Aktuelles 2020 Unterlassungsanspruch bei Besitzstörung

Beiträge 2020


02.12.2020: Unterlassungsanspruch bei Besitzstörung (hier: Haftung eines Falschparkers)


LG Mainz, Urteil v. 07.01.2020 – 6 S 39/19
 

Mit Urteil v. 07.01.2020 (6 S 39/19) hat das LG Mainz in seiner Funktion als Berufungsgericht entschieden, dass das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem fremden Grundstück eine verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 I BGB darstelle und einen Unterlassungsanspruch des Berechtigten begründe. Ob die Entscheidung überzeugt, soll im Folgenden – anhand einer systematischen und methodisch geordneten Aufbereitung – untersucht werden
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I. Sachverhalt (leicht verändert)

H, Eigentümer und Halter eines Kfz, überließ seinen Wagen einem Bekannten. Dieser stellte den Wagen unbefugt auf einem (mit einem Parkverbotsschild versehenen) Privatgrundstück ab und begab sich auf einen Stadtbummel. Der Grundstückseigentümer E fühlte sich in seinem Eigentumsrecht (siehe § 903 BGB) und seinem Besitzrecht (§§ 854 I, 858 I BGB) gestört. Er beauftragte einen Rechtsanwalt zur Halterermittlung und begehrte anschließend Unterlassung, die ebenfalls anwaltlich geltend gemacht wurde. Die Kosten der Halterermittlung betragen 100 € (davon 90 € Anwaltskosten) und die Kosten für die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung 300 €.


II. Rechtliche Ausgangslage (Besitzstörung und Besitzschutzrechte)

Das unbefugte (d.h. widerrechtliche) Parken auf einem fremden Privatgrundstück stellt nach ganz h.M. eine Besitzstörung dar, die die Ausübung bestimmter Besitzschutzrechte ermöglicht:


  • Zunächst stellen die sog. Gewaltrechte dem Besitzer und dem Besitzdiener die Möglichkeit zur Seite, sich gegen die verbotene Eigenmacht eines anderen (§ 858 BGB) mit Gewalt zu wehren, § 859 BGB (Selbsthilfe des Besitzers) und § 860 BGB (Selbsthilfe des Besitzdieners, also desjenigen, der die tatsächliche Gewalt nach § 855 BGB für den Besitzer ausübt). Die Gewaltrechte sind keine Ansprüche im rechtlichen Sinne (zur Anspruchsdefinition vgl. § 194 I BGB), sondern besondere Formen der Notwehr bzw. Selbsthilfe. Anknüpfungspunkt ist jeweils der Besitz einer Person – ungeachtet eines Besitzrechts – und die Ausübung verbotener Eigenmacht durch eine andere Person.


  • §§ 861, 862 BGB vermitteln dem Besitzer im Fall einer durch verbotene Eigenmacht erfolgten Besitzstörung bzw. -entziehung verschiedene Besitzschutzansprüche für die Wiederherstellung der vorherigen Besitzlage. Die Ansprüche – die gem. § 869 BGB auch dem mittelbaren Besitzer zustehen können – entstehen unabhängig von einem materiellen Besitzrecht und stützen sich allein auf den Besitz als Tatsache. Sie werden daher possessorische Besitzschutzansprüche genannt. Diese Ansprüche werden durch § 867 BGB ergänzt.


  • Im Gegensatz zu den possessorischen Besitzschutzansprüchen schützen die petitorischen Besitzschutzrechte nicht den Besitz als solchen, sondern das Recht zum Besitz. Petitorischer Rechtsschutz wird durch §§ 1007, 1004, 985, 823 und 812 BGB vermittelt.


§ 859 BGB beinhaltet zwei Formen des Besitzschutzes, die der unmittelbare Besitzer – und gem. § 860 BGB auch der Besitzdiener – ausüben dürfen. Absatz I beschreibt die Besitzwehr, d.h. die Anwendung von Gewalt gegen eine drohende, gegenwärtige oder noch andauernde Beeinträchtigung des Besitzes (von beweglichen wie unbeweglichen Sachen) durch verbotene Eigenmacht. Die in Absatz II normierte Besitzkehr ist auf die eigenmächtige Wiederbeschaffung des Besitzes (von beweglichen Sachen) gerichtet, wenn die im Wege verbotener Eigenmacht erfolgte Besitzentziehung durch einen Dritten bereits vollendet ist. Absatz III betrifft die Besitzkehr in Bezug auf Grundstücke.


