Aktuelles 2021 Tötung eines Kindes während der Geburt verwirklicht Tötungsdelikt

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27.03.2021: Tötung eines Kindes während der Geburt verwirklicht Tötungsdelikt (und keinen Schwangerschaftsabbruch)


BGH, Beschl. v. 11.11.2020 – 5 StR 256/20 (NJW 2021, 645)


Mit dem genannten Beschluss hat der BGH die Entscheidung des Landgerichts Berlin (Urt. v. 19.11.2019 – 234 Js 87/14 [532 Ks] [7/16] [GesR 2020, 672]) bestätigt, wonach bei einer operativen Entbindung (Kaiserschnitt, sectio caesarea) die Geburt und damit der Anwendungsbereich der Tötungsdelikte (§§ 211 ff. StGB) regelmäßig mit der Eröffnung des Uterus zum Zweck der dauerhaften Trennung des Kindes vom Mutterleib beginne, was auch bei einer Mehrlingsgeburt gelte. Unabhängig von der Frage, ob die Verwendung des Adjektivs „regelmäßig“ zufällig oder bewusst erfolgte und welche Bedeutung es bei bewusster Verwendung haben könnte, soll im Folgenden – anhand einer systematischen und methodisch geordneten Aufbereitung – untersucht werden, ob die Entscheidungen überzeugen.


Den Entscheidungen lag folgender Sachverhalt zugrunde (abgewandelt, um die Probleme des Falls zu fokussieren): Bei F lag eine diamniot-monochoriale Zwillingsschwangerschaft vor, d.h. eine Schwangerschaft, bei der jeder (eineiige) Fetus über eine eigene innere Eihülle verfügt, sich beide aber eine Plazenta teilen. Eine solche Schwangerschaft ist aufgrund der Verbindung der Blutkreisläufe der Zwillinge über Gefäßverbindungen in der Plazenta risikobehaftet, weil es dadurch zu einem Ungleichgewicht des Blutaustauschs und der Fruchtwasserbildung kommen kann. Bei einem Fetus wurde denn auch eine schwere Hirnschädigung festgestellt, sodass sich F entschloss, einen selektiven Fetozid vornehmen zu lassen. Eine Injektion mit Kaliumchlorid zur Herbeiführung eines Herzstillstands mit der Folge einer Totgeburt ist in diesen Fällen nicht möglich, weil der andere Fetus dadurch in Gefahr gerät. Dementsprechend wurde F von der behandelnden Ärztin (T) darüber aufgeklärt, dass eine Injektion mit Kaliumchlorid zur Tötung des schwer geschädigten Zwillings die Gefahr berge, dass das Mittel auch in den Blutkreislauf des gesunden Zwillings gelange. Daher müsse der selektive Fetozid unmittelbar mit der Geburt des gesunden Kindes im Zusammenhang mit der Sectio (Kaiserschnitt) durchgeführt werden. F zeigte sich einverstanden. In Umsetzung dieses Plans öffnete T, die sich über den strafrechtlichen Beginn des menschlichen Lebens bewusst war, operativ Bauchdecke und Gebärmutter der F. Der gesunde Zwilling wurde entnommen, seine Nabelschnur durchtrennt und er wurde versorgt. Anschließend klemmte T bei dem noch in der Gebärmutter liegenden Zwilling die Nabelschnur ab und tötete ihn durch Injektion mit Kaliumchlorid. Der getötete Zwilling war lebensfähig, es wären bei ihm aber schwere Behinderungen (motorische Störungen, Lähmungen, Spastiken, deutliche kognitive Einschränkungen) zu erwarten gewesen. Andere Verfahren zur Durchführung eines selektiven Fetozids wären mit höheren Risiken für den gesunden Zwilling verbunden gewesen.


