Aktuelles 2022 Loeschungsanspruch in Bezug auf Internetbewertungen

Beiträge 2022


11.09.2022: Löschungsanspruch in Bezug auf Internetbewertungen (hier: Hotelbewertungen)


BGH, Urt. v. 09.08.2022 – VI ZR 1244/20


Mit Urteil vom 09.08.2022 hat der VI. Senat des BGH entschieden, dass die Rüge eines auf einem Internetbewertungsportal Bewerteten (hier: ein Hotel- und Ferienparkbetreiber), der Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, grundsätzlich ausreiche, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen (und ggf. die Pflicht zur Unterlassung begründe).


Dem Urteil lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde (leicht abgewandelt, um die Probleme zu fokussieren): P betreibt ein Reiseportal im Internet. Nutzer des Portals können u.a. Hotels buchen und, wenn sie mit einer E-Mail-Adresse bei P registriert sind, Hotels anhand eines Notenschemas mit bis zu sechs Sonnensymbolen in verschiedenen Kategorien (Hotel, Zimmer, Service, Lage, Gastronomie, Sport & Unterhaltung) und im Rahmen von Freitexten bewerten. Die Bewertungen werden unter dem vom Nutzer angegebenen Namen veröffentlicht und können Angaben enthalten zur Altersgruppe des Nutzers, zum Reisezeitraum, zur Reisedauer und dazu, ob die Reise allein, als Paar, mit Freunden oder als Familie und mit wie vielen Kindern durchgeführt wurde. Für bis zu zehn veröffentlichte deutschsprachige Hotelbewertungen pro Monat erhalten die Nutzer Flugmeilen als Prämie. Die Nutzungsrichtlinien der P sehen vor, dass eine Leistung nur bewertet werden darf, wenn sie auch in Anspruch genommen wurde. Eine Überprüfung der tatsächlichen Inanspruchnahme durch Bewerter findet indes nicht statt.

H ist Betreiberin eines Hotel- und Ferienparks. Ihre Leistungen wurde von N, einer Nutzerin des Portals, unter verschiedenen Accounts und unter Verwendung von verschiedenen Pseudonymen wie „Sandra“, „Nadine“, „Elisabeth“, „Sven“, „Mari“, „Karri“, „Franzi“, „Anja“ und „Jana“ negativ bewertet und mit Bildmaterial versehen. Da H die wahre Identität der N nicht bekannt ist, verlangt H von P die Unterlassung der Veröffentlichung der Bewertungen der N. Diese sei noch nicht einmal Gast der Freizeitanlage gewesen und könne schon daher die Leistungen nicht bewerten.


Der BGH hat der Revision der H stattgegeben. Ob die Entscheidung des BGH überzeugt, soll im Folgenden herausgearbeitet werden.



