aktuelles-2015-tuev-neu-bzw-hu-neu-beim-gebrauchtwagenkauf

Beiträge 2015


22.12.2015: "TÜV neu" (bzw. "HU neu") beim Gebrauchtwagenkauf


BGH, Urt. v. 15.4.2015 - VIII ZR 80/14 (NJW 2015, 1669)


Schlagworte: TÜV neu HU neu Gebrauchtwagen Sachmangel Rücktritt

Ausgangslage: Die Ausübung von Mängelrechten (Nacherfüllung, Minderung, Rücktritt, Schadensersatz, Aufwendungsersatz, vgl. § 437 BGB) setzt einen Mangel an der Sache voraus. Ganz all­gemein gesprochen ist jede für den Käufer negative Abwei­chung des Ist-Zustands vom Soll-Zustand ein Sachmangel. Nach der gesetzlichen Systematik des § 434 BGB ist jedoch zur Feststellung eines Mangels nach einer ganz bestimmten Stufenfolge vorzugehen. So ist nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB die Sache nur dann frei von Sachmängeln ("Fehlern“), wenn sie bei Gefahrüber­gang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Wäh­rend unter "Gefahr­über­gang“ der Zeitpunkt der Übergabe gem. § 446 BGB zu verstehen ist, bedeutet Beschaffenheitsvereinbarung die auf Vor­stellun­gen der Parteien beruhende Vereinbarung über die Beschaffen­heit oder den Verwendungszweck der gekauften Sache. Weicht die obj­ek­tive Be­schaffen­heit von der vereinbarten ab, liegt ein Sach­mangel vor (= sub­jektiver Fehlerbegriff), vgl. R. Schmidt, Praxisratgeber Kaufrecht, 2015, S. 14.

In dem hier zu besprechenden Fall geht es um die Frage, ob die Angabe des Verkäufers eines Gebrauchtwagens "HU neu" die stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung darstellt, der Wagen befinde sich zum Zeitpunkt der Übergabe ("Gefahrübergang" gem. § 446 BGB als maßgeblicher Zeitpunkt bei der Frage nach einem Sachmangel) in einem verkehrssicheren Zustand.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde (vgl. BGH, Urt. v. 15.4.2015 - VIII ZR 80/14): K kaufte von V, einem Gebrauchtwagenhändler, einen 13 Jahre alten Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 144.000 km zum Preis von 5.000 €. Der Kaufvertrag enthielt unter der Rubrik "Zubehör/Sonderausstattung" den Eintrag "HU neu". Am Tag des Fahrzeugkaufs hatte der Technische Überwachungsverein (TÜV) die Hauptuntersuchung durchgeführt und das Fahrzeug beanstandungsfrei mit einer TÜV-Plakette versehen. Am nächsten Tag fuhr K zu ihrem rund 900 km entfernten Wohnort. Auf der Fahrt dorthin blieb der Wagen aufgrund eines defekten Kraftstoffrelais mehrmals liegen und es entstanden der K Kosten für Pannenhilfe und Reparatur in Höhe von 315,99 €. Bei den anschließenden, von K veranlassten Untersuchungen des Fahrzeugs wurde unter anderem eine starke Korrosion an den Bremsleitungen, den Längsträgern, den Querlenkern, den Achsträgern und dem Unterboden sowie an sämtlichen Zuleitungen zum Motor festgestellt. Die K erklärte daraufhin - ohne dem V Gelegenheit zur Mängelbeseitigung zu geben - schriftlich die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag, und begründete dies mit den bei der Untersuchung festgestellten, die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigenden Mängeln. V behauptet, er habe das Fahrzeug vor dem Verkauf durchgesehen und nur vordergründigen Rost festgestellt; im Übrigen habe er sich auf die Untersuchung des TÜV verlassen.

Mit ihrer Klage begehrt K Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Wagens sowie Ersatz der Kosten der Pannenhilfe und Reparatur, jeweils zuzüglich Zinsen.

Ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten bestätigte, dass das veräußerte Fahrzeug eine fortgeschrittene, offensichtliche Korrosion im Bereich der Längsträger, der Fahrwerksteile und sämtlicher Zuleitungen zum Motor sowie eine überdurchschnittliche Korrosion an den vorderen Bremsleitungen aufgewiesen habe. Insbesondere die Korrosion an den vorderen Bremsleitungen hätte bei der am Verkaufstag durchgeführten Hauptuntersuchung beanstandet werden müssen. Dieser erhebliche, die Verkehrssicherheit beeinträchtigende Mangel habe bereits bei Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin vorgelegen.

Entscheidung des BGH: Zunächst hebt der BGH hervor, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats den Gebrauchtwagenhändler keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit treffe, das Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen. Vielmehr könne er zu einer Überprüfung des Fahrzeugs nur aufgrund besonderer Umstände, die für ihn einen konkreten Verdacht auf Mängel begründen, gehalten sein, etwa dann, wenn er die Vorschädigung eines zu veräußernden Fahrzeugs kennt. Abgesehen von diesen Fällen sei der Händler grundsätzlich nur zu einer fachmännischen äußeren Besichtigung ("Sichtprüfung") verpflichtet. Daher handele er grds. nicht arglistig, wenn er den Käufer nicht darüber aufkläre, dass er das Fahrzeug nicht zuvor auf etwaige Mängel untersucht habe. Insoweit scheide arglistige Täuschung aus. Das gekaufte Fahrzeug sei aber bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen, weil es sich entgegen der vereinbarten Beschaffenheit nicht in einem Zustand befunden habe, der die Erteilung einer TÜV-Plakette am Tag des Kaufvertrags gerechtfertigt habe. K sei deshalb gem. § 440 S. 1 BGB auch ohne vorherige Fristsetzung zum Rücktritt berechtigt gewesen, weil eine Nacherfüllung für sie nach § 440 S. 1 Var. 3 BGB unzumutbar gewesen sei.

Bewertung: Im Rahmen der Bewertung ist zu unterscheiden zwischen Anfechtung, Rücktritt und Schadensersatz/Aufwendungsersatz:

A. Anfechtung
Zunächst geht es um die Frage, ob seitens des Gebrauchtwagenhändlers V eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung vorliegt. Denn nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB kann der Betroffene seine Willenserklärung (hier: Vertragserklärung), die er aufgrund arglistiger Täuschung des anderen abgegeben hat, anfechten. Folge einer Anfechtung ist die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts von Anfang an (§ 142 Abs. 1 BGB). Hätte K also anfechten können, wäre der Kaufvertrag nichtig gewesen und es hätte ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich (eine Rückabwicklung) über §§ 812 ff. BGB stattgefunden. Fraglich ist jedoch, ob eine Täuschung seitens des V vorliegt. Grundsätzlich kann auch ein Verschweigen von Mängeln eine Täuschung darstellen. Jedoch setzt eine Täuschung, wie sich aus dem Merkmal "Arglist" ergibt, Vorsatz voraus. Es müsste V also zumindest möglich gewesen sein, die Mängel zu erkennen, und er müsste diese zumindest billigend in Kauf genommen haben (sog. Eventualvorsatz, der auch bei § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB genügt). Vorliegend ist zugunsten des V davon auszugehen, dass er die Mängel nicht kannte. Allerdings ist arglistige Täuschung auch dann gegeben, wenn der Handelnde, obwohl er mit der möglichen Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, "ins Blaue hinein“ unrichtige Behauptungen aufstellt (BGHZ 63, 382, 388; 74, 383, 391 f.; 168, 64, 66; OLG Naumburg NJW 2014, 1113, 1114) und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der andere Teil durch das Täuschungsverhalten zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt wird, d.h. in Kauf nimmt, dass dieser bei wahrheitsgemäßen Erklärungen nicht oder nur zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte (OLG Hamm NJW-RR 1995, 286, 287; Ellenberger, in: Palandt, BGB-Kommentar, 75. Aufl. 2016, § 123 Rn. 11; R. Schmidt, BGB Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2015, Rn. 1412). Aber auch diesbezüglich muss zugunsten des V davon ausgegangen werden, dass er die TÜV-Prüfung für ordnungsgemäß hielt und auf deren Richtigkeit vertraute. Von einer Behauptung "ins Blaue hinein" kann dann nicht gesprochen werden.

