Aktuelles 2021 Stoerung der Geschaeftsgrundlage - Mietreduzierung aufgrund coronabedingter Ladenschliessung?

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02.01.2021: Störung der Geschäftsgrundlage Mietminderung (Mietreduzierung) aufgrund coronabedingter Ladenschließung?


LG Frankfurt 02.10.2020 – 2-15 O 23/20; LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20; LG Lüneburg 17.11.2020 – 5 O 158/20
 

Mit den genannten Urteilen wurde entschieden, dass gewerbliche Mieter, die ihre Ladengeschäfte aufgrund einer Regelung in den Coronaschutzverordnungen nicht öffnen durften, nicht wegen Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung und eine Reduzierung/Aussetzung der Miete von den Vermietern verlangen können, solange sie nicht ausnahmsweise in ihrer Existenz bedroht seien. Denn grundsätzlich trügen die Mieter (überwiegend) das Risiko der Verwendbarkeit des Leistungsgegenstands. Ob die Entscheidungen überzeugen, soll im Folgenden – anhand einer systematischen und methodisch geordneten Aufbereitung – untersucht werden
.


I. Sachverhalt (nach LG Lüneburg 17.11.2020 – 5 O 158/20)

Die Betreiberin eines Modegeschäfts, M, zahlte für April 2020 die Miete nicht, nachdem sie infolge der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden öffentlich-rechtlichen Betriebsschließungsanordnung dazu gezwungen worden war, ihr Geschäft vom 17.03.2020 bis zum 28.04.2020 vollständig zu schließen, und ihr erst in der Zeit vom 29.04.2020 bis 10.05.2020 erlaubt worden war, teilweise wieder zu öffnen. Die Vermieterin V bestand gleichwohl auf Mietzahlungen aus dem Mietvertrag. 


II. Prüfung des Falls


1. Anspruch der V auf Mietzahlung

Besteht ein Vertragsverhältnis, ergeben sich die Ansprüche der Parteien in erster Linie aus dem Vertrag. Vorliegend streiten die Parteien über die Verpflichtung der M aus einem Gewerberaummietvertrag. Die Anspruchsgrundlage der V zur Mietzahlung ergibt sich aus § 535 II BGB. Ein wirksamer Mietvertrag (§ 535 BGB) liegt vor. Danach wäre M also in der Tat verpflichtet, die vereinbarte Miete zu entrichten.


2. Anspruch (nicht) untergegangen (Ausschluss der Mietzahlungspflicht)

Dem wirksam entstandenen Mietzahlungsanspruch dürften u.a. keine rechtsvernichtenden Einwendungen entgegenstehen.


a. Mietmangel als rechtsvernichtende Einwendung?

Es könnte ein Mietmangel vorgelegen haben, der der Pflicht zur Mietzahlung entgegensteht (siehe § 536 I BGB). Das Gesetz versteht darunter einen Mangel, der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mangel zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses besteht oder während der Mietzeit entsteht (§ 536 I S. 1 BGB). Die staatlich angeordnete Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels hebt die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch auf. Jedoch müsste dieser Umstand der V auch zuzurechnen sein. Denn nicht sie hat die Schließungsanordnung getroffen. Wie das LG Frankfurt am Main und das LG Heidelberg zu Recht aufzeigen, können durch hoheitliche Maßnahmen bewirkte Gebrauchsbeschränkungen nur dann einen Mietmangel begründen, wenn sie unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der konkreten Mietsache in Zusammenhang stehen; Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigten, fielen in dessen Risikobereich. § 535 I S. 2 BGB verpflichte den Vermieter nur, die Mietsache in einem Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermögliche; das Verwendungsrisiko trage hingegen der Mieter allein (LG Frankfurt 02.10.2020 – 2-15 O 23/20; LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20).


Die hoheitlich angeordnete Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels dient dem Schutz der Bevölkerung vor allgemeinen gesundheitlichen Gefahren. Sie knüpft nicht unmittelbar an die konkrete Beschaffenheit der Mietsache an, sondern allgemein an die Nutzungsart sowie den Umstand, dass in den betroffenen Flächen Publikumsverkehr stattfindet und dadurch Infektionen begünstigt werden (LG Frankfurt 02.10.2020 – 2-15 O 23/20; LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20). V muss sich diese Maßnahmen daher nicht zurechnen lassen. Es liegt mithin kein Sachmangel vor, der zur Mietminderung berechtigen würde.


b. Ausschluss der Mietzahlungspflicht nach § 326 I S. 1 BGB?