A. Einführung


Dass ein Hotel- und Freizeitparkbetreiber vom guten Ruf lebt, ist unbestritten. Gerade negative Bewertungen können den guten Ruf schädigen und ggf. sogar die Existenz gefährden. Erfolgt die negative Bewertung im Internet, sind aufgrund der damit verbundenen Breitenwirkung und Dauerhaftigkeit der Äußerungen Imageschäden und Umsatzeinbußen besonders groß. Grundrechtlich sind bei einer negativen Bewertung das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, das auf nationaler Ebene seine Grundlage über Art. 19 Abs. 3 GG in Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG findet, das Berufsgrundrecht aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG sowie ggf. das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG betroffen. Auf der anderen Seite steht die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG der Bewertenden, aber auch diejenige des Portalbetreibers. Letzterer kann zusätzlich Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG für sich in Anspruch nehmen, da er das Portal nicht altruistisch betreibt. Für die interessierte Öffentlichkeit ist die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG zu nennen. Diese mitunter widerstreitenden Verfassungsgüter sind in ein Verhältnis praktischer Konkordanz (Begriff nach Hesse) zu bringen. Es ist eine umfassende Güterabwägung vorzunehmen. Zu beachten ist aber, dass bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen der Schutz aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG nicht zugutekommt. Sie sind bereits vom Schutzbereich auszunehmen. Bei Schmähkritik, also bei Äußerungen, bei denen nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung, Verunglimpfung bzw. gravierende Ehrverletzung der Person im Vordergrund stehen (siehe dazu aus jüngerer Zeit BVerfG NZA 2020, 1704, 1705; BVerfG NJW 2020, 2622, 2624 – jeweils mit Verweis u.a. auf BVerfGE 82, 272, 283 f.; 85, 1, 16; 93, 266, 294), nimmt das BVerfG zwar überwiegend eine Eröffnung des Schutzbereichs an, begegnet dem Unwertgehalt der Schmähung aber jedenfalls bei der Rechtfertigung des Eingriffs (vgl. etwa BVerfG NJW 2021, 301, 302; BVerfG 17.3.2021 – 2 BvR 194/20 Rn. 44; BVerfG NJW 2020, 2622, 2623 ff.; BVerfG NJW 2013, 3021, 3022; BVerfGE 93, 266, 293 f.).

Davon abgesehen, treten zu den genannten Grundrechten möglicherweise überlagernd oder zumindest flankierend Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) bzw. Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hinzu, was die Prüfung nicht gerade vereinfacht. Und auch bei der Frage nach dem vom BGH geprüften Unterlassungsanspruch, dessen gesetzliche Grundlage als Einfallstor für die umfassende Güterabwägung anzusehen ist, stellt sich ein Anwendbarkeitsproblem, da es auch um Beseitigung (datenschutzrechtlich: Löschung; Sperrung) geht und hierfür das Unionsrecht mit Art. 17 Abs. 1 lit d) der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO) eine Regelung zur Verfügung stellt, die eine analoge Anwendung des § 1004 Abs. 1 BGB überflüssig machen könnte. 

Ein Löschungsanspruch steht in der BGH-Entscheidung indes nicht in Rede, dort geht es ausschließlich um Unterlassung. Aus dem Sachverhalt geht aber nicht hervor, dass P die Bewertungen der N bereits gelöscht hat. In der Praxis treten in solchen Fällen der Löschungs- bzw. Beseitigungsanspruch neben den Unterlassungsanspruch. Danach wäre der Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 lit d) DSGVO denkbar und der Unterlassungsanspruch jedenfalls aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog. Ob Art. 17 Abs. 1 lit d) DSGVO auch einen Unterlassungsanspruch gewährt, ist angesichts seines Wortlauts (es geht dort ausschließlich um Löschung) zweifelhaft; an der Zweifelhaftigkeit ändert sich auch dadurch nichts, dass der BGH in seinem Urteil v. 12.10.2021 – VI ZR 488/19 (Ärztebewertungsportal) der Auffassung ist, Art. 17 Abs. 1 DSGVO umfasse auch einen Unterlassungsanspruch (Rn. 10 und 22 ff. der Entscheidung).     


Das führt insgesamt zur Notwendigkeit einer mehrdimensionalen Betrachtungsweise. Und auch die Erarbeitung eines nachvollziehbaren Prüfungsaufbaus stellt eine Herausforderung dar, da er hohe Anforderungen an die Systemkenntnis stellt. 