Ergebnis: Damit ist also eine arglistige Täuschung zu verneinen und die Anfechtung der K ist nicht begründet.
 

B. Rücktritt
Mithin kommt es daher auf die Frage an, ob K denn dann vom Kaufvertrag zurücktreten konnte, ob also der hilfsweise erklärte Rücktritt begründet ist. Die Voraussetzungen ergeben sich aus §§ 434, 437 Nr. 2 Var. 1, 323, 326 Abs. 5 BGB. Nach diesen Vorschriften kann der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag erklären, wenn

  •  ein wirksamer Kaufvertrag (§ 433 BGB) abgeschlossen wurde,
  • die Leistung fällig ist,
  • der Kaufgegenstand einen Rechts- oder Sachmangel (§ 434 BGB) bei Gefahrübergang (§§ 446 f. BGB) aufweist,
  • (bei einem behebbaren Mangel) der Verkäufer seine in angemessener Frist vorzunehmende Nacherfüllung nicht geleistet hat (§ 323 Abs. 1 BGB; es sei denn, die Fristsetzung ist entbehrlich, etwa nach § 440 BGB, § 323 Abs. 2 BGB oder nach § 326 Abs. 5 BGB)
  • und keine Ausschlussgründe (etwa § 323 Abs. 5 S. 2, Abs. 6 BGB) gegeben sind.

Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen K und V lag vor. Die geschuldete Leistung (Übereignung und Übergabe des Gebrauchtwagens) war auch fällig. Allein die Frage, ob ein Rechts- oder Sachmangel vorlag, könnte problematisch sein.

In Betracht kommt ausschließlich ein Sachmangel. Nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Sache nur dann frei von Sachmängeln ("Fehlern“), wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Unter Beschaffenheitsvereinbarung ist die auf den Vorstellungen der Parteien beruhende Vereinbarung über die Beschaffenheit oder den Verwendungszweck der gekauften Sache zu verstehen. Weicht die objektive Beschaffenheit von der vereinbarten ab, liegt ein Sachmangel vor (= subjektiver Fehlerbegriff). In den Kaufvertrag hat V die Bezeichnung "HU neu" aufgenommen. Dies stellt nach zutreffender Auffassung des BGH eine stillschweigende Vereinbarung dar, dass sich das verkaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach §  29 StVZO geeigneten verkehrssicheren Zustand befinde und die Hauptuntersuchung durchgeführt sei. Insoweit gelte nichts anderes als für einen in einem Kaufvertrag enthaltenen Zusatz "TÜV neu".

Der Gebrauchtwagen, um den es vorliegend geht, entsprach dieser Beschaffenheitsvereinbarung nicht, sondern war - wie der BGH völlig zutreffend ausführt - aufgrund der fortgeschrittenen Korrosion insbesondere an den vorderen Bremsleitungen ungeachtet der dennoch erteilten TÜV-Plakette nicht verkehrssicher und aufgrund seines schlechten Gesamtzustandes bei Übergabe nicht so beschaffen, dass ein Betrieb des Fahrzeugs und dessen gefahrlose Nutzung im Straßenverkehr möglich gewesen wären.

Dieser Sachmangel war - wie sich eindeutig aus dem Sachverständigengutachten ergibt - auch bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (d.h. der Übergabe i.S.d. § 446 BGB) vorhanden. Insofern würde V auch nicht die gesetzliche Vermutung in § 476 BGB widerlegen können.