Gemäß § 326 I S. 1 BGB ist der Gläubiger von seiner Pflicht zur Erbringung der Gegenleistung befreit, wenn die Leistungspflicht des Schuldners ausgeschlossen ist (siehe § 275 I BGB i.V.m. § 275 IV BGB, der u.a. auf § 326 BGB verweist). Damit ordnet § 326 I S. 1 BGB („ohne Leistung keine Gegenleistung“) also an, dass der Schuldner – weil er bei einer Unmöglichkeit seiner Leistung den Anspruch auf Gegenleistung grundsätzlich verliert – die sog. Gegenleistungsgefahr (= Preisgefahr oder Vergütungsgefahr) trägt. Voraussetzungen für das Freiwerden des Gläubigers von seiner Gegenleistungspflicht sind ein gegenseitiger Vertrag und das Freiwerden des Schuldners nach § 275 I-III BGB von seiner synallagmatischen Leistungspflicht. Beim Mietvertrag handelt es sich um einen synallagmatischen (d.h. gegenseitigen) Vertrag. V als Schuldner der Mietsache ist aber nicht aus einem in § 275 I-III BGB genannten Grund von ihrer Leistungspflicht befreit, da – wie aufgezeigt – die staatliche Schließungsanordnung ihr nicht zuzurechnen ist. Die Mieträume sind von ihr vereinbarungsgemäß überlassen worden.


Liegt also kein Leistungshindernis auf Seiten der V vor, entfällt auch nicht die Pflicht der M zur Mietzahlung.


c. Ausschluss der Mietzahlungspflicht nach § 313 BGB?

Schließlich ist zu prüfen, ob die Verpflichtung zur Mietzahlung unter dem Aspekt des § 313 BGB ausgeschlossen oder zumindest eingeschränkt ist. § 313 BGB betrifft die sog. Grundlagenstörung.


aa. Einführung in das Institut der Grundlagenstörung

Grundaussage der seit dem 1.1.2002 in § 313 BGB geregelten Grundlagenstörung ist, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Dann kann in erster Linie Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risiko­verteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (Wortlaut § 313 I BGB).


Rechtsdogmatischer Hintergrund: Das BGB geht im Grundsatz davon aus, dass Verträge einzuhalten sind (pacta sunt servanda); der Vertragspartner soll sich auf die Wirksamkeit geschlossener Verträge verlassen dürfen. Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn sich die Verhältnisse, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden, später (schwerwiegend) verändert haben, etwa durch Naturkatastrophen, Kriegseinflüsse etc. Gerade aber in solchen Fällen kann das (unveränderte) Festhalten an vertraglichen Regelungen für eine Partei unzumutbar, mitunter ruinös sein. Daher hat die Rechtsprechung – unter Heranziehung der Lehre von der Geschäftsgrundlage[1] auf der Basis des § 242 BGB – Kriterien aufgestellt, unter denen eine vertragliche Bindung modifiziert oder sogar aufgehoben wird, wenn sich die Verhältnisse so schwerwiegend verändert haben, dass für die betroffene Partei die unveränderte Bindung an die ursprüngliche Vereinbarung unzumutbar ist.[2] Damit folgt die Rechtsprechung dem aus dem römischen Recht stammenden Grundsatz, dass Verträge (bzw. Vertragsbestimmungen) unter der (unausgesprochenen) Prämisse stehen, die Verhältnisse bestünden unverändert fort (clausula rebus sic stantibus – „Abmachung, dass die Verpflichtung nur so lange bindend sein soll, als die Verhältnisse, die für ihren Abschluss bestimmend waren, sich nicht von Grund auf geändert haben“[3]). Der Gesetzgeber hat dieses Institut des „Wegfalls (oder Störung) der Geschäftsgrundlage“ zum 1.1.2002 übernommen und durch Schaffung des § 313 BGB positivrechtlich geregelt. Freilich ist wegen des Durchbrechens des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ stets eine restriktive Handhabung angezeigt.


