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Beiträge 2015


26.6.2015: Familienrecht: Zur Frage nach der Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare


Supreme Court der USA, Entscheidung v. 26.6.2015 – No. 14-556

Ergänzung zu R. Schmidt, FamR, 3. Auflage 2015, Rn 443, und Grundrechte, 17. Auflage Januar 2015

Ausgangslage: Heute, am 26.6.2015, hat der Supreme Court der USA entschieden, dass die Beschränkung der Ehe auf verschiedengeschlechtliche Paare mit der Verfassung der USA nicht vereinbar ist. Die Bundesverfassung garantiere bundesweit das Recht auf gleichgeschlechtliche Eheschließung („same-sex marriage“) - vgl. www.supremecourt.gov/opinions/14pdf/14-556_3204.pdf

Diese Entscheidung hat das Potential, der seit einigen Jahren auch in Deutschland geführten Debatte eine neue Dynamik zu verleihen, nachdem bereits im Mai dieses Jahres das Referendum in Irland den Weg für die dortige Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare freigemacht hat.

Zur deutschen Rechtslage: Zwar steht in Deutschland gleichgeschlechtlichen Paaren das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft nach dem LPartG offen, was eine weitgehende Gleichstellung mit der Ehe mit sich gebracht hat (so wurde bspw. im Einkommensteuerrecht die Anwendbarkeit des sog. Ehegattensplittingtarifs auch auf die eingetragene Lebenspartnerschaft erstreckt und im Adoptionsrecht ist infolge eines Urteils des BVerfG die Sukzessivadoption gesetzlich eingeführt worden, vgl. § 9 VII S. 2 LPartG, der nunmehr auch auf § 1742 BGB verweist). Allerdings könnte die bislang noch bestehende begriffliche Unterscheidung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft eine Diskriminierung darstellen. Dies soll im Folgenden untersucht werden.

Eine Definition, was unter den Begriffen „Ehe“ und „Familie“ zu verstehen ist, enthält das Grundgesetz nicht. Vielmehr setzt Art. 6 I GG mit seinem normgeprägten Schutzbereich die Existenz von Ehe und Familie als gesellschaftliche und rechtliche Institute voraus und überlässt es dem Gesetzgeber, unter Beachtung unveränderbarer Strukturprinzipien die Institute zu gestalten (BVerfGE 105, 313, 345; 15, 328, 332). Infolge dieser „Gestaltungsoffenheit“ lässt sich sagen: Art. 6 I GG gewähr­leistet die Institutionen „Ehe“ und „Familie“ in der Ausgestaltung, wie sie den herr­schen­den, in den gesetzlichen Regelungen maßgebend zum Ausdruck gelangten An­schau­ungen entspricht, freilich unter Beachtung verfassungsrechtlicher Strukturprinzipien, die zugleich den Wesensgehalt des Grundrechts ausmachen (R. Schmidt, Grundrechte, 17. Auflage 2015, Rn 555).

Damit steht der grundgesetzliche Ehebegriff also einer gewissen Gestaltung und damit einer (einfachgesetzlichen bzw. richterrechtlichen) Definition offen. Unter Verweis auf die „Strukturprinzipien“ einer Ehe und in An­knüpfung an die „christlich-abendländische Tradition“ wird die Ehe insbesondere aber vom BVerfG als eine Verbindung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich auf Dauer und zur gemeinsamen Lebensgestaltung angelegten und auf freiwilligem Entschluss beruhenden gleich­berech­tigten Lebensgemeinschaft verstanden, die durch staatlichen Mitwirkungsakt zustande kommt (BVerfGE 105, 313, 342 ff.; 53, 224, 245; 31, 58, 82; Hillgruber, JZ 2010, 41, 42) (vgl. R. Schmidt, Grundrechte, 17. Auflage 2015, Rn 555a).

Das Kriterium der Verschiedengeschlechtlichkeit wird mit der „idealtypischen Funktion der Ehe“ – der Möglichkeit zur Gründung einer Familie – begründet, die auf natürliche Weise aus biologischen Gründen nur verschiedengeschlechtlichen Paaren gegeben sei. Die Ehe sei „von Natur aus“ auf die potentiell aus ihr hervorgehende Familie und die Fähigkeit, Nachkommen zu zeugen, ausgerichtet und gelte als „Keimzelle einer jeden menschlichen Gemeinschaft“ (BVerfGE 6, 55, 71). Die Erzeugung von Nachkommen und die Familiengründung seien geradezu der Zweck sowie die „natürliche Folge“ einer Ehe (vgl. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 Rn. 4; Gade/Thiele, DÖV 2013, 142, 143 f.; Kreß, ZRP 2012, 234, 235). Die Ver­schiedengeschlechtlichkeit gehöre zu den unveränderlichen „Strukturprinzipien“ einer Ehe und sei daher mit Blick auf die Institutsgarantie des Art. 6 I GG unantastbar (BVerfGE 105, 313, 345) (vgl. R. Schmidt, Grundrechte, 17. Auflage 2015, Rn 555b).

