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Beiträge 2016


8.2.2016: Benutzung eines Handys/Smartphones durch Richter(in) während Hauptverhandlung


BGH, Urt. v. 17.6.2015 - 2 StR 228/14 (NStZ 2016, 58)

Schlagworte: Nutzung Handy Smartphone Richter Befangenheit

Ausgangslage: Aus dem verfassungsrechtlich verbürgten und konventionsrechtlich flankierten Grundsatz des gesetzlichen Richters (vgl. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) und dem Fair-trial-Prinzip folgt nicht nur der Anspruch des Angeklagten auf Bestimmung des zuständigen Richters durch förmliches Gesetz, das die richterliche Zuständigkeit im Voraus abstrakt-generell ausgestaltet (vgl. Hartmann/Schmidt, StrafProzR, 5. Aufl. 2015, Rn. 112), sondern auch auf einen unvoreingenommenen, d.h. persönlich am Ausgang des Verfahrens nicht interessierten Richter, der mit der nötigen Distanz eines unbeteiligten Dritten über den Verfahrensgegenstand entscheidet. Folgerichtig sind der Grundsatz des gesetzlichen Richters und das Fair-trial-Prinzip verletzt, wenn ein Richter mitwirkt, der diese Unvoreingenommenheit nicht besitzt. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, regeln die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der §§ 22 ff. StPO (vgl. Hartmann/Schmidt, StrafProzR, 5. Aufl. 2015, Rn. 199).

Wie bei Hartmann/Schmidt, StrafProzR, 5. Aufl. 2015, Rn. 203 ausgeführt, kann ein(e) Richter(in) u.a. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 24 Abs. 1 Var. 2 StPO). Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Ob der Richter/die Richterin also tatsächlich befangen ist, spielt keine Rolle, weil das Gesetz allein auf die Möglichkeit („Besorgnis“) abstellt (insoweit lediglich klarstellend BGHSt 20, 9, 14; 24, 336, 338). Entscheidend ist, dass bei verständiger Würdigung der Umstände vom Standpunkt eines besonnenen Angeklagten (BGH NStZ 2016, 58, 59; BGHSt 21, 334, 341) der Verdacht aufkommen kann, der Richter/die Richterin nehme eine Haltung an, die dessen bzw. deren Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (BGH NStZ 2016, 58, 59; NJW 2000, 965, 966 f.). Daher ist es auch unerheblich, ob der betroffene Richter bzw. die betroffene Richterin sich selbst für unbefangen hält (BVerfGE 32, 288, 290). Resultiert die Besorgnis der Befangenheit aber lediglich aus einem unbedachten Verhalten eines Richters bzw. einer Richterin (sog. Augenblicksversagen), kann nach Auffassung des BGH die Besorgnis der Befangenheit durch „Klarstellung und Entschuldigung“ ausgeräumt werden (BGH NStZ 2016, 58 f.).

Dem hier zu besprechenden Urteil des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Während der Beweisaufnahme (hier: Zeugenvernehmung) bediente die beisitzende Richterin R zweimal ihr privates Mobiltelefon, las und übermittelte eine Kurznachricht („SMS“). Daraufhin stellte der Verteidiger des Angeklagten einen Antrag auf Ablehnung der R wegen Besorgnis der Befangenheit. R wendete ein, sie habe (wegen bereits deutlich überschrittener Sitzungszeit) lediglich eine kurze SMS („Bin in Sitzung“) verschickt, sei aber zu keinem Zeitpunkt unaufmerksam gewesen.

Lösung des BGH: Das zweimalige Bedienen des privaten Mobiltelefons und das Verschicken einer SMS während der Zeugenvernehmung erscheinen durchaus geeignet, den Eindruck zu erwecken, R habe eine Haltung angenommen, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte. Die Besorgnis der Befangenheit kann aber entkräftet werden, wenn die Unaufmerksamkeit der R lediglich aus einem unbedachten Verhalten (sog. Augenblicksversagen) resultiert. Für den vorliegenden Fall hat der BGH aber entschieden, dass R sich während der Zeugenvernehmung durch eine mit der Sache nicht im Zusammenhang stehende private Tätigkeit gezielt abgelenkt und dadurch ihre Fähigkeit beeinträchtigt habe, die Verhandlung in allen wesentlichen Teilen zuverlässig in sich aufzunehmen und zu würdigen. Sie habe damit ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dies über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen. Von einer kurzfristigen Abgelenktheit, wie sie während einer länger andauernden Hauptverhandlung auftreten könne, unterscheide sich dieser Fall dadurch, dass R eine von vornherein über den Verhandlungszusammenhang hinausreichende externe Telekommunikation unternommen habe; eine solche sei mit einer hinreichenden Zuwendung und Aufmerksamkeit für den Verhandlungsinhalt unvereinbar.

Bewertung: Die Annahme der Besorgnis der Befangenheit für den Fall des kurzen Benutzens des Handys und des Verschickens einer SMS mag auf den ersten Blick übertrieben wirken. Dennoch ist dem BGH zuzustimmen. Aus dem Grundsatz des gesetzlichen Richters und dem Fair-trial-Grundsatz folgt das Recht des Angeklagten auf uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Gerichts, insbesondere im Rahmen der Beweisaufnahme. Ließe man das Verhalten der R durchgehen, wäre damit die (dem Privatleben zuzuschreibende) Benutzung von Handys, Smartphones, Notebooks durch Richter während der Hauptverhandlung denkbar; es stellte sich dann die Frage, wo man die Grenze ziehen wollte. Diese „Tür“ wollte der BGH offenbar nicht auch nur einen Spalt öffnen. Dennoch bleiben im Ergebnis Fragen offen, etwa, wie zu entscheiden wäre, wenn ein(e) Richter(in) mit dem Smartphone Gesetzestexte nachgeschlagen würde. Würde man in diesem Fall ebenfalls ein "Ablegenktsein" und damit einen Verstoß gegen das Fair-trial-Prinzip annehmen können? Und wie wäre im vorliegenden Fall zu entscheiden gewesen, wenn die Richterin lediglich behauptet hätte, sie habe einen Gesetzestest nachgeschlagen?

R. Schmidt (8.2.2016)

 


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