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04.01.2020: Fahrlässige Brandstiftung durch Himmelslaterne und (un-)vermeidbarer Verbotsirrtum?

Neujahr 2020 verbreitete sich schnell die Schreckensnachricht, dass ein Feuer im Krefelder Zoo ausgebrochen sei, das zur völligen Zerstörung eines Tiergeheges und zum Tod von über 30 Affen geführt habe. Rasch wurde auch die (vermeintliche) Brandursache bekannt: Eine der brennenden Himmelslaternen, die eine 60-jährige Frau und ihre beiden erwachsenen Töchter haben aufsteigen lassen, soll den Brand verursacht haben. Im Folgenden sollen die strafrechtliche und die zivilrechtliche Seite untersucht werden. Es wird von folgendem Sachverhalt ausgegangen: 

Sachverhalt: M kaufte für sich und ihre beiden erwachsenen Töchter vor Silvester im Internet sog. Himmelslaternen. Dabei handelt es sich um sehr leichte Papierlaternen, an deren Sockel eine Baumwollkerze und ggf. Grußlabels angebracht sind, um Glückwünsche niederzuschreiben. Durch die Hitze, die durch die brennende Kerze entsteht, erwärmt sich das Innere der Laterne, wodurch diese aufsteigt und vom Wind davongetragen wird. Die Brenndauer der Kerze beträgt bis zu 20 Minuten. Zu Neujahrsbeginn um 0.00 Uhr ließen die Frauen einige Himmelslaternen aufsteigen. Leider aber verfing sich eine der Laternen in der Dachkonstruktion eines Geheges des nahegelegenen Zoos, wodurch dieses vollständig niederbrannte. Neben dem immens hohen Sachschaden, der verursacht wurde, fanden über 30 Affen den Tod. Die Täterinnen, die sich alsbald der Polizei stellten, gaben im Rahmen der polizeilichen Vernehmung an, ihnen sei nicht bewusst gewesen, dass der Einsatz von Himmelslaternen verboten sei. Ein Hinweis des Verkäufers habe gefehlt, sodass sie davon ausgegangen seien, der Einsatz der Papierlaternen sei nicht verboten. Es tue ihnen unendlich leid, was geschehen sei.

A. Strafbarkeit wegen fahrlässiger Brandstiftung:

Vorüberlegung: Da in Ermangelung eines gemeinsamen Tatentschlusses (siehe § 25 II StGB) eine mittäterschaftliche Brandstiftung ausscheidet und daher nur eine Einzeltäterschaft in Betracht kommt, müsste in der Praxis nachgewiesen werden, wer von den Frauen die betreffende Himmelslaterne hat aufsteigen lassen. Kann dieser Beweis nicht erbracht werden, müssten alle nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freigesprochen werden. Die Figur der „fahrlässigen Mittäterschaft“ (siehe dazu R. Schmidt, Strafrecht Allgemeiner Teil, 21. Aufl. 2019, Rn. 1020 ff.), die Strafbarkeitslücken schließen möchte, die dadurch entstehen, dass nicht festgestellt werden kann, wessen Verhalten letztlich den Taterfolg herbeigeführt hat, wird aber nun einmal der gesetzlichen Wertung des § 25 II StGB nicht gerecht. In Betracht kommt daher lediglich eine Alleintäterschaft unter dem Aspekt einer Fahrlässigkeitstat. Kann die Kausalität nicht geklärt werden, sind alle 3 Frauen freizusprechen, wenn man sich nicht der „fahrlässigen Mittäterschaft“ anschließt. 

Lösungsgesichtspunkte: Die Frau, die die betreffende Himmelslaterne hat aufsteigen lassen, könnte sich wegen fahrlässiger Brandstiftung gem. § 306d I Halbs. 1 Var. 1 StGB strafbar gemacht haben. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fällen des § 306 I StGB fahrlässig handelt. § 306 I StGB wiederum stellt das Inbrandsetzen und das durch eine Brandlegung ganz oder teilweise Zerstören eines der in der Vorschrift genannten Tatobjekte unter Strafe. Tatobjekte sind fremde

  • Gebäude oder Hütten,
  • Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, namentlich Maschinen,
  • Warenlager oder -vorräte,
  • Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge,
  • Wälder, Heiden oder Moore,
  • land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse.

