Aktuelles 2019 Mittelbare Drittwirkung der Grundrehte

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24.08.2019: Ausweitung der Figur der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte?

BVerfG, Beschluss v. 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19 (NJW 2019, 1935)

Mit Beschluss v. 22.05.2019 hat das BVerfG (1 BvQ 49/19) im Rahmen einer einstweiligen Anordnung, bei der es um die Entsperrung eines Facebook-Accounts ging, möglicherweise die bisherige Grundrechtsdogmatik in Bezug auf die Privatrechtsgeltung in Frage gestellt. Im Mittelpunkt steht ein Rechtsstreit zwischen dem Betreiber eines sozialen Netzwerks, das (auch) innerhalb der Bundesrepublik Deutschland über erhebliche Marktmacht verfügt, und einem Nutzer dieses Netzwerkes. Das BVerfG macht zunächst deutlich, dass nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG die Grundrechte in solchen Streitigkeiten im Wege der mittelbaren Drittwirkung Wirksamkeit entfalten können (BVerfG NJW 2019, 1935, 1936 mit zahlreichen Nachweisen, u.a. auf das Lüth-Urteil BVerfGE 7, 198, 205 f.). Das ist insoweit nichts Neues. Dann aber formuliert es, dass sich dabei aus Art. 3 I GG jedenfalls in spezifischen Konstellationen auch gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten ergeben können, und verweist dabei auf seinen Stadionverbots-Beschluss (BVerfGE 148, 267, 283 f.). Ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Forderungen sich insoweit auch für Betreiber sozialer Netzwerke im Internet – etwa in Abhängigkeit vom Grad ihrer marktbeherrschenden Stellung, der Ausrichtung der Plattform, des Grads der Angewiesenheit auf ebenjene Plattform und von den betroffenen Interessen der Plattformbetreiber und sonstiger Dritter – ergäben, sei jedoch weder in der Rechtsprechung der Zivilgerichte noch in der Rechtsprechung des BVerfG abschließend geklärt. Die verfassungsrechtlichen Rechtsbeziehungen seien insoweit noch ungeklärt (BVerfG NJW 2019, 1935, 1936). Ob der Beschluss überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.

Ausgangslage: Wie bei R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 105 ff. dargestellt, stellen die Grundrechte im klassischen Sinne Abwehr-, Leistungs- und Teilhaberechte im Verhältnis zwischen Bürger und Staat dar. Art. 1 III GG stellt dies verfassungsrechtlich klar, indem er die Grundrechtsgeltung nur auf Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung bezieht. Private Rechtssubjekte können (von dem Sonderfall der Beleihung einmal abgesehen) danach keine unmittelbaren Grundrechtsadressaten sein und folgerichtig auch nicht (jedenfalls nicht unmittelbar) Grundrechte anderer Privater verletzen. Gleichwohl können einzelne Grundrechte kraft grundgesetzlicher Anordnung unmittelbar Einfluss auch auf die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander haben. So ordnet Art. 9 III S. 2 GG an, dass Abreden, die das Grundrecht der Koalitionsfreiheit einschränken oder behindern, nichtig sind. Hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Dieser Effekt wird als unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte bezeichnet (BVerfGE 93, 352, 360 f.; Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 9 Rn. 56 ff.; vgl. dazu auch R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 700 ff.). In der Sache wird durch Art. 9 III S. 2 GG klargestellt, dass der Koalitionsfreiheit Vorrang vor der Vertragsfreiheit beigemessen wird.

Aber auch über den Fall der unmittelbaren Grundrechtsgeltung hinaus üben die Grundrechte, die ja nicht nur subjektive Rechte gegenüber dem Staat begründen, sondern auch eine objektive Wertordnung verkörpern (R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 106 mit Verweis auf Rn. 21 ff. mit Verweis auf BVerfGE 7, 198, 203 ff.), Einfluss auf die gesamte (Zivil-)Rechtsordnung aus. Sie gelten daher für alle Bereiche des Rechts als Richtlinie und Impuls und damit auch mittelbar im Verhältnis der Bürger untereinander (allgemeine Ansicht, vgl. etwa BVerfG NJW 2018, 1667, 1668 - Stadionverbot; BGH NJW 2015, 489, 491; BGH NJW 2018, 1884, 1886 - jeweils jameda.de; vgl. auch BVerfG NJW 2015, 2485 f.; grundlegend BVerfGE 7, 198, 203 ff. - Lüth). Diesbezüglich hat sich der Begriff „mittelbare Drittwirkung der Grundrechte“ etabliert. Möglich ist es aber auch, von „mittelbarer Horizontalwirkung der Grundrechte“ zu sprechen, was sogar zutreffender ist, gerade weil man davon ausgeht, dass die Grundrechte nicht nur im „vertikalen“ Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat gelten, sondern wegen der objektiven Wertordnung, die die Grundrechte entfalten, auch im „horizontalen“ Verhältnis der Bürger untereinander. In der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG ist indes zu beobachten, dass das Gericht bei der Prüfung, ob die Fachgerichte die Bedeutung der Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt haben, teilweise nicht (mehr) explizit den Begriff der „mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte“ verwendet (so die Analyse von Kulick, NJW 2016, 2236 ff. im Hinblick insbesondere auf BVerfGE 142, 74, 101 ff.; 129, 78, 101; siehe aber auch BVerfG NJW 2018, 1667, 1668 - Stadionverbot und den vorliegend zu besprechenden Beschluss BVerfG NJW 2019, 1935, 1936 - Sperrung eines Facebook-Accounts, in dem das Gericht hinsichtlich der Geltung des Art. 3 I GG zwischen Privaten ausdrücklich von „mittelbarer Drittwirkung“ spricht), sondern zunächst die streitentscheidende Norm verfassungskonform (d.h. am Maßstab der einschlägigen Grundrechte) auslegt, um sodann festzustellen, ob die zu überprüfenden Urteile der Fachgerichte dieser verfassungskonformen Auslegung entsprechen (R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 106).

Gleichgültig, welcher Terminologie (expliziter Verweis auf die Figur der „mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte“ oder „zweistufige verfassungskonforme Auslegung“) man sich anschließt, entfalten die Grundrechte eine Doppelfunktion (Abwehrrechte einerseits und Statuierung objektiver Wertvorgaben andererseits). Ein Gericht, das über einen Rechtsstreit zwischen Privaten entscheidet, muss daher bei jeder Entscheidung prüfen, ob und inwieweit das anzuwendende Gesetz (insbesondere dort normierte Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe) grundrechtlich beeinflusst ist (R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 107).

Diese Grundrechtsdogmatik könnte durch den vorliegend zu besprechenden Beschluss des BVerfG, der mehrmals Bezug nimmt auf den Stadionverbots-Beschluss BVerfG NJW 2018, 1667, ins Wanken geraten sein. Dem Beschluss lag folgender (vereinfachter) Sachverhalt zugrunde: Die politische P-Partei greift zum Zweck der Stellungnahme zum aktuellen politischen Tagesgeschehen und der Berichterstattung über ihre Parteiarbeit auf das in Deutschland weit verbreitete soziale Netzwerk „Facebook“ zurück. Sie veröffentlichte unter dem in ihrem Namen betriebenen Nutzeraccount einen Link zu einem Artikel auf ihrer Internetseite, auf der es u.a. heißt:

„Im Zwickauer Stadtteil Neuplanitz gibt es zahlreiche Menschen, die man landläufig wohl als sozial und finanziell abgehängt bezeichnen würde. Während nach und nach immer mehr art- und kulturfremde Asylanten in Wohnungen in den dortigen Plattenbauten einquartiert wurden, die mitunter ihrer Dankbarkeit mit Gewalt und Kriminalität Ausdruck verleihen, haben nicht wenige Deutsche im Viertel kaum Perspektiven (…).“

Unmittelbar nach der Veröffentlichung teilte der Betreiber des Netzwerkes der P mit, dass der Beitrag als „Hassrede“ gegen die Gemeinschaftsstandards verstoße. Die Sichtbarkeit des Beitrags sei daher eingeschränkt und das Veröffentlichen von Beiträgen für 30 Tage gesperrt worden. Auf Einspruch der P, der unter Verweis auf die Meinungsfreiheit der P begründet wurde, erfolgte sodann die Löschung des Nutzerkontos, dessen Inhalt seitdem nicht mehr verfügbar ist. Nach erfolglosen Bemühungen um zivilrechtlichen Rechtsschutz beantragte die P daher beim BVerfG den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie rügte eine Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 5 I, 21 I S. 1 i.V.m. Art. 3, 2 I, 38 und 19 IV GG.

Analyse: Bemerkenswert sind einige Formulierungen des Beschlusses, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Denn sie betreffen (wie schon einige Formulierungen im Stadionverbots-Beschluss) das Verhältnis zwischen unmittelbarer und mittelbarer Grundrechtsgeltung bzw. -wirkung und scheinen dieses aufzuweichen. Das zumindest legt die Formulierung, es könnten sich „jedenfalls in spezifischen Konstellationen auch gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten ergeben“ (siehe BVerfG NJW 2018, 1667, 1669 - Stadionverbot und BVerfG NJW 2019, 1935, 1936 - Sperrung eines Facebook-Accounts), nahe. Dadurch, dass das BVerfG diese Formulierung jenseits seiner Ausführungen zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte verwendet, wird klar, dass etwas anderes gemeint sein muss. Die Formulierung kann man so interpretieren, dass das BVerfG im Bereich der Gleichheitsrechte eine unmittelbare Drittwirkung andeutet (siehe auch Muckel, JA 2019, 710, 711 ff.). In seinem Beschluss über die Verfassungsmäßigkeit von Stadionverboten scheint sich das BVerfG dem jedenfalls nicht zu verschließen, wenn es formuliert: „Ein allgemeiner Grundsatz, wonach private Vertragsbeziehungen jeweils den Rechtfertigungsanforderungen des Gleichbehandlungsgebots unterlägen, folgt demgegenüber aus Art. 3 I GG auch im Wege der mittelbaren Drittwirkung nicht. Über eventuell weitergehende Anforderungen aus speziellen Gleichheitsrechten wie Art. 3 II und III GG ist hier nicht zu entscheiden.“ (BVerfG NJW 2018, 1667, 1669). Man wird dieser Formulierung durchaus entnehmen können, dass das BVerfG jedenfalls dann, wenn auf der einen Seite des Privatrechtsverhältnisses eine „sozial mächtige“ („marktbeherrschende“) Partei steht und es sich um eine für die andere Partei (grundrechts-)wesentliche Angelegenheit handelt, nicht abgeneigt ist, den speziellen Gleichheitsrechten aus Art. 3 II und III GG eine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten beizumessen. So kann man auch BVerfG NJW 2019, 1935, 1936 (Sperrung eines Facebook-Accounts) interpretieren, zumal das BVerfG dort ausdrücklich auf BVerfG NJW 2018, 1667, 1669 verweist. Im Beschluss über die Sperrung eines Facebook-Accounts heißt es zudem: „Dabei können sich aus Art. 3 I GG jedenfalls in spezifischen Konstellationen auch gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten ergeben. Ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Forderungen sich insoweit auch für Betreiber sozialer Netzwerke im Internet – etwa in Abhängigkeit vom Grad deren marktbeherrschender Stellung, der Ausrichtung der Plattform, des Grads der Angewiesenheit auf eben jene Plattform und den betroffenen Interessen der Plattformbetreiber und sonstiger Dritter – ergeben, ist jedoch weder in der Rechtsprechung der Zivilgerichte noch in der Rechtsprechung des BVerfG abschließend geklärt. Die verfassungsrechtlichen Rechtsbeziehungen sind insoweit noch ungeklärt“ (BVerfG NJW 2019, 1935, 1936).

Damit dürfte klar sein, dass es das BVerfG jedenfalls in Konstellationen, in denen auf der einen Seite des Privatrechtsverhältnisses eine „sozial mächtige“ („marktbeherrschende“) Partei steht und es sich um eine für die andere Partei (grundrechts-)wesentliche Angelegenheit handelt, nicht bei der mittelbaren Drittwirkung der Gleichheitsrechte bewenden lassen möchte. Anderenfalls hätte es die Aussagen, dass sich „jedenfalls in spezifischen Konstellationen auch gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten ergeben“, „...noch nicht abschließend geklärt“ und „Die verfassungsrechtlichen Rechtsbeziehungen sind insoweit noch ungeklärt“ nicht getätigt. Diese Aussagen geben Anlass zu der bereits genannten Einschätzung, dass das BVerfG in den genannten Konstellationen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte jedenfalls auf dem Gebiet der Gleichheitsrechte favorisiert (siehe auch Muckel, JA 2019, 710, 711 ff.). Folge wäre, dass sich einer gleichheitswidrigen Verwehrung von z.B. Zugangs- und Teilhabeansprüchen, die an das Geschlecht, die Abstammung, die ethnische Herkunft, die Sprache, die Heimat, den Glauben und/oder die religiösen oder politischen Anschauungen oder an eine Behinderung anknüpft, unmittelbar mit Art. 3 II und III GG begegnen ließe. Und selbst Art. 3 I GG wäre unmittelbar anwendbar und führte zu einer Beschränkung der Vertragsfreiheit. Es bestünde also ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Zugangs- und Teilhabeanspruch zu privaten Einrichtungen und Veranstaltungen (jedenfalls in den genannten Konstellationen, insbesondere, wenn es um kommunikative Grundrechtsentfaltung geht wie in Internetforen und sozialen Netzwerken), wenn eine Verwehrung des Zugangs bzw. der Teilhabe einen Verstoß gegen Art. 3 I, II, III GG bedeutete. Die Betreiber der genannten Einrichtungen wären - (zunächst) bezogen auf Gleichheitsgrundrechte - unmittelbar grundrechtsverpflichtet (in der Literatur wird von „situativer staatsgleicher Grundrechtsbindung privater Akteure“ gesprochen, Michl, JZ 2018, JZ 2018, 910; siehe auch Seyderhelm NVwZ 2019, 962; Muckel, JA 2019, 710, 713). Es stellt sich aber die Frage, ob sich dadurch im Vergleich zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wirklich ein höheres Schutzniveau für Kunden, Gäste, Internetnutzer etc. ergibt und sich nur auf diese Weise ein Zulassungs- bzw. Zugangsanspruch herleiten lässt. Das darf bezweifelt werden. Denn auch unter Anwendung der Figur der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte findet eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter statt: Der Gewährleistungsgehalt der Grundrechte wirkt über das Medium der Vorschriften, die das einzelne Rechtsgebiet betreffen (also über das bereichsspezifische einfache Recht). Das gilt insbesondere für die Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Begriffe (siehe dazu die Übersicht bei R. Schmidt, Grundrechte, 24. Aufl. 2019, Rn. 108). Im vorliegenden Zusammenhang wären die widerstreitenden Grundrechte im Rahmen des § 3 II Nr. 2 und Nr. 3 NetzDG (Sperrung bzw. Löschung von rechtswidrigen bzw. offensichtlich rechtswidrigen Inhalten) gegeneinander und untereinander abzuwägen. Wer ein Internetforum betreibt, dieses der breiten Öffentlichkeit zugänglich macht und dieser eine Diskussionsgrundlage schafft, ist aufgrund seiner „Marktmacht“ und der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte daran gehindert, sachgrundlos den Zugang zu verwehren bzw. lediglich unerwünschte oder ihm nicht gelegene Einträge zu löschen. Zwar kann sich der Forumsbetreiber auf ein Art. 14 I GG zuzuordnendes „virtuelles Hausrecht“ stützen, er muss andererseits aber auch unter Heranziehung der Figur der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte die Kommunikationsgrundrechte der Beitragsersteller aus Art. 5 I GG beachten. Zugangsverweigerungen, Sperrungen und Löschungen sind also unter Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter lediglich dann rechtmäßig, wenn Forumseinträge wiederum (mittelbar) Grundrechte anderer oder sonstige Verfassungsgüter verletzen. Die mittelbare Verletzung von Grundrechten anderer wird man insbesondere bei Vorliegen von Schmähkritik, also bei einer Äußerung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, annehmen müssen. Denn in diesem Fall überwiegen die Persönlichkeitsrechte des von der Schmähkritik Betroffenen. Das gilt insbesondere dann, wenn der die Schmähkritik Übende unter einem Pseudonym auftritt und den Geschmähten unter dessen Klarnamen diskreditiert. Erst recht ist ein Einschreiten des Forumsbetreibers geboten, wenn Straftaten (insbesondere Ehrdelikte gem. §§ 185 ff. StGB; Straftaten nach §§ 130, 130a, 131, 86, 86a, 91 StGB) verwirklicht werden. Im Übrigen hat sich der Forumsbetreiber zurückzuhalten. Eine Verletzung anderer Verfassungsgüter, die ebenfalls zur Sperrung bzw. Löschung berechtigte, wird man insbesondere annehmen müssen, wenn sich die Äußerungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Ist das alles nicht gegeben, bestehen bereits über die Figur der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ein Zugangsanspruch und ein Recht, dass weder Postings gelöscht und Accounts gesperrt werden.

Es bleibt also bei der vom Verfasser aufgeworfenen Frage, ob sich durch den „Vorstoß“ des BVerfG (wenngleich nur durch Kammerbeschluss) wirklich eine Ausdehnung der Grundrechtsverpflichtung privater Akteure (so Seyderhelm, NVwZ 2019, 962 f.) bzw. umgekehrt ein höheres Schutzniveau der Kunden, Gäste, Nutzer etc. ergibt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das nicht der Fall. Der Grundrechtsschutz lässt sich im Privatrechtsverhältnis hinreichend über die Figur der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte realisieren. Eine unmittelbare Grundrechtsgeltung im Privatrecht - wenn zunächst auch auf die Gleichheitsgrundrechte beschränkt - stellte jedenfalls grundrechtsdogmatisch eine Abweichung zur Regelung des Art. 1 III GG dar, die - mit Ausnahme des Art. 9 III S. 2 GG - lediglich die drei Staatsgewalten unmittelbar grundrechtsverpflichtet. Eine Aufnahme von Privatrechtssubjekten in den Kreis der unmittelbar Grundrechtsverpflichteten wäre mit Blick auf den klaren Wortlaut des Art. 1 III GG weder dogmatisch überzeugend noch inhaltlich erforderlich, da - wie aufgezeigt - die objektive Wertordnung der Grundrechte über die Figur der mittelbaren Drittwirkung einen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der „Vorstoß“ des BVerfG, d.h. eine Ausdehnung der Grundrechtsverpflichtung privater Akteure, wäre allenfalls dann angezeigt, wenn die einfache Rechtsordnung keine Lösungen bereitstellte. Das aber ist nicht der Fall. Eine Analyse der ständigen Rechtsprechung (des BGH) zeigt, dass sich Zugangsansprüche bzw. gegen Rauswurf, Sperrung und Löschung gerichtete Schutzansprüche entweder aus dem bereichsspezifischen Recht oder - in Ermangelung spezieller Regelungen - aus §§ 823, 826, 249 BGB bzw. aus § 1004 BGB analog ergeben können. Bei Anwendung dieser Vorschriften lassen sich die Grundrechtsgewährleistungen hinreichend abbilden. Je größer die „Marktmacht“ des verpflichteten Privatrechtssubjekts ist und je stärker sich der (kommunikative) Öffentlichkeitsbezug darstellt, desto stärker zwingen die mittelbar zu berücksichtigenden Grundrechte der Kunden, Gäste, Teilnehmer oder Nutzer zu einer Zulassung bzw. Duldung eines auch (rechtlich erlaubten, aber z.B. sozial) unerwünschten Verhaltens. 

Rolf Schmidt (24.08.2019)







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