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25.3.2018: Gerechtfertigter Hausfriedensbruch bei Tierschützern, die in Ställe eingedrungen waren, um dort Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen zu filmen


OLG Naumburg, Urteil v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17

Mit Urteil v. 22.2.2018 (Az. 2 Rv 157/17) hat das OLG Naumburg die Vorinstanzen bestätigt und entschieden, dass das Eindringen in Stallanlagen durch Tierschützer, die dort eklatante Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen filmen wollten, um die Aufnahmen anschließend den Behörden vorzulegen sowie Strafanzeige zu stellen, zwar den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 I StGB) verwirklicht habe, jedoch gerechtfertigt gewesen sei.

Dem Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, dass Mitglieder einer Tierschutzorganisation aufgrund von Rechercheergebnissen davon überzeugt waren, dass in einer Stallanlage, in der Massentierhaltung vorgenommen wird, erhebliche und fortdauernde Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen begangen werden. Da die informierten zuständigen Behörden untätig gebleiben sind, drangen drei Mitglieder der Tierschutzorganisation nachts in die Anlage ein, um Fotos von den Missständen zu fertigen und sie anschließend den Behörden vorzulegen sowie Strafanzeige zu stellen. Ob das Urteil überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.

Ausgangslage: Wie bei R. Schmidt, Strafrecht, Besonderer Teil I, 19. Aufl. 2018, Rn. 997 unter Verweis auf die h.M. erläutert, schützt die Strafnorm des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) die Freiheit der Entscheidung des Rechtsgutträgers darüber, wer sich innerhalb der geschützten Räumlichkeiten und des befriedeten Besitztums aufhalten darf, mithin das Hausrecht. Zu den geschützten Objekten gehören gemäß der Formulierung in § 123 I StGB Wohnungen, Geschäftsräume, befriedete Besitztümer und zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmte, in sich abgeschlossene Räume. Ob Stallanlagen zu den Geschäftsräumen zählen oder unter die befriedeten Besitztümer zu subsumieren sind, kann dabei dahinstehen. 

Als Tathandlung nennt § 123 I Var. 1 StGB das widerrechtliche Eindringen. Dabei ist anzumerken, dass es sich bei der genannten „Widerrechtlichkeit“ (wie auch bei dem Merkmal „ohne Befugnis“ des § 123 I Var. 2 StGB) nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern lediglich um deklaratorische Hinweise auf das allgemeine Verbrechensmerkmal der Rechtswidrigkeit handelt. Ein ohne Erlaubnis des Hausrechtsinhabers (oder eines Ermächtigten) erfolgtes Eindringen in ein durch § 123 I StGB geschütztes Objekt bedarf also der Rechtfertigung, um den Unrechtstatbestand auszuschließen. Zu nennen sind insbesondere die mutmaßliche Einwilligung und die Notwehr nach § 32 StGB bzw. der Notstand nach § 34 StGB. Dringen also Tierschützer in Stallungen ein, um Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen aufzudecken, ist zu prüfen, ob dies durch Notwehr oder Notstand gerechtfertigt ist.

Notwehr: Als notwehrfähiges Rechtsgut kommt jedes rechtlich geschützte Interesse oder Gut des Täters oder eines anderen (vgl. das Textfragment Nothilfe in § 32 II!) in Betracht. Dazu zählen – wie sich aus dem Textfragment Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden ergibt – jedenfalls alle Individualrechtsgüter wie insbesondere Leben, Leib, Freiheit, Ehre und Eigentum.

Fraglich ist, ob Rechtsgüter, die nicht dem Rechtskreis des Verteidigers (oder des anderen) angehören bzw. Universalrechtsgüter (wie sie z.B. von §§ 315b StGB und 316 StGB geschützt werden) darstellen, notwehrfähig sind. Das wäre nur dann der Fall, wenn man dem von der h.M. vertretenen dualistischen Ansatz folgt und der Vorschrift des § 32 StGB die Verteidigung auch des Rechtsbewährungsinteresses (sozialrechtliche Komponente) unterstellt und nicht nur den Schutz von Individualrechtsgütern. Nach der hier vertretenen Auffassung (siehe auch R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 19. Aufl. 2018, Rn. 331) ist dies zumindest zweifelhaft, da – wie bei R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 19. Aufl. 2018,  Rn. 324 ausgeführt – § 32 StGB nur von der Abwendung eines Angriffs von sich oder einem anderen spricht, was gerade die Beschränkung auf Individualrechtsgüter nahelegt. Danach sind also nur Individualrechtsgüter, nicht jedoch auch Universalrechtsgüter notwehrfähig. 

