aktuelles-2015-vorzeitiger-abbruch-einer-internetauktion

Beiträge 2015


29.3.2015 - BGB AT: Vorzeitiger Abbruch einer Internetauktion


BGH, Urteil v. 12.11.2014 – VIII ZR 42/14 (NJW 2015, 548) - Schadensersatz bei vorzeitigem Abbruch einer Internetauktion

Ergänzung zu R. Schmidt, BGB AT, 12. Auflage 2015, Rn 606

Ausgangslage:
Sog. Internetauktionen über die allseits bekannten Internetplatt­formen sind mittlerweile fester Bestandteil auch der Rechtsgeschäftslehre. Anders als bei einer tatsächlichen Auktion i.S.d. § 156 BGB, bei der der Vertrag durch Zuschlag zustande kommt, handelt es sich bei den Internetauktionen jedoch regelmäßig um Kaufverträge i.S.v. § 433 BGB, die gem. §§ 145 ff. BGB durch zwei aufeinander bezogene und inhaltlich einander entsprechende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande kommen, wobei das Angebot (der Antrag) mit Freischaltung der „Auktion“ erfolgt und sich dabei an einen unbestimmten Personenkreis (Offerta ad incertas personas) richtet: Angesprochen ist jeder, der sich für den Gegen­stand interessiert. Der Rechtsbindungswille des Anbietenden ist darauf bezogen, den Vertrag mit demjenigen zu schließen, der bei Auktionsende (vgl. § 148 BGB) das höchste Gebot abgegeben hat – antizipierte Annahmeerklärung (vgl. auch BGH NJW 2005, 53 f.; BGH NJW 2014, 1292 f.; BGH NJW 2015, 548, 549; OLG Hamm NJW 2005, 2319; Schwab, JuS 2012, 839, 840; Sutschet, NJW 2014, 1041; Kulke, NJW 2014, 1293 f. und grundlegend BGHZ 149, 129, 134.). Das Internetauktionshaus (eBay o.Ä.) stellt dabei lediglich die Plattform zur Verfügung, macht aber über „Nutzungsbedingungen“ verbindliche Vorgaben für die Versteigerung, insbesondere hinsichtlich der Bindungswirkung des Angebots, und gibt vom BGB abweichende Klauseln über den Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor, die auf das Verhältnis zwischen Anbieter und Bieter anwendbar sind. Schließlich schreiben die „Nutzungsbedingun­gen“ die Übernahme des „Nutzungsentgelts“ (also der „eBay-Gebühren“) vor (R. Schmidt, BGB AT, 12. Aufl. 2015, Rn 277/606).

Der oben angesprochene, für ein verbindliches Ver­tragsangebot erforderliche Rechtsbindungswille kann im Einzelfall jedoch fraglich sein. Er kann etwa fehlen, wenn es sich nur um eine invitatio ad offerendum handelt oder wenn der Anbieter sein Angebot unter den „Vorbehalt einer berechtigten Angebotsrück­nahme“ stellt bzw. sich den Widerruf vorbehält (BGH NJW 2014, 1292 f.; BGH NJW 2011, 2643). Solche Einschränkungen des Rechts­bindungswillens sind möglich, weil es § 145 BGB gerade zulässt, dass der Antragende die Bindungswirkung ausschließt. Ob im konkreten Fall eine solche Einschränkung des Rechtsbindungswillens vorliegt, ist anhand der §§ 133, 157 BGB zu beurteilen, wobei nach Auffassung des BGH die (dem Bieter zur Verfü­gung stehenden) AGB des Internet­auktionshauses maßgeblich sind (BGH NJW 2014, 1292). Das ist mit Blick auf die gesetzliche Regelung in §§ 133, 157 BGB, wonach auch sonst nach st. Rspr. des BGH auf den objektiven Empfängerhorizont abzu­stellen ist, nicht ganz unproblematisch (R. Schmidt, BGB AT, 12. Aufl. 2015, Rn 606)

Zum Fall BGH, Urteil v. 12.11.2014 – VIII ZR 42/14 (NJW 2015, 548)

Sachverhalt (BGH, Urteil v. 12.11.2014 – VIII ZR 42/14 – vereinfacht und gekürzt, um die relevanten Aspekte hervorzuheben): V bot über eBay einen Gebrauchtwagen (im Wert von ca. 5.500 €) zu einem Startpreis von 1 € an. Nach kurzer Zeit beendete er die Auktion vorzeitig. Zu dieser Zeit war K der einzige Bieter. Dessen Gebot lag bei 550 €. K ist mit der Beendigung des Angebots nicht ein­verstanden. Er macht Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend. V begründete den vorzeitigen Abbruch damit, dass er außerhalb von eBay einen Käufer gefunden habe.