Gründe für Änderungen im Vertragsumfeld sind bspw. Sozialkatastrophen wie Revolution, Krieg, Währungsverfall oder Umweltkatastrophen, die sich auf eine Vielzahl von Verträgen auswirken. Insoweit wird auch von der „großen Geschäftsgrundlage“ gesprochen, weil solche Umstände über das Vertragsverhältnis im konkreten Fall hinauswirken und auch keiner Risikosphäre einer Vertragspartei zugeordnet werden können (siehe bspw. Finkenauer, MüKo, § 313 BGB, Rn. 17 f.; LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20). Die Lehre vom Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage wurde demnach auch v.a. in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg fortentwickelt, um die damals bestehenden Vertragsverhältnisse den einschneidenden wirtschaftlichen Veränderungen der Inflationszeit anpassen zu können (RGZ 94, 45, 47; 100, 129 ff.; 106, 422 ff.; 107, 21 ff.). Jüngst ist die Störung der großen Geschäftsgrundlage im Zusammenhang mit der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus („Corona-Virus“) ein großes Thema geworden, weil eine Pandemie weite Teile der Bevölkerung erfasst und die Gesellschaft als solche betrifft. Die Geschäftsgrundlage zahlreicher Verträge, insbesondere aus den Bereichen Veranstaltungen, Reiseverträge, Gewerberaummietverträge, war bzw. ist infolge gesetzlicher bzw. behördlich angeordneter Schließungen und Untersagungen gestört. Bei § 313 I BGB können aber auch Umstände fehlen oder später wegfallen, die nur einen einzelnen Vertrag oder eine begrenzte Zahl von Verträgen betreffen (BT-Drs. 14/6040, S. 174) („kleine Geschäftsgrundlage“). Das ist z.B. der Fall, wenn sich das Erbringen der Sachleistung als viel schwieriger und kostspieliger erweist, als es vom Schuldner erwartet wurde. Dies würde für ihn einen schweren wirtschaftlichen Verlust darstellen. Ebenso sind Fälle denkbar, bei denen der mit der Leistung vom Gläubiger beabsichtigte Zweck bereits vor der Leistungserbringung sinnlos geworden ist.


In allen diesen Konstellationen kann die Regelung des § 313 BGB eingreifen und den Parteien helfen, zu einem Vertrag oder einem ungebundenen Zustand zu gelangen, den sie bei Kenntnis der wahren Umstände von vornherein gewählt hätten. Dies gilt auch, wenn nur eine von beiden Vertragsparteien betroffen ist.


Primäre Rechtsfolge ist Vertragsanpassung (§ 313 I BGB). Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten (§ 313 III S. 1 BGB) oder (bei einem Dauerschuldverhältnis) kündigen (§ 313 III S. 2 BGB) (zur innertatbestandlichen Subsidiarität des Rücktritts zur Vertragsanpassung vgl. BGH NJW 2012, 373, 375).


bb. Voraussetzungen

Die Voraus­setzungen ergeben sich direkt aus § 313 I BGB:


  • Vorliegen eines Vertrags: Ein Vertrag i.S.d. § 313 BGB ist sowohl bei gegenseitigen als auch bei einseitigen Verträgen gegeben.


  • Geschäftsgrundlage: Es müssen Umstände gegeben sein, deren (Fort-)Bestehen oder Eintritt von mindestens einer Vertragspartei bei Abgabe der Vertragserklärung vorausgesetzt wurde.


  • Reales Element: Die die Geschäftsgrundlage ausmachenden Umstände müssen sich schwerwiegend verändert haben oder weggefallen sein.


  • Hypothetisches Element: Die Umstände müssen für die Partei, die sie vorausgesetzt hat, so wichtig gewesen sein, dass sie bei Kenntnis der späteren Änderungen der Sachlage den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte.