I. Problemaufriss

Da die §§ 211, 212, 216 und 222 StGB die Tötung eines (anderen) Menschen sanktionieren, stellt sich die Frage nach Beginn und Ende des menschlichen Lebens. Hinsichtlich des Beginns des menschlichen Lebens könnte man sich auf den Standpunkt stellen, den Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle (d.h. derjenige der Imprägnation bzw. der Kernverschmelzung/Konjugation) als maßgeblich anzusehen. Auch wäre vorstellbar, auf den Abschluss der Einnistung der befruchteten Eizelle (der Zygote) in der Gebärmutter, also auf die Nidation abzustellen. Dann läge ein Mensch (auch) im strafrechtlichen Sinne 6 bis 10 Tage nach der Konjugation (d.h. dem Eindringen der Samenzelle in den Zellkern der Eizelle) vor.


Folge wäre, dass der Embryo (im Mutterleib) – der Nasciturus – als Mensch im Rechtssinne (und damit auch im strafrechtlichen Sinne) gölte, mit der Konsequenz, dass dann bei einem Abort (Schwangerschaftsabbruch) ein Tötungsdelikt (§§ 211 ff. StGB) vorläge. Zwar kann auch die Tötung eines Menschen gerechtfertigt sein, aber die Voraussetzungen sind sehr hoch. So verlangt § 32 StGB (Notwehr) einen rechtswidrigen Angriff des (später getöteten Menschen) auf ein notwehrfähiges Rechtsgut, was beim Nasciturus schon allein naturwissenschaftlich nicht angenommen werden kann. Und auch § 34 StGB greift nur, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Nähme man beim Nasciturus also die Menschqualität an, müsste man die Gefahr für die Schwangere (sofern sie denn besteht) gegen das Leben des Getöteten abwägen und die Gefahr für die Schwangere als ein das Leben des Getöteten überwiegendes Rechtsgut ansehen, was der ganz herrschenden Strafrechtsdogmatik widerspräche. Damit rückt dann der entschuldigende Notstand des § 35 StGB in den Fokus, der aber daran scheitert, dass der oder die den Abort vornehmende Arzt oder Ärztin regelmäßig nicht in der erforderlichen Nähebeziehung zur Schwangeren steht. Und auch für die Bejahung des sog. übergesetzlichen entschuldigenden Notstands fehlt die Legitimation.


All diese Probleme stellen sich freilich nicht, wenn man (mit dem Gesetzgeber) dem Nasciturus die Menschqualität abspricht. So stellt der Strafgesetzgeber bei der Bestimmung des Zeitpunkts des Beginns des Menschseins auf die Geburt ab. Das ergibt sich schon allein daraus, dass er die Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 f. StGB) sonst nicht erlassen hätte. Daraus folgt: Der noch ungeborene Mensch kann – unabhängig von der Frage, ob er schon Träger des Grundrechts auf Leben ist (siehe dazu R. Schmidt, Grundrechte, 25. Aufl. 2020, Rn. 50) – nicht Opfer eines Tötungsdelikts i.S.d. §§ 211 ff. StGB sein; zu seinem Schutz greifen ausschließlich die §§ 218 f. StGB.


Entscheidend ist daher, den Begriff der Geburt zu bestimmen und damit die Festlegung zu treffen, zu welchem Zeitpunkt des Geburtsvorgangs das „Menschsein“ i.S.d. §§ 211 ff. StGB beginnt. Das StGB definiert den exakten Zeitpunkt nicht. Wie dem Wortlaut des (im Zuge des 6. Strafrechtsreformgesetzes 1998 aufgehobenen) § 217 StGB zu entnehmen war, kann eine Mutter ihr Kind bereits während der Geburt töten. Daraus folgert die h.M., dass – in Abweichung zum Zivilrecht (vgl. § 1 BGB) – für das Gebiet der §§ 211 ff. StGB das menschliche Leben mit dem Anfang der Geburt, d.h. bei der vaginalen Geburt im Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen beginnt. Bei operativer Entbindung (Kaiserschnitt; Sectio) ist der Zeitpunkt des ärztlichen Eingriffs, also die chirurgische Öffnung des Uterus (nicht etwa die Einleitung der Narkose) maßgeblich (siehe nur BGH NJW 2021, 645, 647; BGH NStZ 2008, 393, 394 f.; BGHSt 32, 194, 195 f.; 31, 348, 351; SK-Rogall, Vor §§ 218 ff. Rn. 64; Lackner/Kühl-Heger, Vor § 211 Rn. 3; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 13; Wessels/Hettinger/Engländer, StrafR BT 1, Rn. 9-11; Kühl, JA 2009, 321; a.A. NK-Merkel, § 218 Rn 33 f. (Anknüpfung an § 1 BGB: Vollendung der Geburt).