Vorüberlegung: Der von K geltend gemachte Schadensersatzanspruch könnte sich auf §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB (hier: Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht erbrachter Leistung) stützen. Folge wäre, dass K so zu stellen wäre, wie er bei Vertragserfüllung gestan­den hätte. Allerdings bestünde kein Anspruch auf Schadensersatz, wenn die vorzeitige Beendigung der Auktion durch V rechtlich zulässig gewesen wäre. Die vorzeitige Beendigung der Auktion wäre rechtlich zulässig gewesen, wenn einem Erfüllungsanspruch eine rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendung gegenübergestanden hätte (was auch so den eBay-AGB entspricht). Als rechtshindernde Einwendung kommt Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB (hier: wucherähnliches Rechtsgeschäft wegen groben Missverhältnisses zwischen Wert des Auktionsobjekts und Höchstgebot) in Betracht. Allerdings lässt sich im Rahmen von Internetauktionen die für die Annahme eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts erforderliche verwerfliche Gesinnung des Bieters nicht ohne weiteres feststellen. Denn dass Bieter einen Auktionsgegenstand möglichst kostengünstig erwerben möchten, kennzeichnet ja gerade Internetauktionen (vgl. BGH NJW 2012, 2723, 2724). Auch der seine Grundlage in § 242 BGB findende Einwand der unzulässigen Rechtsausübung greift vorliegend nicht, da es kein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt, einen Auktionsgegenstand weit unter Marktwert erhalten zu wollen. Ein Bieter vertraut darauf, dass ein Anbieter einen bestimmten Mindestpreis festlegt, wenn dieser nicht bereit ist, den Gegenstand weit unter Marktwert zu verkaufen (vgl. auch OLG Köln MMR 2007, 446, 447 ff.; folgend BGH NJW 2015, 548, 549). Als rechtsvernichtende Einwendung kommt eine Anfechtung wegen Irrtums gem. § 119 I BGB in Betracht (zur Einordnung der Anfechtung als rechtsvernichtende und nicht als rechtshindernde Einwendung vgl. R. Schmidt, BGB AT, 12. Aufl. 2015, Rn 1268). Allerdings liegt kein Irrtum seitens V vor, sodass kein diesbezüglicher Anfechtungsgrund besteht. Liegt demnach also keine rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendung vor, ist der Weg frei für die Prüfung eines Schadensersatzanspruchs.

Entscheidung: Der BGH lehnte eine Berechtigung des V zur vorzeitigen Beendigung der Auktion ab, da im vorliegenden Fall weder die eBay-AGB noch die gesetzlichen Vorschriften ein solches Recht zubillig­ten (anders wäre es, wenn der Gegenstand während der Auktion gestohlen würde oder unterginge; in diesem Fall dürfte der Anbieter die Auktion vorzeitig beenden – BGH NJW 2011, 2643; BGH WM 2015, 403). Weiterhin lehnte der BGH die Berechtigung zur Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB ab, da V kein Anfechtungsgrund zustehe. Auch verneinte der BGH die mit Bezug auf § 138 I BGB geltend gemachte Nichtigkeit des Vertrags, da ein sittlich missbilligendes Verhalten und eine verwerfliche Gesinnung bei K nicht vorgelegen hätten. Es sei gerade Eigenart von Internetauktionen, dass Bieter einen möglichst geringen, auch weit unterhalb des Marktwerts liegenden Preis zahlen wollten. V habe es freigestanden, ein für ihn unvor­teilhaftes Geschäft durch Angabe eines Mindestpreises zu verhindern. Dass er dies nicht getan habe, liege in seiner Verantwortung. Daher sei es auch nicht rechtsmissbräuchlich bzw. stelle keine unzulässige Rechts­ausübung i.S.v. § 242 BGB dar, wenn sich K auf das Zustandekommen eines Kaufvertrags berufe. Mithin sei ein Kauf­vertrag zwischen V und K zu einem Preis von 555 € zustande gekommen. Wegen Nichterfüllung dieses Vertrags erwachse K der Schadensersatzanspruch.

Stellungnahme: Dem ist unein­geschränkt zuzustimmen. Da V sich zu Unrecht weigerte, den Vertrag zu erfüllen bzw. wegen der infolge einer Veräußerung des Wagens an einen Dritten eingetretenen Un­möglichkeit (§ 275 I BGB) nicht erfüllen konnte, steht K der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB zu. Der BGH erwähnt in diesem Zusammenhang noch die Verweisungsnorm des § 437 Nr. 3 BGB. Das ist aber abzulehnen, da es vorliegend ausschließlich um Schadensersatz wegen Nichterfüllung geht, nicht um Schadensersatz, der seine Grundlage in einem Sach- oder Rechtsmangel i.S.d. §§ 434, 435 BGB hat (ein solcher wird nämlich von § 437 Nr. 3 BGB vorausgesetzt). Im Ergebnis ist K so zu stellen, wie er bei Vertragserfüllung gestan­den hätte (von einem Erfüllungsanspruch geht auch Oechsler, NJW 2015, 665 ff. aus). Die Möglichkeit, dass K bei ordnungs­gemäßem Verlauf der Auktion den Wagen nicht oder nicht zu dem Preis erworben hätte, muss außer Betracht bleiben. Denn V hat die Auktion vorzeitig beendet, obwohl bereits ein Gebot vorlag. Diese Pflicht­widrigkeit löst den Schadensersatzanspruch aus.

R. Schmidt (29.3.2015)




Share by: