GG geschützten Grundsatz der Demokratie i.S.d. Art. 20 I GG vereinbar. Tatbestandlich setzt Art. 21 III GG eine Ausrichtung der betreffenden Partei voraus, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, wobei das „Darauf-Ausgerichtetsein“ nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers und der Rechtsprechung des BVerfG so zu verstehen ist, dass die be­treffende Partei über das bloße Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreitet, ohne dass es auf das Er­fordernis der Potentialität ankommt. Damit kann gerade für den Fall, dass die betreffende verfassungsfeindliche Partei die Schwelle zum Verbot nicht über­schreitet, die staatliche Finanzierung ausgeschlossen werden. Dies soll nach dem BVerfG auch im Einklang mit Art. 11 EMRK stehen (BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 Rn. 302 ff.). 

 

Ebenso wie beim Parteiverbot bedarf es einer konstitutiven Entscheidung des BVerfG (Art. 21 IV GG). Das Verfahren hierüber rich­tet sich nach Art. 21 III, IV Var. 2, V GG, §§ 13 Nr. 2a, 43 ff., 46a BVerfGG. Antragsberechtigt sind gem. § 43 I S. 1 BVerfGG der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung (so wurde das Verfahren BVerfG 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 sogar von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung eingeleitet). Gemäß § 43 I S. 2 BVerfGG kann der Antrag hilfsweise zu einem Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit gestellt werden. Bis auf § 45 BVerfGG, der für das Verfahren über den Ausschluss staatlicher Parteienfinanzierung nicht gilt (siehe § 46a I S. 4 Halbs. 2 BVerfGG), gelten die Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 43 ff. BVerf­GG. Ist der Antrag über den Ausschluss staatlicher Parteienfinanzierung begründet (siehe R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 407a ff.), stellt das BVerfG fest, dass die Partei für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung nach § 18 PartG ausgeschlossen ist (§ 46a I S. 1 BVerfGG). Eine Verlängerung des Ausschlusses von der staatlichen Finanzierung ist möglich und richtet sich nach § 46a II BVerf­GG. In diesem Fall kann das BVerfG auch ohne mündliche Verhandlung ent­scheiden (§ 46a II S. 3 BVerfGG), was hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) nicht gerade unproblematisch ist.

 


Rolf Schmidt (11.2.2024)


 



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