  • Normatives Element: Das Festhalten am unveränderten Vertrag muss für die betroffene Partei unzumutbar sein. Um dies festzustellen, ist im Rahmen einer wertenden Betrachtung zu prüfen, ob (und in welcher Art) eine Rechtsfolge des § 313 BGB eingreifen kann. Dabei ist zu fragen, ob der betroffenen Partei ein Festhalten am unveränderten Vertrag unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht mehr zugemutet werden kann. Zugleich ist zu prüfen, ob der Gegenpartei eine Auf­hebung oder Anpassung des Vertrags zugemutet werden kann. Dabei ist insb. die gesetzliche oder vertragliche Risikoverteilung zu berücksichtigen.


a.) Vorliegen eines Vertrags

Ein Vertrag in Form eines Mietvertrags gem. § 535 BGB liegt vor. V und M haben einen Mietvertrag über Gewerberäume geschlossen. 


b.) Geschäftsgrundlage

Es müssen Umstände gegeben sein, deren (Fort-)Bestehen oder Eintritt von mindestens einer Vertragspartei bei Abgabe der Vertragserklärung vorausgesetzt wurde (BGHZ 128, 230, 236; KG NJW-RR 1998, 663, 664). Bei der Geschäftsgrundlage geht es also um die (unausgesprochenen, aber vorausgesetzten) gemeinsamen Vorstellungen der Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände. Dabei kann sich die Störung aus einer objektiven Bewertung des Vertragsgleichgewichts ergeben (§ 313 I BGB) wie auch aus Störungen im subjektiven Vorstellungsbild der Parteien (§ 313 II BGB). Die objektive Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 I BGB bilden diejenigen Umstände und all­gemeinen Verhältnisse, deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich sind, damit der Vertrag im Sinn der Intentionen beider Parteien noch als sinnvolle Regelung bestehen kann. Dabei genügt es, wenn die Parteien das Bestehenbleiben der Umstände als selbstverständlich ansahen, ohne dass sie sich dies ausdrücklich bewusst machten. Solche sich verändernden Verhältnisse sind bspw. eine Geldentwertung oder andere wirtschaftliche Veränderungen. Auch die durch die SARS-CoV-2-Epidemie („Corona-Virus-Epidemie“) hervorgerufenen Umstandsänderungen (Schließung von Lokalen und Verkaufsstätten des Einzelhandels; Verbote von Veranstaltungen etc.) betreffen die Gesellschaft als solche und bilden die objektive Geschäftsgrundlage.


c.) Schwerwiegende Veränderung oder Wegfall des die Geschäftsgrundlage ausmachenden Umstands („reales Element“)

Der die Geschäftsgrundlage bildende Umstand muss entweder schon bei Vertragsschluss gefehlt, sich schwerwiegend verändert haben oder später weggefallen sein. Bei Ladenraummietverträgen besteht der die Geschäftsgrundlage ausmachende Grund in der störungsfreien Nutzung der Geschäftsräume. Infolge der gesetzlichen bzw. behördlichen Schließungsanordnung müssen Ladengeschäfte des Einzelhandels schließen mit der Folge, dass die Einnahmen wegbrechen. Der Vertragszweck ist in dieser Zeit also gestört. Eine schwerwiegende Veränderung eines die Geschäftsgrundlage ausmachenden Umstands liegt damit vor.


Anmerkung: Gemäß der am 22.12.2020 beschlossenen und am 31.12.2020 in Kraft getretenen Regelung des Art. 240 § 7 EGBGB (BGBl I 2020, S. 3328) wird gesetzlich vermutet, dass sich insofern (d.h. durch die SARS-CoV-2-Epidemie) ein Umstand i.S.d. § 313 I BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat mit der Folge, dass unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung (reduzierte Miethöhe; Aussetzung der Mietzahlungen) in Betracht kommt, siehe dazu unten cc.


d.) Kein Vertragsschluss bei Kenntnis der späteren Änderung („hypothetisches Element“)

Das hypothetische Element liegt vor, wenn die Umstände für die Partei, die sie vorausgesetzt hat, so wichtig gewesen sind, dass die Partei bei Kenntnis der späteren Änderung der Sachlage den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte. Entgegen dem Wortlaut des § 313 I BGB genügt es, wenn bzgl. des hypothetischen Elements nur auf eine der beiden Parteien abgestellt wird. Denn wenn bereits eine Partei sich bei Kenntnis der Umstände nicht auf einen Vertrag eingelassen hätte, „hätten die Parteien den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen“. Bei einem Gewerberaummietvertrag ist davon auszugehen, dass die Mietpartei den Vertrag jedenfalls nicht so geschlossen hätte, wie sie ihn geschlossen hat, wenn sie die coronabedingten Schließungen vorausgesehen hätte.