Maßgebliche Voraussetzung für die genannten Gewaltrechte und possessorischen Besitzschutzansprüche ist, dass der Besitz im Wege der verbotenen Eigenmacht beeinträchtigt wird. Gemäß § 858 I BGB liegt eine verbotene Eigenmacht vor, wenn der Besitz ohne den Willen des Besitzers gestört oder entzogen wird, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet. Während eine Besitzentziehung vorliegt, wenn der Besitz des unmittelbaren Besitzers dauerhaft aufgehoben wird (BGH NJW 2008, 580; Herrler, in: Palandt, § 861 Rn. 4), spricht man von Besitzstörung bei jeder sonstigen Beeinträchtigung der tatsächlichen Sachherrschaft, die nicht als Besitzentziehung einzustufen ist (BGH NJW 2009, 1947 f.; Herrler, in: Palandt, § 862 Rn. 2).


Beispiele: Besitzstörungen können in physischen Einwirkungen jedweder Art bestehen. Dies kann durch eine Sachbeschädigung der Fall sein sowie durch sonstige Einschränkungen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs. Besitzstörungen sind bspw. das Abklemmen von Ver­sorgungsleitungen (z.B. für Gas, Wasser, Strom – OLG Köln NJW-RR 2001, 301, 302; LG Mannheim WuM 1963, 167, 168), das Betreten des vermieteten Gar­tens gegen den Willen des Mieters (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 107; Fritzsche, in: Bamberger/Roth, 3. Aufl. 2012, § 858 Rn. 10 m.w.N.) und das unbefugte Abstellen des Fahrzeugs auf einem fremden Grundstück (BGH NJW 2016, 863, 864; BGH NJW 2014, 3727; siehe auch BGH NJW 2012, 3781 f. mit Verweis auf BGHZ 181, 233, der allerdings offenließ, ob – mit Blick auf die gleichen Rechtsfolgen nach §§ 861, 862 BGB – das Parken auf einem fremden Grundstück eine Besitz­störung oder eine „teilweise Besitzentziehung“ ist).


Besteht zwischen den Kontrahenten ein Vertragsverhältnis, das ein Besitzrecht zum Gegenstand hat (Vermietung, Verpachtung), ordnet der BGH nicht jedes vertragswidrige Verhalten als verbotene Eigenmacht ein. So verhalte sich der Mieter, der den vereinbarten Mietzins nicht zahlt, zwar vertragswidrig; er begehe aber keine verbotene Eigenmacht i.S.d. § 858 I BGB. Es entspreche auch ständiger Rechtsprechung des BGH, dass dem Vermieter gegen den Mieter, der die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt, keine Besitzschutzansprüche aus § 859 I BGB zustünden (BGH NJW 2016, 863, 864 m.w.N.). Etwas anderes gilt nach dem BGH aber bei einem Vertrag über die kurzzeitige Nutzung eines jedermann zugänglichen privaten Parkplatzes (also i.d.R. ein Parkplatz, auf dem man nach Zahlung einer Gebühr den Wagen für eine begrenzte Zeit abstellen darf). Hier sei eine unbedingte Besitzverschaffung durch den Parkplatzbetreiber nicht geschuldet. Mache er das Parken von der Zahlung der Parkgebühr und dem Auslegen des Parkscheins abhängig, begehe derjenige verbotene Eigenmacht, der sein Fahrzeug abstellt, ohne sich daran zu halten (BGH NJW 2016, 863, 864).


Dieser Besitz muss ohne – aber nicht notwendig gegen – den Willen des unmittelbaren Besitzers gestört oder entzogen werden. Das ist der Fall, wenn zur Zeit der Besitzbeeinträchtigung keine ausdrücklich oder konkludent kundgegebene Zustimmung des unmittelbaren Besitzers vorliegt.