Anmerkung: Der exakte Zeitpunkt des Beginns des „Menschseins“ i.S.d. Strafrechts ist nicht nur für die Frage der Anwendung entweder der §§ 211 ff. StGB oder der §§ 218 f. StGB relevant, sondern auch für den Fall, dass der Täter lediglich fahrlässig handelt. Denn der Gesetzgeber hat nur die fahrlässige Tötung eines geborenen Menschen unter Strafe gestellt (vgl. § 222 StGB), nicht auch den fahrlässigen Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 f. StGB setzen Vorsatz voraus). Tötet der Täter also den noch ungeborenen Menschen (den Nasciturus) fahrlässig (etwa, indem er in den Bauch der Schwangeren schlägt oder tritt und dabei unvorsätzlich das Absterben des Nasciturus verursacht), ist er in Bezug auf die Leibesfrucht nicht strafbar. Das Gleiche gilt, wenn die Schwangere fahrlässig eine Fehlgeburt verursacht.


Da nach der Strafrechtsordnung das „Menschsein“ i.S.d. §§ 211 ff. StGB also mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen (bzw. bei operativer Entbindung mit der Öffnung des Uterus) beginnt, stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit auch für den Fall, dass das Kind während der Geburt mit Einwilligung der Mutter getötet wird, etwa, weil es (wie das in den vorliegend zu besprechenden Entscheidungen der Fall ist) einen schweren Hirnschaden hat.


II. Prüfung des Falls

1. Strafbarkeit der T wegen Schwangerschaftsabbruchs?

Die von T vorgenommene Injektion mit Kaliumchlorid und der damit verbundene Herzstillstand bei dem Opfer könnten den Tatbestand des § 218 I S. 1 StGB (Schwangerschaftsabbruch) verwirklicht haben. Abbrechen der Schwangerschaft bedeutet jegliche Art der Einwirkung auf die Leibesfrucht, wodurch deren Absterben im Mutterleib oder deren Abgang in nicht lebensfähigem Zustand herbeigeführt wird (vgl. BGHSt 31, 348, 351 f.; Fischer, § 218 Rn. 5; Sch/Sch-Eser/Weißer, § 218 Rn. 19/23). Das kann vorliegend angenommen werden. Die Injektion mit Kaliumchlorid führte den Tod des Kindes herbei, als sich dieses noch im Mutterleib befand. § 218a I StGB, der den Tatbestand des § 218 I StGB ausschließt, greift mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht. Möglicherweise ist die Tat der T aber gerechtfertigt unter den Voraussetzungen des § 218a II StGB. Allerdings kann dies dahinstehen, wenn schon kein Schwangerschaftsabbruch vorliegt. Denn bei dem getöteten Kind könnte es sich bereits um einen Menschen im strafrechtlichen Sinne gehandelt haben mit der Folge, dass nicht § 218 I StGB einschlägig ist, sondern die §§ 211 ff. StGB Anwendung finden. Wie oben aufgezeigt, beginnt das menschliche Leben (für das Gebiet des Strafrechts) mit dem Anfang der Geburt, also ab dem Zeitpunkt des Beginns der Eröffnungswehen. Bei chirurgischer operativer Entbindung (Kaiserschnitt – sectio caesarea) ist auf den Zeitpunkt des die Eröffnungsperiode ersetzenden ärztlichen Eingriffs, also die chirurgische Öffnung des Uterus (nicht etwa die Einleitung der Narkose) abzustellen.


Danach lag im vorliegenden Fall also kein Schwangerschaftsabbruch vor. Das Kind wurde von T getötet, nachdem der Uterus von ihr geöffnet worden war.