Bei einem behebbaren Mangel muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich eine angemessene Frist zur Nacherfüllung einräumen, bevor er den Rücktritt erklären kann (vgl. § 323 Abs. 1 BGB). Dass K dem V eine solche Frist gesetzt hätte, ist nicht ersichtlich. Allerdings ist eine Fristsetzung unter verschiedenen Voraussetzungen bzw. in verschiedenen Konstellationen entbehrlich (vgl. etwa § 323 Abs. 2 BGB bzw. § 440 BGB). Bei einem unbehebbaren Mangel ist von vornherein keine Fristsetzung erforderlich (vgl. § 326 Abs. 5 BGB), da sie keinen Sinn machte. Vorliegend wäre die Beseitigung der Mängel technisch möglich gewesen, sodass sich die Entbehrlichkeit der Fristsetzung nicht aus § 326 Abs. 5 BGB ergibt. Möglicherweise ergibt sich die Entbehrlichkeit der Fristsetzung aber aus § 440 S. 1 BGB. Danach bedarf es der Fristsetzung u.a. dann nicht, wenn die Nacherfüllung (hier: Mängelbehebung) für den Käufer unzumutbar ist.

Der BGH führt dazu aus: "Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 233 f.), diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen (BT-Drucks. 14/6040, S. 223) oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen (Erman/Grunewald, BGB, 14. Aufl., § 440 Rn. 3; Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., § 440 Rn. 8; BeckOK-BGB/Faust, Stand 1. August 2014, § 440 Rn. 37) und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist".

Der BGH stellt darauf ab, dass das als verkehrssicher verkaufte Fahrzeug massive Mängel in Form fortgeschrittener Korrosion an sicherheitsrelevanten Bauteilen aufwies, die (auch für V) bereits bei einer ordnungsgemäß durchgeführten einfachen Sichtprüfung ohne weiteres erkennbar gewesen wären. Es sei nachvollziehbar, dass K angesichts dieses Umstands jedes Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Fachkompetenz des V verloren habe.

Ergebnis: Daher ist die nach § 323 Abs. 1 BGB an sich erforderliche Fristsetzung gem. § 440 S. 1 Var. 3 BGB entbehrlich. K konnte somit gegenüber V den Rücktritt vom Kaufvertrag erklären, ohne zuvor eine Frist zur Mängelbehebung gesetzt haben zu müssen.

Die Rechtsfolgen eines wirksamen Rücktritts bestimmen sich nach §§ 346 ff. BGB. Gemäß § 346 Abs. 1 BGB sind die jeweils empfangenen Leistungen zurückzugewähren. V hat daher K den Kaufpreis zu erstatten. Umgekehrt muss K dem V den Wagen herausgeben (d.h. zurückgeben und zurückübereignen).

C. Schadensersatz/Aufwendungsersatz
Mithin bleibt die Beantwortung der Frage, ob K der ebenfalls geltend gemachte Schadensersatz zusteht. Zunächst steht fest, dass Schadensersatz nicht durch den Rücktritt ausgeschlossen ist (§ 325 BGB). Es muss sich aber um einen Schaden handeln, der nicht bereits durch den Rücktritt "abgegolten" ist. Vorliegend macht K Kostenersatz für die Pannenhilfe und die Reparatur des defekten Kraftstoffrelais in Höhe von 315,99 € geltend. Diese Kosten sind nicht bereits mit dem Rücktritt "abgegolten".

Als Anspruchsgrundlage dienen §§ 437 Nr. 3 Var. 1, 440, 281 Abs. 1 S. 1 und 3, 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB (Schadensersatz statt der ganzen Leistung).

Grundsätzlich muss der Gläubiger dem Schuldner nach der Fälligkeit der Leistung auch hier eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzen, § 281 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine solche war vorliegend jedoch entbehrlich wegen der Abwägung gem. § 440 S. 1 Var. 3 BGB; insoweit kann auf die obigen Ausführungen zum Rücktritt verwiesen werden.

§ 280 BGB setzt eine Pflichtverletzung voraus. Diese kann in der unterlassenen qualifizierten Prüfung des Wagens gesehen werden.

