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Beiträge 2015


26.11.2015: Zur Frage nach der Rechtmäßigkeit von Bußgeldbescheiden nach Geschwindigkeitsmessungen, deren Aufbereitung und Auswertung von beauftragten Privatunternehmen vorgenommen wurden

OLG Rostock, Urt. v. 17.11.2015 - 21 Ss OWi 158/15 und 161/15

Ausgangslage: Bei rechtswidrig erlangten Beweisen stellt sich in einem Rechtsstaat stets die Frage nach der Verwertbarkeit im späteren Straf-, aber auch Ordnungswidrigkeitenverfahren. Sofern die Verfahrensordnung kein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot vorsieht (so etwa § 136a Abs. 3 S. 2 StPO hinsichtlich verbotener Vernehmungsmethoden), greift die sog. Abwägungslehre: Danach ist die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer umfassenden Güterabwägung zu treffen. Abzuwägen sind die Individualrechtsgüter (i.d.R. die Grundrechte) des Beschuldigten bzw. Betroffenen auf der einen Seite mit dem Interesse des Staates an einer effektiven Strafverfolgung bzw. Ordnungswidrigkeitenahndung auf der anderen Seite, wobei insbesondere die Schwere der (vorgeworfenen) Tat einerseits und das Gewicht des Verfahrensverstoßes andererseits Eingang in die Abwägung finden. Als Faustformel kann man sagen: Je gravierender der Verfahrensverstoß ist, desto eher ist ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. Es kann aber keine Beweisführung um jeden Preis geben (vgl. R. Schmidt, in: Hartmann/Schmidt, StrafProzR, 5. Aufl. 2015, Rn. 1075 m.w.Nachw.).

Im vorliegenden Fall ist also zunächst zu prüfen, ob die Beauftragung von privaten Firmen zur Aufbereitung und Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen überhaupt eine verbotene Beweiserhebung darstellt und mithin unzulässig ist.

Dem Urteil des OLG Rostock lag folgender Sachverhalt zugrunde (vgl. Pressemitteilung OLG Rostock - wiedergegeben bei juris): Die Stabsstelle Verkehrsüberwachung des Landkreises Ludwigslust-Parchim (Bußgeldbehörde) hatte ein privates Unternehmen vertraglich mit der Aufbereitung und Auswertung der bei Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr erhobenen Rohdaten ("Blitzerdaten") beauftragt. Das Ergebnis dieser Datenauswertung machte die Behörde später zur Grundlage von Bußgeldverfahren gegen die betroffenen Halter bzw. Fahrer.

Die Entscheidung: Das OLG Rostock hat entschieden, dass die Überlassung der durch Geschwindigkeitsmessungen ermittelten Rohdaten durch die Bußgeldbehörde an ein privates Unternehmen zur Aufbereitung und Auswertung für das weitere Verfahren nicht grundsätzlich unzulässig sei. Nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht sei die Beauftragung von Sachverständigen mit der Auswertung ordnungsgemäß erlangter Beweismittel (hier: der Rohmessdaten) rechtlich möglich und entspreche auch in zahlreichen anderen Verfahrensordnungen vorgesehener und gängiger Praxis. Lediglich beispielhaft sei auf die Auswertung von Blutproben zur Bestimmung der Alkoholkonzentration oder zum Nachweis des Konsums illegaler Drogen, auf die Analyse von Gewebeproben zur DNA-Identitätsfeststellung oder auch die Sicherung und Auswertung elektronisch gespeicherter Daten in Fällen sog. Cyberkriminalität zu verweisen. Auch dafür würden regelmäßig von den Ermittlungsbehörden und Gerichten Sachverständige hinzugezogen oder sachverständige Zeugen gefragt werden, die nicht notwendig im Öffentlichen Dienst beschäftigt sein müssten. Auch der Erlass des Wirtschaftsministeriums sehe die Möglichkeit vor, die Aufbereitung und Auswertung von Blitzerdaten vertraglich an private Dienstleister zu übertragen, wenn deren Tätigkeit den einschlägigen Vorgaben der physikalisch-technischen Bundesanstalt genüge, die auch bezüglich der Auswertung der Daten an das jeweilige Geschwindigkeitsmessverfahren gestellt würden, wobei die Einhaltung bestimmter Qualitätsanforderungen, auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht, erforderlich sei.