B. Prüfung des Falls


I. Determination des Prüfungsmaßstabs; anwendbares Recht


Im Folgenden gilt es, den gegen den Portalbetreiber gerichteten (von der Revision jedoch nicht erfassten) Löschungsanspruch sowie den (vom BGH ausschließlich geprüften) Unterlassungsanspruch zu prüfen. Davon ausgehend, dass deutsches Recht anwendbar ist (P hat seinen Sitz in der Schweiz, die Parteien wählten in der Revisionsinstanz aber deutsches Recht, Art. 42 S. 1 EGBGB), kommt als Anspruchsgrundlage in Bezug auf den Unterlassungsanspruch jedenfalls § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Betracht. Da jedoch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht als Teilbereich des Persönlichkeitsrechts auch der DSGVO unterfallen könnte, ist fraglich, ob der Sachverhalt in Bezug auf einen Löschungsanspruch nicht vorrangig am Maßstab der Art. 5-7 DSGVO i.V.m. Art. 7 und 8 der EU-Grundrechtecharta (GRC) geprüft werden müsste. Dann böte Art. 17 Abs. 1 lit d) DSGVO die Rechtsgrundlage für einen Löschungsanspruch (und womöglich Unterlassungsanspruch). Denn das Unionsrecht genießt Anwendungsvorrang (EuGH Slg. 1964, 1251 ff.; vgl. auch EuGH Slg. 1970, 1125 ff. – Internationale Handelsgesellschaft, aufgegriffen in EuGH NJW 2013, 1215 ff. – Melloni; zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts und dessen Begründung siehe R. Schmidt, Grundrechte, 26. Aufl. 2021, Rn. 9).


  • Determiniert das Unionsrecht den Sachverhalt vollständig, werden nationale Maßnahmen am Maßstab der Unionsgrundrechte geprüft, soweit die Grundrechte des Grundgesetzes durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt werden. Zu den unionsrechtlich vollständig determinierenden Regelungen wird man etwa die betreffenden Regelungen der DSGVO zählen müssen (dann wären Prüfungsmaßstab von nationalen Maßnahmen die betreffenden Bestimmungen der DSGVO und letztlich Art. 7 und 8 GRC).


  • Geht es aber um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht, ist dieses am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes zu prüfen, auch wenn das innerstaatliche Recht der Durchführung des Unionsrechts dient. Als Anwendungsfelder seien diejenigen Vorschriften der DSGVO genannt, die den Mitgliedstaaten Spielräume lassen, wie z.B. Art. 85 Abs. 2 DSGVO („Medienprivileg“) oder Art. 88 DSGVO in Bezug auf den Beschäftigtendatenschutz.


Eine Bereichsausnahme nach Art. 2 Abs. 2 DSGVO ist nicht ersichtlich. Lit. a) greift nicht; der BGH sieht die Rom-II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 864/2007) und die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt als anwendbar an (Rn. 17 und 22), was den Anwendungsgereich des Unionsrechts impliziert. Datenverarbeitung durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten (lit c) liegt ebenfalls nicht vor; der Portalbetreiber ist eine juristische Person und handelt zudem gewerblich.


Möglicherweise genießt H aber nicht den Schutz der DSGVO, weil davon ausgegangen werden muss, bei H handele es sich um eine juristische Person, womit es an der Personenbezogenheit der Daten fehlen könnte. Allerdings hat der EuGH auch Daten über juristische Personen dem Schutz der Art. 7 und 8 der EU-Grundrechtecharta unterstellt, sofern die dahinterstehenden natürlichen Personen identifizierbar sind (siehe EuGH, Urt. v. 9.10.2010 – C-92, 93/09, EuZW 2010, 939, 941 ff., insb. 944; siehe auch Guckelberger, EuZW 2010, 946, 947, die ausführt: „Hinsichtlich der juristischen Personen hat der EuGH klargestellt, dass bei ihnen die Verletzung des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten ein niedrigeres Gewicht als bei natürlichen Personen hat […].“). Daraus folgt aber auch, dass bei juristischen Personen die DSGVO gilt, wenn die dahinterstehenden natürlichen Personen identifizierbar sind und (mittelbar) deren personenbezogene Daten erhoben bzw. verarbeitet werden. Werden also in einem Internetbewertungsportal Aussagen getroffen, die formal zwar lediglich auf eine juristische Person bezogen sind, die jedoch aufgrund der Identifizierbarkeit der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen als personenbezogene Daten einer natürlichen Person anzusehen sind, ist die Anwendbarkeit der DSGVO jedenfalls nicht wegen Art. 4 Nr. 1 DSGVO ausgeschlossen. Da jedoch weder der BGH noch die Vorinstanzen die DSGVO auch nur mit einer Silbe erwähnen, muss davon ausgegangen werden, dass der BGH und die Vorinstanzen annehmen, es lägen keine personenbezogenen Daten vor. Das aber überzeugt nicht. 