e.) Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag („normatives Element“)

Schließlich muss danach gefragt werden, ob ein Festhalten am unveränderten Vertrag für die betroffene Partei unzumutbar ist. Da dies von wertenden Aspekten abhängt, spricht man vom „normativen Element“ der Grundlagenstörung. Es muss im Rahmen einer wertenden Abwägung auf alle Umstände des Einzelfalls eingegangen werden, wobei wegen des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ Ziel des § 313 BGB nur sein kann, eine möglichst interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei möglichst geringem Eingriff in die ursprüngliche Regelung vorzunehmen (BGH DStZ 1996, 23 f.; Finkenauer, in: MüKo, § 313 BGB, Rn. 102).


Nach dieser Maßgabe ist zunächst festzustellen, ob unter Berücksichtigung der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung der benachteiligten Partei das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist und inwieweit der anderen Partei eine Anpassung zugemutet werden kann. So sind bei ausdrücklicher vertraglicher Risikoübernahme die Rechte aus § 313 BGB ausgeschlossen (vgl. nur BGH NJW 2006, 899, 901). Ebenso scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, wenn sich das Risiko typischerweise aus dem Vertrag ergibt. Ebenso sind dem Schuldner die Rechte aus § 313 BGB verwehrt, wenn es für den Schuldner vorhersehbar war, dass eine Änderung der Umstände eintreten würde. Vorhersehbare Änderungen begründen nämlich i.d.R. keine Rechte aus § 313 BGB. Etwas anderes kann nur gelten, wenn beide Parteien auf den Nichteintritt der objektiv vorhersehbaren Entwicklung vertrauten oder wenn sie keine Vorsorgemaßnahmen treffen konnten. Gleiches gilt, wenn für beide Parteien die Änderungen der Umstände nicht vorhersehbar waren. Letzteres wird man bei den staatlichen Schließungsanordnungen in den Corona-Fällen annehmen müssen. Weder für M noch für V waren der Eintritt der SARS-CoV-2-Epidemie und deren Folgen (hier: Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels) absehbar.


Gerade wegen des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ darf die Anwendung des § 313 BGB jedoch nur in Ausnahmefällen zur Anpassung des Vertrags oder gar zu dessen Beseitigung führen. Grundsätzlich fällt die Verwendbarkeit des Vertragsgegenstands in den Risikobereich des Empfängers. Erst wenn sich der andere Teil die geplante Verwendung so weit zu eigen gemacht hat, dass sein Verlangen, den Vertrag trotz der aufgetretenen Störung unverändert durchzuführen, gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstößt, wird die Verwendung zur Geschäftsgrundlage. Dann ist der Risikobereich des Empfängers überschritten und das Leistungshindernis bzw. die Leistungsstörung wirkt in den Risikobereich des Vertragspartners hinein. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn die beabsichtigte Verwendung bei der Preisbemessung berücksichtigt worden ist (BGH WM 1967, 561 f.; Rösler, JuS 2005, 27 ff.). Der andere Teil hat dann ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der geplanten Verwendung und der Verwendungszweck eröffnet ihm die Möglichkeit, eine höhere (oder überhaupt eine) Gegenleistung zu fordern. Hingegen genügt es nicht, wenn der eine Teil dem anderen Teil die geplante Verwendung lediglich mitgeteilt hat oder diese im Vertrag erwähnt wird.


Auf dieser Grundlage haben das LG Frankfurt, das LG Heidelberg und das LG Lüneburg entschieden, dass gewerbliche Mieter, die ihre Ladengeschäfte aufgrund einer Regelung in den Coronaschutzverordnungen nicht öffnen durften, nicht wegen Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung und eine Reduzierung/Aussetzung der Miete von den Vermietern verlangen können, solange sie nicht ausnahmsweise in ihrer Existenz bedroht seien (LG Frankfurt 02.10.2020 – 2-15 O 23/20; LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20; LG Lüneburg 17.11.2020 – 5 O 158/20). Das überwiegende Risiko der Verwendbarkeit des Leistungsgegenstands trage grundsätzlich der Mieter. Die Unzumutbarkeit, unverändert am Mietvertrag festzuhalten, sei nur anzunehmen bei substantiierter Darlegung des Mieters, in der eigenen Existenz gefährdet (LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20 mit Verweis auf Daßbach/Bayrak, Corona-Krise und vertragliche Risikoverteilung, NJ 2020, 185) oder jedenfalls in einem solchen Ausmaß wirtschaftlich betroffen zu sein, das ein weiteres Festhalten am unveränderten Mietvertrag unter Berücksichtigung aller übrigen Umstände als unzumutbar erscheinen lasse (LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20). Das sei vorliegend nicht gegeben.