Schließlich darf die Besitzbeeinträchtigung nicht durch das Gesetz gestattet sein. Anderenfalls ist die Eigenmacht nicht verboten und Besitzschutzrechte kommen nicht in Betracht. Für eine Gestattung reicht es nach h.M. (siehe nur Herrler, in: Palandt, § 858 Rn. 6 m.w.N.) allerdings nicht aus, wenn die die Eigenmacht übende Person ein Recht zum Besitz hat, z.B. als Eigentümer oder Pfandgläubiger. Auch ein schuldrechtlicher An­spruch auf Besitzverschaffung ist nicht als Legitimation einer Be­sitzstörung oder Besitzentziehung anzusehen. In solchen Fällen ist derjenige, der den Anspruch auf Besitzverschaffung hat, auf gerichtliche Hilfe angewiesen.


Eine gesetzliche Gestattung, welche die Eigenmacht zulässt, besteht bei amtlichen, auf dem Gesetz basierenden Akten z.B. des Gerichts bzw. des Gerichtsvollziehers (§§ 758, 808, 883, 892 ZPO, 150 II ZVG) oder der Polizei (nach StPO oder Polizeirecht). Auf privatrechtlicher Basis stellen Gestattungsrechte i.S.d. § 858 BGB die Notwehr- und Selbsthilfebefugnisse dar (§ 127 I StPO, §§ 227, 228, 229, 859, 904-906, 962, 867 BGB).


Unmittelbare Rechtsfolge verbotener Eigenmacht ist der sog. fehlerhafte Besitz, § 858 II S. 1 BGB, der zu den genannten Abwehrrechten führt: Die Besitzwehr i.S.d. § 859 I BGB gibt dem unmittelbaren Besitzer das Recht, sich gegen eine drohende Entziehung oder anderweitige Störung des Besitzes mit Gewalt zu wehren, ohne dabei selbst verbotene Eigenmacht zu begehen. Voraussetzung ist, dass die verbotene Eigenmacht noch nicht abgeschlossen ist und auch noch kein Besitzverlust eingetreten ist. Typischer Anwendungsfall ist das Abschleppen(lassen) eines auf einem Privatgrundstück unerlaubt abgestellten Kfz (siehe etwa den Fall BGH NJW 2014, 3727). Bei vollendetem Be­sitzentzug ist Besitzwehr dagegen nicht mehr möglich. Für diesen Fall greifen möglicherweise § 859 II BGB (bei beweglichen Sachen) oder § 859 III BGB (bei unbeweglichen Sachen).


Obgleich § 859 I BGB kein weiteres Erfordernis nennt, ist anerkannt, dass die Besitzwehr nur dann rechtmäßig ist, wenn die Gewaltanwendung geeignet und erforderlich ist, die Störung zu beseitigen. Am Merkmal der Geeignetheit mangelt es bspw., wenn bloße Reaktionen auf die Störung ohne Abwehrcharakter vorliegen wie z.B. bei der Verhinderung des Wegfahrens eines störenden Fahrzeugs (OLG Hamm MDR 1969, 601, 602). Erforderlich ist ein Mittel, wenn es unter gleich wirksamen Mitteln das mildeste darstellt. Das Abschleppen(lassen) eines auf einem Privatgrundstück unerlaubt abgestellten Kfz ist i.d.R. ein zulässiges Mittel (BGH WM 1968, 1356, 1357; Joost, in: MüKo, § 859 Rn. 10; Herrler, in: Palandt, § 859 Rn. 2).


Neben den genannten Gewaltrechten (Selbsthilferechten) sind auch possessorische Besitzschutzrechte möglich. Dem Eigentümer einer Sache steht bei einem Besitzentzug der dingliche Herausgabeanspruch des § 985 BGB und bei einer Besitzstörung der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB zu. Auch aus dem Besitz als nicht dingliche Rechtsposition lassen sich Ansprüche ableiten, die vor Gericht verwirklicht werden können. So stellt das Gesetz dem Besitzer einer Sache für den Fall des Besitzentzugs die Rechte aus § 861 BGB und bei einer Besitzstörung den Anspruch aus § 862 BGB zur Seite. Diese Ansprüche stehen dem in seiner Sachherrschaft gestörten Besitzer teilweise neben den Gewaltrechten zu; sie sind teilweise aber auch seine einzigen Abwehrmöglichkeiten. Letzteres ist dann der Fall, wenn die Ausübung der Gewaltrechte aufgrund einer Überschreitung der Zeitgrenze präkludiert ist.


Besitzschutzanspruch gem. § 861 BGB: Der Anspruch aus § 861 BGB ist auf die Wiedereinräumung des durch eine verbotene Eigenmacht entzogenen Besitzes gerichtet und stellt damit sozusagen das besitzrechtliche Pendant zum dinglichen Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985 BGB dar.


Besitzschutzanspruch gem. § 862 BGB: Der Anspruch aus § 862 BGB ist auf die Beseitigung oder Unterlassung einer durch verbotene Eigenmacht erfolgten Besitzstörung gerichtet und stellt damit das possessorische Pendant zu dem dinglichen Anspruch aus § 1004 BGB dar. Die Voraussetzungen und Beschränkungen sind weitgehend identisch mit denen des Anspruchs aus § 861 BGB, wobei im Rahmen des § 862 BGB auf die Besonderheiten der Besitzstörung – im Gegensatz zum Besitzentzug – zu achten ist. Anspruchsberechtigt ist – wie bei § 861 BGB – der unmittelbare Besitzer. Der (unmittelbare) Besitz muss weiterhin durch verbotene Eigenmacht i.S.d. § 858 I BGB gestört werden, d.h. es darf noch keine vollendete Besitzentziehung vorliegen (dann § 861 BGB). Hinsichtlich der Rechtsfolge ist zwischen den beiden Varianten des § 862 I BGB zu unterscheiden:


  • Der Beseitigungsanspruch hat zum Ziel, dass der Gegner durch ein aktives Tun oder Unterlassen einen den Besitz störenden Zustand beseitigt. Er erfordert daher eine auf verbotener Eigenmacht beruhende fortdauernde Störung des Besitzes (Joost, in: MüKo, § 862 Rn. 2). Wurde die Störung bereits vom Besitzer beseitigt oder ist sie aus anderem Grund beendet, entfällt der Anspruch und es kommt allenfalls – bei Wiederholungsgefahr – ein Unterlassungsanspruch i.S.d. 2. Variante in Betracht.


  • Der Unterlassungsanspruch ist auf die Vermeidung künftiger Störungen gerichtet. Er erfordert somit das Vorliegen einer konkreten Gefahr zukünftiger Störungen, die in der Regel aus wiederholten Störungen der Vergangenheit geschlossen werden kann (z.B. wenn jeden Samstag Lärm gemacht wird oder wenn sich ständig Werbung im Briefkasten befindet trotz eines Aufklebers „bitte keine Werbung“), sich im Einzelfall aber auch aus anderen Umständen ergibt (z.B. bei der Vorbereitung einer Baustelle). Auch das be­reits abgeschlossene unbefugte Parken auf einem fremden Grundstück kann einen Unterlassungsanspruch begründen, insbesondere, wenn die Gefahr einer wiederholten Besitzstörung besteht (BGH NJW 2012, 3781 f).