Bei dem Gehege könnte es sich um ein Gebäude i.S.d. § 306 I Nr. 1 Var. 1 StGB gehandelt haben. Unter einem Gebäude versteht man – wie bei § 243 StGB – ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest verbundenes Bauwerk, das dazu bestimmt und geeignet ist, dem Aufenthalt – nicht notwendigerweise dem Wohnen – von Menschen zu dienen (siehe dazu BGHSt 6, 107 ff). Teilweise wird darüber hinaus gefordert, das Gebäude müsse dem Zweck dienen, den freien Zutritt Dritter zu verhindern. Damit will man offenbar ausschließen, dass z.B. ein Rohbau, bei dem noch Türen und Fenster fehlen, oder eine instandsetzungsfähige Ruine unter den Begriff des Gebäudes subsumiert werden können. Das ist mit Blick auf den Schutzzweck des § 306 I Nr. 1 StGB abzulehnen. Erfüllte das niedergebrannte Gehege also die genannten Kriterien, war es als Gebäude anzusehen. Es könnte jedenfalls aber als Betriebsstätte anzusehen gewesen sein. Betriebsstätten i.S.v. § 306 I Nr. 2 StGB sind ortsfeste, auf längere Zeit angelegte Einrichtungen, die in ihrer räumlichen Zusammenfassung der Ausübung eines bestehenden Unternehmens dienen (MüKo-Radtke, § 306 StGB Rn. 26), womit auch Tiergehege in Zoos erfasst sein können, sofern diese nicht schon aufgrund ihrer Beschaffenheit als Gebäude anzusehen sind. Die Fremdheit ist unproblematisch gegeben. Das Gehege stand nicht im Eigentum der Täterin. 

Die getöteten Affen sind nicht als taugliche Tatobjekte erfasst. Das mag (auf den ersten Blick) zwar bedauerlich wirken, ist jedoch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die §§ 306 ff. StGB gemeingefährliche Straftaten regeln. Bei diesen geht es um die strafrechtliche Sanktionierung von Verhaltensweisen, die nach Auffassung des Gesetzgebers das Leben und die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zumindest gefährden oder Sachen von bedeutendem Wert (str.) zerstören können. Affen sind (wie alle Tiere) zwar keine Sachen (siehe § 90a S. 1 BGB), jedoch gelten die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend auch für Tiere (§ 90a S. 3 BGB). Die Affen waren (nach der Terminologie des Sachenrechts) wohl von bedeutendem Wert, jedoch eben nicht vom Kanon des § 306 StGB erfasst.  

Die Verursacherin müsste das Gehege fahrlässig in Brand gesetzt oder durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört haben. In Brand gesetzt ist ein Tatobjekt, wenn zumindest ein funktionswesentlicher Bestandteil des Objekts so vom Feuer erfasst wird, dass das Feuer aus eigener Kraft, d.h. ohne Fortwirken des Zündstoffes, selbstständig weiterbrennen kann (BGH NStZ 2014, 404 f.; BGHSt 16, 109, 110; 18, 363, 364 ff.; 34, 115, 117; 36, 221, 222; 48, 14, 18; Lackner/Kühl-Heger, § 306 StGB Rn. 3; Fischer, § 306 StGB Rn. 14; Sch/Sch-Heine/Bosch, § 306 StGB Rn. 13; MüKo-Radtke, § 306 StGB Rn. 51; Schenkewitz, JA 2001, 400, 401; Müller/Hönig, JA 2001, 517, 518; vgl. auch BGH NStZ 2008, 99 f.). Das war vorliegend der Fall: Durch das Verheddern der einen brennenden Himmelslaterne in der Dachkonstruktion des Geheges konnte das Feuer übergreifen und das gesamte Gehege erfassen. Dieses wurde damit in Brand gesetzt.

