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Beiträge 2016


20.3.2016: Akkreditierung von Studiengängen (wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung von Studiengängen muss der Gesetzgeber selbst treffen)


BVerfG, Beschl. v. 17.2.2016 – 1 BvL 8/10 (Pressemitteilung BVerfG v. 18.3.2016)

Relevante Bereiche: Wissenschaftsfreiheit, Rechtsstaatsprinzip, Demokratieprinzip, Wesentlichkeitsrechtsprechung, Hochschulautonomie, Akkreditierung von Studiengängen

Ausgangslage: Wie bei R. Schmidt, Grundrechte, 19. Auflage 2016, Rn. 538b ff. ausgeführt, steht das ausweislich des Normtextes vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GG) nicht nur den wissenschaftlich tätigen natürlichen Personen (in erster Linie den Professoren) zu, sondern auch juristischen Personen, die Wissenschaft betreiben und organisieren, insbesondere den Hochschulen und den Fakultäten (vgl. dazu BVerfGE 122, 89 ff.), trotz des Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Auch privatrechtlich organisierte Hochschulen sind jedenfalls dann erfasst, wenn sie staatlich zugelassen sind (vgl. dazu den hier besprochenen Beschluss BVerfG v. 17.2.2016 – 1 BvL 8/10 - Akkreditierung von Studiengängen durch Akkreditierungsagenturen).

Inhaltlich schützt das Grundrecht vor jeder staatlichen Einwirkung auf Prozesse der Gewinnung und der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse (BVerfG 17.2.2016 – 1 BvL 8/10). Dazu gehören insbesondere die Selbstbestimmung über Inhalt, Ablauf und methodischen Ansatz der Lehrveranstaltung sowie das Recht auf die Äußerung von wissenschaftlichen Lehrmeinungen (BVerfG 17.2.2016 – 1 BvL 8/10).

Eingriffe in diesen Gewährleistungsgehalt kommen bei beliebigen staatlichen Einwirkungen auf den Prozess der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Betracht. Insbesondere schützt das Grundrecht vor (übermäßigen) Eingriffen des Staates (i.d.R. die Landesregierung) in die Hochschulautonomie (vgl. etwa BVerfG NVwZ 2011, 224 ff. - (HambHochschG) oder vor Einflussnahme auf die inhaltliche Ausrichtung der Einrichtung. So liegt ein Eingriff vor, wenn ein Hochschulgesetz die Zulassung von Studiengängen oder ganzer Hochschulen von einer Akkreditierung (durch Akkreditierungsagenturen) abhängig macht (vgl. dazu den hier besprochenen Beschluss BVerfG v. 17.2.2016 – 1 BvL 8/10 - Akkreditierung von Studiengängen durch Akkreditierungsagenturen).

Da sich aufgrund der Vorbehaltlosigkeit der Gewährleistung Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit nur durch kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen lassen, muss bei einer Kollision mit anderem Verfassungsrecht der Konflikt durch Abwägung der Wissenschaftsfreiheit mit dem betroffenen Grundrecht Dritter bzw. dem anderen wichtigen Verfassungsgut im Wege einer praktischen Konkordanz (Begriff nach Konrad Hesse) gelöst werden (vgl. auch R. Schmidt, Grundrechte, 19. Aufl. 2016, Rn. 549 mit Verweis auf BVerfG NVwZ 2011, 94, 99).

Geht es um den staatlichen Einfluss auf die Hochschulen, sind in der jüngeren Vergangenheit deutliche gesetzgeberische Aktivitäten zur Hierarchisierung und damit zur Einflussnahme zu verzeichnen (vgl. dazu R. Schmidt, Grundrechte, 19. Aufl. 2016, Rn. 549a). Dazu zählt auch die gesetzliche Pflicht zur Akkreditierung von Studiengängen. Bei der Akkreditierung handelt es sich um ein länder- und hochschulübergreifendes Verfahren der Begutachtung von Bachelor- und Masterstudiengängen staatlicher oder staatlich anerkannter Hochschulen durch Akkreditierungsagenturen. Das deutsche Akkreditierungssystem ist dadurch gekennzeichnet, dass die Akkreditierung von Studiengängen durch Akkreditierungsagenturen erfolgt, die ihrerseits wiederum von der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland akkreditiert worden sind. Bei den Akkreditierungsagenturen handelt es sich um Beliehene, also um Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung (vgl. R. Schmidt, AllgVerwR, 19. Aufl. 2016, Rn. 111). Die sog. „Programmakkreditierung“ beginnt mit der Auswahl einer Agentur durch die Hochschule, ihrem Antrag auf Akkreditierung und der Vereinbarung über Ablauf und Kostenrahmen; sodann legt die Hochschule eine umfangreiche Selbstdokumentation zum Studiengang vor. Die Agentur organisiert eine Gruppe für die Begutachtung, die nach einer Begehung ein Gutachten erstellt. Das Entscheidungsgremium der Agentur entscheidet auf dieser Grundlage (BVerfG 17.2.2016 – 1 BvL 8/10).