Aus diesem Grund ist fraglich, ob Tiere notwehrfähig sind. Ihre Notwehrfähigkeit ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn sie im Eigentum des Notwehrübenden bzw. im Eigentum eines anderen Menschen stehen. Denn in diesem Fall wird das notwehrfähige Rechtsgut Eigentum (als Individualrechtsgut) verteidigt. Ob aber Tiere als solche notwehrfähig sind, ist zweifelhaft. Zwar wären Tiere notwehrfähig, wenn man sie als Rechtssubjekte (und damit als „andere“ i.S.d. § 32 II StGB) qualifizierte, das wird im Allgemeinen jedoch abgelehnt. Überwiegend werden Tiere auch nicht – dem dualistischen Ansatz folgend – dem notwehrfähigen Allgemeininteresse zugeordnet, sodass im Ergebnis ein Hausfriedensbruch (§ 123 I StGB), der im Rahmen einer Tierbefreiungsaktion oder einer Fotodokumentation zur Aufdeckung von Missständen in einer Tierhaltungsanlage verwirklicht wird, nicht über § 32 StGB gerechtfertigt werden kann. Die entgegenstehende Auffassung des LG Magdeburg (als Vorinstanz der hier zu besprechenden Entscheidung des OLG Naumburg) ist zwar sehr sympathisch, lässt sich rechtlich aber nur vertreten, wenn man den Charakter des § 32 StGB nicht auf den Individualschutz beschränkt, sondern den Schutz der allgemeinen Rechtsordnung unterstellt. Das aber wird – selbst nach Maßgabe des dualistischen Ansatzes – ganz überwiegend abgelehnt (s.o.). Daran ändert auch die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nichts, die eine Schutzverpflichtung des Staates begründet und keine individuelle Durchsetzungsmacht verleiht. Der Rückgriff auf Notwehr ist aber auch nicht erforderlich, wenn die Notstandsregelung des § 34 StGB greift.

Notstand: Wie § 32 StGB berechtigt auch § 34 StGB zur Rettung bestimmter Güter (= Erhaltungsgüter) zu Lasten anderer (= Eingriffsgüter). Im Unterschied zur Notwehr erfordert der allgemeine rechtfertigende Notstand jedoch keinen Angriff, sondern lediglich eine nicht anders als durch Inanspruchnahme des Eingriffsguts abwendbare Gefahr. Dabei ist nicht Voraussetzung, dass die abzuwendende Gefahr von dem in Anspruch genommenen Eingriffsgut ausgeht. Der Notstandsübende muss nur beachten, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dem allgemeinen rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB liegt somit der Gedanke zugrunde, dass das Recht im Konflikt zweier Interessen die Verletzung des von der Rechtsordnung geringer bewerteten Interesses erlaubt, wenn der Täter nicht anders handeln kann, um das höherwertige Interesse zu schützen (vgl. R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 19. Aufl. 2018, Rn. 410 mit Verweis auf Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 33 I 2; Sch/Sch-Perron, § 34 StGB Rn. 1 f.).

Die Notstandshandlung besteht gem. § 34 StGB in der Begehung einer Tat, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Das Wort „um“ kennzeichnet die rein subjektive Beziehung des Notstandsübenden zu seiner Tat; diese muss die Zielsetzung haben, die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, was jedenfalls (auch) im Rahmen des subjektiven Tatbestands zu prüfen ist. Besteht die Gefahr aber nicht für den Notstandsübenden oder einen anderen, ist das nach der hier vertretenen Auffassung bereits im objektiven Tatbestand zu berücksichtigen. Ist danach das Merkmal „von sich oder einem anderen“ im Rahmen der Notstandshandlung zu prüfen, könnte das bedeuten, dass die Gefahr entweder für den Notstandsübenden selbst oder für einen anderen Menschen bestehen muss. Wäre das zutreffend, könnte eine Gefahr, die für ein anderes Rechtsgut (bspw. der Allgemeinheit) besteht, nicht gem. § 34 StGB abgewendet werden.

Lösung des Falls: Der Tatbestand des Hausfriedensbruchs ist erfüllt. Die Mitglieder der Tierschutzorganisation verschafften sich Zutritt zu den Tierställen. Fraglich ist allein, ob die Tat gem. § 34 StGB gerechtfertigt war. Die Tierschützer handelten zugunsten des Tierschutzes, dies allerdings nicht im Sinne der Tiereigentümer und damit nicht zugunsten eines von § 34 StGB explizit genannten Rechtsguts. Allerdings sind, wie sich aus der Formulierung „oder ein anderes Rechtsgut“ ergibt, die geschützten Rechtsgüter nicht auf die in der Vorschrift genannten Art begrenzt; auch solche der Allgemeinheit sind nach h.M. geschützt und damit notstandsfähig. Der Tierschutz ist damit ebenfalls umfasst. Auch lag eine gegenwärtige Gefahr vor, denn es wurden nicht nur bereits eklatante Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen angenommen, sondern eine Fortsetzung dieser Zustände hätte das Leid der Tiere ggf. sogar noch verstärkt. Ein (weiterer) Schadenseintritt wäre daher höchstwahrscheinlich gewesen, wenn nicht alsbald Abwehrmaßnahmen getroffen worden wären. Das widerrechtliche Betreten der Stallanlagen war das einzige Mittel, um die Missstände aufzudecken, da die Behörden untätig geblieben sind.

