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Beiträge 2015


30.3.2015 - SchuldR BT II: Beweislast bei tierärztlichen Behandlungsfehlern


OLG Oldenburg, Urteil v. 26.3.2015 – 14 U 100/14

Ergänzung zu R. Schmidt, SchuldR BT II, 9. Auflage 2014, Rn 605 ff. (Behandlungsfehler; Beweislast)

Ausgangslage: Im Zivil(prozess)recht gilt die (unausgesprochene) Grundregel („Rosenbergsche Formel“, vgl. Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl. 1965, S. 98 f.), dass bei einem non liquet („es ist nicht klar“) jede Partei die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Rechtsnorm, auf die sie sich stützt, beweisen muss und das Risiko der Nichterweislichkeit einer Beweisbehauptung zu tragen hat (Beweis­last, die im Rahmen des § 286 ZPO zu berücksichtigen ist – vgl. R. Schmidt, BGB AT, 12. Aufl. 2015, Rn 64; Gsell, JuS 2005, 967 ff.; Wolf/Neuner, AT, § 7 Rn 34 ff.; Muthorst, JuS 2014, 686, 688; Schärtl, NJW 2014, 3601 ff.). So trägt im Grund­satz der Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen (d.h. für das Bestehen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen), der Anspruchsgegner für die rechtshindernden und rechtsvernichtenden Tatsachen (d.h. für Gegennormen, die dem Anspruch entgegenstehen wie z.B. die Anfechtungsvoraussetzungen, die der Anspruchsgegner dem Anspruchsteller entgegenhält (vgl. nur BGHZ 53, 245, 250; 113, 222, 224 f.; Schilken, ZivilProzR, Rn 503; Muthorst, JuS 2014, 686, 689; zu den rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen vgl. R. Schmidt, BGB AT, 12. Aufl. 2015, Rn 1622 ff.).

Gerade im Rahmen der Arzthaftung kann dieser Grundsatz aber unbillig sein, weil die Schadensursache im Gefahrenbereich bzw. in der Sphäre des Arztes liegt und der Patient kaum Einblick in die einzelnen Behandlungsabläufe erhält. Deshalb stellt sich die Frage, ob dem Patienten eine solche Beweislastregel überhaupt zugemutet werden kann (BGH NJW 1998, 2337; 1984, 1403 f.; BVerfGE 52, 131, 146; Brox/Walker, § 45 Rn 63; vgl. auch Spindler/Rieckers, JuS 2004, 272, 275). Bei einem groben Behandlungsfehler bzw. wenn es um den sog. voll beherrschbaren Bereich geht, d.h. um einen Schaden des Patienten in einem Bereich, dessen Gefahren vom Klinikpersonal beherrscht werden können und müssen, nimmt der BGH daher schon seit geraumer Zeit eine Umkehr der Beweislast vor, wenn der Behandlungsfehler geeignet war, den eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen; dass der Fehler den Schaden nahegelegt oder wahrscheinlich gemacht habe, sei nicht erforderlich (BGH NJW 2012, 2653 f., BGHZ 159, 48, 53 f.; 88, 248, 257; BGH VersR 2007, 541; NJW 1995, 1618; 1994, 1594, 1595; 1991, 1541, 1542; 1991, 1540, 1541. Vgl. auch OLG Hamm NZS 2014, 543 f.; Hager, JA 2007, 358, 459; Spickhoff, NJW 2004, 2345 f.; NJW 2005, 1694, 1700 f.).

Damit hat der BGH eine Beweislastumkehr etabliert. Im Bereich der vertraglichen Arzthaftung hat der Gesetzgeber daran angeknüpft und geregelt, dass im Rahmen eines Behandlungsvertrags (§§ 630a ff. BGB – eingefügt durch Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 – BGBl I S. 277) gem. § 630h II BGB der Behandelnde zu beweisen hat, dass er eine Einwilligung gemäß § 630d BGB eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630e BGB aufgeklärt hat. Hinsichtlich (grober) Behandlungsfehler hat der Gesetzgeber widerlegliche Vermutungen (vgl. dazu R. Schmidt, BGB AT, 12. Aufl. 2015, Rn 55 ff.) in § 630h I, III, IV, V S. 1 BGB angeordnet („wird vermutet…“). Insoweit besteht also eine Kohärenz zwischen deliktischer und vertraglicher Haftung.

Hinsichtlich der Haftung bei tierärztlichen Behandlungsfehlern hat der Gesetzgeber keine Regelung getroffen. Teilweise wird vertreten, in analoger Anwendung des § 630h II BGB eine Beweislastumkehr auch bei schweren tierärztlichen Behandlungsfehlern anzunehmen (LG Osnabrück 3 O 1494/11). Ob die für eine Analogie erforderliche unbeabsichtigte Regelungslücke (zu den Voraussetzungen einer Analogie vgl. R. Schmidt, BGB AT, 12. Aufl. 2015, Rn 39 ff.) aber vorliegt, ist zweifelhaft.