Geht man daher richtigerweise von der Anwendbarkeit der DSGVO aus, könnte bei der Bestimmung des Determinationsgrads im vorliegenden Zusammenhang das Medienprivileg nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO einschlägig sein. Dem Medienprivileg liegt zwar grundsätzlich ein sehr weiter Begriff des Journalismus zugrunde (siehe Erwägungsgrund 153 der DSGVO), jedoch ginge es zu weit, Bewertungen im Internet und damit auch die Bereitstellung einer Plattform als journalistische Tätigkeit anzusehen (siehe auch BGH, Urt. v. 12.10.2021 – VI ZR 488/19 Rn. 19 – Ärztebewertungsportal –, wo es heißt, dass eine journalistische Tätigkeit i.S. dieser Vorschrift ein Mindestmaß an inhaltlicher Bearbeitung erfordere, das in bloßen Bewertungsportalen nicht erreicht werde), zumal sich selbst nach Auffassung des den vorliegenden Fall entscheidenden BGH der Portalbetreiber die Bewertungen nicht zu eigen macht (Rn. 24) und daher auch bei ihm keine journalistische Tätigkeit angenommen werden kann.


Aber auch außerhalb des Medienprivilegs wird man die DSGVO vorliegend als nicht abschließend determinierend ansehen müssen. Denn der Datenschutz stellt lediglich einen Teilaspekt der Thematik dar. H begehrt die Löschung der Daten, um u.a. seinen unternehmerischen Ruf und seine berufliche Tätigkeit zu schützen, was mit den genannten gegenläufigen Interessen (insbesondere der Meinungsäußerungsfreiheit) abzuwägen ist. Diese Aspekte gehen über den Datenschutz als solchen hinaus und sind unionsrechtlich nicht (abschließend) geregelt. Primärer Prüfungsmaßstab sind daher die Grundrechte des Grundgesetzes, freilich in unionsrechtskonformer Auslegung.


Freilich bleibt davon die Frage nach der Anwendung des Art. 17 Abs. 1 DSGVO als Rechtsgrundlage für einen Löschungs-/Beseitigungsanspruch bzw. Unterlassungsanspruch unberührt. Aus den rezipierten Ausführungen des BGH im Urt. v. 12.10.2021 – VI ZR 488/19 Rn. 19 ff. wird man schlussfolgern müssen, dass der BGH die Anwendbarkeit des Art. 17 Abs. 1 DSGVO verneinen würde, wenn das Medienprivileg griffe (anders kann man die Ausführungen der BGH nicht verstehen). Dann käme der BGH zur Prüfung eines Löschungs-/Beseitigungsanspruchs sowie eines Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB analog.


Da aber das Medienprivileg (auch nach dem BGH) nicht greift, gelangt nach BGH, Urt. v. 12.10.2021 – VI ZR 488/19 Art. 17 Abs. 1 DSGVO zur Anwendung. Ganz selbstverständlich wendet der VI. Senat Art. 17 Abs. 1 DSGVO auch auf Unterlassungsansprüche an. Demgegenüber erwähnt derselbe Senat im Urt. v. 09.08.2022 – VI ZR 1244/20 – wo es ebenfalls um Unterlassung der Verbreitung von Internetbewertungen ging – Art. 17 Abs. 1 DSGVO noch nicht einmal, sondern prüft den Unterlassungsanspruch ausschließlich nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog. Ein nachvollziehbarer Grund für die unterschiedliche Vorgehensweise kann allenfalls darin gesehen werden, dass der BGH im Urt. v. 09.08.2022 davon ausgeht, es lägen keine personenbezogenen Daten vor. Das aber überzeugt – wie aufgezeigt – nicht, da die hinter der Hotel- und Freizeitanlange stehende(n) natürliche(n) Person(en) identifizierbar ist/sind. Richtigerweise ist daher von einer Personenbezogenheit der Daten auszugehen und es ist wie folgt zu differenzieren: 


