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Beiträge 2015


25.8.2015: Zur 130%-Grenze beim Reparaturanspruch nach Verkehrsunfall


BGH, Urteil v. 2.6.2015 – VI ZR 387/14

Ergänzung zu R. Schmidt, Schuldrecht Besonderer Teil II, 10. Auflage 2015, Rn 1142

Ausgangslage: Erleidet jemand im Rahmen eines Verkehrsunfalls einen Sachschaden an seinem Kfz, hat er selbstverständlich einen Anspruch auf Schadensersatz (vgl. § 823 Abs. 1 BGB; Art und Umfang des Anspruchs ergeben sich aus §§ 249 ff. BGB - vgl. dazu R. Schmidt, SchuldR BT II, 10. Aufl. 2015, Rn 1133 ff.). Allerdings hat der Geschädigte das sich aus dem Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ergebende schadensrechtliche Bereicherungsverbot bzw. das Wirtschaftlichkeitspostulat zu beachten. Danach hat der Geschädigte nur Anspruch auf solchen Schadensersatz, der vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheint (BGHZ 115, 364, 368). Kommen also mehrere Möglichkeiten des Schadensausgleichs in Betracht, hat der Geschädigte grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten wirtschaftlichen Aufwand erfordert (BGHZ 154, 395, 397 f.; 115, 364, 368; vgl. auch BGH NJW 2014, 535, 536). Auch sollen die Kosten der Reparatur nicht höher sein als der Wert der Sache.

Da das Schadensersatzrecht aber auch das Interesse des Geschädigten am Erhalt der Sache (sog. Integritätsinteresse) schützt („liebgewonnenes Fahrzeug“), wird dem Geschädigten eines Kfz zugebilligt, dass er seinen Wagen auch dann reparieren lassen kann, wenn die Kosten höher liegen als beim Kauf eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Da das Integritätsinteresse allerdings auch das Bereicherungsverbot bzw. das Wirtschaftlichkeitspostulat zu beachten hat und daher nicht grenzenlos geschützt ist (s.o.), ist die von der Rechtsprechung entwickelte 130%-Grenze zu beachten: Übersteigen die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30%, kann der Geschädigte nicht mehr sein Integritätsinteresse durchsetzen, sondern muss sich auf den Wiederbeschaffungswert verweisen lassen (sog. wirtschaftlicher Totalschaden).

Liegen die Reparaturkosten aber unterhalb der 130%-Grenze, kann der Geschädigte die Reparaturkosten und den Ersatz des merkantilen Minderwerts verlangen.

Beispiel (nach R. Schmidt, SchuldR BT II, 10. Aufl. 2015, Rn 1135a/1142): Der Wagen des A wurde durch einen von B verursachten Unfall beschädigt. Die Reparaturkosten betragen 8.000 €, der Wiederbeschaffungswert liegt bei 7.000 €).

Hier liegt die 130%-Grenze bei 9.100 € (Wiederbeschaffungswert von 7.000 € zuzüglich 30%). Da die Reparaturkosten jedoch nur 8.000 € betragen, ist die 130%-Grenze nicht überschritten. A kann somit sein Integritätsinteresse durchsetzen und 8.000 € (ggf. zuzüglich des merkantilen Minderwerts) verlangen, sofern er die Reparatur tatsächlich durchführen lässt.

Mit dem vorliegend zu besprechenden Urteil hat der BGH diese Rechtsprechung bestätigt, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls sein Fahrzeug auch im Fall eines wirtschaftlichen Totalschadens reparieren lassen darf, wenn die Kosten bis zu 130% des Wiederbeschaffungswerts betragen.

Zum Sachverhalt BGH v. 2.6.2015 – VI ZR 387/14: Der ältere Mercedes 200 D der Geschädigten G erlitt infolge eines von einem Dritten verursachten Verkehrsunfalls einen nicht unerheblichen Sachschaden. Die voraussichtlichen Reparaturkosten bei dem Wagen sollten dem Kfz-Sachverständigengutachten zufolge 186% des Wiederbeschaffungswerts betragen. Gleichwohl ließ G den Wagen reparieren. Weil sie jedoch unter anderem eine gebrauchte Fahrertür einbauen ließ und auf den Austausch von Zierleisten und anderen (Klein-)Teilen verzichtete, konnten die Reparaturkosten auf unter 130% des Wiederbeschaffungswerts reduziert werden. Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers lehnte die Übernahme der Reparaturrechnung ab mit dem Argument, die Einhaltung der 130%-Grenze sei nur durch „Trickserei“ erreicht worden, indem die Geschädigte teilweise Gebrauchtteile habe verbauen lassen, v.a. aber auf den Anbau von Teilen verzichtete. Maßgeblich sei allein die Berechnung im Sachverständigengutachten, wonach die Kosten einer ordnungsgemäßen Reparatur bei 186% des Wiederbeschaffungswerts lägen.

Lösung: Der BGH teilte im Wesentlichen die Rechtsauffassung der Versicherung. Reparaturen seien nach den Vorgaben des Sachverständigen durchzuführen. Geschädigte dürften dann zwar auch altersentsprechende Gebrauchtteile einbauen lassen, um Kosten zu sparen. Teile weglassen dürften sie aber nicht, weil ansonsten die Berechnungsgrundlage des Gutachtens unterlaufen werde. Zudem drohe eine Manipulationsgefahr seitens der Werkstatt durch eine versteckte Rabattgewährung, zum Beispiel durch Herunterrechnen von Arbeitszeiten und nicht auf der Rechnung ausgewiesene Positionen.

Fazit und Stellungnahme: Insbesondere, um Kosten zu sparen und damit die 130%-Grenze einzuhalten, hat der BGH die Verwendung von dem Alter des Fahrzeugs entsprechenden Gebrauchtteilen zwar gebilligt, gleichwohl muss nach seiner Auffassung der im Kfz-Sachverständigengutachten beschriebene Reparaturweg eingehalten werden. Das überzeugt. Richtigerweise werden Reparaturkosten über ein Kfz-Sachverständigengutachten ermittelt. Das soll Manipulationen und „Tricksereien“ im Zusammenhang mit Kfz-Unfallschäden verhindern. Die 130%-Grenze hat sich bewährt; sie ist Ausfluss des Wirtschaftlichkeitspostulats und verhindert, dass zulasten des Schädigers bzw. von dessen Haftpflichtversicherung unrentable Reparaturen durchgeführt werden. Die Berechnungsgrundlage des Sachverständigengutachtens darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Geschädigte Teile weglässt, um die 130%-Grenze einzuhalten.

R. Schmidt (25.8.2015)

 


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