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Beiträge 2015


20.3.2015: Familienrecht: Neuere Entwicklung zum Regressanspruch des Scheinvaters


BVerfG, Beschluss v. 24.2.2015 - 1 BvR 472/14

Ergänzung zu R. Schmidt, FamR, 3. Auflage 2015, Rn 499 ff.:

Ausgangslage: Hat der hintergangene Ehemann und Scheinvater für ein während der Ehe geborenes, aber nicht von ihm gezeugtes Kind Unterhalt gezahlt, kann er vom Erzeuger des Kindes Erstattung der Unterhaltskosten verlangen (§ 1607 III BGB), sog. Regress. Wichtig hinsichtlich der Durchsetzung eines solchen Regressanspruchs ist die Kennt­nis, dass das gerichtliche Vaterschaftsanfechtungs­verfahren nicht auch die Fest­stellung beinhaltet, wer der wahre Vater ist. Dies muss in einem separaten Vater­schaftsfeststellungsverfahren (nach § 1600d BGB oder nach § 182 I FamFG) fest­gestellt werden. Hierbei ist aber zu be­achten, dass der bisher als Vater geltende Mann ein solches Verfahren nicht einleiten kann, da er diesbezüglich nicht aktivlegitimiert ist. Antragsbefugt im Vaterschaftsfest­stellungsverfahren sind nur die Mutter im eige­nen Namen oder als gesetzliche Vertre­terin des Kindes, der leibliche Vater und auf Antrag der Mutter das Jugendamt als Beistand des Kindes (§ 1712 I Nr. 1 BGB, § 173 FamFG), nicht jedoch der Scheinvater; dieser hat keinerlei Möglichkeit, die Vaterschaftsfeststel­lung zu betreiben (OLG Jena OLG-Report 1999, 466). Zudem ist er nach erfolgreicher Anfechtung seiner Vaterschaft gerade kein Vater mehr (was aber gem. § 172 FamFG erforderlich wäre).

Daher stellt sich die Frage, ob der bislang als juristischer Vater geltende Mann eine anderweitige Möglichkeit hat, die Identität des leiblichen Vaters zu erfahren bzw. dessen Vaterschaft feststellen zu lassen. Nach der (bisherigen) Rechtsprechung ist es jedenfalls nicht möglich, ein Regressverfahren gegen den vermeintlichen leiblichen Vater einzu­leiten, in dem dann inzident die Abstammungsprüfung stattfindet (BGHZ 121, 299, 303; OLG Celle OLG-Report 2000, 37, 38). Die Tatsache, dass der Verfahrensgegner der leibliche Vater ist, muss wegen § 1600d IV BGB an sich bei Antragstellung feststehen. Mangels Vaterschaftsanerkennung durch den leiblichen Vater oder gerichtlicher Vaterschaftsfeststellung ist dies jedoch nicht der Fall. Um dennoch dem Scheinvater ein Regressverfahren gegen den (vermeintlichen) leiblichen Vater zu er­möglichen, hat der BGH entschieden, dass dem Scheinvater nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung zur Vorbereitung eines Unterhaltsregresses auf Grundlage des § 242 BGB (Treu und Glauben) ein Anspruch gegen die Mutter auf Auskunft über die Person zustehe, die ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat (BGH NJW 2012, 450, 451 f.; NJW 2013, 2108; NJW 2014, 2571. Vgl. auch schon davor OLG Bremen OLG-Report 1999, 403, 404 f.; OLG Hamm NJW 2001, 1870), damit er in die Lage versetzt wird, gegen den (ihm noch unbekannten) Erzeuger Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Denn nach allgemei­nen Beweislastgrund­sätzen ist ein Anspruch auf Schadensersatz nur be­gründet, wenn der Anspruchsteller schlüssig darlegt, in welcher Höhe er bei dem tat­sächlichen Vater hätte Regress nehmen können, was ihm freilich ohne die Auskunft nicht möglich ist (BGH NJW 2013, 2108, 2109). Weigere sich die Ehefrau, Auskunft zu erteilen, könne sie für ihr beharrliches Schweigen zur Zahlung eines Zwangsgelds und sogar zu Zwangshaft verurteilt werden, da hier das Recht des Scheinvaters schwerer wiege als das durch den Zwang zur Auskunft beeinträchtigte Persönlichkeitsrecht der Frau – denn sie habe ihn in diese Situation gebracht (BGH NJW 2008, 2919; vgl. auch BGH NJW 2012, 450, 451; NJW 2013, 2108, 2110; NJW 2014, 2571, 2572 f..). Auf der Basis der (bisherigen) BGH-Rechtsprechung steht dem (geschiede­nen) Schein­vater, der er­folgreich die Vater­schaft angefochten hat, gegen die Mutter eines außer­ehelich gezeug­ten Kindes auch ein Schadensersatzanspruch zu, wenn diese sich weigert, den Namen des bio­logischen (d.h. genetischen) Vaters zu nennen. Der Schaden besteht hier in den zu Unrecht geleis­teten Unter­halts­zahlungen.

Der oben erläuterten Rechtsprechung des BGH, wonach dem Scheinvater nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung zur Vorbereitung eines Unterhaltsregresses auf Grundlage des § 242 BGB (Treu und Glauben) ein Anspruch gegen die Mutter auf Auskunft über die Person zusteht, die ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat, damit er in die Lage versetzt wird, gegen den (ihm noch unbe­kannten) Erzeuger Schadensersatzansprüche geltend zu machen, ist jüngst vom BVerfG eine Absage erteilt worden (BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14). Das BVerfG hat entschieden, dass sich ein Anspruch des Scheinvaters gegen die Mutter, diesem zur Durchsetzung seines gegen den leiblichen Vater des Kindes gerichteten Regressanspruchs Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters zu erteilen, nicht auf die Generalklausel des § 242 BGB stützen lasse. Zwar sei im Grundsatz gegen die im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung vorgenommene Begründung von Auskunftsansprüchen in Sonderverbindungen aufgrund der Generalklausel des § 242 BGB verfassungs­rechtlich nichts einzuwenden. Richterliche Rechtsfortbildung finde ihre Grenze aber dort, wo es um schwerwiegende Grundrechtseingriffe gehe. Ein solcher schwer­wiegender Grundrechtseingriff liege vor, wenn es um die Verpflichtung einer Mutter gehe, zur Durchsetzung des Regressanspruchs aus § 1607 III S. 2 BGB des Scheinvaters gegen den biologischen Vater Auskunft über frühere Geschlechts­partner zu erteilen. Aufgrund der damit verbundenen Grundrechtsrelevanz setze die gerichtliche Verpflichtung einer Mutter zur Preisgabe des Partners oder der Partner geschlechtlicher Beziehungen konkretere gesetzliche Anknüpfungspunkte voraus, aus denen sich ablesen lasse, dass eine Mutter zur Auskunftserteilung der fraglichen Art verpflichtet sei. Fehle eine solche hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung, seien die Gerichte generell daran gehindert, einen der Durchsetzung des Unter­haltsregresses dienenden Auskunftsanspruch eines Scheinvaters gegen die Mutter aus § 242 BGB herzuleiten. Solle der Regressanspruch des Scheinvaters gestärkt werden, müsse der Gesetzgeber tätig werden. Der Gesetzgeber wäre nicht daran gehindert, eine Regelung zum Schutz des Scheinvaters einzuführen, obwohl er hierzu nicht durch das Eingreifen grundrechtlicher Schutzpflichten angehalten sei. Er könnte einen stärkeren Schutz vorsehen, als ihn die Gerichte durch die Anwendung der bestehenden Generalklauseln gewähren könnten (BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14 mit Verweis auf BVerfGE 134, 204, 223 f.), müsse dabei allerdings dem entgegenstehenden Persönlichkeitsrecht der Mutter Rechnung tragen, das in dieser Konstellation schwer wiege (BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14).

Zum Fall BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14: Sachverhalt (BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14 vereinfacht und gekürzt, um die relevanten Aspekte hervorzuheben): Die damals zwanzigjährige F führte mit M eine Beziehung, während derer sie schwanger wurde. F hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein anderes wenige Monate altes Kind. Vor der Geburt dieses ersten Kindes hatten F und M bereits eine sexuelle Beziehung unterhalten, der das erste Kind aber nicht entstammt. Nachdem F und M infolge der zweiten Schwangerschaft geheiratet hatten, wurde die Tochter T ehelich geboren, sodass M nach § 1592 Nr. 1 BGB rechtlicher Vater dieses Kindes wurde. F erwähnte gegenüber M nicht, dass auch ein anderer Mann als Erzeuger des Kindes in Betracht kam, behauptete aber auch nicht ausdrücklich, dass M der leibliche Vater sei. Einige Jahre später eröffnete F dem M die Möglichkeit, dass er nicht der leibliche Vater sein könnte. Ein Jahr später wurde die Ehe geschieden. M beantragte das alleinige Sorgerecht für T. Daraufhin lebte das Kind jedenfalls zeitweise bei ihm. Sowohl F als auch M kamen für den Kindesunterhalt auf. Fünf Jahre nach der Scheidung focht M erfolgreich die Vaterschaft an. Wiederum zwei Jahre später forderte er F zwecks Durchsetzung seines Unterhaltsregressanspruchs aus § 1607 III S. 1 und 2 BGB auf, mitzuteilen, wer der mutmaßlich leibliche Vater von T ist. F verweigerte die Auskunft. Daraufhin nahm M die F gerichtlich auf Auskunft in Anspruch und stützte sich dabei auf die (bisherige) Recht­sprechung des BGH, wonach dem Scheinvater nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung zur Vorbereitung eines Unterhaltsregresses in Ermangelung einer ausdrücklichen Rechts­grundlage auf Grundlage des § 242 BGB (Treu und Glauben) ein Anspruch gegen die Mutter auf Auskunft über die Person zustehe, die ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat (BGH NJW 2012, 450, 451 f.; NJW 2013, 2108; NJW 2014, 2571. Vgl. auch schon davor OLG Bremen OLG-Report 1999, 403, 404 f.; OLG Hamm NJW 2001, 1870), damit er in die Lage versetzt wird, gegen den (ihm noch unbekannten) Erzeuger Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Gegen die stattgebenden zivilgerichtlichen Entscheidungen erhob F Verfassungsbeschwerde.

Entscheidung: Das BVerfG hat zunächst entschieden, dass die zivilgerichtlichen Entscheidungen die F in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG verletzten, weil sie die Tragweite dieses Grundrechts der F unzutreffend eingeschätzt hätten. Mit dem Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre spezifisch geschützt sei das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem Partner nicht offenbaren zu müssen, sondern selbst darüber befinden zu können, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt werde (BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14 mit Verweis auf BVerfGE 117, 202, 233) Zwar sei eine Verpflichtung der Mutter, dem Scheinvater zur Durchsetzung seines Regressanspruchs auch gegen ihren Willen Auskunft über die Person des Vaters zu erteilen, im Rahmen einer auch im vorliegenden Fall grundsätzlich zulässigen Abwägung verfassungsrechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen. Die Gerichte hätten aber verkannt, dass das Interesse, selbst darüber zu befinden, ob und wem Einblick in das Geschlechtsleben gewährt wird, verfassungsrechtlich schwerer wiege als das finanzielle Regressinteresse des M. Die Gerichte hätten verkannt, dass zur verfassungsrechtlich geschützten Intimsphäre der Mutter gerade auch die Frage gehöre, mit welchem Partner oder welchen Partnern sie eine geschlechtliche Beziehung eingegangen sei. Die Offenbarung und Nennung von Partnern sexueller Kontakte sei mit Blick auf den Schutz der Privatsphäre der betroffenen Frau oftmals sogar noch von größerer Brisanz als der Umstand, dass es überhaupt zur außerehelichen Zeugung eines Kindes gekommen ist. Das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht spezifisch geschützte Recht der F, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen, hätte bei der von den Gerichten vorzunehmenden Interessenabwägung stärker Berücksichtigung finden müssen.