§ 34 StGB fordert aber auch eine Interessenabwägung dergestalt, dass das geschützte Rechtsgut erheblich mehr wert sein muss als das beeinträchtigte. Hintergrund ist, dass § 34 StGB auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses beruht. Die diesbezügliche Interessenabwägung besteht gem. § 34 S. 1 a.E. StGB aus zwei Elementen, der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter (das allgemeine Rangverhältnis) und dem Grad der ihnen drohenden Gefahren (die Bewertung in der konkreten Lebenssituation).

Allgemeines Rangverhältnis zwischen dem Eingriffsgut und dem Erhaltungsgut: Ausgangspunkt der Abwägung ist das allgemeine Rangverhältnis der betroffenen Rechtsgüter. Personenwerte stehen im Rang höher als Sachwerte. Innerhalb der Personenwerte steht Leben höher als Gesundheit. Im Übrigen wird der Wert des einzelnen Rechtsguts durch die Strafandrohung bei Verletzungshandlungen indiziert (vgl. R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 19. Aufl. 2018, Rn. 418 mit Verweis auf Sch/Sch-Perron, § 34 StGB Rn. 23; LK-Zieschang, § 34 StGB Rn. 56; SK-Günther, § 34 StGB Rn. 42).

Kann der (abstrakte) Rang der betroffenen Rechtsgüter kein eindeutiges Ergebnis der Interessenabwägung liefern, ist die Bewertung von Eingriffsgut und Erhaltungsgut in der konkreten Lebenssituation maßgeblich.

Vorliegend ist zunächst darauf abzustellen, dass der Tierschutz Verfassungsrang hat (siehe Art. 20a GG; einfachgesetzlich konkretisiert in § 1 TierSchG). Zwar ist auch das durch § 123 I StGB geschützte Hausrecht verfassungsrechtlich geschützt (Art. 14 GG; einfachgesetzlich konkretisiert in § 903 BGB; bei Wohnungen käme der Grundrechtsschutz aus Art. 13 GG  bzw. Art. 2 I i.V.m. Art. 1 GG hinzu), allerdings ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Tierschützer lediglich in Tierstallungen eingedrungen sind; ein Eingriff in eine höherrangige Privat- oder gar Intimsphäre fand gerade nicht statt. Von daher erscheint es angebracht, dem Tierschutz als zu schützendes Rechtsgut den von § 34 StGB geforderten erheblich höheren Wert beizumessen gegenüberdem beeinträchtigten Rechtsgut Hausrecht (davon geht ganz offenbar auch OLG Naumburg 22.2.2018 – 2 Rv 157/17 aus). Die Tierschützer wären demnach also gem. § 34 StGB gerechtfertigt.

Dieses aus Sicht des Verfassers sehr zu begrüßende Ergebnis darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit auch (unerwünschte) Folgeprobleme verbunden sein können. Man stelle sich nur vor, es hätte sich zum Zeitpunkt der Tat der Inhaber des Betriebs oder schutzbereites Personal in den Stallungen befunden. Sieht man das Eindringen der Tierschützer als gerechtfertigt an, stellt sich die Frage, ob der Hausrechtsinhaber bzw. der zur Ausübung des Hausrechts Berechtigte z.B. Notwehr gem. § 32 StGB üben darf. Das müsste man verneinen, weil der „Angriff“ auf das Hausrecht (als Bestandteil des Schutzgutes Eigentum) ja nicht rechtswidrig war. Dann aber stellt sich die Frage, ob die Verteidigung des Hausrechts nach § 34 StGB gerechtfertigt ist. Hier wird man die o.g. Abwägung vornehmen müssen. Zugunsten des das Hausrecht Verteidigenden könnte Art. 13 I GG wirken, wenn man mit dem BVerfG den Wohnungsbegriff des Art. 13 I GG auch auf Gewerberäume erstreckt. Aber auch hier gilt, dass bei Stallungen kein Eingriff in die Privat- oder Intimsphäre erkennbar ist und daher auch das Schutzniveau des Art. 13 I GG äußerst gering ist.

Ergebnis: Dem OLG Naumburg (und den Vorinstanzen) ist zuzustimmen. Der von den drei Tierschützern tatbestandlich verwirklichte Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB war wegen Notstands gem. § 34 StGB gerechtfertigt, weil der Tierschutz das Hausrecht deutlich überwog: Während massive Tierquälereien im Raum standen und auch Behörden untätig geblieben waren, waren von der Beeinträchtigung des Hausrechts nur Stallungen betroffen, nicht etwa die Privat- oder Intimsphäre. 

R. Schmidt (25.3.2018)




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