  • Art. 17 Abs. 1 DSGVO regelt jedenfalls Beseitigungsansprüche (Löschungsansprüche) gegenüber dem Verantwortlichen (d.h. im Fall von Internetbewertungen gegenüber dem Portalbetreiber). Für die Anwendbarkeit des Art. 17 Abs. 1 DSGVO spielt es keine Rolle, ob die DSGVO die Materie vollständig determiniert. Vorliegend entscheidet allein die Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung (siehe Art. 6 Abs. 1 DSGVO). Auf § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog kann es daher nicht mehr ankommen, da insoweit allein schon die für eine analoge Anwendung erforderliche Regelungslücke fehlt.


  • Geht es nicht um Beseitigung bzw. Löschung, sondern um Unterlassung, greift nach BGH, Urt. v. 12.10.2021 – VI ZR 488/19 ebenfalls Art. 17 Abs. 1 DSGVO. Das ist mit dem Wortlaut der Norm, die ausschließlich von Löschung spricht, schwerlich vereinbar. Richtig insoweit BGH, Urt. v. 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, der auf § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog abstellt.



II. Anspruch auf Löschung gem. Art. 17 Abs. 1 lit d) DSGVO


Art. 17 Abs. 1 DSGVO gewährt unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen das grundsätzliche Recht auf unverzügliche Löschung der bei der betroffenen Person erhobenen personenbezogenen Daten. Im vorliegenden Zusammenhang kommt die unrechtmäßige Datenverarbeitung nach lit d) in Betracht. Ob eine Datenverarbeitung unrechtmäßig ist, beurteilt sich insbesondere nach Art. 6 DSGVO. Nach Art. 6 UAbs. 1 lit f) DSGVO ist die Datenerhebung nur rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Mithin ist eine Abwägung zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen des Bewerteten und denjenigen des Bewerters und des Portalbetreibers vorzunehmen. Fraglich ist aber, ob damit nur Grundrechte und Grundfreiheiten des EU-Primärrechts gemeint sind (davon geht Heberlein, in: Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, Art. 6 Rn. 28 aus) oder ob zur Abwägung und damit zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit auch Grundrechte des Grundgesetzes herangezogen werden können (davon geht der BGH im Urteil v. 12.10.2021 – VI ZR 488/19 Rn. 36 aus, wo insofern auch Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG herangezogen werden).


Freilich kommt es darauf nicht an, wenn es lediglich um Unterlassung geht und man Art. 17 DSGVO für diesen Fall richtigerweise für nicht anwendbar erachtet. Dann sind Unterlassungsansprüche nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog zu prüfen. Auch im vorliegend besprochenen Urteil v. 09.08.2022 – VI ZR 1244/20 prüft der BGH allein § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog.