Unter Zugrundelegung dieses Eheverständnisses ist eine Ehe unter Gleichgeschlecht­lichen in der Tat ausgeschlossen. Das überzeugt aber nicht. Denn es steht außer Zweifel, dass das Institut der Ehe auch zeugungsunfähigen Personen offensteht, solange sie nur verschiedengeschlechtlich sind, obwohl die „idealtypische Funktion der Ehe“ – die Möglichkeit, Nachkommen zu zeugen und eine Familie zu gründen – hier ganz offensichtlich ebenso wenig erreicht werden kann wie bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Es wäre aber absurd, zeugungsunfähigen Menschen das Institut der Ehe zu verschließen. Auch die Berufung auf die „Strukturprinzipien“ der Ehe überzeugt nicht, da die „Verschiedengeschlechtlichkeit“ verfassungstextlich nicht als unveränderliches „Strukturprinzip“ festgeschrieben, sondern lediglich einer von einer bürgerlichen Tradition geleiteten Verfassungsinterpretation entsprungen ist, die jedoch (und das wird vom BVerfG insoweit unberücksichtigt gelassen) einem Verfassungswandel unterworfen ist (auf den Verfassungswandel abstellend bereits R. Schmidt, Grundrechte, 16. Aufl. 2014, Rn 555 ff. und R. Schmidt, FamR, 2. Aufl. 2014, Fußn. 15).

Ob es daher mit Blick auf die geänderten gesellschaftlichen Anschauungen, das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 I, III S. 1 GG und die völkerrechtlichen Vorgaben (vgl. Art. 8, 12 und 14 EMRK) dauerhaft haltbar ist, mit Verweis auf die „Strukturprinzipien“ gleichgeschlechtliche Partnerschaften aus dem Ehebegriff herauszuhalten, bleibt abzuwarten. Wortlaut und Institutsgarantie des Art. 6 I GG stünden der Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare jeden­falls nicht entgegen und die his­torische Auslegung kann angesichts des gesellschaftlichen Wandels nicht (mehr) maß­geblich sein (im Ergebnis auch Brosius-Gersdorf, NJW-Editorial 12/2013 und FamFR 2013, 169 ff.; Koschmieder, JA 2014, 566, 570 ff.; scharf ablehnend Benedict, JZ 2013, 477, 486; Selder, DStR 2013, 1064, 1067; Gade/Thiele, DÖV 2013, 142, 150 f.; Hillgruber, JZ 2010, 41, 41; Krings, NVwZ 2011, 26, 26; Hofmann, JuS 2014, 617, 620). Auch das in Art. 12 EMRK garantierte Recht, eine Ehe einzugehen, ist nicht auf verschiedengeschlechtliche Personen beschränkt, wie der EGMR festgestellt hat, wenngleich sich der EGMR in Zurückhaltung geübt hat, indem er formuliert, dass die Entscheidung, ob die gleichgeschlechtliche Ehe gestattet werden solle, „zum gegenwärtigen Zeitpunkt dem Recht der Konventionsstaaten überlassen bleibt“ (EGMR NJW 2011, 1421 ff.; den weiten Ermessensspielraum der Konventionsstaaten bei der Regelung familienrechtlicher Strukturen betont der EGMR auch in NJW 2014, 2015 f.) (R. Schmidt, Grundrechte, 17. Auflage 2015, Rn 555d).

Dass eine Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen in anderen, ebenfalls „christlich geprägten“ Staaten, neuerdings auch in Irland und den USA (s.o.), möglich ist, sollte ein starker Indikator für ein wandelndes gesellschaftliches Selbstverständnis sein. Daher stellt sich die Frage, wie die Debatte in Deutschland nun weitergeht.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass zur Öffnung des Instituts der Ehe infolge der Rspr. des BVerfG (BVerfGE 10, 59, 66; 53, 224, 245; 62, 323, 330; 105, 313, 345; 128, 109, 125; 131, 239, 259; 133, 377, 409) eine Änderung des Art. 6 I GG erforderlich wäre (vgl. BT-Drs. 18/4862 v. 8.5.2015, S. 5). Dem ist nicht zuzustimmen. Denn zum einen handelt es sich – wie aufgezeigt – bei Art. 6 I GG um ein gestaltungsoffenes Grundrecht, und zum anderen müsste eine Änderung des Art. 6 I GG – auf der Basis der Auffassung der Bundesregierung – dann ja gegen das vom BVerfG aufgezeigte und offenbar dem Wesensgehalt des Art. 6 I GG zugeordnete verfassungsrechtliche Strukturprinzip Verschiedengeschlechtlichkeit verstoßen und damit (wegen Verstoßes gegen die Wesensgehaltsgarantie aus Art. 19 II GG) verfassungswidrig sein. Wenn man sich also – so wie die Bundesregierung – auf das BVerfG beruft, dürfte eine Änderung des Art. 6 I GG gerade nicht zulässig sein. Insofern ist die Argumentation der Bundesregierung unschlüssig.

Nach der hier vertretenen Auffassung ist allein auf die Normgeprägtheit und die Gestaltungsoffenheit des Art. 6 I GG abzustellen. Unter dieser Maßgabe wäre es dem einfachen Gesetzgeber auch ohne Änderung des Art. 6 I GG möglich, z.B. durch eine Änderung im BGB-Familienrecht (und durch Anpassungen in anderen Gesetzen) die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu öffnen (so bereits explizit R. Schmidt, FamR, 2. Aufl. 2014, Fußn. 15). Sollte es dann zu einer Überprüfung durch das BVerfG kommen, könnte man das Gericht an die von ihm selbst angeführte "Normgeprägtheit" und "Gestaltungsoffenheit" des Art. 6 I GG erinnern sowie auf die veränderten gesellschaftlichen Anschauungen hinweisen, wonach es bei Lebenspartnerschaften (gleichgültig, ob gleich- oder verschiedengeschlechtlich) mehr auf das Bestehen einer Einstands- und Fürsorgegemeinschaft ankommt als auf die Fähigkeit, auf natürlichem Weg Nachkommen zu produzieren.

Zu begrüßen ist es in jedem Fall, dass jüngst der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert hat, das Institut der Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu öffnen (BR-Drs. 274/15 v. 5.6.2015).

R. Schmidt (26.6.2015)

 


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