Zum anderen ist das BVerfG der Auffassung, dass – unabhängig von den Umständen des vorliegenden Falls – die Zivilgerichte mit der Gewährung eines auf § 242 BGB basierenden Auskunftsanspruchs gegenüber der Frau, Angaben zu einem bestimmten Sexualpartner zu machen, die verfassungsrechtlich zulässige Grenze richterlicher Rechtsfortbildung überschritten hätten, was F ebenfalls in ihren Rechten verletze. Zur Argumentation siehe oben.

Stellungnahme: Unabhängig davon, ob die beiden Argumentationsstränge im Ergebnis überzeugen, ist die Entscheidung des BVerfG in rechtsmethodischer Hinsicht mehreren Einwänden ausgesetzt. Denn wenn das Gericht feststellt, dass zur verfassungsrechtlich geschützten Intimsphäre der Mutter gerade auch die Frage gehöre, mit welchem Partner oder welchen Partnern sie eine geschlechtliche Beziehung eingegangen sei, hätte es überhaupt keine Abwägung mit widerstreitenden Interessen des M zulassen dürfen. Denn auch sonst stellt das BVerfG klar, dass die Intimsphäre den Wesensgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausmache, dieser Bereich absolut geschützt und somit jeglicher öffentlicher Gewalt (und Eingriffen Privater) verschlossen sei mit der Folge, dass eine Abwägung mit den Interessen des Eingreifenden bzw. der Öffentlichkeit nicht stattfinde (BVerfGE 6, 32, 41; 34, 238, 245; 35, 202, 220; 80, 367, 373 f.; 109, 279, 313 f.; 119, 1, 29 f. Vgl. auch BGH NJW 2015, 782, 784). Indem das BVerfG aber gleichwohl eine Abwägung vornimmt, gibt es zu verstehen, dass es den Zwang, eine geschlechtliche Beziehung zu einem bestimmten Mann oder zu mehreren bestimmten Männern preiszugeben und damit intimste Vorgänge des Privatlebens zu offenbaren, der Privatsphäre zuordnet, obwohl es zuvor (Rn 33) ausdrücklich von Intimsphäre spricht. Das ist inkonsistent und methodisch angreifbar.

Methodisch zu hinterfragen ist auch die Feststellung, die Zivilgerichte hätten die verfassungsrechtlich zulässige Grenze richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, indem sie einen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB hergeleitet haben. Das ist deswegen zu hinterfragen, weil das BVerfG die Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung an „eine hinreichend deutliche Grundlage im geschriebenen Recht“ knüpft. Denn auch sonst steht das BVerfG auf dem Standpunkt, dass im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung von der Rechtsprechung Entscheidungen ge­troffen werden dürften, die keine unmittelbare Grundlage mehr im kodifizierten Recht fänden, bei denen also das Gericht quasi – extra legem – als Ersatzgesetzgeber auftrete (vgl. BVerfGE 34, 269, 287 f.; 49, 304, 318; 65, 182, 190 f.; 71, 354, 362; 128, 193, 210; 132, 99, 127, worauf das BVerfG in BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14 (Rn 39) sogar ausdrücklich Bezug nimmt). Wenn schon das Gericht den Auskunftsanspruch aus § 242 BGB verneinen möchte, wäre es aus rechtsmethodischer Sicht überzeugender gewesen, den Auskunftsanspruch aus § 242 BGB allein mit dem Argument zu verneinen, die Norm sei eine reine Korrekturnorm, konzipiert, unbillige Ergebnisse zu korrigieren, und zudem zu unbestimmt, um als Anspruchsgrundlage zu fungieren.

R. Schmidt (20.3.2015)


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