2. Strafbarkeit der T wegen eines Tötungsdelikts?

a. Tatbestandsmäßigkeit

Die von T vorgenommene Injektion mit Kaliumchlorid und der damit verbundene Herzstillstand bei dem Kind könnten aber den Tatbestand des § 212 I StGB (Totschlag) verwirklicht haben. Geschütztes Rechtsgut ist das Leben eines anderen Menschen. Bei dem getöteten Kind ist das – wie aufgezeigt – zu bejahen. Die Tathandlung kann auf beliebige Art und Weise begangen werden, auch wenn die Deliktsbezeichnung Tot„schlag“ nahelegt, dass der Täter zuschlagen muss, um den Tatbestand zu verwirklichen. In Betracht kommen insbesondere das Verletzen, Vergiften und Aussetzen, solange nur der Tod eines anderen Menschen herbeigeführt wird. Durch das Injizieren von Kaliumchlorid hat T das Kind vergiftet und dadurch seinen Tod herbeigeführt.


Eine Verwirklichung des § 211 StGB (Mord) unter dem Aspekt der Heimtücke scheidet aus, da der getötete Mensch – wie jeder Mensch vor Vollendung der Geburt – konstitutionell arglos war und daher keinen Argwohn hätte hegen können, der von T hätte ausgenutzt werden können.


b. Rechtswidrigkeit

Eine Rechtfertigung der Tat liegt nicht vor. § 32 StGB (Notwehr, vorliegend in der Form der Nothilfe) scheidet schon deshalb aus, weil es an einem Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut fehlt (Leben und Gesundheit bzw. körperliche Unversehrtheit der F sind zwar notwehrfähige Rechtsgüter, allerdings kann von einem ungeborenen Menschen schon rein naturwissenschaftlich kein Angriff hierauf ausgehen). § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) liegt ebenfalls nicht vor. Zwar lässt die Vorschrift die Abwehr einer Gefahr zu. Jedoch bestand nach der Entnahme des gesunden Zwillings keine Gefahr mehr – weder für F noch für das Geschwisterkind. Zudem wäre nach der hier vertretenen Auffassung § 34 StGB ohnehin nicht einschlägig, weil eine Güterabwägung nicht zum Nachteil eines menschlichen Lebens vorgenommen werden darf. § 218a II StGB (Rechtfertigungsgrund bei Schwangerschaftsabbruch) greift ebenfalls nicht, da bereits ein Statuswechsel (Nasciturus/Mensch im strafrechtlichen Sinne) stattgefunden hatte; eine vom BGH (auf Veranlassung der Revision) geprüfte (und abgelehnte) analoge Anwendung des § 218a II StGB verbietet sich schon allein aufgrund des Fehlens einer unbeabsichtigten Regelungslücke – unabhängig davon, dass sie zugunsten der T erfolgte und daher nicht gegen Art. 103 II GG verstieße.


c. Schuld

T war schuldfähig und sie handelte auch mit Unrechtsbewusstsein. Mangels Gefahr scheidet auch der Entschuldigungsgrund nach § 35 StGB (entschuldigender Notstand) aus; zudem ist das erforderliche Näheverhältnis auch nicht ersichtlich. Ein Verbotsirrtum (§ 17 S. 1 StGB) kann ebenfalls nicht angenommen werden, weil T sich der Rechtslage zum Statuswechsel (Nasciturus/Mensch im strafrechtlichen Sinne) bewusst war und sie damit das gesetzliche Verbot ihres Handelns kannte. Auch ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand (dazu R. Schmidt, StrafR AT, 21. Aufl. 2019, Rn. 605 ff.) kann vorliegend (erst recht) nicht angenommen werden.   

 

d. Minder schwerer Fall?