Zum Fall OLG Oldenburg, Urteil v. 26.3.2015 – 14 U 100/14:

Sachverhalt (OLG Oldenburg, Urteil v. 26.3.2015 – 14 U 100/14 – vereinfacht und gekürzt, um die relevanten Aspekte hervorzuheben): Das Reitpferd der H erlitt infolge eines Tritts eines anderen Pferdes eine äußerlich erkennbare Platzwunde am linken hinteren Unterschenkel. Der herbeigeholte Tierarzt Dr. T empfahl, das Pferd für 3 Tage ruhig zu stellen. Danach könne es sich wieder hinlegen und auch wieder geritten werden. H stellte beim ersten Beritt leichte Taktunreinheiten im Bereich des verletzten Beines fest und stellte daraufhin das Reiten ein. Weitere drei Tage später diagnostizierte T eine Fraktur des verletzten Beines. Die Operation der Fraktur gelang nicht, das Pferd wurde noch am selben Tag getötet. Wie sich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens herausstellte, hatte sich das Pferd durch den Tritt nicht nur eine äußerliche Wunde zugezogen, sondern auch eine Fissur des Knochens. Diese Fissur hatte sich aufgrund des Aufstehens nach dem Hinlegen zu einer vollständigen Fraktur entwickelt. H begehrt von T Schadensersatz i.H.v. 100.000 €.

Ein schwerer Behandlungsfehler liegt vor. Fraglich ist allein, ob dieser schwere Behandlungsfehler ursächlich für die Fraktur war. Der Sachverständige konnte dies nicht sagen, weshalb es bei der Frage nach dem Schadensersatz darauf ankommt, ob H als Anspruchstellerin oder T als Anspruchsgegner die Beweislast trägt.

Entscheidung: Das OLG Oldenburg geht davon aus, dass der Gesetzgeber bewusst nicht auch die veterinärmedizinische Beweislastumkehr geregelt hat (OLG Oldenburg 26.3.2015 – 14 U 100/14) und stützt sich dabei auf die Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 17/10488 v. 15.8.2012). Dort heißt es in der Tat, dass tierärztliche Behandlungsverträge nicht von §§ 630a ff. BGB geregelt werden sollen. Die §§ 630a ff. BGB seien hinsichtlich ihrer Informations-, Aufklärungs- und Dokumentationspflichten speziell auf die besonderen Bedürfnisse des Menschen und des Schutzes seines Selbstbestimmungsrechts, nicht aber auf die Behandlung von Tieren zugeschnitten. Gleichwohl gebe es auch Gemeinsamkeiten. So sei die Tätigkeit des Tierarztes mit derjenigen eines Humanmediziners vergleichbar, soweit es um die Heilung und Erhaltung eines lebenden Organismus gehe. Nach der Rechtsprechung des BGH würden deshalb die im Bereich der Humanmedizin entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung auch im Bereich der Veterinärmedizin angewendet (BT-Drs. 17/10488, S. 18 mit Verweis auf BGH NJW 1982, 1327; OLG Hamm VersR 2009, 691 ff.; OLG Celle OLG Re­port Nord 23/2011, 406). Die Rechtsprechung bleibe durch die gesetzlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag insoweit nicht gehindert, hieran festzuhalten (BT-Drs. 17/10488, S. 18). Unter Anwendung der Grundsätze zur Beweislastverteilung im Arzthaftungsrecht hätte der Tierarzt empfehlen müssen, das Tier so zu halten, dass es sich wenig bewegen und nicht hinlegen kann.

Stellungnahme: Das überzeugt. Sofern man mit dem OLG Oldenburg also eine analoge Anwendung dieser Regelung auf veterinärmedizinische Behandlungsfehler mit der Begründung ablehnt, der Gesetzgeber habe den Anwendungsbereich der §§ 630a ff. BGB bewusst nur auf humanmedizinische Behandlungsverträge beschränkt, bleibt es bei dem Grundsatz, dass vorliegend H den Beweis dafür erbringen müsste, dass der schwere Behandlungsfehler ursächlich für die Fraktur war, es sei denn, man wendet die einst von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr bei schweren ärztlichen Behandlungsfehlern in der Humanmedizin auf tierärztliche Behandlungsfehler an. Die Umkehr der Beweislast beruht auf der Überlegung, dass die Schadensursache im Gefahrenbereich des Arztes liegt und der Patient kaum Einblick in die einzelnen Behandlungsabläufe erhält. Deshalb hat die Rechtsprechung bei einem groben (humanmedizinischen) Behandlungsfehler eine Umkehr der Beweislast angenommen, wenn der Behandlungsfehler geeignet war, den eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Eine Übertragung dieser Kriterien auf veterinärmedizinische Behandlungsfehler ist sachgerecht, weil auch ein Tierhalter kaum Einblick in die einzelnen Behandlungsabläufe erhält. Da vorliegend der schwere Behandlungsfehler geeignet war, die Fraktur zu ermöglichen, muss also T den Nachweis erbringen, dass die Fraktur auch bei ordnungsgemäßer Behandlung eingetreten wäre. Soweit ihm dieser Nachweis nicht gelingt, muss er Schadensersatz leisten. 

R. Schmidt (30.3.2015)



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