III. Anspruch auf Unterlassung gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog


An sich kompensiert ein Entschädigungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB für erlittene Rechtseinbußen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Vorschrift schützt aber nicht vor weiterer Rechtsverletzung. Das Gesetz gewährt daher, um weiteren Schadenseintritt zu verhindern, in verschiedenen Fällen einen Unterlassungsanspruch gegen drohendes gefährdendes Verhalten. Derart geschützt sind etwa der Name (§ 12 S. 2 BGB), der Besitz (§ 862 Abs. 1 S. 2 BGB), das Eigentum (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB) und andere Rechte. Da auch ein Bedürfnis besteht, den Schutz, welchen die Unterlassungsklage bietet, auch auf die gesetzlich nicht geregelten Fälle (etwa drohende Gesundheits-, Ehr- oder Persönlichkeitsverletzung) zu erstrecken, ist ein Unterlassungsanspruch daher auch dann zu gewähren, wenn eine rechtswidrige Verletzung eines beliebigen durch §§ 823 ff. BGB geschützten Rechts, Rechtsguts oder rechtlichen Interesses droht (etwa des allgemeinen Persönlichkeitsrechts). § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB ist in diesen Fällen analog anzuwenden. Dann kann der Rechtsinhaber, sofern eine künftige Beeinträchtigung seines Rechts zu befürchten ist, analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf Unterlassung klagen (negatorische Klage, vgl. dazu OLG Dresden K&R 2015, 412, 413 ff.; BGH NJW 2012, 2345 f.; NJW 2012, 148; BGH NJW 2021, 1311, 1316 f.).


Ein Unterlassungsanspruch besteht aber nicht, wenn der Betroffene zur Duldung verpflichtet ist. Durch diese Negativformulierung wird festgelegt, dass ein Anspruch unter den Voraussetzungen des Abs. 1 in der Regel gegeben ist und der Beeinträchtigende eine etwaige Duldungspflicht im Bestreitensfall beweisen muss. Diesbezüglich hat der BGH zunächst die Berufungsinstanz bestätigt, wonach P lediglich mittelbarer Störer sei, weil er sich die Bewertungen nicht zu eigen gemacht, sondern sie nur veröffentlicht habe. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass P eine Prämie für bis zu zehn Bewertungen pro Monat ausgelobt hat. Als mittelbarer Störer treffe ihn nur eine eingeschränkte Verantwortlichkeit für abgegebene Bewertungen. So sei ein Hostprovider zur Vermeidung einer Haftung als mittelbarer Störer grundsätzlich nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Der Hostprovider sei aber verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlange. Weise ein Betroffener den Hostprovider auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts – hier des Unternehmenspersönlichkeitsrechts – durch den Nutzer seines Angebots hin, könne der Hostprovider verpflichtet sein, künftig derartige Störungen zu verhindern. Ob das der Fall sei, hänge vom Gewicht der angezeigten Rechtsverletzung sowie den Erkenntnismöglichkeiten des Providers ab. Zu berücksichtigen seien aber auch Funktion und Aufgabenstellung des vom Provider betriebenen Dienstes sowie die Eigenverantwortung des für die persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigende Aussage unmittelbar verantwortlichen – ggf. zulässigerweise anonym oder unter einem Pseudonym auftretenden – Nutzers. Hinzu komme, dass Bewertungsportale eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion erfüllten. Der vom Hostprovider zu erbringende Prüfungsaufwand dürfe daher den Betrieb seines Portals weder wirtschaftlich gefährden noch unverhältnismäßig erschweren. Andererseits dürfe nicht außer Betracht bleiben, dass der Betrieb eines Portals mit Bewertungsmöglichkeit im Vergleich zu anderen Portalen, insbesondere Nachrichtenportalen, schon von vornherein ein gesteigertes Risiko für Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit sich bringe. Es bestehe stets die Gefahr, dass das Portal auch für nicht unerhebliche persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen missbraucht wird. Der Portalbetreiber müsse deshalb von Anfang an mit entsprechenden Beanstandungen rechnen, zumal Bewertungen anonym bzw. pseudonym erfolgten, was die Missbrauchsgefahr noch erhöhe und es dem Betroffenen zudem erheblich erschwere, unmittelbar gegen den Portalnutzer vorzugehen. Der Hostprovider habe im Fall eines konkreten Hinweises auf eine Rechtsverletzung die Beanstandung an den Bewerter zur Stellungnahme weiterzuleiten. Bleibe eine Stellungnahme innerhalb einer nach den Umständen angemessenen Frist aus, sei von der Berechtigung der Beanstandung auszugehen und der beanstandete Eintrag zu löschen (Rn. 30 f.). Das überzeugt. Zwar kann ein Hostprovider die Haftungsbeschränkung des § 10 S. 1 TMG für sich beanspruchen, das gilt nach dem BGH aber nicht für Unterlassungsansprüche, die ihre Grundlage – wie vorliegend – „in einer vorangegangenen Rechtsverletzung“ haben (Rn. 21). 