Dies müsste auch fahrlässig geschehen sein. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter objektiv sorgfaltswidrig gehandelt, also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat (allgemeine Auffassung). Sofern bestimmte Verhaltensnormen bestehen, durch deren Nichtbeachtung der Taterfolg eingetreten ist, bereitet die Feststellung der objektiven Sorgfaltspflicht i.d.R. keine größeren Schwierigkeiten. Im vorliegenden Zusammenhang ist zunächst die Regelung des § 19 I Nr. 2b) LuftVO zu beachten. Danach ist in einer Entfernung von weniger als 1,5 km von der Begrenzung von Flugplätzen der Aufstieg von ballonartigen Leuchtkörpern, insbesondere von Flug- oder Himmelslaternen, während der Betriebszeit des Flugplatzes verboten. Zwar befand sich (unterstelltermaßen) kein Flugplatz in der genannten Entfernung, jedoch lässt § 19 III LuftVO landesrechtliche Regelungen, die Aufstiege von ballonartigen Leuchtkörpern verbieten, unberührt. Unterstellt, dass eine landesrechtliche Verbotsnorm existiert, hätte die Täterin dagegen verstoßen und damit objektiv fahrlässig gehandelt. Aber auch ohne ein solches Verbot war es selbstverständlich fahrlässig, im Bebauungszusammenhang und insbesondere in der Nähe eines offenen Tiergeheges, in dem sich naturgemäß Heu und Stroh befinden, brennende Himmelslaternen steigen zu lassen.

Der Taterfolg war objektiv zurechenbar, weil sich gerade das rechtlich missbilligte Verhalten der Täterin in tatbestandsspezifischer Weise in dem konkreten Erfolg niedergeschlagen hat. Auch waren der wesentliche Kausalverlauf und der Erfolgseintritt objektiv vorhersehbar. Denn sie standen nicht so sehr außerhalb der Lebenserfahrung, dass man mit ihnen nicht rechnen brauchte.    

Allein die objektive Sorgfaltspflichtverletzung, die objektive Zurechnung des Erfolgseintritts und die objektive Vorhersehbarkeit des wesentlichen Kausalverlaufs und des Erfolgseintritts genügen jedoch noch nicht. Es bedarf auch der Feststellung des Fahrlässigkeitsschuldvorwurfs. Dieser wird v.a. durch die Feststellung begründet, dass der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten und dem Maß seines individuellen Könnens in der Lage gewesen ist, die objektive Sorgfaltspflicht einzuhalten und den drohenden Schaden zu erkennen. Diese Fähigkeit ist regelmäßig anzunehmen, kann aber bei physischen oder psychischen Mängeln (geringe Intelligenz, Bildung, Geschicklichkeit, Befähigung etc.) durchaus fehlen. Geht man bei der Täterin nicht von derartigen Mängeln aus, hat diese auch subjektiv fahrlässig gehandelt.