Bewertung: Ein Erlass des Wirtschaftsministeriums kann sicherlich nicht über die Rechtmäßigkeit der Übertragung öffentlicher Aufgaben an Private entscheiden. Das muss den zuständigen Gerichten vorbehalten bleiben. In materiell-rechtlicher Hinsicht spricht gegen die Zulässigkeit, Auswertungen von Geschwindigkeitsmessungen von Privaten vornehmen zu lassen, der hoheitliche Charakter der Verkehrsüberwachung und der Sanktionierung von Verkehrsverstößen. Sieht die Rechtsordnung ein Gewaltmonopol des Staates vor, darf der rechtsunterworfene Bürger auch erwarten, dass der Staat ausschließlich durch seine Bediensteten das Gewaltmonopol ausübt. Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Beauftragung Privater bestehen auch mit Blick auf den sog. Funktionsvorbehalt aus Art. 33 Abs. 4 GG. Diese Verfassungsbestimmung behält hoheitliche Befugnisse grundsätzlich Beamten vor. Zwar spricht Art. 33 Abs. 4 GG von „in der Regel“, lässt also durchaus Ausnahmen zu, allerdings ist stets darauf zu achten, dass die Ausnahme nicht zur Regel wird. Abweichungen vom Grundsatz des Funktionsvorbehalts bedürfen demgemäß (qualitativ) der Rechtfertigung durch einen besonderen sachlichen Grund; zudem sichert Art. 33 Abs. 4 GG (qualitativ und quantitativ) dem Berufsbeamtentum einen Mindesteinsatzbereich institutionell zu (BVerfG NJW 2012, 1563, 1564 f.). Das gilt in besonderem Maße für das Polizei- und Ordnungsrecht, das Strafverfahrensrecht und das Ordnungswidrigkeitenrecht. Es wäre mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sowie dem Funktionsvorbehalt also nicht vereinbar, wenn der Staat Teile der Aufgabe des Schutzes der öffentlichen Sicherheit (wozu auch die Verkehrsüberwachung gehört) weitgehend Privaten überließe, die nicht demokratisch legitimiert sind. Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verlangen für die Hinzuziehung Privater bei Durchführung der Verkehrsüberwachung daher eine besondere Rechtfertigung. Als Mindestvoraussetzung ist eine gesetzliche Grundlage zu fordern. Reduzierung der Personalkosten der öffentlichen Hand kann sicherlich kein Argument für die (ungezügelte) Übertragung von hoheitlichen Aufgaben auf Private sein. Geht es um die Frage nach der Übertragung der Aufbereitung und Auswertung von Geschwindigkeitsüberwachungsmaßnahmen auf Private, wird man zudem ein Gesetz verlangen müssen, das die Voraussetzungen der Aufgabenübertragung ebenso regelt wie die Einhaltung datenschutzrechtlicher und (sonstiger) verfahrensrechtlicher Mindeststandards. Zudem wird man von dem Gesetz verlangen müssen, dass es eine Rechts- und Fachaufsicht vorsieht, um den Einfluss des Staates zu gewährleisten und die o.g. Vorgaben einzuhalten. Das überwachungslose Delegieren von an sich hoheitlichen Aufgaben auf Private kann rechtsstaatlich keinen Bestand haben. Der Unterschied zu (gerichtlich bestellten) Sachverständigen im Beweiserhebungsverfahren sollte damit klar geworden sein.

R. Schmidt (26.11.2015)



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