Anspruchsgegner bei § 862 BGB ist derjenige, der die Störung zu verantworten hat. Dabei ist – wie bei § 1004 BGB – zwischen dem Handlungs- und dem Zustandsstörer zu unterscheiden. Handlungsstörer ist, wer willensgesteuert durch seine Handlung auf den Besitz einwirkt, Zustandsstörer, wer die Beeinträchtigung zwar nicht ver­ursacht (hat), jedoch die Störungsquelle beherrscht und maßgebend die Fortsetzung oder Beendigung des beeinträchtigenden Zustands beeinflussen kann (BGH NJW 2012, 3781; BGH NJW 2016, 863, 865; LG Mainz 07.01.2020 – 6 S 39/19). Die Beeinträchtigung muss ihm aber zurechenbar sein (BGH NJW 2012, 3781; BGH NJW 2016, 863, 865; LG Mainz 07.01.2020 – 6 S 39/19). Allein der Umstand, der Eigentümer (oder der Besitzer) zu sein, ge­nügt nach dem BGH hierfür nicht. Für die erforderliche Zurechnung der Beeinträchtigung sei erforderlich, dass die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers der störenden Sache zurückgeht. Ob dies der Fall sei, könne nicht begrifflich, sondern nur in wertender Einzelfallbetrachtung festgestellt werden. Entscheidend sei, ob es Sachgründe dafür gebe, dem Eigentümer oder Nutzer der störenden Sache die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen (BGH NJW 2016, 863, 865; BGH NJW 2012, 3781 mit Verweis u.a. auf BGHZ 155, 99, 105; 142, 66, 69 f.). Nach diesen Kriterien könne bei einem unbefugten Abstellen eines Kfz auf einem fremden Grundstück der Fahrzeughalter, der sein Fahrzeug einer anderen Person überlassen hat, als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden (BGH NJW 2016, 863, 865; BGH NJW 2012, 3781; LG Mainz 07.01.2020 – 6 S 39/19). Damit sind also die Grundlagen für die vorliegend zu besprechende Entscheidung gelegt:


III. Prüfung des Falls/Entscheidung des LG Mainz
Besitzrechtlich könnte sich der
Anspruch auf Unterlassung aus § 862 I S. 2 BGB i.V.m. § 862 I S. 1 BGB ergeben. Danach kann der Besitzer auf Unterlassung klagen, wenn weitere durch verbotene Eigenmacht verursachte Besitzstörungen zu besorgen sind. Voraussetzungen sind also eine bereits erfolgte verbotene Eigenmacht und eine Wiederholungs­gefahr. Wie der BGH konstatiert, stellt das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem fremden Grundstück eine verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 I BGB dar (BGH NJW 2016, 863, 864; BGH NJW 2014, 3727; siehe auch BGH NJW 2012, 3781 f. mit Verweis auf BGHZ 181, 233, der allerdings offenließ, ob – mit Blick auf die gleichen Rechtsfolgen nach §§ 861, 862 BGB – das Parken auf einem fremden Grundstück eine Besitz­störung oder eine „teilweise Besitzentziehung“ ist; siehe auch LG Mainz 07.01.2020 – 6 S 39/19). Das darf jedoch nicht undifferenziert verstanden werden. Richtigerweise wird man danach unterscheiden müssen, ob das Parkverbot durch Parkverbotsschild gekennzeichnet ist oder sich das Park­verbot zumindest aus den Umständen ergibt. Nur wenn das der Fall ist, lässt sich eine Besitzstörung bejahen. Handelt es sich bei der Verkehrsfläche um eine allgemein zugängliche Fläche ohne Hinweise auf ein Parkverbot, wird man eine Besitzstörung verneinen müssen. Liegt aber eine Besitzstörung vor, löst sie bestimmte besitzschutzrechtliche Folgerechte aus wie Besitzwehr gem. § 859 I BGB (hier: Abschleppenlassen des verbotswidrig abgestellten Kfz) und Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gem. § 862 BGB. Für einen Unterlassungsanspruch müsste H aber auch für die Störung verantwortlich sein. Da H nicht selbst den Wagen auf dem Grundstück des E abgestellt hat, kommt lediglich eine Zustandsverantwortlichkeit in Betracht. Der BGH hat entschieden, dass Zustandsstörer ist, wer sein Fahrzeug einer anderen Person zur Benutzung im Straßenverkehr überlassen und damit das Risiko übernommen hat, dass sich der Nutzer nicht an die allgemeinen Verhaltensregeln hält und das Fahrzeug unberechtigt auf fremdem Privatgrund abstellt (BGH NJW 2012, 3781 f.; siehe auch BGH NJW 2016, 863, 864). Da das Falschparken auf einem Privatgrundstück kein außergewöhnliches Verhalten eines Verkehrsteilnehmers darstelle, mit dem der Halter nicht zu rechnen habe, sei es sachgerecht, ihm als Halter die Verantwortung aufzuerlegen, wenn sich die mit der freiwilligen Fahrzeugüberlassung geschaffene Gefahr des unberechtigten Parkens tatsächlich realisiert (BGH NJW 2012, 3781). Das sei bei H der Fall. Nach der hier vertretenen Auffassung überzeugt diese Argumentation aber nicht. Denn sie führt dazu, dass jeder Halter, der sein Kfz vermietet oder verleiht, „über die Hintertür“ für Parkverstöße des Fahrers verantwortlich ist. Offenbar hat sich der BGH an der Regelung des § 25a StVG orientiert, wonach bei Parkverstößen, bei denen der Fahrer nicht ermittelt werden kann, mitunter der Halter zur Verantwortung gezogen werden kann. Jedoch ist eine solche vergleichende Betrachtung abzulehnen, weil § 25a StVG den öffentlichen Verkehrsraum betrifft, eine andere Zielsetzung verfolgt und weder analogie- noch verallgemeinerungsfähig ist.