Während das Rücktrittsrecht des Gläubigers bei einer Leistungsstörung unabhängig vom Verschulden des Schuldners entsteht, ist für einen weitergehenden Schadensersatzanspruch erforderlich, dass der Schuldner die Leistungsstörung auch zu vertreten hat (sog. Verschuldensprinzip). Dies folgt aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.

Wann ein solches Vertretenmüssen vorliegt, bestimmt sich nach §§ 276 ff. BGB. Dabei ist zunächst § 276 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 BGB von Bedeutung, wonach der Schuldner grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Vorsatz kann im vorliegenden Fall ausgeschlossen werden (s.o., Prüfung des Rücktritts). Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Für die Sorgfalt gilt ein objektiv-abstrakter Maßstab, wobei die Zugehörigkeit des Schuldners zu einem bestimmten Verkehrskreis zu berücksichtigen ist. Anhand dieses Maßstabs ist zu beurteilen, ob der schädigende Erfolg für den Schuldner vorhersehbar und vermeidbar war.

Die Beweislast trägt im Rahmen des Leistungsstörungsrechts der Schuldner. Er muss also den Nachweis erbringen, dass er die Leistungsstörung nicht zu vertreten hat. Dies folgt aus der negativen Formulierung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach der Schadensersatz nicht gewährt wird, wenn der Schuldner die Leistungsstörung nicht zu vertreten hat.

Nach diesen Grundsätzen ist nicht zweifelhaft, ob V die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Ihm wird es nicht gelingen, das Nichtvertretenmüssen zu beweisen. 

Rechtsfolge: Schadensersatz: Grundsätzlich sind alle Investitionen, die der Käufer mit Rücksicht auf die Mangelfreiheit der Sache getätigt hat, ersatzfähig. Dazu zählen auch Pannenhilfe- und Reparaturkosten.

Ergebnis: V hat K auch die Kosten i.H.v. 315,99 € zu ersetzen.

Hinweis: Der BGH prüft den Kostenersatzanspruch als Aufwendungsersatzanspruch (§ 437 Nr. 3 Var. 2 BGB i.V.m. § 284 BGB), gelangt aber zu demselben Ergebnis.

D. Abschließende Anmerkung bzw. Bewertung
Das Urteil des BGH und die vom Verfasser vorgenommene Bewertung sind nicht dahingehend zu verstehen, dass bei Angabe "HU neu" stets Rücktritt und Schadensersatz möglich wären, wenn der Wagen mangelbehaftet ist. Im vorliegenden Fall bestand vielmehr die Besonderheit, dass die Mängel so gravierend waren, dass diese dem Händler ohne weiteres ins Auge springen mussten. Ansonsten wäre nach Maßgabe des § 323 BGB der Rücktritt wohl nicht ohne Fristsetzung begründet gewesen. Wer also den Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung (Aufforderung zur Nacherfüllung mit Fristsetzung) erklärt, geht ein nicht zu unterschätzendes Risiko ein.

Ob mit Blick auf Art. 3 Abs. 5 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (Richtlinie 1999/44/EG), wonach beim Rücktritt von einem Verbrauchsgüterkauf überhaupt keine Fristsetzung erforderlich ist, sondern das Abwarten einer angemessenen Zeit genügt (siehe die englische Fassung der Richtlinie, wo lediglich von „within a reasonable time“ - also innerhalb einer angemessenen Zeit - gesprochen wird), etwas anderes gelten würde, hat der BGH nicht angesprochen (anders aber in NJW 2015, 2564). Im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 5 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie wird man generell von einem Fristsetzungerfordernis absehen müssen. § 323 Abs. 1 BGB ist daher im Rahmen einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung so zu lesen, dass bei einem Verbrauchsgüterkauf der Rücktritt des Verbrauchers (bereits dann) zulässig ist, wenn er innerhalb einer angemessenen Zeit nach der Aufforderung zur Nacherfüllung erfolgt. 

R. Schmidt (22.12.2015)

 


Share by: