Aktuelles 2020 EZB Anleihenkauf

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09.05.2020: Anleihenkauf der EZB – Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung

BVerfG, Urteil v. 05.05.2020 – 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16

Mit Urteil v. 05.05.2020 hat der 2. Senat des BVerfG entschieden, dass das von der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgelegte Public Sector Purchase Programme (PSPP), ein Teil des Expanded Asset Purchase Programme (EAPP) zum Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten, das wiederum ein Rahmenprogramm der EZB zum Ankauf von Vermögenswerten („Anleihenkauf der EZB“) darstellt, nicht von vornherein die zugewiesenen Kompetenzen überschritten habe. Einen Ultra-vires-Akt stelle aber das bestätigende Urteil des EuGH (EuGH EuZW 2019, 162) dar. Denn der EuGH habe die im europäischen Rechtsraum überkommenen Auslegungsmethoden und allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsätze wie insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit außer Acht gelassen. Er habe in offensichtlicher Weise Bedeutung und Tragweite des auch bei der Kompetenzverteilung zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 I S. 2, IV EUV) verkannt, weshalb sein Urteil wegen der vollständigen Ausklammerung der tatsächlichen Auswirkungen des Programms auf die Wirtschaftspolitik methodisch nicht mehr vertretbar sei. Eine offenkundige Außerachtlassung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der damit einhergehenden Gesamtabwägung sei vom Mandat des Art. 19 I S. 2 EUV nicht umfasst. Es liege ein Verstoß gegen Art. 38 I S. 1 GG i.V.m. Art. 20 I und II GG i.V.m. Art. 79 III GG vor. Ob das Urteil des BVerfG überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.

Ausgangslage: Wie bei R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, 21. Aufl. 2020, Rn. 338 erläutert, beruht das EU-Recht auf dem Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung (vgl. Art. 5 EUV): Die Union verfügt nur über solche Kompetenzen, die ihr enumerativ übertragen wurden. Insbesondere kommt ihr keine „Kompetenz-Kompetenz“ zu, d.h. nicht die Befugnis, sich selbstständig neue Kompetenzen zu geben (dies ist der Unterschied zum verfassten Bundesstaat wie der Bundesrepublik Deutschland: Das Grundgesetz verleiht dem Bund – wenn auch unter Mitwirkung der Länder über den Bundesrat – die Kompetenz, durch Änderung des Grundgesetzes seine Kompetenzen auszuweiten). Die Europäische Union kann ihre Aufgaben und Zuständigkeiten nicht selbst ausweiten, sondern nur solche in Anspruch nehmen, die ihr durch Vertragsergänzungen oder -änderungen eingeräumt worden sind („enumerative Handlungsermächtigung“). Eine Generalermächtigung, d.h. die Übertragung der Befugnis, Verfassungsrecht zu setzen und eigene Kompetenzen zu begründen bzw. vorhandene auszuweiten, wäre trotz der Integrationsermächtigung des Art. 23 I S. 1 und 2 GG unter der Geltung des Grundgesetzes auch nicht möglich, denn auf ihre staatliche Souveränität kann die Bundesrepublik Deutschland nicht verzichten. Das schreibt Art. 79 III GG fest, der u.a. die Unveränderbarkeit der Art. 1 GG und Art. 20 GG anordnet und dabei auch vor der Integrationsermächtigung in Art. 23 I S. 1 u. 2 GG nicht Halt macht (vgl. Art. 23 I S. 3 GG – Bestandssicherungsklausel, dazu R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, 21. Aufl. 2020, Rn. 348). In Art. 20 I, II GG ist das Demokratieprinzip als geltendes Verfassungsrecht festgeschrieben. Der Bundestag als unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ wäre seiner Aufgabe, alle wesentlichen Aspekte des Gemeinwesens zu regeln, beraubt, erhielte die EU umfassende Hoheitsrechte.

Verfügt die EU damit also lediglich über übertragene Einzelermächtigungen, folgt daraus, dass sie auch nur Maßnahmen ergreifen und Akte erlassen darf, die von den übertragenen Kompetenzen gedeckt sind. Überschreiten Organe der EU die ihnen eingeräumten Handlungsbefugnisse (Kompetenzüberschreitung), sind – wie das BVerfG in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck bringt – daraus hervorgegangene „ausbrechende Rechtsakte“ („Ultra-vires-Akte“) für deutsche Stellen nicht verbindlich. Für solche Rechtsakte könne dann kein Anwendungsvorrang des EU-Rechts gegenüber nationalem (Verfassungs-)Recht bestehen, sodass Prüfungsmaßstab der fraglichen nationalen Norm, die aufgrund von sekundärem EU-Recht ergeht, wieder das Grundgesetz sei. In diesem Fall entscheide dann wieder das BVerfG im Rahmen einer „Ultra-vires-Kontrolle“ (BVerfGE 126, 286, 302 – Honeywell bzw. Mangold; BVerfG NJW 2019, 3204, 3206 ff. – Europäische Bankenunion).
Das BVerfG fordert aber eine „besondere Qualität“ der ausbrechenden Rechtsakte der Union, um eine Prüfungskompetenz annehmen zu können: Während es im Lissabon-Urteil (BVerfGE 123, 267, 348 ff.) seine Kontrollbefugnis noch auf „ersichtliche Grenzüberschreitungen“ festgelegt hatte, machte es in seinem „Honeywell-Beschluss“ (BVerfGE 126, 286, 302) einschränkend deutlich, dass es sich hinsichtlich der Überprüfung von Rechtsakten der EU am Maßstab des Grundgesetzes nur dann für zuständig erachte, wenn der gerügte Ultra-vires-Verstoß „praktisch kompetenzbegründend wirkt“, wobei ein „hinreichend qualifizierter“ Verstoß dergestalt zu fordern sei, „dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaat und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fällt“. Damit stellt das BVerfG also sehr hohe Anforderungen, damit von einem „ausbrechenden Rechtsakt“ gesprochen werden kann. Ganz offensichtlich versucht das BVerfG damit also, einen Kompetenzkonflikt mit dem EuGH nach Möglichkeit zu vermeiden. Im vorliegend zu besprechenden Fall schien es aber einen solchen Konflikt nicht mehr abwenden zu können.

Das BVerfG entscheidet aber nicht nur im Fall einer Kompetenzüberschreitung eines Organs der EU, sondern auch dann, wenn durch eine Maßnahme der EU in Art. 79 III GG genannte unabänderbare und damit integrationsfeste Verfassungsprinzipien aus Art. 1 GG und Art. 20 GG, die zudem durch Art. 4 II EUV geschützt sind, missachtet würden (vgl. BVerfGE 126, 286, 302 mit Bezugnahme auf BVerfGE 75, 223, 235 ff.; 113, 273, 296; 123, 267, 353 f.; vgl. auch BVerfG NJW 2016, 1149, 1150 f. – Identitätskontrolle). Sollte durch eine Maßnahme der EU also ein durch Art. 79 III GG für unantastbar erklärter Grundsatz aus Art. 1 GG oder Art. 20 GG berührt werden, findet der Anwendungsvorrang der EU (ebenfalls) seine Grenzen. In diesem Fall erklärt sich das BVerfG dann für zuständig und erklärt den betreffenden EU-Rechtsakt im Rahmen einer „Identitätskontrolle“ (Kontrolle der Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland) für unanwendbar BVerfG NJW 2016, 1149, 1151 – Identitätskontrolle).

Zu prüfen gilt es daher, ob mit dem PSPP-Programm der EZB ein „hinreichend qualifizierter“ Rechtsverstoß (ein Ultra-vires-Akt) bzw. eine Verletzung der Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland vorliegt.

Sachverhalt: Das EAPP ist ein Rahmenprogramm, das sich aus mehreren Unterprogrammen zusammensetzt. Unter anderem zählt das PSPP zu diesen Unterprogrammen. Gemäß der Begründung der EZB – die das BVerfG heranzieht – zielt das EAPP auf eine Ausweitung der Geldmenge und damit auf eine geldpolitische Lockerung (vgl. EZB, Pressemitteilung v. 22.01.2015 – in Bezug genommen von BVerfG Rn. 3). Unternehmen und private Haushalte sollen Finanzmittel günstiger aufnehmen können. Dies befördere Investitionen und Konsum, freilich mit der Folge, dass sich die Inflation einem „Niveau von 2 % annähern“ könne (vgl. 2. Erwägungsgrund Beschluss <EU> 2015/774 der EZB v. 04.03.2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten <EZB/2015/10>, ABl EU Nr. L 121 v. 14.05.2015, S. 20; vgl. auch Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juni 2016, S. 39) – BVerfG Rn. 3. Um hypothetischen Verlusten zu begegnen, erwerben im Rahmen des PSPP die EZB und die Zentralbanken der Euro-Mitgliedstaaten nach einem bestimmten Kapitalschlüssel und unter bestimmten Bedingungen v.a. Staatsanleihen.

Wie das BVerfG feststellt, war der Umfang des EAPP (bzw. des PSPP) 2015/2016 zunächst auf monatliche Ankäufe in Höhe von 60 Milliarden Euro begrenzt. Im April 2016 wurde das Volumen der Ankäufe auf monatlich etwa 80 Milliarden Euro angehoben (BVerfG Rn. 5). Nach zwischenzeitlicher Absenkung des Ankaufvolumens beschloss der EZB-Rat am 12. September 2019 die Wiederaufnahme der Anleihekäufe ab dem 1. November 2019 im Umfang eines Netto-Ankaufvolumens von 20 Milliarden Euro monatlich (vgl. EZB, Pressemitteilung v. 12.09.2019, S. 1; Einleitende Bemerkungen zur Pressekonferenz v. 12.09.2019, S. 1) – BVerfG Rn. 7.

Zum 8.11.2019 hatten die EZB und die nationalen Zentralbanken der Eurozone (Art. 282 I S. 2 AEUV) im Rahmen des EAPP Wertpapiere im Gesamtwert von 2.557.800 Millionen Euro erworben, wovon 2.088.100 Millionen Euro (81,63 %) auf das PSPP entfielen (vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht November 2019, S. 24) – BVerfG Rn. 8.

Geltend gemachte Grundrechtsverletzung: Die Beschwerdeführer machen geltend, das angegriffene Programm stelle eine hinreichend qualifizierte Kompetenzübertretung dar und verletze die durch das Grundgesetz geschützte Verfassungsidentität. Die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland hätten entgegen ihrer Integrationsverantwortung nicht auf die Unterlassung und Beseitigung dieser Rechtsverstöße hingewirkt. Damit werde auch das Recht der Beschwerdeführer aus Art. 38 I S. 1 GG verletzt. Nach den vom BVerfG entwickelten Maßstäben seien die Verfassungsorgane verpflichtet, gegen die mit Art. 79 III GG i.V.m. Art. 20 II GG unvereinbare Ausweitung der Kompetenzen der EZB in den bislang den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Bereich der Wirtschafts- und Fiskalpolitik vorzugehen.

Die Entscheidung des BVerfG: In seinem Urteil macht das BVerfG nochmals deutlich, dass die Wahrung der kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union entscheidende Bedeutung für die Gewährleistung des demokratischen Prinzips habe. Die Finalität des Integrationsprogramms dürfe nicht dazu führen, dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als eines der Fundamentalprinzipien der Europäischen Union faktisch außer Kraft gesetzt werde (Rn. 158 des Urteils). Das heißt: Die begrenzte Einzelermächtigung wahrt das Demokratieprinzip aus Art. 20 I, II GG und damit auch das individualschützende grundrechtsgleiche Recht aus Art. 38 I S. 1 GG. Eine Maßnahme der EU, die jenseits einer übertragenen Einzelermächtigung ergangen ist, stellt einen Ultra-vires-Akt bzw. eine Verletzung der Verfassungsidentität dar und entfaltet innerstaatlich keine Rechtswirkung. Jedoch nimmt sich das BVerfG bei der Feststellung eines solchen „ausbrecherischen Akts“ zurück. Bei der Frage nach der Gültigkeit oder Auslegung einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union legt es seiner Prüfung grundsätzlich den Inhalt und die Beurteilung zugrunde, die die Maßnahme durch den EuGH erhalten hat (Rn. 118 des Urteils). Entscheidet also der EuGH über die Vereinbarkeit eines Aktes des Sekundärrechts mit Primärrecht, sieht sich das BVerfG daran gebunden, außer die Entscheidung des EuGH stellt – trotz des weiten Ermessens des handelnden Organs, das das BVerfG diesem einräumt – einen Ultra-vires-Akt bzw. eine Verletzung der Verfassungsidentität dar.

Im vorliegenden Fall hat das BVerfG im PSPP und dem bestätigenden Urteil des EuGH nicht von vornherein einen Ultra-vires-Akt bzw. eine Verletzung der Verfassungsidentität festgestellt. Im Gegenteil geht es davon aus, dass das PSPP keine qualifizierte Verletzung des Verbots monetärer Staatsfinanzierung (Art. 123 I AEUV) und auch keine Verletzung der Verfassungsidentität darstellt. Es hat aber beanstandet, dass der EuGH bei der Prüfung des PSPP in nicht hinreichender Weise den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten angewendet habe, was zur Folge habe, dass die damit verbundene wertende Gesamtbetrachtung fehlerhaft sei, die für das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Volkssouveränität erhebliches Gewicht habe. Die weitgehende Entleerung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der damit verbundene Verzicht auf eine wertende Gesamtbetrachtung seien geeignet, die kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union zu verschieben und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Eine offenkundige Außerachtlassung der im europäischen Rechtsraum überkommenen Auslegungsmethoden oder allgemeiner, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer Rechtsgrundsätze sei nicht nur (methodisch) nicht mehr nachvollziehbar, sondern auch vom Mandat des Art. 19 I S. 2 EUV nicht umfasst (Rn. 158 ff. des Urteils). Damit habe der EuGH gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 I EUV verstoßen. Sein Urteil stelle einen Ultra-vires-Akt dar. Es liege ein Verstoß gegen Art. 38 I S. 1 GG i.V.m. Art. 20 I und II GG i.V.m. Art. 79 III GG vor (Rn. 158 ff. des Urteils).

Bewertung: Zu Recht weist das BVerfG darauf hin, dass das Europäische System der Zentralbanken keine Wirtschafts- und Sozialpolitik betreiben darf (Rn. 139 des Urteils). Auch ist der Feststellung zuzustimmen, dass das Verbot monetärer Staatsfinanzierung (Art. 123 I AEUV) es nicht ausschließt, unter dem Gesichtspunkt des Art. 5 I S. 2, IV EUV (wonach für die Ausübung der aus den begrenzten Einzelermächtigungen folgenden Zuständigkeiten der Union die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gelten) die Auswirkungen zu erfassen, die ein Ankaufprogramm für Staatsanleihen etwa für die Staatsverschuldung, Sparguthaben, Altersvorsorge, Immobilienpreise, das Überleben wirtschaftlich nicht überlebensfähiger Unternehmen habe, und sie – im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung – zu dem angestrebten und erreichbaren währungspolitischen Ziel in Beziehung zu setzen. Denn die wertende Gesamtbetrachtung ist Kernelement jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung; auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts. Art. 5 I S. 2, IV EUV stellt dies klar. Die Nichtvornahme einer angezeigten Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt also in der Tat einen schweren Fehler und damit einen „hinreichend qualifizierten“ Verstoß dar.
Wenn aber das BVerfG davon ausgeht, dass das PSPP nicht gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung (Art. 123 I AEUV) verstößt, hätte daran auch die Vornahme einer wertenden Gesamtbetrachtung durch den EuGH nichts geändert. Mit der gleichen Überlegung nicht ergebnisrelevant (fehlende Fehlerkausalität) war dann auch die vom BVerfG beanstandete nicht erfüllte Verpflichtung der Bundesregierung und des Bundestags, aufgrund ihrer Integrationsverantwortung auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Europäische Zentralbank hinzuwirken und ihre Rechtsauffassung gegenüber der Europäischen Zentralbank deutlich zu machen oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände zu sorgen (vgl. Rn. 232 des Urteils). Daher war die Entscheidung des BVerfG nach Auffassung des Verfassers nicht zwingend. Es hätte ausgereicht, den „hinreichend qualifizierten“ Rechtsverstoß des EuGH aufzuzeigen, wegen fehlender Kausalität es aber dabei zu belassen. Das wiederum wirft die Frage nach der Zielsetzung der Entscheidung auf. Möglicherweise ist sie in den Kontext zum Beschluss des Ersten Senats v. 06.11.2019 – 1 BvR 276/17 („Recht auf Vergessenwerden II“) einzuordnen. Dort hatte ja das BVerfG entschieden, dass es Akte deutscher Stellen, die unionsrechtlich vollständig vereinheitlichte Regelungen des Unionsrechts anwenden, am Maßstab der Unionsgrundrechte (!) prüft, soweit die Grundrechte des Grundgesetzes durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt werden. Auch diese Entscheidung wurde vom Verfasser kritisiert (siehe den Aktuelles-Beitrag v. 01.12.2019), weil das BVerfG für sich einen Prüfungsmaßstab in Anspruch nimmt, der vom Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Danach prüft das BVerfG – wie sich aus Art. 93 GG ergibt – Akte der öffentlichen Gewalt allein am Maßstab des Grundgesetzes. Daran ändert auch die (selbst auferlegte) „Integrationsverantwortung“ des BVerfG nichts. Und mit ebenjener „Integrationsverantwortung“ stellt sich das BVerfG im Urteil zum Anleihenkauf der EZB gegen den EuGH. Vielleicht ist die Antwort auf die vom Verfasser aufgeworfene Frage nach dem Grund simpel: Das BVerfG möchte auf „Augenhöhe“ mitentscheiden oder tendiert sogar zur „Letztentscheidungskompetenz“.


Rolf Schmidt (09.05.2020)



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