cc. Stellungnahme

Die Sichtweise der drei Landgerichte ist sicherlich nicht zwingend, gerade mit Blick darauf, dass die Vermieter die Art der gewerblichen Nutzung der Mietsachen als Verkaufsstätten des Einzelhandels bei Vertragsschluss kannten und ein wirtschaftliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Betriebe haben. So hat auch der Gesetzgeber mittels entsprechender Gesetzesänderung (s.o.) eine mieterfreundliche Regelung erlassen: Muss bspw. ein Ladengeschäft aufgrund einer gesetzlichen bzw. behördlichen Schließungsanordnung schließen mit der Folge, dass die Einnahmen wegbrechen, wird gem. Art. 240 § 7 EGBGB vermutet, dass sich in­sofern ein Umstand i.S.d. § 313 I BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. Folge ist, dass unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung (verminderte Miethöhe; Aussetzung der Mietzahlungen) durchaus in Betracht kommt. Streng genommen hilft diese Vorschrift aber nicht. Dass eine schwerwiegende Änderung der Umstände vorliegt, war auch zuvor unstreitig. Vielmehr geht es doch um die Frage nach der Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag. Insofern hätte die Neuregelung um das normative Element der Grundlagenstörung ergänzt werden und lauten sollen (Ergänzung des Verfassers ist unterstrichen): 

 

„Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 I BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, und dass ein Festhalten am unveränderten Vertrag für den Mieter unzumutbar ist.“

 

Gleichwohl ist aber mit Blick darauf, dass das Verwendungsrisiko einer Mietsache grundsätzlich die Mieter tragen, zu fordern, dass die Geschäftsinhaber zunächst alle Möglichkeiten ausschöpfen (Straßenverkauf; Inanspruchnahme staatlicher Hilfen etc.). Auch ist zu berücksichtigen, ob die Mieter in den vergangenen Jahren mit ihren Geschäften hohe Umsätze und Gewinne erzielt haben und – wie das von einem umsichtigen Kaufmann zu erwarten ist – Rücklagen hätten bilden können. Nicht zu folgen ist indes der Auffassung, die betroffenen Geschäftsinhaber hätten sich im Zeitraum der Schließung anderweitige Einnahmequellen zu verschaffen wie bspw. einen Onlinehandel zu betreiben (So aber LG Heidelberg 30.07.2020 – 5 O 66/20 mit Verweis auf Sittner, NJW 2020, 1169). Der Aufbau eines Onlineshops ist sehr aufwändig, d.h. arbeitsintensiv und kurzfristig technisch kaum realisierbar, jedenfalls nicht kostenmäßig vertretbar, zumal selbst bei kleinsten Verstößen gegen Pflichtangaben, Belehrungspflichten, Vorschriften des AGB-Rechts etc. kostenintensive Abmahnungen drohen. Zudem ist es lebensfern anzunehmen, ein frisch eingerichteter Onlineshop würde gleich Umsätze generieren.


Zu guter Letzt müssen sich Mieter auch umgekehrt die Frage stellen, ob sie bereit wären, einer Forderung des Vermieters nach Teilhabe an einer unerwartet guten Geschäftsentwicklung nachzukommen, oder ob sie stattdessen auf die vertragliche Vereinbarung verwiesen.   


III. Lösungstechnische Hinweise/Einbettung in den Prüfungsaufbau

Die Frage nach der Einbettung in den Prüfungsaufbau kann nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr ist zu differenzieren: Begehrt eine Partei Vertragsanpassung oder erklärt den Rücktritt oder die Kündigung, fungiert § 313 I bzw. III BGB als Anspruchsgrundlage/Rechtsgrundlage.