Fraglich ist weiterhin, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Der BGH ist der Auffassung, dass selbst bei einem einmaligen bzw. erstmaligen unbefugten Abstellen eines Kfz auf einem fremden Grundstück die tatsächliche Vermutung dafür bestehe, dass sich die Beeinträchtigung wiederhole, was den Unterlassungsanspruch begründe (BGH NJW 2016, 863, 865; BGH NJW 2012, 3781, 3782 mit Verweis auf BGH ZUM 2011, 333, 336; BGH NJW 2004, 1035, 1036). Das gelte in Bezug auf die Zustandsverantwortlichkeit jedenfalls dann, wenn der Halter (= der Zustandsstörer) sich weigere, den Fahrer zu benennen (BGH NJW 2016, 863, 865). Auch dies überzeugt nicht. Die vom Besitzer geltend gemachte Wiederholungsgefahr muss sich schon noch auf begründete Tatsachen stützen lassen. Wohnt der Falschparker z.B. in einem anderen Ort und bestehen auch keine (sonstigen) Anhaltspunkte dafür, dass er die Besitzstörung wiederholt, kann man nicht schlicht eine Wiederholungsgefahr annehmen. Und auch die Weigerung des Halters, den Namen des Fahrers zu benennen, kann keine Wiederholungsgefahr begründen. Gerade, wenn es sich um ein Näheverhältnis zum Fahrer handelt, ist es nachvollziehbar, den Namen des Fahrers nicht zu offenbaren. Deshalb eine Wiederholungsgefahr zu unterstellen, geht an der Sache vorbei.


Ist demnach der Unterlassungsanspruch begründet, stellt sich die Folgefrage, ob E die An­waltskosten (Aufwendungen für die Halterermittlung und die Unterlassungsaufforderung) erstattet (bzw. eine Freistellung) verlangen kann. Anspruchsgrundlage könnte § 683 S. 1 i.V.m. §§ 677, 670 BGB sein (Aufwendungsersatz nach berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag). Nach § 670 BGB sind solche Aufwendungen ersatzfähig, die der Geschäftsführer den Umständen nach für erforderlich halten darf. Wie der BGH in ständiger Rechtsprechung entscheidet, ist maßgeblich, was der Geschäftsführer nach sorgfältiger Prüfung der ihm bekannten Umstände vernünftigerweise aufzuwenden hatte. Dies könne nicht allgemein bestimmt werden, sondern bemesse sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, deren Würdigung der tatrichterlichen Beurteilung obliege. Sei die rechtliche An­gelegenheit nicht einfach gelagert, sondern bedürfe der Beurteilung durch einen Rechtsanwalt, seien die Kosten für die Inanspruchnahme von § 670 BGB erfasst (BGH NJW 2012, 3781, 3782).