Das Problematische an dem System ist, dass der Akkreditierungsrat als das zentrale Organ der Stiftung die wesentlichen Regeln für die Akkreditierung von Studiengängen erlässt, ohne dass dies in den Hochschulgesetzen näher konkretisiert wäre. Der Akkreditierungsrat akkreditiert oder reakkreditiert auch die Akkreditierungsagenturen, die wiederum eigene Vorgaben für Akkreditierungen entwickeln (BVerfG 17.2.2016 – 1 BvL 8/10). Mit Blick auf die im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verankerte Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG, wonach der parlamentarische Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen hat und diese nicht über mehr oder minder globale Ermächtigungen an die Exekutive delegieren darf (vgl. R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, 16. Aufl. 2016, Rn. 241 mit Verweis auf BVerfGE 33, 125, 158; 84, 212, 226; BVerfG NVwZ 2015, 1279, 1280), ist ein Verfassungsverstoß augenscheinlich (vgl. bereits R. Schmidt, AllgVerwR, 17. Aufl. 2014).

Entscheidung des BVerfG: Hinsichtlich des § 7 des nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzes über die Akkreditierung von Studiengängen hat das BVerfG entschieden, dass das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit zwar Vorgaben zur Qualitätssicherung von Studienangeboten grundsätzlich nicht entgegenstehe. Wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung von Studiengängen dürfe der Gesetzgeber jedoch nicht anderen Akteuren überlassen, sondern müsse sie selbst durch hinreichend bestimmte gesetzliche Vorschriften regeln. § 7 Abs. 1 S. 1 des nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzes verweise lediglich auf „geltende Regelungen“, nach denen akkreditiert werden solle. Selbst eine grobe Zielbestimmung durch den Hinweis auf fachlich-inhaltliche Mindeststandards und die Berufsrelevanz der Abschlüsse fehle. Es fehlten auch gesetzliche Regelungen zur Verfahrenseinleitung, zum Verfahren der Akkreditierung, zur Rechtsform der Entscheidungen der Agenturen und des Akkreditierungsrates der Akkreditierungsstiftung, zu den Folgen bei fehlender Umsetzung von Auflagen der Agenturen sowie zum zeitlichen Abstand der Reakkreditierung. Die Vorschrift sei daher zu unbestimmt; maßgebliche Beurteilungsspielräume würden den Akkreditierungsagenturen überlassen. Damit habe der Gesetzgeber die Normierung inhaltlicher und verfahrens- und organisationsbezogener Anforderungen an die Akkreditierung durch die fragliche Regelung faktisch aus der Hand gegeben, ohne die für die gewichtigen Eingriffe in Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GG wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Dies werde der Stellung der Wissenschaftsfreiheit nicht gerecht (BVerfG 17.2.2016 - 1 BvL 8/10).

Folgerichtig hat das BVerfG die Vorschrift für mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unvereinbar erklärt. Der Landesgesetzgeber habe verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1.1.2018 an zu treffen.

Stellungnahme: Der Entscheidung ist uneingeschränkt beizupflichten. Maßnahmen der Qualitätssicherung stellen zwar Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit dar, sie sind aber auch dann rechtfertigungsfähig, wenn der Gesetzgeber sie externen "Akkreditierungsagenturen" überlässt. Für diesen Fall muss der Gesetzgeber aber selbst alle wesentlichen Voraussetzungen durch formelles Gesetz regeln: Nicht nur grundlegende Voraussetzungen für Akkreditierungsverfahren muss der Gesetzgeber selbst regeln, er muss auch hinreichend bestimmte organisatorische Vorkehrungen treffen (insbesondere muss er eine Rechtaufsicht ausüben), um die Rechtsförmlichkeit des Akkreditierungsverfahrens zu gewährleisten. Bei sämtlichen Hochschulgesetzen der Länder dürfte daher nachzubessern sein.

R. Schmidt (20.3.2016)


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