Jedoch könnte die persönliche Vorwerfbarkeit i.S. eines Unrechtsbewusstseins gefehlt haben. Nach der in § 17 StGB verankerten Schuldtheorie, die das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit als ein vom (Tatbestands-)Vorsatz getrenntes selbstständiges Schuldelement begreift, bestimmt das Unrechtsbewusstsein entscheidend die Schuld. So handelt nach § 17 S. 1 StGB der Täter, dem bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun, ohne Schuld, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte; anderenfalls (bei Vermeidbarkeit des Irrtums) kann die Strafe lediglich gemildert werden (§ 17 S. 2 i.V.m. § 49 I StGB). An die Unvermeidbarkeit stellt der BGH hohe Anforderungen. Ein Verbotsirrtum i.S.v. § 17 S. 1 StGB sei (nur dann) unvermeidbar, „wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falls, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte“. Im Zweifel treffe ihn eine Erkundigungspflicht (BGH NJW 2017, 2463, 2464 m.w.N.). Etwa aufkommende Zweifel seien erforderlichenfalls durch verlässliche und sachkundige Auskunft auszuräumen (BGH NJW 2017, 2463, 2464).
M, aber auch ihren beiden erwachsenen Töchtern, wäre sicherlich möglich gewesen, sich im Internet über die Verwendung von Himmelslaternen zu informieren, zumal M die Himmelslaternen ja auch im Internet kaufte und daher einigermaßen vertraut mit dem Medium Internet gewesen sein muss. Jedenfalls aber sollte es jedem erwachsenen Menschen klar sein, dass das Aufsteigenlassen von brennenden Laternen in Siedlungsgebieten sowie in der Nähe von Stallungen und Tiergehegen eine Brandgefahr in sich birgt, zumal man mit dem Loslassen der Laternen ja jegliche Kontrolle verliert. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, wie die drei Frauen davon ausgehen konnten, ihr Handeln sei ungefährlich.

Sollte bei der Täterin dennoch die Einsicht gefehlt haben, Unrecht zu tun, so war dieser Irrtum aber jedenfalls vermeidbar. Ihre Strafe wäre dann gem. § 17 S. 2 i.V.m. § 49 I StGB zu mildern. Nach § 49 I Nr. 2 S. 1 StGB darf hinsichtlich des in § 306d I StGB angedrohten Strafmaßes von bis zu 5 Jahren daher höchstens auf drei Viertel erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt gem. § 49 I Nr. 2 S. 2 StGB dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. Nimmt man also (entgegen dem hier vertretenen Standpunkt!) einen vermeidbaren Verbotsirrtum an, ist angesichts des Umstands, dass sich die drei Frauen alsbald nach der Tat der Polizei stellten, obwohl eine Entdeckung nicht sehr wahrscheinlich erschien, und sie ihre Tat zutiefst bereuen, mit einer Bewährungsstrafe (die gem. § 56 II StGB bis zu 2 Jahren möglich ist) jedenfalls dann zu rechnen, wenn § 46 StGB keine Vollstreckung der Strafe fordert.

Ergebnis zu A.: Nach der hier vertretenen Auffassung liegt wegen Vermeidbarkeit eines eventuellen Verbotsirrtums kein Fall des § 17 S. 2 i.V.m. § 49 I StGB vor, sodass der Strafrahmen des § 306d StGB (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe) greift.

Anmerkung: Kann nicht geklärt werden, von welcher der drei Frauen die todbringende Himmelslaterne stammt, kann der für eine Strafbarkeit erforderliche Kausalzusammenhang nicht hergestellt werden. Alle drei Frauen würden daher nicht haften („In dubio pro reo“).


B. Schadensersatzpflicht gem. § 823 I BGB
Zivilrechtlich ist die Täterin Schadensersatzansprüchen (§ 823 I BGB) ausgesetzt. Sie hat fahrlässig (siehe § 276 II BGB) fremdes Eigentum (Gehege, Tiere) widerrechtlich verletzt. Sollte sie privathaftpflichtversichert sein, dürfte eine Haftungsübernahme wahrscheinlich sein; anderenfalls würde sie bis an ihre Haftungsgrenze herangeführt werden, was freilich nicht genügen dürfte, den Schaden zu kompensieren. Das Leid und der Tod der Tiere sind keinesfalls kompensationsfähig, weder straf- noch zivilrechtlich.

Anmerkung: Anders als im Strafrecht kommt wegen § 830 I S. 2 BGB eine Haftung im Zivilrecht auch dann in Betracht, wenn nicht geklärt werden kann, von welcher der drei Frauen die todbringende Himmelslaterne stammt. Zudem stehen gem. § 830 II BGB Anstifter und Gehilfen dem Täter gleich.


Rolf Schmidt (04.01.2020)




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