So weit, so gut. Jedoch steht damit noch die Frage aus, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene zur Duldung verpflichtet ist. Duldungspflichten können etwa aus einem Vertrag, einer Einwilligung oder aus dem Gesetz resultieren. Aber auch bei Überwiegen der grundrechtlich geschützten Interessen des Bewerters in einem Bewertungsportal besteht für den Bewerteten eine Duldungspflicht. Mithin ist eine Abwägung zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen des Bewerteten und denjenigen des Bewerters und des Portalbetreibers vorzunehmen.


  • Auf Seiten des H steht (über Art. 19 Abs. 3 GG) das nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Hinzu treten das Berufsgrundrecht aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG sowie ggf. das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. 
  • N könnte sich mit ihren Bewertungen auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG und Art. 10 EMRK stützen, jedenfalls, sofern sie keine unwahren Tatsachenbehauptungen und keine Schmähkritik geäußert hat.
  • Hinzu tritt das Informationsinteresse der anderen Nutzer aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG und Art. 10 EMRK .
  • Auf Seiten des Portalbetreibers steht die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG (flankiert von Art. 8 Abs. 1 EMRK). Er könnte sich zudem auf bestimmte Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK berufen.


In einer juristischen Ausarbeitung müssten die genannten Grundrechte des GG und Gewährleistungen der EMRK an dieser Stelle untereinander und gegeneinander abgewägt werden.

 


C. Bewertung


Im Ergebnis („Unterlassungsanspruch begründet“) ist der Entscheidung des BGH beizupflichten. Aus rechtsmethodischer Sicht gibt sie aber Anlass zur Kritik. So unterlässt der BGH die Prüfung, ob der Sachverhalt unter den Anwendungsbereich der DSGVO fällt und die Güterabwägung daher im Lichte (auch) der Grundrechtecharta der Union zu erfolgen hat. Unionsrechtsbezug prüft der Senat – anders als in seinem Urteil v. 09.08.2022 (VI ZR 1244/20), wo es ebenfalls um Unterlassung der Verbreitung von Internetbewertungen ging – nicht, sondern prüft den Unterlassungsanspruch ausschließlich nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog (statt nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO). Offenbar geht der BGH im vorliegend besprochenen Urteil davon aus, es lägen keine personenbezogenen Daten vor. Das aber überzeugt – wie aufgezeigt – nicht, da die hinter der Hotel- und Freizeitanlange stehende(n) natürliche(n) Person(en) identifizierbar ist/sind. Richtigerweise ist von einer Personenbezogenheit der Daten auszugehen. Hinsichtlich der dem Portalbetreiber zustehenden Grundrechte übergeht der BGH zudem das Berufsgrundrecht (Rn. 35), was methodisch ebenfalls zu beanstanden ist.


Die erforderliche Grundrechtsabwägung fällt in der BGH-Entscheidung denkbar kurz aus. Das konnte sie von der Warte des Gerichts aus auch. Denn wie der BGH völlig zu Recht ausführt, reicht die (substantiierte) Rüge des Bewerteten, der Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, womit ihr die Grundlage fehle, grundsätzlich aus, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen (Rn. 37). Unterlässt der Portalbetreiber in einem solchem Fall die Prüfung, liegt allein darin ein Rechtsverstoß, der zur Verletzung der Grundrechte des Bewerteten führt (siehe Rn. 38).

     



Rolf Schmidt (11.09.2022)



 



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