Da der Totschlag mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist und der BGH das von der Vorinstanz (LG Berlin) festgesetzte Strafmaß (Bewährungsstrafe) nicht beanstandet hat, ist davon auszugehen, dass die Gerichte von einem minder schweren Fall des Totschlags ausgegangen sind. Zu prüfen ist daher, ob T die privilegierend wirkende Strafzumessungsregel des § 213 StGB (minder schwerer Fall des Totschlags) zugutekommt. Ohne den Verbrechenscharakter der Tat zu ändern (ein Versuch ist somit auch ohne spezielle Strafandrohung möglich), ist nach dieser Vorschrift eine Strafmilderung obligatorisch, wenn das Opfer seine Tötung in be­stimmter Weise provoziert hat (Var. 1) oder wenn die Gesamtbewertung der Tat einen „sonst minder schweren Fall“ (Var. 2) ergibt. Ein „provozierter“ Totschlag (§ 213 Var. 1 StGB) scheidet von vornherein aus, weshalb – wenn überhaupt – lediglich ein unbenannter „sonst minder schwerer Fall“ (§ 213 Var. 2 StGB) in Betracht kommt. Ein sonst minder schwerer Fall i.S.v. § 213 Var. 2 StGB kommt i.d.R. in Betracht, wenn die schuldmindernden Umstände die Anwendung des Strafrahmens des § 212 StGB unangemessen erscheinen lassen bzw. in ihrem Gewicht bei einer Gesamtbetrachtung mit denen vergleichbar sind, die § 213 Var. 1 StGB benennt. Bei der Gesamtbetrachtung sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Wertung von Tat und Täter bedeutsam sein können, wobei alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen sind (vgl. dazu BGH NStZ 2019, 409, 410).


Die vom BGH nicht beanstandete Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags ist zwar angesichts des Tatmotivs verständlich, widerspricht aber der Tatsache, dass die Tat geplant war. Zudem lagen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 213 StGB nicht vor. Und auch nach systematischer Auslegung spricht bei § 213 Var. 2 StGB (wie erst recht bei § 213 Var. 1 StGB) die Planung der Tat gegen die Annahme eines minder schweren Falls. T führte die Situation geplant herbei, setzte sich ihr bewusst aus und tötete einen Menschen ohne Notlage. Das Motiv, der F (oder gar dem getöteten Kind) „einen Gefallen zu tun“, kann sich nicht über die fehlenden Voraussetzungen des § 213 StGB hinwegsetzen. Die Auffassung des BGH, man dürfe die Planung der Tat nicht schuld- und damit straferschwerend berücksichtigen, da dieser Gesichtspunkt bei einer medizinischen Operation kein zulässiger Erschwerungsgrund sei, lässt sich auf keinen Sachgrund stützen. Denn auch nachdem T erkannt hatte, dass der von ihr später getötete Mensch lebensfähig war, setzte sie ihren Plan um, obwohl keinerlei Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorlagen, was ihr auch bewusst war. T entschied eigenmächtig (freilich auf Veranlassung der F), über die Lebens(un)würdigkeit eines Menschen zu urteilen. Für die Annahme eines minder schweren Falls lassen weder Wortlaut noch Systematik des § 213 StGB Raum.  


3. Ergebnis

Entgegen dem vom BGH gebilligten Urteil des LG Berlin hat T sich gem. § 212 I StGB strafbar gemacht. Sie hat vorsätzlich einen Menschen getötet und war sich dessen auch bewusst. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe lagen nicht vor. Aufgrund der planvollen Vorgehensweise ist auch kein Raum für die Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags; es fehlt an der auch sonst vom BGH geforderten Vergleichbarkeit mit § 213 Var. 1 StGB. Eine „Inkonsistenz“ der Tötungsdelikte, wie dies vereinzelt in der Literatur behauptet wird, kann in der vorliegenden Konstellation gerade nicht angenommen werden, da die gesetzlichen Regelungen insoweit eindeutig und sehr wohl konsistent sind (anders Grünewald, NJW 2021, 649, 650 mit Verweis auf Grünewald, ZfL 2020, 419, 422 ff.). Allenfalls kann eine Inkonsistenz in der Rechtsprechung (und in der Literatur) angenommen werden, wenn man in ständiger Rechtsanwendung bei § 213 Var. 2 StGB eine Vergleichbarkeit mit § 213 Var. 1 StGB fordert, dann aber, wo das Ergebnis nicht gefällt, § 213 Var. 2 StGB auch ohne gegebene Vergleichbarkeit mit § 213 Var. 1 StGB annimmt, weil es auf Strafzumessungsebene sonst keine Möglichkeit gibt, den besonderen Tatumständen Rechnung zu tragen.



Rolf Schmidt (27.03.2021)






 



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