Geht es um die Abwehr von Rechtsverletzungen, liegt es nach der Rspr. grundsätzlich im Interesse des (dem Rechtsinhaber namentlich be­kannten) Rechtsverletzers, abgemahnt zu werden, weil er dadurch Gelegenheit erhalte, einen kostspieligen Rechtsstreit zu vermeiden (BGH NJW 2016, 863, 866). Das gelte insbesondere bei urheberrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen (BGH NJW 2016, 863, 866.) Auch bei Parkverstößen hat der BGH die Aufwendungen zur Ermittlung des Fahrzeughalters in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit der Kosten einer berechtigten außergerichtlichen Abmahnung lange Zeit als zur Vorbereitung der an den Zustandsstörer gerichteten Unterlassungsaufforderung erforderlich und nach § 683 S. 1 BGB i.V.m. §§ 677, 670 BGB als ersatzfähig angesehen (BGH NJW 2012, 3781 f.). In seiner aktuellen Rechtsprechung sieht der BGH das jedoch anders. Es entspreche nicht dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen eines Halters, als Adressat einer Unterlassungsaufforderung ermittelt zu werden. Es könne nicht angenommen werden, dass er ein Interesse daran habe, aus der Anonymität herauszutreten, um auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden (BGH NJW 2016, 863, 866). Anders könne der Fall lediglich liegen, wenn das unbefugt abgestellte Fahrzeug abgeschleppt werde (BGH NJW 2016, 863, 866).


Entspricht es also bei Parkverstößen nicht dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen eines Halters, als Adressat einer Unterlassungsaufforderung ermittelt zu werden, darf der Geschäftsführer die damit verbundenen Kosten der Halterermittlung den Umständen nach auch nicht für erforderlich halten.


Zwischenergebnis: Ein Ersatzanspruch aus § 683 S. 1 i.V.m. §§ 677, 670 BGB wegen der Halterermittlungskosten ist danach also nicht gegeben. Ein solcher kann auch nicht aus § 823 II BGB angenommen werden. Zwar ist § 858 I BGB ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II BGB. Jedoch hat der BGH zutreffend festgestellt, dass es regelmäßig am Verschulden (d.h. an der wenigstens erforderlichen Fahrlässigkeit) fehlt. Der Halter habe es nicht zu vertreten, wenn der Fahrer das Kfz verbotswidrig abstelle (BGH NJW 2016, 863, 866).

 

Ist ein Anspruch wegen der Halterermittlungskosten nicht gegeben, stellt sich die Frage, ob das auch hinsichtlich der anwaltlichen Kosten für die Aufforderung zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung gilt. Aus dem Urteil BGH NJW 2016, 863 geht das nicht eindeutig hervor. Jedoch geht das LG Mainz mit Urteil v. 07.01.2020 (Az. 6 S 39/19) ganz selbstverständlich davon aus, dass ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Bezug auf die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aus § 683 S. 1 BGB i.V.m. §§ 677, 670 BGB gegeben ist.

 

Fazit: Auch nach der geänderten BGH-Rechtsprechung stellt das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem fremden Grundstück eine verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 I BGB jedenfalls dann dar, wenn sich das Parkverbot zumindest aus den Umständen ergibt. Auch besteht die Vermutung der Wieder­holungsgefahr und der Besitzer hat einen Unterlassungsanspruch gegen den Falschparker (Besitzstörer). Die vom Besitzer geltend gemachte Wiederholungsgefahr muss aber begründet sein, was nicht der Fall ist, wenn der Falschparker z.B. in einem anderen Ort wohnt und auch keine (sonstigen) Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er die Besitzstörung wiederholt.

 

Zu der (in der Praxis allein relevanten) Frage nach der Kostenerstattung hat der BGH entschieden, dass die Kosten der Halterermittlung nicht erstattungsfähig sind, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Es entspreche nicht dem wirklichen oder mut­maßlichen Willen eines Halters, als Adressat einer Unterlassungsaufforderung ermittelt zu werden. Es könne nicht angenommen werden, dass er ein Interesse daran habe, aus der Anonymität herauszutreten, um auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Da die Prüfung, ob ein Unterlassungsanspruch besteht, aber nicht einfach gelagert ist, gehen die Gerichte nach wie vor davon aus, dass ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Bezug auf die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aus § 683 S. 1 BGB i.V.m. §§ 677, 670 BGB gegeben ist.  



Rolf Schmidt (02.12.2020)

 


 



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