 

Beispiel: Zwischen V und M besteht ein Gewerberaummietvertrag. Aufgrund einer pandemischen Lage muss M infolge einer gesetzlichen bzw. behördlichen Schließungsanordnung sein Ladengeschäft für 2 Monate schließen mit der Folge, dass die Einnahmen wegbrechen. Er begehrt daher von V eine Aussetzung der Mietzahlungspflicht oder zumindest eine Reduzierung.

 

Hier wirkt § 313 I BGB als Anspruchsgrundlage. Es müssten dann dessen Voraussetzungen geprüft und bejaht werden, damit die Rechtsfolge (hier: Vertragsanpassung) greift. 

 

§ 313 I bzw. III BGB kann aber auch als Einwendung fungieren, wenn die andere Partei Erfüllung verlangt. Dann ist zu prüfen, ob § 313 I oder III BGB dem Anspruch entgegensteht. Das war die vorliegend zu prüfende Konstellation im Ausgangsfall.

 

Beispiel: Zwischen V und M besteht ein Gewerberaummietvertrag. Aufgrund einer pandemischen Lage muss M infolge einer gesetzlichen bzw. behördlichen Schließungsanordnung sein Ladengeschäft für 2 Monate schließen mit der Folge, dass die Einnahmen wegbrechen. Er begehrt daher von V eine Aussetzung der Mietzahlungspflicht oder zumindest eine Reduzierung. Gleichwohl besteht V auf Zahlung der Miete (in voller Höhe), weil dies mietvertraglich so vereinbart sei.

 

In diesem Fall ist über den von V geltend gemachten Zahlungsanspruch einzusteigen: Anspruchsgrundlage V gegen M auf Zahlung der vereinbarten Miete ist § 535 II BGB. Bei der Prüfung, ob dieser Anspruch besteht, ist § 313 I BGB als Gegennorm zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen vor, wirkt § 313 I BGB als rechtsvernichtende Einwendung: Zwar steht die Vorschrift dem Entstehen eines Anspruchs auf Mietzahlung nicht entgegen, bewirkt aber, dass der zunächst entstandene Anspruch entfällt („untergeht“).



Rolf Schmidt (02.01.2021)



Nachweise zum erläuterten rechtsdogmatischen Hintergrund:

 


[1] Oertmann, Die Geschäftsgrundlage: ein neuer Rechtsbegriff, 1921. Aber auch zuvor sind Rechtsstreitigkeiten geführt worden, die sich mit der Störung bzw. dem Wegfall der Vertragsgrundlage („Zweckfrustration im Vertragsrecht“) beschäftigten, so z.B. im englischen Fall Krell vs. Henry (1903) – 2 KB 740, bei dem es um die Anmietung einer Wohnung in London ging, um von dort aus die Prozession im Zusammenhang mit der Krönung von Edward VII. („Krönungszugfall“) mit­zuerleben. Da die Prozession jedoch (aufgrund des Gesundheitszustands von Edward VII.) nicht am ursprünglich geplanten Tag stattfand, stritten die Parteien um die Frage, ob gleichwohl die Miete geschuldet sei. 

[2] RGZ 94, 45 ff. (Einfluss der durch den Krieg eingetretenen völligen Umwälzung der Verhältnisse auf die vor dem Krieg abgeschlossenen Lieferungsverträge, deren Erfüllung einen Bezug von Rohstoffen aus überseeischen Ländern voraussetzt); 100, 129 ff. (seit dem Vertragsabschluss wesentlich veränderte Verhältnisse auf dem Kohlen- und Arbeitsmarkt – Dampfpreisänderung); 103, 328 ff. (Vigogne-Spinnerei); 106, 422 ff. (Berücksichtigung der Geldentwertung bei Lieferungsverzug); 107, 78 ff. (Geldwertschwankung; Inflation); BGHZ 2, 176, 188 (von Kriegsfeind erbeutete Mietsachen); 61, 153, 159 f. (Wertsteigerung einer Arbeitnehmererfindung).

[3] Allg. Auffassung, vgl. etwa Finkenauer, in: MüKo, § 313 BGB, Rn. 20; Lorenz, in: BeckOK, § 313 BGB, Rn. 2.



 



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